03 May 2022

Crime Really Does Not Pay!

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt die rückwirkende Änderung der Regeln zur Einziehung von steuerrechtlich verjährten Taterträgen aus „Cum/Ex“-Geschäften

Mit dem kürzlich veröffentlichten Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2022 (Az. 2 BvR 2193/21) endet das jahrelange juristische Tauziehen um die Frage, wie mit den Erträgen aus den „Cum/Ex“-Straftaten der späten 2000er- und frühen 2010er Jahre umzugehen ist, zugunsten des Fiskus.

Das Hin und Her im Einziehungsrecht

Die Geschichte begann mit einem Beschluss des 1. Strafsenats des BGH aus dem Herbst 2019, der entschied, dass eine Einziehung von Erträgen aus illegalen „Cum/Ex“-Geschäften nicht rechtens sei, wenn der zugrunde liegende staatliche Steueranspruch bereits verjährt ist. Diese Entscheidung war brisant, da in vielen „Cum/Ex“-Fällen eine solche steuerrechtliche Verjährung eingetreten war und der Justiz verwehrte, die Tatbeute einzuziehen.

Der Gesetzgeber reagierte auf die Entscheidung des BGH, indem er mit dem – eigentlich ganz andere Fragen betreffenden – sog. Zweite Corona-Steuerhilfegesetz einen neuen § 375a AO einführte. Entgegen der Auslegung des BGH sollte damit die Verjährung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 47 AO nicht verhindern, dass rechtswidrig erlangter Taterträge eingezogen werden können.1) In einem Beitrag für den Verfassungsblog vom 26. Juli 2020 habe ich darauf hingewiesen, dass diese Änderung allerdings nur Wirkung für die Zukunft hat und es folglich dabei bleibt, dass die Beute aus vergangenen „Cum/Ex“-Taten in vielen Fällen den Tätern (bzw. Dritten, die von der Tat profitiert haben) belassen wird.

Daraufhin wurde eine rege Debatte um eine mögliche „Reform der Reform“ geführt: Sollte man es der Strafjustiz doch noch ermöglichen, rückwirkend auf Taterträge zuzugreifen, die nach bisheriger Rechtslage nicht eingezogen werden konnten? Die Bundesregierung rang sich zu einer solchen Rechtsänderung durch und passte das Einziehungsrecht durch das Jahressteuergesetz 2020 mit Wirkung zum 29. Dezember 2020 an. Konkret wurden die gerade erst eingeführten § 375a AO und Art. 97 § 34 EGAO wieder aus dem Gesetz entfernt und stattdessen § 73e StGB geändert. Der Passus in § 73e Abs. 1 S. 2 StGB stellt klar, dass die Einziehung von Taterträgen nicht allein dadurch ausgeschlossen wird, dass der Anspruch des Verletzten (bei Steuerstraftaten ist dies der Fiskus) durch Verjährung erlischt. Nach der Übergangsvorschrift des Art. 316j EGStGB ist diese neue Gesetzesfassung unter anderem in manchen besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO), in denen noch nicht über eine Tatertrageinziehung entschieden worden ist, auch rückwirkend anwendbar. Damit bildet die Verjährung von Steueransprüchen in den praktisch relevanten historischen „Cum/Ex“-Konstellationen künftig kein Hindernis mehr, die Taterträge einzuziehen.

Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot?

Die skizzierte rückwirkende Änderung des Einziehungsrechts in Fällen, denen ein verjährter Steueranspruch zugrunde lag, zog Kritik auf sich. Insbesondere Maciejewski (wistra 2020, 421 ff.), aber auch Bülte hatten in der Reform eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung erkannt. Dagegen hatte ich in einem Beitrag für den Verfassungsblog vom 13. März 2021 die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber innerhalb des ihm von Verfassungs wegen zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er entschied, das Tatertragseinziehungsrecht rückwirkend zu ändern. Dabei bezog ich mich auf einen Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2021, der eine ganz ähnliche Fragestellung betraf wie sie im „Cum/Ex“-Kontext diskutiert wird. Konkret ging es dort nicht um die rückwirkende Änderung der Einziehungsvorschriften für Steuerstraftaten, sondern um die rückwirkende Änderung des Einziehungsrechts insgesamt. Dies war zum 1. Juli 2017 tiefgreifend geändert worden, wobei Art. 316h S. 1 EGStGB für das gesamte reformierte Einziehungsrecht anordnete, dass es auch auf Taten angewendet werden kann, die vor dem In-Kraft-Treten der §§ 73 ff. StGB n. F. zum 1. Juli 2017 begangen wurden.

In dieser Rückbewirkung der Rechtsfolgen der §§ 73 ff. StGB sah der Senat zutreffend eine am allgemeinen Rückwirkungsverbot zu messende echte Rückwirkung, die nach ständiger Rechtsprechung nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig ist. Ein solcher Ausnahmefall sei laut dem Senat mit Blick auf Art. 316h EGStGB allerdings gegeben, da der vom Gesetzgeber mit dem Einziehungsrecht verfolgte Zweck, der Devise „crime must not pay“ zur Geltung zu verhelfen (vgl. dazu insbesondere Rn. 151), einen überragenden Belang des Gemeinwohls darstelle. Er rechtfertige es, das neue Einziehungsrecht auch auf Sachverhalte anzuwenden, in denen hinsichtlich der Erwerbstat bei Inkrafttreten des Reformgesetzes bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war. Die Vertrauensschutzposition der von der Einziehung von Taterträgen Betroffenen stehe demgegenüber zurück (Rn. 152 ff.).

Zwar war mit dieser Entscheidung des Senats vom Februar 2021 explizit nichts über die Verfassungskonformität des Jahressteuergesetzes 2020 und der dort befindlichen Regeln zur rückwirkenden Änderung von § 73e StGB gesagt. Allerdings ließ sich das Kernargument des Senats aus meiner Sicht ohne weiteres auf die Verjährung von Ersatzansprüchen des Verletzten – im „Cum/Ex“-Kontext: des Fiskus – übertragen, um die es bei der Änderung von § 73e StGB ging: die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs, die auch durch die Verfolgungsverjährung der Straftat nicht verblasse. Denn auch wenn die Rechtsordnung es dem Verletzten im Dienste des Rechtsfriedens nach einer bestimmten Zeit versagt, den ihm zustehenden Ersatzanspruch gegen den Täter rechtsförmig durchzusetzen, ist damit keine Billigung der rechtswidrigen Bereicherung des Täters verbunden. Er kann – so musste man BVerfGE 156, 354 aus meiner Sicht fortschreiben – aus der Verjährung des gegen ihn gerichteten Ersatzanspruchs folglich ebenso wenig Vertrauen schöpfen, den rechtswidrig erlangten und daher dauerhaft bemakelten Vermögensgegenstand behalten zu dürfen, wie er das nach Auffassung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts tun dürfte, wenn die Verfolgungsverjährung für die Anknüpfungstat eintritt.

Tragende Erwägungen der Entscheidung vom 7. April 2022

Diese Einschätzung hat sich bewahrheitet: In ihrer am 7. April 2022 ergangenen Entscheidung knüpft die 2. Kammer des Zweiten Senats unmittelbar an den Argumentationsgang der Senatsentscheidung BVerfGE 156, 354 an. Verfahrensanlass war diesmal eine Verfassungsbeschwerde der Hamburger Warburg Bank, zu deren Lasten angeordnet war, Werte von Taterträgen in Höhe von knapp 177 Mio. EUR einzuziehen. Auch in diesem Verfahren war zum Teil steuerrechtliche Verjährung eingetreten und die Einziehung konnte nur auf Grundlage des (wegen Art. 316j StGB rückwirkend) neugefassten § 73e StGB bewerkstelligt werden.

Die hiergegen gerichtete Rüge eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche allgemeine Rückwirkungsverbot hatte keinen Erfolg. Zwar sah die Kammer in der Regelung des Art. 316j EGStGB – ebenso wie zuvor der Senat mit Blick auf Art. 316h EGStGB – eine echte Rückwirkung. Diese Rückwirkung sei jedoch ausnahmsweise durch gegenüber den Interessen der Betroffenen überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt (Rn. 77 ff.). Die Kammer argumentiert, dass der Gesetzgeber mit der in Art. 316j Nr. 1 EGStGB enthaltenen Erstreckung der Wirkung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB n.F. auch auf Fälle, in denen steuerrechtliche Verjährung bereits eingetreten war, das Ziel verfolge, durch Steuerhinterziehungen in großem Ausmaß eingetretene, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und so der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten nicht lohnen. Dieses Ziel gehe dem Interesse der Betroffenen vor, durch Steuerdelikte erlangte Vermögenswerte nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung behalten zu dürfen. Zwar seien gesetzliche Verjährungsregelungen grundsätzlich geeignet, dem Bürger schutzwürdiges Vertrauen zu vermitteln (Rn. 85). Durch den Ablauf steuerrechtlicher Verjährungsfristen entstehe aber kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend, einen strafrechtswidrig erlangten Vermögensvorteil behalten zu dürfen (Rn. 87 ff.). Angesichts des Prinzips, dass das Vertrauen in den Fortbestand unredlicher erworbener Recht grundsätzlich nicht schutzwürdig ist, geht die Kammer hier von hohen Hürden für den Aufbau legitimen Vertrauens aus. Anders wäre dies – so interpretiere ich die Kammer, die dazu selbst nichts ausführt – wenn es um die Verjährung der Einziehung selbst geht: Wenn die hierzu nach § 76b StGB gesetzten Fristen abgelaufen sind, müssen selbst Profiteure einer Straftat darauf vertrauen können, dass keine Einziehung mehr erfolgt.

Fazit

Für den Fiskus nimmt das Tauziehen um die „Cum/Ex“-Beute ein Happy End: Nicht nur hat das Bundesverfassungsgericht im hier vorgestellten Beschluss der Einziehung von knapp 177 Mio. EUR bei der Warburg Bank seinen Segen erteilt, deren Verfassungskonformität die tief in das „Cum/Ex“-Geschehen verwickelte Bank im Wege der Verfassungsbeschwerde angefochten hatte. Auch für die Einziehungsentscheidungen in zahlreichen anderen „Cum/Ex“-Verfahren gibt es damit nun endgültig grünes Licht. Die nunmehr verfassungsgerichtlich bestätigte Rechtslage erlaubt es der Justiz, Erträge aus Steuerstraftaten selbst dann noch einzuziehen, wenn der zugrundeliegende Steueranspruch bereits verjährt ist. Gesetzgeber und Verfassungsgericht haben es so glücklicherweise vermieden, Erträge aus Steuerstraftaten gegenüber solchen aus „normaler“ Kriminalität zu privilegieren.

References

References
1 Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen eines solchen mit Blick auf das neutralisierte BGH-Judikat „Nichtanwendungsgesetzes“ Maciejewski, Nichtanwendungsgesetze, 2021.

SUGGESTED CITATION  Wegner, Kilian: Crime Really Does Not Pay!: Das Bundesverfassungsgericht bestätigt die rückwirkende Änderung der Regeln zur Einziehung von steuerrechtlich verjährten Taterträgen aus „Cum/Ex“-Geschäften, VerfBlog, 2022/5/03, https://verfassungsblog.de/crime-really-does-not-pay/, DOI: 10.17176/20220503-182357-0.

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