07 December 2024

„Das IGH-Gutachten könnte die globale Klimagovernance grundlegend ändern.“

Fünf Fragen an Tejas Rao, Marie-Claire Cordonier Segger und Markus Gehring

1. Am Montag hat der Internationale Gerichtshof (IGH) mit Anhörungen in einem Verfahren begonnen, das als the world’s biggest legal case bezeichnet wurde. In dem von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beantragten Gutachten („Advisory Opinion“) zu den „Pflichten der Staaten in Bezug auf den Klimawandel“ äußern sich fast 100 Staaten und mehrere Organisationen. Worum geht es in dem Verfahren?

Das Verfahren geht auf eine Studierendeninitiative in Vanuatu zurück. Die Initiative mit Unterstützung von mehreren Inselstaaten führte dazu, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 29. März 2023 die Resolution 77/276 verabschiedete. Die Resolution, die im Konsens von allen 193 Mitgliedstaaten der UN angenommen wurde, ersucht den Internationalen Gerichtshof um ein Gutachten über Staatenpflichten in Bezug auf den Klimawandel.

Der Gerichtshof wird dabei gebeten, zwei grundlegende Fragen zu beantworten: Erstens, welche Verpflichtungen haben Staaten im Völkerrecht, das Klimasystem und die Umwelt vor Treibhausgasemissionen zu schützen – sowohl für die gegenwärtige als auch für zukünftige Generationen? Zweitens, welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich für Staaten, deren Handlungen oder Unterlassungen erhebliche Klimaschäden verursacht haben, insbesondere im Hinblick auf vom Klimawandel bedrohte Staaten wie etwa kleinere Inselstaaten im Globalen Süden, aber auch mit Blick auf die Rechte gegenwärtiger und zukünftiger Generationen?

Es wird erwartet, dass das Gutachten weitreichende Folgen haben wird. Das Gutachten könnte die völkerrechtlichen Staatenpflichten in Bezug auf den Klimawandel maßgeblich abstecken, einen Rahmen für Klimaentschädigungen schaffen und die globale Klimagovernance grundlegend verändern. Der Gerichtshof wird dabei verschiedene Quellen des Völkerrechts berücksichtigen müssen, darunter die UN-Charta, Menschenrechtsübereinkommen, Umweltverträge und das Völkergewohnheitsrecht.

Was dieses Verfahren dabei besonders bedeutsam macht, ist sein Potenzial, klare rechtliche Standards für Klimaschutz und Klimaverantwortlichkeit zu etablieren und dabei gleichzeitig Neuland bei der Anerkennung der Rechte zukünftiger Generationen im Völkerrecht zu betreten. Wie der Minister für Klimawandel von Vanuatu betonte, wird der wahre Maßstab für den Erfolg darin bestehen, ob dieser Prozess die Stimmen der am meisten vom Klimawandel bedrohten Menschen stärkt und ein rechtlich klares Bild greifbarer Maßnahmen für die Klimagerechtigkeit zeichnet.

Die Studierendeninitiative und die kleineren Inselstaaten, die die Kampagne anführten, „das größte Problem der Welt vor das höchste Gericht der Welt zu bringen“, verdienen unsere größte Dankbarkeit für ihre jahrelange harte Arbeit. Wir haben uns sehr gefreut, sie während unserer Klimaschutzrecht- und Governance-Tage bei den UNFCCC-COPs zu begrüßen, und im vergangenen Jahr gewannen sie die Climate Law and Governance Global Leadership Awards für ihre Bemühungen.

2. Neben den von Ihnen erwähnten studentischen Initiative spielten kleine Inselstaaten eine zentrale Rolle bei dem Antrag auf ein Gutachten. Was sind die Hauptargumente der kleinen Inselstaaten in Bezug auf Staatenverantwortung, und wie unterscheiden sie sich von den völkerrechtlichen Argumenten großer Emittenten?

Die kleineren Inselstaaten, angeführt von Vanuatu und unterstützt von anderen Staaten wie Antigua und Barbuda, Fidschi und den Marshallinseln, tragen mehrere Kernargumente in Bezug auf Staatenverantwortung vor:

Erstens argumentieren sie, dass das Völkerrecht den Staaten robuste individuelle Verpflichtungen auferlegt, um Klimaschäden zu verhindern. Diese Verpflichtungen ergeben sich sowohl aus dem Völkergewohnheitsrecht als auch aus völkerrechtlichen Verträgen. Sie betonen, dass das „No-Harm“-Prinzip die Staaten dazu verpflichtet, erhebliche Umweltschäden für andere Staaten zu verhindern, und dass dieses Prinzip ebenso auf Treibhausgasemissionen anwendbar ist wie auf andere Formen grenzüberschreitender Umweltverschmutzung. Viele Stellungnahmen verwiesen zudem positiv auf das Gutachten des Internationalen Seegerichtshofs, das feststellt, dass Treibhausgase eine Verschmutzung der Meere darstellen.

Zweitens tragen sie vor, dass ein rechtlicher Kausalzusammenhang zwischen den Emissionen bestimmter Staaten und Klimaschäden wissenschaftlich nachgewiesen werden kann. Barbados wies insbesondere Behauptungen zurück, dass die Feststellung des Kausalzusammenhangs zu komplex sei, und argumentierte, dass es sich eher um eine Frage des Umfangs als der Kausalität handelt, da die Ursachen des Klimawandels direkt, vorhersehbar und zurechenbar sind.

Drittens argumentieren sie, dass die Menschenrechte, insbesondere die ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Bewohner, direkt vom Klimawandel betroffen sind, und lieferten konkrete Beweise für das Ausmaß und die Kosten der bereits erlittenen Klimaschäden in vielen kleineren Inselstaaten. Sie tragen vor, dass Menschenrechte die Auslegung des internationalen Klimarechts prägen müssen und in direktem Zusammenhang mit der Klimakrise stehen.

Viertens betonen sie, dass historische Verantwortung auch eine rechtliche Dimension hat. Mehrere Inselstaaten führten Beweise an, dass große Emittenten seit Jahrzehnten über die potenziellen Klimaschäden informiert waren, aber dennoch ihre schädlichen Aktivitäten fortsetzten und damit Sorgfaltspflichten verletzten.

Fünftens fordern sie umfassende rechtliche Abhilfemaßnahmen, darunter:

  • Einstellung schädlicher Praktiken
  • Garantien für die Nichtwiederholung
  • Wiedergutmachung, die sich an historischen Emissionen ausrichtet
  • Schuldenerlass als Entschädigung
  • Entschädigung für wirtschaftliche und immaterielle Schäden
  • Wiederherstellung von Ökosystemen
  • Garantien für den Erhalt der Eigenstaatlichkeit, die sich aus internationaler Verantwortung ergeben
  • sowie mehrere weitere rechtliche Konsequenzen.

Im Gegensatz dazu vertreten Hauptemissionsländer wie die Vereinigten Staaten, Russland, Iran und Saudi-Arabien deutlich andere Rechtsauffassungen:

Erstens argumentieren sie, dass Staatspflichten in Bezug auf das Klima ausschließlich oder primär aus den spezifischen Klimaverträgen (UNFCCC, Pariser Übereinkommen und Kyoto-Protokoll) resultieren und nicht aus allgemeinem Völkerrecht. Die USA argumentierten, dass das Pariser Übereinkommen keine Standards setzt, um zu beurteilen, ob nationale Verpflichtungen angemessen sind und auch keine Grundlage für die Aufteilung fairer Anteile am globalen CO2-Budget bereithält. Das UNFCCC-Abkommen sei lex specialis in Bezug auf alle rechtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel.

Zweitens lehnen sie die Anwendung traditioneller „No-Harm“-Prinzipien auf den Klimawandel ab und argumentieren, dass diese Prinzipien für bilaterale, klar nachvollziehbare Schäden entwickelt wurden und nicht für komplexe globale Phänomene wie den Klimawandel geeignet sind. Sie behaupten zudem, dass die Kausalität zu komplex sei, um Staatenverantwortung zuzuschreiben.

Drittens stellen sie grundsätzlich jegliche historische Staatenverantwortung in Frage. Mehrere Staaten argumentieren, dass rechtliche Verpflichtungen nur ab dem Zeitpunkt entstehen können, an dem Klimaverträge in Kraft traten oder ein wissenschaftlicher Konsens über die Schäden erreicht wurde (was sie allgemein auf die 1990er-Jahre datieren).

Viertens betonen sie, dass die Mechanismen des Pariser Übereinkommens zur Bewältigung von Verlusten und Schäden politische und keine rechtlichen Verpflichtungen darstellten, und lehnen es ab, herkömmliche Grundsätze der Staatenverantwortung auf den Klimawandel anzuwenden. Jede gegenteilige Ansicht würde die Möglichkeit untergraben, das Problem im Wege von Verhandlungen zu lösen.

Fünftens, obwohl viele anerkennen, dass ein von der Generalversammlung einstimmig unterstützter Antrag auf ein IGH-Gutachten eine Ausnahme darstelle, fordern sie eine sorgfältige Prüfung, ob der Antrag zulässig sei. Sollte er zulässig sein, plädieren sie für eine sehr enge Auslegung der Fragestellungen, ohne sich von Formulierungen wie dem Verweis auf Menschenrechte leiten zu lassen.

Der fundamentale Unterschied besteht offenbar bezüglich der Frage, ob der Klimawandel als einzigartiges Phänomen betrachtet werden sollte, das primär durch spezifische Verträge geregelt wird, wie es die Hauptemissionsländer argumentieren, oder ob er in den breiteren Rahmen des Völkerrechts zu grenzüberschreitenden Schäden und staatlicher Verantwortung fällt, wie es die kleineren Inselstaaten, unterstützt von vielen anderen Staaten, vortragen. Die Klärung dieser Rechtsfrage könnte tiefgreifende Auswirkungen auf künftige Klimaschutzmaßnahmen und die Entschädigung für Klimaschäden haben.

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09.12.2024 | 19:00 | Point Alpha Research Institute (PARI), Schloss Geisa | Auf der Grenze: Völkerrecht zwischen Niedergang und Neuordnung? | Podiumsgespräch | Mit David Kennedy (Harvard), Martti Koskenniemi (Helsinki University), Isabel Feichtner (Universität Würzburg), Alexandra Kemmerer (MPIL), Claudia Wiesner (Hochschule Fulda) | Moderiert von Maxim Bönnemann (Verfassungsblog) | Deutsch und Englisch

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3. Der IGH ist nicht das einzige internationale Tribunal, das über einen Antrag auf ein Gutachten im Zusammenhang mit der Klimakrise entscheidet. Kürzlich erst hat der Internationale Seegerichtshof sein Gutachten zu Völkerrecht und Klimawandel veröffentlicht. Auch vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte wird für kommendes Jahr ein Gutachten zu Fragen von Klimakrise und Menschenrechten erwartet. Warum spielen Gutachten eine so zentrale Rolle im internationalen Klimarecht und was erhoffen sich die anfragenden Parteien von ihnen?

Die Hauptmotivation hinter diesen Anträgen ergibt sich aus der Frustration besonders vom Klimawandel betroffener, vulnerabler Staaten, insbesondere kleinerer Inselstaaten, mit dem langsamen Fortschritt und den strukturellen Einschränkungen des UNFCCC-Prozesses. Die konsensbasierte Natur internationaler Verhandlungen über das Klima ermöglicht es einer kleinen Anzahl von Staaten, wesentliche Fortschritte zu blockieren, obwohl sich das Zeitfenster für wirksame Klimamaßnahmen schließt. Die 2020er-Jahre stellen ein entscheidendes Jahrzehnt für den Klimaschutz dar. Die Wissenschaft weist darauf hin, dass die Staaten ihre Emissionen bis 2030 um nahezu 50 % reduzieren müssen, um eine realistische Chance zu haben, das 1,5°C-Ziel des Pariser Übereinkommens zu erreichen.

Die Parteien, die diese Gutachten anfragen, wollen mit ihnen mehrere Ziele erreichen.

Erstens streben sie an, ein robusteres Rahmenwerk zu etablieren, das verhandeltem Klimarecht internationales Richterrecht zur Seite stellt. Dies könnte helfen, die rechtlichen Staatenpflichten in Bezug auf Emissionsminderungen und Klimaschäden zu klären und die Diskussion von freiwilligen Zusagen hin zu klarer definierten rechtlichen Verantwortlichkeiten zu verschieben.

Zweitens könnten diese Gutachten Klimaklagen auf nationaler Ebene stärken. Nationale Gerichte ziehen oft Auslegungen internationaler Tribunale heran, wenn sie Klimafälle verhandeln, wodurch Gutachten in nationalen Rechtskontexten potenziell einflussreich werden können. Der Erfolg von Fällen wie Urgenda in den Niederlanden zeigt, wie gerichtliche Entscheidungen ambitioniertere Klimamaßnahmen auf nationaler Ebene vorantreiben können. Der Einfluss auf die Auslegung des Rechts auf internationaler und nationaler Ebene sollte nicht unterschätzt werden. Ein maßgebliches, autoritatives Gutachten eines internationalen Gerichts oder Tribunals hat in vielen Rechtssystemen erhebliches Potenzial, in Auslegungsfragen herangezogen zu werden.

Drittens hoffen die Antragsteller, dass diese Gutachten klare rechtliche Prinzipien als Rahmen zukünftiger Klimaverhandlungen hervorbringen. Durch die Etablierung autoritativer Auslegungen des internationalen Rechts im Hinblick auf den Klimawandel könnten Gutachten dazu beitragen, Verhandlungsmacht zwischen den Staaten in diplomatischen Verhandlungen zu verschieben.

Die Verteilung der Anträge auf verschiedene Tribunale – den IGH, den Internationalen Seegerichtshof und den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte – spiegelt eine strategische Herangehensweise wider, um die jeweilige Zuständigkeit und Expertise jeder Institution zu nutzen. Der IGH kann umfassende Fragen des Völkerrechts behandeln, während sich der Internationale Seegerichtshof speziell mit dem Seerecht befasst und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte die menschenrechtlichen Dimensionen untersucht. Diese Strategie verschiedener Foren zielt darauf ab, ein umfassendes rechtliches Rahmenwerk zu schaffen, das verschiedene rechtliche Aspekte der Klimakrise abdeckt.

Es ist möglich, dass ein weitreichendes und aus Klimaperspektive positives Gutachten die Grundlage für spätere streitige Verfahren bilden könnte, wenn es eine konkrete rechtliche Grundlage, zum Beispiel im Völkergewohnheitsrecht, für eine Klage gegen Hauptemissionsländer identifiziert.

4. Ich würde gerne noch etwas tiefer in die konsensbasierte Natur internationaler Klimaverhandlungen und die Möglichkeit von Staaten, Fortschritte zu blockieren, eintauchen. Im Gegensatz zu international verhandeltem Recht, wie es etwa bei internationalen Klimaverträgen der Fall ist, basiert die richterliche Entscheidungsfindung nicht auf einem Konsens unter den Staaten. Zugleich ist das internationale Klimaregime derzeit sehr fragil. Birgt ein rechtlich mutigeres Gutachten über Staatenpflichten in der Klimakrise auch Risiken, insbesondere hinsichtlich seiner Legitimität?

Die Spannung zwischen richterlicher Rechtscourage und Legitimität stellt eine zentrale Herausforderung für jedes Gutachten zu den Verpflichtungen im Hinblick auf die Klimakrise dar. Internationale Gerichte müssen in dieser Hinsicht ein vorsichtiges Gleichgewicht wahren: Sie müssen Orientierung geben, dabei jedoch ihre institutionelle Legitimität bewahren und eine Beeinträchtigung des bestehenden Klimaregimes vermeiden.

Die grundlegende Herausforderung für die Legitimität ergibt sich aus der politischen Natur des Klimawandels. Wenn ein internationales Tribunal über allgemeine Prinzipien hinausgeht, um konkrete Verpflichtungen festzulegen, würde es Gefahr laufen, Rechtsetzung und nicht nur Rechtsprechung zu betreiben. Dies wirft ernsthafte Fragen zur institutionellen Kompetenz und demokratischen Verantwortlichkeit auf. Warum sollten Richter, statt gewählte politische Vertreterinnen, spezifische Anforderungen für Emissionsreduktionen festlegen oder Rahmenbedingungen für Klimareparationen schaffen?

Das Risiko wird besonders akut, wenn man die absichtliche Offenheit berücksichtigt, die in viele Klimaabkommen eingebaut ist. Begriffe wie den Grundsatz der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“, „jeweiligen Fähigkeiten“, „Fortschritt“ und sogar die Einteilung in „Entwicklungsländer“ stellen sorgfältig ausgehandelte Kompromisse dar, die eine breite Teilnahme am Klimaregime ermöglichen. Eine richterliche Auslegung, die diese konstruktiven Unklarheiten beseitigt, könnte das empfindliche politische Gleichgewicht untergraben, das das bestehende System trotz seiner Unvollkommenheiten funktionsfähig macht.

Staaten, die ein Gutachten als richterlichen Übergriff wahrnehmen, könnten reagieren, indem sie nicht nur das Gutachten selbst, sondern auch das weitere internationale Klimaregime ablehnen. Dieses Risiko ist insbesondere für Hauptemissionsländer von Bedeutung, deren Teilnahme für effektiven Klimaschutz entscheidend ist. Ein rechtlich weitreichendes Gutachten könnte somit paradoxerweise die internationale Antwort auf den Klimawandel schwächen, statt sie zu stärken. Auf der anderen Seite ist es nicht neu, Verhandlungen durch Rechtsprechung voranzutreiben. In anderen Bereichen, wie dem WTO-Recht, ist dies seit vielen Jahren eine Herangehensweise der Staaten, und obwohl es im Klimazusammenhang neu ist, ist sie für das Völkerrecht als Ganzes normal.

Darüber hinaus könnte die Legitimität internationaler Gerichte selbst geschwächt werden. Wenn Staaten ein Gutachten weitgehend ablehnen, weil sie es als Überschreitung richterlicher Autorität ansehen, könnte dies die Glaubwürdigkeit internationaler Tribunale insgesamt schädigen. Dieses institutionelle Risiko wird besonders besorgniserregend, wenn Gerichte in Bereiche vordringen, die die Staaten explizit als Gegenstand politischer Verhandlungen ansehen.

Doch auch übermäßige richterliche Zurückhaltung birgt Legitimitätsrisiken. Wenn ein internationales Gericht lediglich akzeptierte Prinzipien wiederholt, ohne deutliche Orientierung zu deren Anwendung auf die Klimakrise zu bieten, könnte es dafür kritisiert werden, seiner Verantwortung zur Weiterentwicklung des internationalen Rechts nicht nachzukommen. Besonders vom Klimawandel besonders betroffene, vulnerable Staaten könnten eine solche Zurückhaltung als untergrabend für die Legitimität des Gerichts als Institution betrachten, die in der Lage ist, auf dringende globale Herausforderungen zu reagieren. Viele der vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten und kleinere Inselstaaten intervenieren zum ersten Mal in einem internationalen Gerichtsverfahren vor dem IGH, und ihr Vertrauen in diese internationale Institution wird von einem ambitionierten Gutachten abhängen.

Der Weg nach vorne erfordert eine sorgfältige richterliche Abwägung, die sowohl politische Realitäten als auch rechtliche Grundsätze respektiert. Anstatt zu versuchen, alle Kontroversen rund um die Klimakrise zu lösen, bestünde ein effektiver Weg darin, grundlegende Rechtsrahmen zu klären und zugleich Raum für politische Verhandlungen zu lassen, in denen spezifische Anwendungsfragen geklärt werden. Dieser Ansatz könnte helfen, die Legitimität zu wahren und gleichzeitig einen bedeutenden Beitrag zur Weiterentwicklung des internationalen Klimarechts zu leisten.

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Verstetigte Bürgerräte im politischen System der Bundesrepublik

 

Call for Papers

zum Symposium des Forschungsprojekts „lospfade“ getragen von der Universität Münster (Dr. Felix Petersen), der Universität Stuttgart (Prof. Dr. Daniela Winkler) und Mehr Demokratie e.V. (Dr. Florian Wieczorek).

Das interdisziplinäre Symposium möchte den Raum bieten, die Institutionalisierung von Bürgerräten mit Blick auf das Ob und das Wie sowohl verfassungsrechtlich als auch politik- und sozialwissenschaftlich einzuordnen. 

Näheres hier.

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5. Lassen Sie uns abschließend noch kurz darüber sprechen, was ein Gutachten des IGH konkret verändern könnte. Sie haben bereits nationale Klimaklagen erwähnt. Könnten Sie noch ein bisschen näher darauf eingehen, welche Wirkung das Gutachten auf nationale Gerichte sowie auch jenseits von Gerichten haben könnte?

Das Gutachten des IGH könnte den nationalen Klimaschutz auf mehreren Wegen beeinflussen, auch wenn seine Wirkung eher indirekt als unmittelbar transformativ sein dürfte. Klimarecht und -governance erstrecken sich inzwischen auf vielfältige Rechtsbereiche und könnten daher auch in diesen unterschiedlichen Bereichen – von Stadtplanung über private Verträge bis hin zu Unternehmensrecht – Wirkung entfalten.

Im Bereich nationaler Klimaklagen könnte das Gutachten autoritative Interpretationen internationaler Rechtsprinzipien liefern, die nationale Gerichte in ihre Argumentation einfließen lassen könnten. Obwohl nicht formell bindend, messen viele nationale Gerichte den Entscheidungen des IGH bei der Auslegung des internationalen Rechts erhebliches Gewicht bei. Dies könnte Argumente über die Verpflichtungen der Staaten zur Bekämpfung des Klimawandels stärken, insbesondere in Bezug auf Sorgfaltspflichten und menschenrechtliche Auswirkungen.

Der tatsächliche Einfluss würde jedoch je nach Rechtsordnung erheblich variieren. Einige nationale Gerichte, wie jene in den Niederlanden, die im Fall Urgenda entschieden haben, könnten die Auslegungen des Gutachtens bereitwillig in ihre Rechtsprechung aufnehmen. Andere, wie der US Supreme Court, würden dem Gutachten wahrscheinlich nur „respektvolle Berücksichtigung“ zuteilwerden lassen, während sie gleichzeitig ihre Autonomie wahren, zu anderen Schlussfolgerungen zu gelangen.

Über die Gerichtssäle hinaus könnte das Gutachten nationale Politik beeinflussen, indem es rechtliche Argumente für Ministerien und Behörden liefert, die sich für stärkeren Klimaschutz einsetzen. Es könnte dazu beitragen, interne politische Debatten neu zu gestalten, indem es den internationalen Rechtsrahmen klärt, innerhalb dessen nationale Entscheidungen getroffen werden müssen. Insbesondere Umweltministerien könnten das Gutachten nutzen, um ihre Position in innerstaatlichen Diskussionen über Klimapolitik zu stärken.

Das Gutachten könnte auch die Art und Weise beeinflussen, wie Regierungen klimapolitische Entscheidungen treffen, indem es klarere Parameter dafür festlegt, was die Einhaltung internationaler rechtlicher Verpflichtungen bedeutet. Dies könnte sich darauf auswirken, wie Staaten ihre Nationally Determined Contributions (NDCs) im Rahmen des Pariser Übereinkommens entwickeln oder nationale Klimagesetzgebung entwerfen.

Diese potenziellen Auswirkungen hängen jedoch stark vom konkreten Inhalt und der Argumentation des Gutachtens ab. Ein Gutachten, das lediglich allgemeine Prinzipien wiederholt, hätte wahrscheinlich nur geringe praktische Auswirkungen. Ein Gutachten, das versucht, präzise Verpflichtungen festzulegen, läuft hingegen Gefahr, als richterlicher Aktionismus abgetan zu werden. Der effektivste Ansatz für praktische Auswirkungen könnte darin bestehen, klare interpretative Rahmenwerke bereitzustellen, gleichzeitig jedoch Raum für nationale Institutionen zu lassen, die spezifische Anwendung selbst festzulegen.

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Editor’s Pick

von ANJA BOSSOW

Homegoing von Yaa Gyasi erzählt die Geschichte der zwei Halbschwestern Effia und Esi aus Ghana, deren Leben aufgrund des transatlantischen Sklavenhandels radikal unterschiedliche Wege nehmen. Während Esi in die Sklaverei verkauft und in die USA verschifft wird, bleibt Effia in Ghana und wird mit einem britischen Sklavenhändler verheiratet. Der Roman erzählt mit jedem Kapitel die Lebensgeschichten ihrer Nachkommen und macht sowohl die Unmenschlichkeit der Sklaverei und des Kolonialismus als auch die unglaubliche Widerstandsfähigkeit von Menschen greifbar. Sowohl tief berührend als auch meisterhaft erzählt, lädt Homegoing seine Leser*innen ein, darüber nachzudenken, wie die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit unsere Gegenwart prägen.

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Die Woche auf dem Verfassungsblog

…zusammengefasst von MAXIM BÖNNEMANN

Im Bundestag liegt derzeit der Gesetzentwurf einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten zum Schwangerschaftsabbruch vor, der eine begrenzte Liberalisierung des deutschen Rechts vorsieht. Kritiker*innen werfen dem Entwurf vor, einseitig die Rechte der schwangeren Frau gegenüber dem ungeborenen Leben durchzusetzen. FRIEDERIKE WAPLER (DE) überzeugen diese Einwände nicht, denn Schwangerschaft sei mehr als lediglich ein Konflikt zwischen zwei antagonistischen Individuen.

Am 21. November 2024 erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister und den ehemaligen Verteidigungsminister. Trotz regelmäßiger Bekenntnisse zum Völkerrecht stellten einige westliche Staaten ihre Vertragspflichten zur Vollstreckung der Haftbefehle jedoch infrage oder lehnten sie gar offen ab. MALCOLM JORGENSEN (EN) erkennt hinter dieser Haltung das Gespenst einer „demokratischen Ausnahme“ von der Zuständigkeit des IStGH. Die aktuelle Krise verweise auf tiefere Spannungen, die im Design des Gerichts selbst angelegt seien.

Kein Social Media für Jugendliche unter 16 mehr – geht es nach dem Willen des australischen Parlaments, soll dies bald Gesetzeslage werden. Ein solches Gesetz hätte weltweit Pioniercharakter, doch wäre es auch mit der australischen Verfassung vereinbar? SARAH JOSEPH  (EN) meldet Zweifel an.

Der Ausnahmezustand in Südkorea dauerte nur wenige Stunden, doch schon jetzt ist klar, dass die Aktion des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol ein politisches und juristisches Nachspiel haben wird. JOSEPHINA LEE (EN) erläutert die verfassungsrechtliche Dimension des Vorgangs und untersucht, welche Lehren daraus für die südkoreanische Demokratie folgen. 

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An der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen ist am Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht von Prof. Dr. Eva Schumann zum 1. Feb. 2025 oder später die Stelle als Wiss. Mitarbeiter*in (w/m/d) – Entgeltgruppe 13 TV-L – mit 50 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zu besetzen.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Bewerbungen sind bis zum 2. Jan. 2025 über das Bewerberportal einzureichen.

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Weltweit erstarken autoritäre Kräfte, die sich offen gegen demokratische Strukturen wenden. In der Rechtswissenschaft wird zumeist das klassische Instrumentarium der wehrhaften Demokratie diskutiert. Kaum eine Rolle spielt dagegen das Thema der Verfassungsrechtsvermittlung – obwohl für die Rechtsbefolgung und damit für die Resilienz der Verfassungsordnung Normverständnis bekanntlich viel wichtiger ist als Zwang. NIKOLAS EISENTRAUT, JONAS BOTTA, FRIEDERIKE GEBHARD und HANNAH RUSCHEMEIER (DE) haben sich angeschaut, welchen Beitrag die Rechtswissenschaft dafür leistet, Verständnis für und Einsicht in den Wert unserer Verfassung zu fördern. 

Das nordrhein-westfälische Landeskabinett hat mit dem so genannten „Hochschulstärkungsgesetz“ einen Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschulgesetzes vorgelegt. Sollte er Gesetz werden, wird er allerdings zum glatten Gegenteil dessen führen, was sein Name verheißt, meint JULIAN KRÜPER (DE). Denn es stehe nichts weniger zu befürchten, als dass sich Hochschulen zu einer durch Misstrauen, Verdächtigung und Verfolgung geprägten Sphäre gegenseitiger Überwachung der Grundrechtsträger entwickeln. 

Der Antrag von 113 Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf Initiierung eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Bislang konzentrierte sich die Debatte überwiegend auf die Voraussetzungen und Erfolgsaussichten eines (Teil-)Verbots der Partei aus grundgesetzlicher Perspektive. ANDREAS GUTMANN und NILS KOHLMEIER (DE) mahnen jedoch an, dass darüber nicht die europäische Mehrebenendimension von Parteiverboten aus dem Blick geraten darf. 

Dass mutmaßliche Rechtsterroristen über die AfD und einen parlamentarischen Untersuchungssauschuss Zugang zu sensiblen Daten der sächsischen Zivilgesellschaft erhalten haben, beschäftigt HANNAH FRANKE und SALOMON GEHRING (DE). Sie erläutern, wie sich das Datenschutzdefizit beheben und Grundrechtsverletzungen vermeiden lassen – ohne das staatlich-parlamentarische Aufklärungsinteresse zu sehr einzuschränken.

Die israeliesche Knesset beschäftigt sich seit Oktober 2023 mit mehreren Gesetzesinitiativen, die zu einer systematischen Diskriminierung arabischer Israelis führen könnten. EDEN FARBER (EN) zeigt, warum diese neuen Gesetze einen gefährlichen Präzedenzfall in Israel darstellen könnten, indem sie das Recht auf Gleichheit und Menschenwürde unterminieren und die ohnehin fragile Demokratie bedrohen.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat diese Woche mit den Anhörungen in einem Mammutverfahren zu Staatenpflichten in Bezug auf den Klimawandel begonnen. Weniger als eine Woche vor Beginn der Anhörung veröffentlichte der IGH eine kurze und ungewöhnliche Pressemitteilung über ein Treffen mit Wissenschaftler*innen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). MICHAEL A BECKER und CECILY ROSE (EN) finden, dass der Vorgang eine ganze Reihe von Fragen über den Umgang mit Beweisen aufwirft. 

Im Vertragsverletzungsverfahren gegen das ungarische „Anti-LGBTIQ+-Gesetz“ geht es vor allem um die Werte der Europäischen Union. Viele hatten erwartet, dass die Kommission ihre Klage ausschließlich auf Artikel 2 EUV stützt. Stattdessen betonte die Kommission während der Anhörung aber, dass Artikel 2 nur in Verbindung mit anderen Bestimmungen des Unionsrechts herangezogen werden könne. FRANCESCO DE CECCO (EN) erläutert, warum diese Klarstellung begrüßenswert ist.

Die große Überraschung blieb aus: Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerden gegen das Strompreisbremsegesetz von insgesamt 22 Betreibern von Anlagen zur grünen Stromerzeugung zurück. FLEMMING MALTZAHN (DE) meint, dass die Entscheidung vor allem in ihren Randbereichen und abseits der tragenden Gründe interessant ist.

Bulgarien diskutiert über die für den 16. Januar 2025 angesetzte Nominierung des nächsten Generalstaatsanwalts. Es geht um Bedenken hinsichtlich der Legitimität des Obersten Justizrats sowie um Defizite im bulgarischen Justiz- und politischen System. BLAGA THAVARD und PETER SLAVOV (EN) argumentieren, dass es an der Zeit ist, den Nominierungsprozess für den Generalstaatsanwalt zum Anlass zu nehmen, um die problematische Verflechtung von politischer Macht und richterlicher Unabhängigkeit im Land anzugehen. 

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Das wär’s für diese Woche! Ihnen alles Gute,

Ihr

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SUGGESTED CITATION  Rao, Tejas, Cordonier Segger, Marie-Claire, Gehring, Markus; Bönnemann, Maxim: „Das IGH-Gutachten könnte die globale Klimagovernance grundlegend ändern.“: Fünf Fragen an Tejas Rao, Marie-Claire Cordonier Segger und Markus Gehring, VerfBlog, 2024/12/07, https://verfassungsblog.de/das-igh-gutachten-konnte-die-globale-klimagovernance-grundlegend-andern/, DOI: 10.59704/a00f8fdf46245f98.

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