Der deutsche Rechtsstaat geht in Islamabad verloren
Recht, Ordnung und das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan
Recht und Ordnung: Was gibt es Konservativeres als diese beiden Worte? Recht schützt Vertrag und Eigentum. Es schützt das Vertrauen in den Bestand der bestehenden Verhältnisse. Es zementiert Macht und ist ein Mittel der Ausübung von Macht. Recht muss herrschen im Rechtsstaat, und niemand, der das anders sieht, kann sich zu Recht als konservativ bezeichnen.
Dass die konservative Kanzlerpartei CDU die sogenannte „illegale Migration“ stoppen will, mag insofern erst einmal nur folgerichtig erscheinen: Wenn schon migriert wird, dann doch bitte rechtlich und geordnet. Nicht einfach hier auftauchen und plötzlich da sein, irregulär und unkontrolliert, sondern bitte schön der Ordnung nach: einen Antrag stellen, Dokumente vorlegen, sich überprüfen lassen in einem geregelten Verfahren, auf dass der Staat nach abstrakt-generell festgelegten Kriterien den rechtmäßigen Migrationsfall vom unrechtmäßigen unterscheiden kann.
Der Musterfall einer solchen geregelten, geordneten, legalen Migration, sollte man meinen, ist das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan. Es schafft seit 2023 ein Verfahren für die Einreise von Menschen, für die sich die Bundesrepublik verantwortlich zu fühlen hat nach dem Rückzug der Alliierten und der Rückkehr der Taliban 2021 – für Menschen, die von der Taliban gefoltert und verfolgt wurden und werden wegen ihres Geschlechts, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Identität, die sich für Frauenrechte und Demokratie und Bildung und Gerechtigkeit engagiert, die alles richtig gemacht haben aus westlicher Sicht und im Taliban-Regime deshalb jetzt um ihr Leben fürchten müssen.
Nicht alle natürlich. Maximal 1000 Plätze pro Monat gibt es, streng limitiert. Und man kann auch nicht einfach kommen und sich in die Schlange stellen. Man muss vorgeschlagen werden von einer sogenannten „meldeberechtigten Stelle“, d.h. einer der NGOs, die sich in Afghanistan engagiert haben und auskennen und beurteilen können, wer tatsächlich schutzbedürftig ist und aus welchen Gründen. Aus dieser Vorschlagsliste trifft dann die Bundesregierung ihre Auswahl, nach festgelegten Kriterien wie Vulnerabilität, Deutschlandbezug und persönlicher Exponiertheit, und unter Ausschluss aller, gegen die die deutschen Sicherheitsbehörden Bedenken erheben. Dafür muss man seine Identität nachweisen mit untadeligen Dokumenten, und wer die nicht beschaffen kann, etwa weil man dazu eine Taliban-Behörde aufsuchen müsste, hat Pech gehabt.
++++++++++Anzeige++++++++++++
Rechtsmissbrauch hat viele Gesichter. Dem geflüchteten Kind wird ein Kitaplatz verwehrt. Eine unbequeme Journalistin wird mit SLAPPs attackiert. Eine Demo erhält unverhältnismäßige Auflagen. Es ist wichtig, dies auch juristisch zu überprüfen. Der Gegenrechtsschutz unterstützt Sie dabei, sich zur Wehr zu setzen. Wir unterstützen geeignete Fälle, vermitteln anwaltliche Hilfe und übernehmen die Kosten.
Sie sind betroffen?
Sie möchten spenden?
++++++++++++++++++++++++++++
Wer ausgewählt wird, bekommt eine sogenannte Aufnahmezusage. Das ist ein förmlicher Verwaltungsakt nach § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz, mit dem sich die Bundesrepublik verpflichtet, der Person ein Visum zu erteilen, soweit keine Sicherheitsbedenken dagegen sprechen. Um das zu beantragen, müssen die Leute aber in die pakistanische Hauptstadt Islamabad reisen, weil die deutsche Botschaft in Kabul faktisch nicht mehr existiert. Dort werden sie in Hostels untergebracht, die die GIZ angemietet hat, und warten dort darauf, dass die Botschaft das Visum ausstellt. Die Leute haben zu diesem Zeitpunkt schon Tausende von Dollars investiert, um die Dokumente zu beschaffen und die Reise nach Islamabad zu finanzieren, haben dafür Haus und Hof verkauft. Aber noch sind weitere Verfahrensschritte zu bewältigen. Ein „Sicherheitsinterview“ mit Beamt*innen der Bundespolizei, die noch mal Fragen stellen, ob das auch alles stimmt und seine Richtigkeit hat und sich da nicht womöglich doch noch ein Terrorist und Scharia-Prediger auf die Liste schmuggelt. Dann kommt das Visum, die Leute besteigen ein Flugzeug nach Deutschland, und dann sind sie da. Legal. Geregelt. Wenn der Rechtsstaat träumt, dann davon.
Sollte man meinen. Tatsächlich scheint das eher ein Alptraum des Rechtsstaats zu sein, was sich in diesen Tagen in Islamabad abspielt. Ich habe in den letzten Tagen mit einigen Menschen telefoniert, die sehr nah dran sind am Geschehen. Mit Tilmann Röder, der bis vor kurzem die Koordinierungsstelle des Aufnahmeprogramms geleitet hat. Mit dem Anwalt Matthias Lehnert, der viele Betroffene vertritt. Mit Eva Beyer von der NGO Kabul Luftbrücke. Wenn es zutrifft, was sie schildern – und einige, wenngleich viel zu wenige Medien berichten –, dann ist das geeignet, meinen Glauben an den Rechtsstaat Bundesrepublik nachhaltig zu erschüttern.
In Pakistan, sagt Eva Beyer, warten zurzeit ca. 800 Familien mit insgesamt knapp 2500 Personen darauf, dass die Bundesrepublik ihre Aufnahmezusage einlöst. Manche seit einem Jahr. Sie sitzen in den Hostels fest und können nicht raus, denn wenn sie vor die Tür gehen, riskieren sie, dass die pakistanische Polizei sie verhaftet und nach Afghanistan abschiebt. Pakistan hatte schon im Februar den afghanischen Geflüchteten, die auf ihre Ausreise warten, eine Frist bis Ende März gesetzt, Islamabad zu verlassen. Täglich würden 600 bis 700 Familien deportiert, so der BBC im April. Die Menschen, die der deutsche Rechtsstaat so sorgfältig ausgewählt und ausgesiebt hat, sitzen in ihren Hostels wie in einem Gefängnis, können nicht arbeiten, ihre Kinder können keine Schule besuchen, viele haben kein Geld mehr. Sie können nicht vor, sie können nicht zurück, sie können auch nicht bleiben, wo sie sind. Wie gesagt: das sind die Vulnerabelsten der Vulnerablen. Eva Beyer erwähnt das Beispiel eines Mannes, der im afghanischen Gefängnis fast zu Tode gefoltert worden war und in einer Notoperation gerettet werden musste. Jetzt sitze er in Pakistan und warte auf sein Visum. Jetzt sitze er in Pakistan und warte auf sein Visum. „Viele würden sich wahrscheinlich lieber umbringen als nach Afghanistan zurückzugehen.“
Ein Teil der Wartenden hat seine Aufnahmezusage schon vor Oktober 2022 bekommen, bevor das Bundesaufnahmeprogramm anlief. Das macht insofern einen Unterschied, als in diesen Fällen die Zusage nicht als formeller Verwaltungsakt erging, sondern informell als bloße E-Mail (§ 22 AufenthG). Die würden in letzter Zeit immer häufiger ebenso formlos widerrufen, sagt Anwalt Matthias Lehnert, „ohne Begründung, ohne Rechtsschutzmöglichkeit, ohne Erklärung“. Aber auch im stärker formalisierten Bundesaufnahmeprogramm (§ 23 AufenthG) gab es nach Angaben von Eva Beyer bereits erste Widerrufe. Ist die Aufnahmezusage widerrufen, dann gibt es keine Grundlage mehr für die GIZ, für die Unterbringung aufzukommen. Die Leute landen auf der Straße. Und über kurz oder lang in den Fängen der Taliban.
Aber auch ohne einen solchen Widerruf erweist sich das aktuelle Bundesaufnahmeverfahren für die Menschen, die sich auf die Zusage des deutschen Staates verlassen haben, als regelrechte Falle: In der Botschaft in Islamabad ist das Personal stark ausgedünnt worden wegen des drohenden Kriegs zwischen Pakistan und Indien. Die Visaerteilung ist offenbar total zum Stillstand gekommen. „Die Sicherheitsbeamten sind abgezogen, das Personal des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist abgezogen, es gibt keine neuen Termine“, sagt Eva Beyer. „Da breitet sich langsam Panik aus.“
++++++++++Anzeige++++++++++++
Der Göttinger Lehrstuhl von Prof. Dr. Andreas Paulus sucht zum 01.10.2025, befristet bis 31.03.2026:
- Studentische Hilfskraft (40 h / Monat)
- Wissenschaftliche Hilfskraft (50 h / Monat)
Aufgabe: Betreuung des Jessup Moot Court Teams
Voraussetzungen
- Interesse am Völkerrecht
- Erfahrungen im Jessup Moot Court
- Gute Englischkenntnisse
- Deutschkenntnisse nicht notwendig
Bewerbung:
- Frist 30. Mai 2025
- Einzureichende Unterlagen: CV, Abiturzeugnis, Studienleistungen
- Mail an intlaw@gwdg.de
Weitere Infos: https://uni-goettingen.de/de/428470.html
++++++++++++++++++++++++++++
Eine Aufnahmezusage. Aber keine Aufnahme. Das, worauf sich die Menschen verlassen haben im Vertrauen auf ein rechtsstaatliches Verfahren – das löst sich in Luft auf. Kann man da klagen? Man kann es versuchen. Rechtsanwalt Lehnert hat letzte Woche beim Verwaltungsgericht Berlin im Namen einer afghanischen Juradozentin und Schriftstellerin eine einstweilige Anordnung beantragt, um das Auswärtige Amt zu verpflichten, das Visum auszustellen. Die Frau bekam im Oktober 2023 eine Aufnahmezusage auf Basis von § 23 Abs. 2 AufenthG. Sie durchlief das gesamte Verfahren, sämtliche Sicherheitschecks. Nur das Visum, das hat sie nicht.
Bedauerliches Behördenversagen? Kommt halt mal vor? Hm. Nach einem Bericht des SPIEGEL gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Bundespolizei, eine dem Bundesministerium des Inneren nachgeordnete Behörde und im Aufnahmeverfahren für die „Sicherheitsinterviews“ zuständig, im Bund mit der Bildzeitung und der Bundespolizeigewerkschaft die rechtsförmig zugesagte Aufnahme nach allen Regeln der Kunst, wenngleich nicht unbedingt des Rechts hintertrieben und verhindert hat. Was würde da ein Rechtsstaat tun? Das vielleicht zumindest mal… untersuchen?
Unterdessen stellt sich der Chef einer der beiden angeblich konservativen Regierungsparteien öffentlich hin und sagt: „Das muss gestoppt werden! Täter raus, aber doch nicht neue rein!“ (47:14). So redet Markus Söder über legale Migration.
Was hat das zu bedeuten, dass die angeblich Konservativen sich für Recht und Ordnung immer häufiger offenbar überhaupt nicht mehr interessieren? Friedrich Merz und seine „Mittel und Wege“, die er als Kanzler finden werde, um den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Netanjahu im Fall eines Staatsbesuchs vor der Vollstreckung des IStGH-Haftbefehls zu bewahren? Alexander Dobrindt und seine europarechtswidrigen Grenzkontrollen und Zurückweisungen, die sich, wenn überhaupt, dann höchstens durch einen Notstand rechtfertigen ließen, den es nicht gibt und der nie erklärt wird?
Die konservative Liebe zum Recht macht es für die progressive Seite attraktiv, ihre Sache in der Sprache des Rechts zu formulieren. So verwickelt sie die Macht, die sich selbst mit Recht schützt, aber das Recht der ihr Unterworfenen missachtet, in Widersprüche. Und aus der Erwartung, dass dies am Ende die Macht weniger mächtig macht, entsteht Vertrauen, dass diese es dazu nicht kommen lassen wird. Was, wenn das so nicht mehr funktioniert?
Niemand ist in seiner Indifferenz, in seiner unverhohlenen Feindseligkeit gegenüber dem Recht radikaler als Donald Trump. Sich in Widersprüche zu verwickeln ist nichts, was seine Macht zu schwächen scheint, sondern im Gegenteil: So zeigt er, womit er davonkommt. So zeigt er seine Macht. Was, wenn das Streben der Machtunterworfenen, die Macht durch den Appell an das Recht in Widersprüche zu verwickeln, längst ins Leere geht?
Was, wenn die Macht sich längst und in immer mehr Bereichen auf andere Weise bewahrt und durchsetzt als durch das Recht? Durch Technik? Durch Algorithmen? Durch Kontrolle über Zahlungssysteme, Plattformen, Medien? Was, wenn der rechtsstaatliche Boden, auf dem aller menschenrechtliche Fortschritt sich bewegt, uns unter den Füßen wegrutscht? Was dann?
Ich habe keine Ahnung. Aber das wachsende Gefühl, dass wir dabei sind, es herauszufinden.
*
Editor’s Pick
von MAXIM BÖNNEMANN
Die Europäische Union wird häufig als ein Gebilde sui generis bezeichnet. Doch was genau macht die Europäische Union und ihr Recht einzigartig? Mit rein staats- oder unionsrechtlichen Schablonen lässt sich diese Frage nicht beantworten, so Ulrich Haltern in einer elegant geschriebenen neuen Studie zur Geschichte und Mechanik der Europäischen Integration. Stattdessen müsse die oftmals spannungsgeladene Verschraubung von staatlichem und europäischem Recht, in der Ideen und Akteure wechselseitig aufeinander einwirken, in den Blick genommen werden. Erfrischend undogmatisch und methodisch innovativ führt Haltern seine Leser*innen durch hybride Rechtsräume und verschlungene Verfassungen – und zeigt, warum die „Plotstruktur“ der Europäischen Integration trotz globaler Großkrisen und Europas neuer Einsamkeit wohl noch nicht an ihrem Ende ist.
*
Die Woche auf dem Verfassungsblog
zusammengefasst von EVA MARIA BREDLER
Der Rechtsstaat geht derzeit nicht nur in Islamabad verloren, sondern auch an den deutschen Staatsgrenzen. Warum die neuen Grenzkontrollen rechtswidrig sind und der unionsweite Mobilitätsraum auch künftig keine nationalen Alleingänge erlaubt, erläutern ANUSCHEH FARAHAT und LISA STEURER (DE).
Nicht nur an den Grenzen, auch innerhalb des Staates kann der Rechtsstaat gefährdet sein – vor allem, wenn die (angehenden) Beamt*innen es mit Recht und Ordnung nicht so genau nehmen. Deshalb muss der Staat sie zur Verfassungstreue verpflichten, wie das BVerfG vor 50 Jahren in seiner Entscheidung zum sogenannten Radikalenerlass klarstellte. Die Entscheidung könnte aktueller nicht sein: Damals ging die Bedrohung von links aus, heute kommt sie von rechts. Zum Jahrestag der Entscheidung prüft JOHANNES MAURER (DE), ob sie sich bewährt hat.
Können eigentlich auch Gewerkschaften von ihren Mitgliedern Verfassungstreue verlangen? Laut Bundesamt für Verfassungsschutz ist die AfD mittlerweile „gesichert rechtsextremistisch“ und vertritt damit Positionen, die den gewerkschaftlichen Grundwerten fundamental widersprechen. LILLI HASCHE (DE) argumentiert in zwei Teilen, dass Gewerkschaften die AfD deshalb per Unvereinbarkeitsbeschluss zu einer gegnerischen Organisation erklären und Mitglieder ausschließen können, die zugleich der Partei angehören.
Mit der Rule of Law ist es freilich auch in anderen europäischen Ländern nicht zum Besten bestellt. Das stellt die EU vor die immer gleichen Herausforderungen. Doch manchmal geht auch Brüssel selbst nicht mit gutem Beispiel voran: So etwa im „Pfizergate“, als sich die Europäische Kommission weigerte, der New York Times SMS offenzulegen, die Kommissionspräsidentin von der Leyen und Pfizer CEO Albert Bourla während der Pandemie ausgetauscht haben sollen. Nun hat der EuGH wieder für Recht und Ordnung gesorgt und die Kommission an ihre Pflicht zu guter Verwaltung und institutioneller Verantwortlichkeit erinnert. ALBERTO ALEMANNO (EN) ordnet das Urteil ein und zieht größere Linien.
Währenddessen verabschiedet sich Ungarn immer mehr von den Werten der EU – zuletzt mit seiner 15. Verfassungsänderung. Diese schreibt ein binäres Geschlechterbild fest und stellt den Schutz von Kindern über alle anderen Grundrechte, auch über das Recht auf Versammlungsfreiheit. GÁBOR MÉSZÁROS (EN) warnt, dass diese Änderungen künftig diskriminierende Gesetze ermöglichen könnten, die Minderheiten unter dem Deckmantel des Kinderschutzes ins Visier nehmen.
Ein weiterer Gesetzentwurf aus Ungarn zielt auf die Ausweitung sogenannter „Souveränitätsschutzmaßnahmen“. Geplant sind umfassende Transparenzvorgaben, die sich gegen vermeintlich aus dem Ausland finanzierte Einflussnahme auf das öffentliche Leben richten. RENÁTA UITZ (DE) erklärt, warum Ungarn damit in einen verfassungsrechtlichen Zustand zurückzufallen droht, der mit jenem zur Zeit des EU-Beitritts nicht mehr gemein hat.
++++++++++Anzeige++++++++++++
The European Association for Climate Law (EACL), established in 2025, is a non-profit organization dedicated to advancing the study of climate change and law in Europe and beyond. By providing a platform for in-depth discussions, fostering collaboration among legal experts, and supporting the participation of young scholars, EACL seeks to strengthen legal responses to climate change from global to local levels.
Until the 31st of May, we invite submissions for our inaugural conference on “Climate Law in Europe: Taking Stock, Looking Forward.” The conference features a Workshop dedicated to Early Career Researchers.
For more information, please click here.
++++++++++++++++++++++++++++
Polen hingegen versucht unter Premierminister Tusk, den Rechtsstaat zu stärken und die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen. Die anstehende Präsidentschaftswahl wird richtungsweisend sein. Doch die politischen Gräben sind tief, die Gesellschaft polarisiert. MARIA SKÓRA (EN) zeigt, worin sich die beiden Kandidaten unterscheiden und was ein Wahlsieg von Trzaskowski oder Nawrocki bedeuten würde.
Addio, Rechtsstaat? Auch in Italien wächst die Sorge vor democratic backsliding. YLENIA MARIA CITINO (EN) beleuchtet drei Episoden, die die verfassungsrechtlichen Spannungen zwischen Freiheit und Sicherheit veranschaulichen: die sogenannte „Striano-Affäre“, der „Paragon-Skandal“ und das neue Sicherheitsdekret. Sie warnt jedoch davor, vorschnelle Schlüsse zu ziehen.
In Guatemala hingegen sind solche Schlüsse längst überfällig: Der Generalstaatsanwältin wird vorgeworfen, eine Reihe von politisch motivierten Strafverfahren betrieben zu haben. LUIS FERNANDO PAIZ LEMUS (EN) fordert, dass sie zur Rechenschaft gezogen und ihres Amtes enthoben wird – und appelliert an den Präsidenten, endlich aktiv zu werden.
In den USA ist wiederum gerade der überaus aktive Präsident Grund für den demokratischen Niedergang. Kann der amerikanische Verwaltungsstaat eine weitere Präsidentschaft überleben, in der der Präsident weitgehend allein entscheidet? BLAKE EMERSON (EN) legt die rechtlichen Schwachstellen offen, die Donald Trump in einer zweiten Amtszeit gezielt ausnutzen könnte – mit Folgen, die weit über die USA hinausreichen.
Der Oberste Gerichtshof der USA spielt dabei eine zentrale Rolle: Er kann die strukturellen Schwächen entweder beheben oder zementieren. Vergangene Woche verhandelte das Gericht über „birthright citizenship“, das Trump per executive order abschaffen will. Dabei ging es zunächst gar nicht um die Regelung selbst, sondern um die Frage, ob US-Gerichte überhaupt landesweite einstweilige Verfügungen erlassen dürfen. ANJA BOSSOW (EN) erklärt, warum die Frage verfassungsrechtlich wichtig ist.
Während Elon Musks DOGE weiterhin den Verwaltungsstaat demontiert, versuchen die Journalisten Ezra Klein und Derek Thompson, ihn neu zu denken. In ihrem Buch „Abundance“ entwerfen sie eine Vision eines progressiven Verwaltungsstaats, der sich nicht nur auf Freiheitsrechte, sondern auch auf materielle Bedingungen konzentriert: mehr Wohnraum, mehr Energie, mehr öffentliche Forschung – eben den titelgebenden Überfluss. JANNIS LENNARTZ (DE) fasst das Buch zusammen und zieht Lehren für die deutsche Debatte.
Schließlich ging unser Symposium „Die Verstetigung von Bürgerräten in Deutschland“ (DE) zu Ende. PHILIPP C. VERPOORT und ENNIO FRIEDEMANN schlagen ein Rahmengesetz auf Bundesebene vor und skizzieren dessen Eckpunkte. FLORIAN WIECZOREK entwickelt die Idee eines staatsbürgerlichen Ehrenamts für demokratische Beteiligung, das Bürger*innen eine aktive Rolle in Entscheidungsprozessen ermöglichen soll. Und schließlich macht auch ORTWIN RENN einen Vorschlag zur Institutionalisierung von Bürgerräten, langfristig plädiert er für eine „Stiftung für Partizipative Demokratie” beim Deutschen Bundestag.
Wenn der Staat selbst zunehmend Recht und Ordnung vergisst, ist es vielleicht gar keine schlechte Idee, Bürger*innenbeteiligung zu institutionalisieren. Ob mit Bürgerräten oder ohne – keep holding on to the constitution.
*
Das war’s für diese Woche.
Ihnen alles Gute!
Ihr
Verfassungsblog-Team
Wenn Sie das wöchentliche Editorial als E-Mail zugesandt bekommen wollen, können Sie es hier bestellen.