20 August 2025

Tariftreue light

Warum der Entwurf des Bundestariftreuegesetzes überarbeitet werden muss

Ein neues Bundestariftreuegesetz (BTTG) soll den Bund dazu verpflichten, öffentliche Aufträge nur noch an solche Auftragnehmer:innen zu vergeben, die ihren Arbeitnehmer:innen tarifliche Arbeitsbedingungen gewähren – unabhängig davon, ob sie tarifgebunden sind oder nicht. Bislang erhalten diejenigen Unternehmen vom Bund den Zuschlag, die das günstigste Angebot unterbreiten. So können Unternehmen, die sich nicht an tarifliche Arbeitsbedingungen halten, durch niedrigere Personalkosten attraktivere Preise anbieten. Das soll das BTTG nun ändern. Die Diskussion ist nicht neu: Die Ampel-Koalition scheiterte, bevor ihr Entwurf verabschiedet werden konnte. Am 6. August 2025 hat sich die Regierung im Kabinett auf einen BTTG-Entwurf (BTTG-E) geeinigt. Der Entwurf verfolgt das richtige Ziel, ist jedoch nicht konsequent genug, um die Tarifautonomie tatsächlich zu stärken.

Gesetzgebungsprozess

Die Bundesregierung ist auch deshalb aktiv geworden, weil sie EU-Vorgaben im Zusammenhang mit der Förderung von Tarifbindung umsetzen muss. Laut der EU-Mindestlohnrichtlinie sind Mitgliedstaaten, in denen weniger als 80 % der Beschäftigten unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallen, verpflichtet, Aktionspläne zur Förderung der Tarifverhandlungen zu erstellen. Im Vergleich zu seinen Nachbarländern Frankreich, Österreich, Dänemark und Belgien, die eine Tarifbindung von über 80 % der Beschäftigten aufweisen, liegt diese in Deutschland bei etwa 49 %.

Der BTTG-E soll rechtzeitig vor den anstehenden Milliarden-Investitionen des Bundes, etwa in den Breitbandausbau und Kindertagesstätten, verabschiedet werden. Er unterscheidet sich an einigen Stellen vom Ampel-Entwurf. Die wesentlichen Regelungen und Absichten sind jedoch gleich. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) soll durch Rechtsverordnung branchenspezifische Arbeitsbedingungen für öffentliche Aufträge verbindlich festlegen dürfen, einschließlich der Entlohnung, des Anspruchs auf bezahlten Urlaub, der Höchstarbeits-, Mindestruhe- und Pausenruhezeiten. Bei Auftragserteilung müssen die Auftragnehmer:innen einschlägige tarifliche Bedingungen einhalten, was das Gesetz als „Tariftreueversprechen“ bezeichnet.

Entgegenstehende Positionen

Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Organisationen begrüßen das mit dem BTTG-E umgesetzte Projekt grundsätzlich seit Jahren. Es trage dazu bei, dass der Bund als Auftraggeber die Tarifbindung stärkt. Außerdem verhindere es, dass Auftragnehmer:innen sich auf Kosten der Arbeitnehmer:innen preislich zu unterbieten versuchen, wenn sie sich um öffentliche Vergaben bewerben. Arbeitgebernahe Organisationen kritisieren das Vorhaben – ähnlich wie das Mindestlohngesetz und die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (§ 5 TVG) – als Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und als bürokratische Last.

Wahrscheinlich wird das BTTG-E früher oder später vor dem BVerfG landen. Eine Verfassungsbeschwerde dürfte jedoch kaum erfolgreich sein – der BTTG-E greift bereits nicht in die negative Koalitionsfreiheit ein. Der Schutzbereich umfasst lediglich den unmittelbaren oder mittelbaren Zwang, einer Koalition beizutreten. Die negative Koalitionsfreiheit schützt hingegen nicht vor der generellen Geltung von Normen, die die Koalitionsparteien vereinbart haben. Weder ein Tarifzwang noch eine Zwangsmitgliedschaft in einer Koalition sind im BTTG-E vorgesehen und folgen auch nicht mittelbar aus dem Entwurf. Unternehmen steht es im Grundsatz frei, sich auf öffentliche Ausschreibungen zu bewerben und ihren Arbeitnehmer:innen untertarifliche Bedingungen zu gewähren. Erst wenn sie sich um öffentliche Aufträge bemühen, müssen sie nach dem BTTG-E arbeitsrechtliche Mindeststandards hinsichtlich spezieller Regelungsbereiche erfüllen – nicht jedoch vollumfänglich tarifliche Konditionen anbieten.

Neben dem politischen Ziel, Tarifbindung zu steigern, ist es ebenso unterstützenswert, dass der Staat kein Sozial- und Lohndumping begünstigt. Dabei wird der arbeitgeberseitig befürchtete Bürokratieaufwand – gemessen an dem erwarteten Auftragsvolumen – äußerst überschaubar sein. So schätzen die federführenden Ministerien im BTTG-E selbst den zusätzlichen Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft auf lediglich 400.000 Euro.

Akzeptiert man – auch im Lichte europarechtlicher Vorgaben – den politischen Willen der Regierung, ein Gesetz zu schaffen, das Tariftreue bei Auftragsvergaben durch den Bund stärken möchte, zeigt sich: Die Regierungskoalition droht ihr selbst gesetztes Ziel mit dem derzeitigen Entwurf an einigen Stellen selbst zu unterlaufen. Drei Regelungskomplexe verdienen hier besondere Beachtung; bei einem weiteren Regelungskomplex wird der Zweck zwar erreicht, allerdings unter Einsatz verfassungswidriger Mittel.

Zu geringes Volumen

Die Regelungen des BTTG finden nur ab einem geschätzten Auftragswert von 50.000 Euro netto Anwendung. Um effektiv zu sein, sollte das Gesetz möglichst viele öffentliche Aufträge umfassen, indem es einen möglichst geringen Schwellenwert festlegt. Bei einem Schwellenwert von 50.000 Euro würden dagegen verschiedene Auftragsarten vom Anwendungsbereich des BTTG ausgenommen bleiben, beispielsweise ein Drittel der Dienstleistungen sowie rund ein Viertel der Liefer- und Bauaufträge. Diese Aufträge kommen zwar häufig vor, umfassen jedoch regelmäßig kleinere Volumina. Hier wären Arbeitnehmer:innen nicht vor Lohndumping geschützt, obwohl insbesondere in der Dienstleistungsbranche – etwa bei Lieferung, Reinigung und Sicherheit – chronisch schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. Ein geringer Schwellenwert würde zudem erschweren, dass sich der Bund dem Gesetz entzieht, indem er einen vorgesehenen Auftrag in mehrere Einzelteile zerteilt. Ein Grenzwert von 25.000 Euro käme den selbstgesetzten Zielen deutlich näher.

Zu geringe Geltungsdauer

Problematisch ist zudem, dass die tarifvertraglichen Regelungen zu Mindestjahresurlaub, Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Ruhepausen nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BTTG-E erst ab einer Auftragsdauer von mehr als zwei Monaten greifen sollen. Für eine Auftragsdauer von bis zu zwei Monaten gelten ausschließlich die in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BTTG-E genannten Arbeitsbedingungen zur Entlohnung, also nur die Entgelthöhe. Schon die Annahme, dass das Vorhaben lediglich zwei Monate dauern soll, setzt die genannten tariflichen Bestimmungen aus. Weil Auftragnehmer:innen in ihrem Angebot die Ausführungsdauer zeitlich flexibel vorschlagen können, können sich bei kurzen Vorhaben Schutzlücken öffnen.

Die Entwurfsbegründung erkennt zwar, dass die zeitliche Begrenzung Missbrauchsgefahren mit sich bringt. Der Text des Gesetzesentwurfs selbst verhält sich hierzu jedoch nicht. Während eine Einschränkung beim Mindestjahresurlaub noch nachvollziehbar sein mag, ist sie in Bezug auf die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten nicht plausibel. Gerade bei kurzen Aufträgen, die unter zeitlichem Druck stehen, besteht die Gefahr, dass der Schutz der Arbeitnehmer:innen bei Arbeitszeiten nicht ausreichend gewährleistet ist. Hier sollte der Gesetzgeber nachbessern und Tarifbedingungen (und damit einhergehende verbesserte Arbeitsbedingungen) von Beginn des Vorhabens an sicherstellen – unabhängig von dessen geplanter Dauer.

Dokumentationslücken

§ 9 BTTG-E verpflichtet Auftragnehmer:innen, mittels geeigneter Unterlagen zu dokumentieren, dass sie das Tariftreueversprechen nach § 3 BTTG-E einhalten, und die Unterlagen auf Anforderung des Bundesauftraggebers oder der Prüfstelle Bundestariftreue vorzulegen. Anders als beim Ampel-Entwurf fehlt jedoch eine entsprechende Regelung für Nach- bzw. Subunternehmer:innen. Dieser sah eine Kettenverpflichtung für die primären Auftragnehmer:innen vor, entsprechende Unterlagen von den ihrerseits beauftragten Nachunternehmer:innen zu verlangen (§ 9 Abs. 2).

Ohne eine solche Kettenverpflichtung besteht das Risiko, dass Missbrauch auf der Stufe von Nachunternehmer:innen stattfindet und dort mangels stringenter Dokumentationserfordernisse noch schwieriger geahndet werden können. Wer ernsthaft die Tariftreue stärken möchte, muss derartige Dokumentationslücken sachgerecht schließen.

Verletzung von Gewerkschaftsrechten

Nach § 5 Abs. 1 BTTG-E legt das BMAS die für die öffentlichen Aufträge geltenden Arbeitsbedingungen eines abgeschlossenen Tarifvertrags auf Antrag einer Gewerkschaft oder einer Arbeitgebervereinigung fest. § 5 Abs. 3 BTTG-E soll sodann sicherstellen, dass bei konkurrierenden Tarifverträgen innerhalb einer Branche der repräsentativere Tarifvertrag gilt. Dazu verpflichtet § 5 Abs. 3 BTTG-E die Tarifvertragsparteien, dem BMAS auf Verlangen die Zahl ihrer in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Mitglieder mitzuteilen. Dies ist jedoch mit Blick auf den Schutz der koalitionsspezifischen Betätigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG problematisch. Das BVerfG hat insoweit anerkannt (Urteil vom 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15), dass die Offenlegung der Mitgliederzahl diese Betätigungsfreiheit beeinträchtigt und daher möglichst zu vermeiden ist (Rn. 170, 198). Gerade die Unkenntnis des Tarifpartners darüber, welche Gewerkschaft im Verhältnis zu anderen eine Mehrheit der Arbeitnehmer:innen organisiert, fördere die Verhandlungsbereitschaft. Müsste eine Minderheitsgewerkschaft ihre Mitgliederzahlen offenlegen, bestünde die Gefahr, dass sie in Tarifverhandlungen deutlich schlechtere Verhandlungspositionen einzunehmen und auch Nachteile bei der Werbung von Neumitgliedern hätte. Zwar soll die Offenlegung nach § 5 Abs. 3 BTTG-E nicht gegenüber der Arbeitgeberseite, sondern dem Ministerium erfolgen. Eine mittelbare Kenntnisnahme lässt sich aber nicht ausschließen, da § 6 BTTG-E eine Zusammenarbeit mit der Clearingstelle vorsieht, die auch aus Vertreter:innen der Arbeitgeberseite besteht.

Stattdessen bieten sich mildere Mittel an. So ermöglicht etwa § 7 Abs. 2 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) i.V.m. § 58 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz eine Gesamtabwägung, um den einschlägigen Tarifvertrag zu bestimmen. § 7 Abs. 2 AentG verpflichtet Gewerkschaften nicht dazu, Mitgliederzahlen mitzuteilen. In der Gesamtabwägung ist stattdessen primär auf die Anzahl der bei den tarifgebundenen Arbeitgeber:innen beschäftigten Arbeitnehmer:innen abzustellen – unabhängig davon, ob diese Gewerkschaftsmitglieder sind. Die Anzahl der Beschäftigten ist – anders als die Mitgliederzahl der Gewerkschaften – kein schützenswertes Geheimnis. Gewerkschaften können „ihrem“ Tarifvertrag somit zur Anwendung verhelfen, ohne eigene Zahlen offenlegen zu müssen. § 5 Abs. 3 S. 6 BTTG-E schließt dies jedoch aus: Verlangt das BMAS, Mitgliedszahlen offenzulegen und die Gewerkschaft verweigert dies, so ist der Antrag der Gewerkschaft, Arbeitsbedingungen eines bestimmten Tarifvertrags gelten zu lassen, zwingend abzulehnen.

Fazit

Das BTTG ist ein wichtiger Schritt für mehr Tariftreue und zeigt, dass der Bund seine Verantwortung für faire Arbeitsbedingungen anerkennt. Der derzeitige Entwurf greift jedoch an einigen Stellen zu kurz, um das erklärte Ziel – die Stärkung der Tarifautonomie – tatsächlich zu erreichen. Um die europarechtlichen Vorgaben zu erfüllen und sinnvolle Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung zu entwickeln, muss er unbedingt überarbeitet werden.


SUGGESTED CITATION  Kramme, Morten; Steffen, Louisa Katharina: Tariftreue light: Warum der Entwurf des Bundestariftreuegesetzes überarbeitet werden muss, VerfBlog, 2025/8/20, https://verfassungsblog.de/bundestariftreuegesetz-entwurf/.

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