Das Ende verstaatlichter Asylrechtsberatung in Österreich?
Vor knapp zwei Jahren kam es zu einem der größten Systembrüche im österreichischen Asylwesen. Die Rechtsberatung von Flüchtlingen, die bis dahin von nichtstaatlichen Organisationen verantwortet war, wurde einer Bundesagentur unter entscheidendem Einfluss des Innenministers übertragen. Nun wird diese Konstruktion vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) überprüft. Eine erste Einordnung.
Ein Systembruch
In Österreich fungiert das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) – eine dem Innenminister „unmittelbar nachgeordnete Behörde“ – als Erstinstanz in allen asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren. Sie entscheidet also auch über alle Anträge auf internationalen Schutz. Beschwerden gegen Entscheidungen des BFA werden von einem unabhängigen Gericht – dem Bundesverwaltungsgericht – geprüft.
In diesen Verfahren haben Flüchtlinge unter anderem aufgrund von europarechtlichen Vorgaben einen Anspruch auf Rechtsberatung und -vertretung. Doch das Unionsrecht gibt den Mitgliedsstaaten einen recht großen Spielraum bei der konkreten Gewährleistung dieses Anspruchs. Genau diesen Spielraum wollte der österreichische Gesetzgeber wohl zu stark ausreizen. Er wollte dem Innenminister, der bereits als oberste Weisungsinstanz des genannten BFA agiert, einen maßgeblichen Einfluss auf genau jene Stelle verschaffen, die Flüchtlinge in Verfahren gegen deren Entscheidungen vertritt. „Das heißt, weniger Einfluss für die NGOs, ich will hier selber kontrollieren“, so der damalige Innenminister.
Trotz breiter und deutlicher Kritik kam es schließlich zum Systembruch. Die Nichtregierungsorganisationen, die bis 2020 die Asylrechtsberatung durchführten, wurden von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) abgelöst. Die Agentur wurde als GesmbH eingerichtet, die im ausschließlichen Eigentum des Bundes liegt. Die Rechtsberater wurden zwar gesetzlich als unabhängig bezeichnet, weisungsfrei gestellt und zur Verschwiegenheit verpflichtet, doch gleichzeitig wurden dem Innenminister die Ausübung der Gesellschafterrechte und weitere ausschlaggebende Einflussmöglichkeiten zugesprochen. Von der Auswahl der Rechtsberater, der Festlegung der allgemeinen Grundsätze der Unternehmensführung, dem Abschluss eines Rahmenvertrags über die zu erbringenden Leistungen und die Vorgangsweise bei Pflichtverletzungen, der Festlegung der Geschäftsordnung, der Bestellung von Geschäftsführer und der Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder, inklusive Vorsitz und Stellvertretung, der Möglichkeit zur Nicht-Genehmigung des Finanz-, Kosten- und Personalplans der BBU bis zu einem gesellschaftsrechtlichen Informationsrecht und einem Weisungsrecht.
Praktische Qualität trotz struktureller Mängel
Nach einem Regierungswechsel konnten über einen nichtveröffentlichten Rahmenvertrag einzelne Mechanismen und Personalien vereinbart werden, die eine stärkere Unabhängigkeit und hohe Qualität sicherstellen sollten. Und diese Vorkehrungen schienen auch im Großen und Ganzen zu greifen. Denn seit Aufnahme ihrer Tätigkeit im Jänner 2020 fiel die BBU bei vielen vor allem durch fundierte Rechtsberatung auf. Eine Einflussnahme des Innenministeriums mit negativen Auswirkungen auf die Arbeit der BBU war bisher kaum auszumachen.
Doch die grundsätzliche Kritik an der Konstruktion einer staatlichen Rechtsberatung wurde von vielen Seiten aufrechterhalten. Unter anderem äußerten auch der eigens eingerichtete Qualitätsbeirat sowie eine externe Evaluation der BBU klare Bedenken.
Zurecht. Denn zu groß ist das rechtsstaatliche Risiko, dass strukturelle Schwächen in der Zukunft auch faktisch ausgenutzt werden. Wie Lukas Gahleitner-Gertz und ich an anderer Stelle ausgeführt haben, können die grundrechtlichen Defizite im System der BBU von qualitätsvoller Arbeit nicht verdeckt werden. Der systemisch veranlagte Interessenskonflikt, der sich vor allem in der Doppelrolle des Innenministers zeigt, steht in Widerspruch zu den Prinzipien der Unabhängigkeit und Waffengleichheit, wie sie der Rechtsprechung von EuGH und EGMR entnommen werden können, und expliziten unionsrechtlichen Vorgaben zur Asylrechtsberatung.
Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof
Nun prüft auch der österreichische VfGH die Konformität der BBU-Rechtsberatung mit verfassungs- und grundrechtlichen Vorgaben. In einem Beschluss vom 13. Dezember 2022 führt er eine Reihe an Bedenken an, die er vor einer abschließenden Bewertung des aktuellen Rechtsberatungssystems näher prüfen möchte.
Zum einen bezieht er sich dabei auf Artikel 20 Absatz 2 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG). Dieser sieht nur für manche Konstellationen und nach bestimmten Kriterien vor, dass die sonst in der Verwaltung bestehende Weisungsbindung entfallen kann. Diese Bestimmung sei auch für die Rechtsberatung relevant, so der VfGH. Denn die Rechtsberatung sei entweder als schlicht hoheitliche Tätigkeit zu qualifizieren oder zumindest aufgrund der aktuellen Eigentumsverhältnisse und Einflussmöglichkeiten der staatlichen Verwaltung zuzurechnen. Für beide Fälle führt der VfGH in seinem Beschluss mehrere Gründe an, die einen Konflikt der aktuellen Gestaltung der Rechtsberatung mit Artikel 20 Absatz 2 B-VG nahelegen.
Zum anderen geht er aber auch auf schwerwiegende rechtsstaatliche und grundrechtliche Bedenken ein. Dabei führt er aus, „dass die vorliegende Konstruktion auf Grund des maßgeblichen Einflusses, der dem Bundesminister für Inneres, dem gleichzeitig das BFA nachgeordnet ist, […] eingeräumt ist” nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip und Artikel 47 der EU-Grundrechtecharta vereinbar sein könnte. Die gewählte Konstruktion dürfte den Anschein erwecken, dass sie das Recht auf ein faires Verfahren nicht garantiert. Und sie weise wohl auch kein Mindestmaß an faktischer Effektivität für Rechtsschutzsuchende auf.
Im weiteren Verfahren will der VfGH unter anderem prüfen, ob die gesetzlichen Vorkehrungen zu Unabhängigkeit, Weisungsfreiheit und Verschwiegenheit Interessenskonflikte adäquat vermeiden können. Insbesondere will er sich aber auch näher mit der Frage befassen, welche Bedeutung dabei den Garantien im Rahmenvertrag zukommt, dessen Inhalte eben nicht gesetzlich verankert seien und stattdessen jederzeit abgeändert werden könnten.
Ausblick
Es kann davon ausgegangen werden, dass der VfGH seine doch weitreichenden Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität des österreichischen Asylrechtsberatungssystems im Wesentlichen aufrechterhalten wird. Im vergangenen Jahr war dies bei 32 von 36 Prüfungsbeschlüssen der Fall. Damit wäre der Versuch einer verstaatlichten Rechtsberatung in grundrechtliche Schranken gewiesen. Das stellt den Gesetzgeber vor die Herausforderung, ein System zu reformieren, das derzeit zwar faktisch ordentlich arbeitet, jedoch langfristig zu anfällig ist für eine Unterminierung der Rechte von Flüchtlingen.