Weniger Staat im ZDF-Fernsehrat – Teil 1
Wenn man einen großen Stein umdreht, bekommt man meist ein großes Gewusel und Gewimmel zu sehen. Das Zweite Deutsche Fernsehen ist zweifellos ein ziemlich großer Stein. Umgedreht wurde er heute morgen in der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgericht. Sie soll ergeben, ob die Kontrollgremien des ZDF noch dem Gebot der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks genügen. Und was den acht Richterinnen und Richtern oben auf der Bank da heute mit einem Mal alles entgegengekrabbelt kam, war teilweise schon ziemlich spektakulär.
Offiziell läuft es so, dass das ZDF von einem Intendanten geleitet wird, der mit seinen Direktorinnen und Direktoren alleine bestimmt, was gesendet wird und was nicht. Kontrolliert werden er und sein Haus durch einen 14-köpfigen Verwaltungsrat, der ähnlich wie ein Aufsichtsrat über Finanzen und Investitionen wacht, und einen 77-köpfigen Fernsehrat, der Programmrichtlinien aufstellt und ihre Einhaltung kontrolliert. Besetzt sind sie teils mit Politikern, teils mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen und Verbände.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll dafür sorgen, dass die Deutschen sich eine unmanipulierte Meinung bilden können, welche Politiker sie wählen wollen und wen nicht – eine Funktion, die, wie wir seit einem halben Jahrhundert dank Karlsruhe wissen, für das Funktionieren der Demokratie schlechthin konstitutiv ist. Jeder weiß aber, oder glaubt zumindest zu wissen, dass sich die Kontrollgremien des ZDF fest in der Hand eben jener Politiker befinden, über deren Tun und Lassen dasselbe in Erfüllung seines Auftrags jeden Tag berichtet.
Stimmt das überhaupt? Das zu klären, war Gegenstand des ersten Teils der heutigen Verhandlung. Zunächst interessierte sich der Senat dafür, wie diese Gremien eigentlich arbeiten. Die ZDF-Vertreter um Intendant Thomas Bellut und die anwesenden Mitglieder des Fernsehrates zeichneten unisono ein Bild, das Richterin Susanne Baer hinterher mit schneidendem Sarkasmus als „idyllisch“ bezeichnete: Der Fernsehrat sei vor allem ein Ratgeber für den Intendanten, diskutiere völlig offen und ungezwungen, nehme nie auf Programmentscheidungen im Voraus Einfluss, sondern tue seine Meinung allenfalls hinterher als zarte Kritik kund, und auch das fast immer im Konsens über alle Parteilinien hinweg.
Im Prinzip gelte auch nichts anderes für die ominösen „Freundeskreise“. So nennen sich die beiden Quasi-Fraktionen, die eine konservativ, die andere sozialdemokratisch-gewerkschaftlich, in denen offenbar alle wichtigen Entscheidungen fallen. Die jeweiligen Mitglieder treffen sich am Vorabend der Sitzungen in informellem Kreis und diskutieren aus, was es zum Ausdiskutieren gibt. Grundsätzlich, so hieß es, könne da jeder rein, es werde auch gelegentlich vom einen zum anderen gewechselt. Die Diskussionen seien völlig offen, von politischen Marschbefehlen könne keine Rede sein, und niemand werde „vergewaltigt“ (Ex-Beamtenbund-Chef Peter Heesen), wenn man hinterher im Fernsehrat anders abstimme als im Freundeskreis besprochen.
Das klang so leutselig und heiter, was die verschiedenen anwesenden Herren (nicht eine Dame darunter) aus ihrem oft jahrzehntelangen Leben als Fernsehratsmitglieder vortrugen, dass einem ganz warm ums Herz wurde. Was hatten sie gelacht, als plötzlich Rainer Brüderle vom SPD-Freundeskreis zum den Konservativen ging, weil er nicht mehr in Mainz einem sozialliberalen, sondern in Berlin einem schwarz-gelben Kabinett angehörte, berichtete ein Funktionär des Landkreistags. Ich fand das völlig glaubwürdig. Das ist ein gut geölter oder – um den sächsischen Staatskanzleichef und Koordinator der CDU-Medienpolitiker Johannes Beermann zu zitieren – „fein austarierter“ Apparat, in dem ein Elite-Netzwerk mächtiger Männer sich selbst reproduziert und dafür sorgt, dass im Rundfunk niemand an entscheidende Positionen kommt, der sich nicht zuvor mit diesem Netzwerk gutgestellt hat.
Risse fügten diesem idyllischen Bild die Linken-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch zu, die berichtete, dass sie jedenfalls bei keinem Freundeskreis Anschluss gefunden habe. Dieter Dörr, Prozessvertreter der Linken- und der Grünen-Bundestagsfraktion, beschränkte sich darauf, aus der 2012 erschienenen Biographie des langjährigen ZDF-Intendanten Dieter Stolte vorzulesen, in welcher dieser schildert, dass die Freundeskreise vor allem dazu da sind, den Intendanten bzw. seinen Stellvertreter (der eine geht zu den Konservativen, der andere zu den Nicht-Konservativen) „einzunorden“.
Richtig trübe wurde es, als die Rede auf die Auswahl der Fernsehratsmitglieder kam. Auf die Frage des Richters Gaier, wer denn etwa die Belange der Muslime oder der Migranten im Fernsehrat vertrete, kam nur die Antwort, eine tüchtige Verdi-Vertreterin habe sich als Fürsprecherin der Minderheiten immer sehr hervorgetan. Noch peinlicher war der Moment, als Masing fragte, nach welchen Kriterien denn die 16 Fernsehratsmitglieder ausgewählt werden, die für gesellschaftliche Vielfalt jenseits der etablierten Verbände sorgen sollen. Offenbar hat seit Jahrzehnten niemand mehr darüber nachgedacht. Es habe mal eine solche Zuordnung zu bestimmten gesellschaftlichen Belangen gegeben, sagte Beermann, aber nur für zwölf der 16 – das sei nämlich vor der Wiedervereinigung gewesen.
Auch die 25 Mitglieder, die die im Staatsvertrag festgelegten gesellschaftlichen Verbände vertreten, werden auf eine Weise ausgewählt, die auf der Richterbank die Stirnen zum Runzeln brachte: Die Verbände schlagen drei Leute vor, die Ministerpräsidenten wählen daraus einen aus – aber, so wurde versichert, im Grunde werde immer der Erstplatzierte genommen. Wozu dann das ganze, fragte Richterin Britz, ohne darauf eine befriedigende Antwort zu erhalten.
Was folgt aus diesem Befund? Das wird der Nachmittag erweisen, an dem es um die Rechtsfragen gehen wird. Deutlich wurde auch jetzt schon, dass der Senat darüber nachdenkt, die Anforderungen an die Vorgaben, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Gremien macht, hochzuschrauben und vor allem den Gesichtspunkt der Vielfaltsicherung stark zu machen. Vor allem Masing ließ erkennen, dass ihn beschäftigt, ob man den Einfluss der Staatsvertreter mit einer Quote in den Griff bekommen könnte. Dazu später mehr.
Full Disclosure: Ich arbeite als Journalist regelmäßig für den Deutschlandfunk, der mutatis mutandis von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Verfahren ebenfalls betroffen wäre.
Ein weiteres Problem bei der Besetzung dieser Gremien ist auch die Verbandelung dieser Verbände mit Parteien.
Es ist wirklich aufschlussreich, sich die Liste der aktuellen Mitglieder des ZDF- Fernsehrates einfach einmal durchzulesen: http://de.wikipedia.org/wiki/ZDF-Fernsehrat#Mitglieder_des_Fernsehrates_der_XIV._Amtsperiode
Bei den Leuten, die dort als angeblich staatsferne Vertreter der Zivilgesellschaft sitzen, gibt es erstaunlich viele ganz offensichtliche personelle Überschneidungen mit Parteien. Manche dieser Leute haben sogar aktuell Parlamentsmandate für Parteien inne. Bei anderen ist das weniger krass, aber doch deutlich.
Neben diesen personellen Überschneidungen gibt es dann noch inhaltliche Überschneidungen. Ich nehme z.B. an, dass man anstelle von Vertretern etwa von Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und Kirchen ebenso gut auch einfach noch mehr Vertreter von CDU/CSU, SPD und FDP in diese Gremien schicken könnte, ohne dass sich an den Entscheidungen und Diskussionen in diesen Gremien etwas Wesentliches ändern würde. Manche gesellschaftlichen Strömungen sind dort praktisch doppelt vertreten – durch politische Parteien *und* durch zivilgesellschaftliche Verbände.
Dagegen werden gesellschaftliche Strömungen, die keinen einflussreichen Verband als Interessenvertretung haben, bei der Besetzung dieser Gremien komplett ignoriert. Menschen, die ihre Positionen und Interessen nicht in Form von Verbänden organisieren möchten oder können, fallen von vornherein durch das Raster. Wer oder was nicht in eine Schublade passt, wird gar nicht wahrgenommen. Das ist ein weiteres Problem bei der Art, wie diese Gremien besetzt werden.
[…] dass der Rundfunk der Gesellschaft in all ihrer Vielfalt zu gehören hat und nicht dem Staat. Am Vormittag ließ sich der Erste Senat erklären, wie der Fernseh- und der Verwaltungsrat und seine Ausschüsse […]
[…] des Bundesverfassungsgerichts in diesem Verfahren ebenfalls betroffen wäre. (Zusammenfassung zweier Artikel vom […]
Ein Bericht einer Journalistin oder eines Journalisten, die oder der nicht bei der Verhandlung anwesend war, gespickt mit Ungenauigkeiten. Herr “Geyer” schreibt sich übrigens zutreffend “Gaier”, das wäre Herrn Steinbeis nicht passiert.
Anmerkung der Redaktion: dieser Kommentar kommt von jemand anderem als dem, der sonst hier unter diesem Pseudonym postet!