Die Judikative in der Herrschaft des Bullshits
Können sich die US-Gerichte dem Ansturm auf die Institutionen entgegenstellen?
Die politische Situation in den Vereinigten Staaten hat ihren Siedepunkt noch nicht erreicht. Jede Eskalation scheint bloße Etappe, jede Etappe wiederum von flüchtigster Dauer. Die New York Times hat einen Liveticker für den in toto akuten Vorgang namens Trump-Administration eingerichtet, der die Demontage des Staates immer etwas atemlos protokolliert. Entlang einer von langer Hand vorbereiteten Strategie („Project 2025“) lässt sich der konfuse Furor nicht mehr nachvollziehen und auch das liberale Schreckgespenst der frühestens seit Reagan, spätestens seit G. W. Bush im republikanischen Ideenreservoir befindlichen unitary executive theory verspricht keinen spezifischen Erkenntnisgewinn. Die konkrete Lage nötigt andere Beschreibungen ab.
Breaking things badly
Ikonoklasmus oder Bildersturm wird die gezielte Vernichtung von verfemten Bildern genannt. Das hat die Konnotation des Anarchischen, der Zusammenrottung, des Ansturms. Trumps rasende Attacke gegen die Institutionen des Staates trägt heute vergleichbare Züge, man könnte das mit ein wenig altsprachlicher Nonchalance als Institutioklasmus bezeichnen. Gleichermaßen abgegriffen wie präzise ist es, dieses Phänomen mit der spezifisch amerikanischen Techideologie des „move fast and break things“ durchsichtig zu machen. Als Präsident ist Trump dazu auf einzigartige Weise im Stande – er hat die exekutive Rolle des „first movers“ in destruktive Permanenz gehoben. Während dieser Text entsteht, kündigt sich die Auflösung des Bildungsministeriums kraft Executive Order sowie die Entlassung von 80.000 Mitarbeitern im Veteranenministerium an. Schon seit dem Tag der Amtseinführung dauert die Abwicklung bekanntlich an. Einiges, vieles davon wird illegal sein. Allein, diese Kategorie wirkt mittlerweile ein bisschen rührend hilflos. Den Kult geschichts-, das heißt vor allem bindungsloser Tat hat im Jahr 1929 der Soziologe Karl Mannheim als Charakteristikum des Faschismus ausgemacht. Von Silicon-Valley-Ideologemen konnte er nichts wissen, doch wie die Historikerin Carlotta Voß kürzlich darlegte, dürfte die Politik von Musk und Trump damit trotzdem ganz gut getroffen sein.
Ist das legal?
Die New York Times hat dementsprechend in ihrem Liveticker einen Reiter mit dem entgeisterten Titel „Is this legal?“ eingerichtet. Diese Frage wird derzeit etlichen Gerichten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes vorgelegt, der als die kongruente prozessuale Reaktionsform auf Trumps Juggernautstrategie betrachtet werden kann. Die Judikative befindet sich gewissermaßen im dauerhaften Eilverfahren. Eine letzte Grenze dieser institutionellen Dynamik ist allerdings erneut die exekutivische Vollzugsherrschaft, wenn und insoweit mit einer berüchtigten apokryphen Sentenz des ehemaligen Präsidenten Andrew Jackson ernst gemacht werden würde: „The chief justice has made his decision; now let him enforce it!“ Veranlasst war der Satz durch eines der progressivsten Urteile des Supreme Courts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Worcester v. Georgia (1832), das indigenen Stämmen weitgehend autonome Jurisdiktion zugestand und einen Kontrapunkt zur vorherigen verfassungsgerichtlichen Sanktion der Landnahme (Johnson v. McIntosh, 1823) und der Indigenen als „domestic dependent nations“ (Cherokee Nation v. Georgia, 1831) setzte.1) Die Drohung des rabiaten Expansionisten Jacksons präfiguriert die fortan stets zuhandene Gefolgschaftsverweigerung der Regierung. Dass Vizepräsident Vance sich diesen Satz wiederholt zu eigen gemacht hat, eröffnet für die amerikanische Gerichtsbarkeit den unverstellten Blick auf den Abgrund schierer Faktizität. Ihre verbleibenden Spielräume relativieren sich nunmehr unmittelbar an den Grenzen ihrer realen Machtbasis.
Department of State v. AIDS Vaccine Advocacy Coalition
Am 26. Februar erreichte das oberste Gericht jener amerikanischen Judikative, den Supreme Court, ein erster einschlägiger Fall. Er betrifft die ausgesetzten Zahlungen im Kontext der Entwicklungshilfeorganisation USAID. Zuerst war mit der Sache Department of State v. AIDS Vaccine Advocacy Coalition (2025) ein US-Bezirksgericht befasst. Es erließ am 13. Februar eine sogenannte temporary restraining order, die vergleichbar einem deutschen Hängebeschluss noch eine Vorstufe zur üblichen vorläufigen Anordnung darstellt – die neue prozessuale Normalität ist zu erahnen. In ihr stellt das Gericht fest, dass die Aussetzung der USAID-Zahlungen an die Entwicklungshilfeorganisationen eklatant rechtswidrig ist und ordnet an, sie in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar fortzusetzen. Dem kam die Bundesregierung nicht nach, sodass am 25. Februar eine verschärfte Vollzugsanordnung auf Auszahlung von anderthalb Milliarden US-Dollar bis Mitternacht des nächsten Tages folgte. Wenige Stunden vor Ablauf der gerichtlich gesetzten Frist eskalierte die Beklagtenseite zum Supreme Court. Dieser entschied nun am letzten Mittwoch mit fünf zu vier Stimmen, die Anordnung des erstinstanzlichen Bundesgerichts nicht aufzuheben. Das fiel ihm deutlich leichter als vielleicht erwartet, weil Generalanwältin Sarah Harris den merkwürdig amateurhaften Fehler zu begangen haben scheint, nicht etwa die Entscheidung dem Grunde nach, sondern allein die verschärfte Vollzugsregelung vom 25. Februar anzufechten. In der besonderen Lakonie des höchstgerichtlichen Minimalbeschlusses klingt das dann so: „On February 13, the United States District Court for the District of Columbia entered a temporary restraining order enjoining the Government from enforcing directives pausing disbursements of foreign development assistance funds. The present application does not challenge the Government’s obligation to follow that order.“
Drei Beobachtungen
Anhand des Verfahrens lassen sich erste juristische Rahmenbedingungen und Aktionsmuster der Trump-Administration konturieren. So ist zunächst die von Trump nominierte Richterin Amy Coney Barrett ins Auge zu fassen, die zusammen mit den drei liberalen Richterinnen und dem Vorsitzenden Richter Roberts die Hardliner Thomas, Alito, Kavanaugh und Gorsuch überstimmte. Sie könnte im Institutionensturm eine Kippfigur darstellen. Abseits dieser Spekulation sind drei abstraktere Beobachtungen maßgeblich, wovon zwei auf das verwaltungsrechtliche Regelungsumfeld und eine auf die Prozessstrategie der Trump-Regierung im Zeichen des allgegenwärtigen „breaking things“ abzielt.
Erstens sieht sich die Bundesregierung mit einer für sie möglicherweise gefährlichen Rationalisierungsanforderung konfrontiert. Der „Administrative Procedure Act“ (APA) von 1946, erlassen als Reaktion auf die immens expandierten Aufgaben- und Befugnisstrukturen der Behörden infolge von Roosevelts New Deal, erlaubt es Gerichten grundsätzlich, Verwaltungshandeln einer allgemeinen Willkürkontrolle zu unterziehen, § 706 (2)(A) APA. Stets erforderlich ist nach diesem sogenannten arbitrary-and-capricious-Standard eine „rational connection“2) zwischen der Handlung und dem mit ihr verfolgten Zweck. Auf die Norm kaprizieren sich die Klageschrift u.a. der Anwaltskammer und, sich dem anschließend, auch das Bezirksgericht.
Deren Anwendbarkeit stand zunächst infrage. Trumps executive order unterliegt unstreitig nicht der Willkürkontrolle: der Präsident ist keine Behörde.3) Diesen konstitutionellen Ausschluss suchten die Beklagten auf die umsetzende Weisung des Außenministers Marco Rubio auszuweiten, scheiterten vorerst aber an der Rechtsauffassung des anordnenden Richters – endgültigere Instanzen könnten dem Argument aufgeschlossener gegenüberstehen. In Subsumtion unter den APA stellte das Bezirksgericht weiter fest, dass Rubios Direktive, die vom Kongress festgesetzten und zudem größtenteils vertraglich gebundenen Auszahlungen sofort und vollumfänglich zu stoppen, in keiner Weise mit dem vorgeblichen Zweck zusammenhinge, sie einer „internen Überprüfung“ zu unterziehen. Zudem habe es die Verwaltung nicht ansatzweise unternommen, die schwerwiegenden Auswirkungen der Zahlungssuspension zu eruieren. Sie habe zentrale Belange gar nicht erst in Betracht gezogen. Die Anweisung zur Aussetzung hat das Gericht deshalb selbst einstweilen ausgesetzt.
Verallgemeinert man diese Kriterien, ergibt sich ein für das Weiße Haus äußerst problematisches Bild. Werden die kommunizierten Absichten und eingesetzten Mittel je einen rationalen Konnex aufweisen, zumal im Sturm auf die Institutionen? Fallen die erratische Rhetorik Trumps und die tatsächlichen Handlungen seiner Administration teils planvoll, teils dem Chaos zuliebe mehrheitlich auseinander, könnte sich das in der gerichtlichen Überprüfung widerspiegeln. Die Herrschaft des „bullshits“ (Harry Frankfurt) muss an der Willkürkontrolle scheitern, oder diese scheitert an jener.
Zweitens zeigen sich unerwartet kritische Potentiale der konservativen Supreme Court-Rechtsprechungslinie im Verwaltungsrecht. Hat der veritable Feldzug der Konservativen gegen den administrative state mit einer normativ aufgerüsteten major question doctrine (West Virginia v. Environmental Protection Agency, 2022), einer Art Kongressvorbehalt für alle vermeintlich „wesentlichen“ Fragen, sowie die Beseitigung zumindest einer starken behördlichen Auslegungskompetenz („Chevron“-Doktrin) in Loper Bright Enterprises v. Raimondo (2024) katastrophale Folgen für insbesondere Umwelt- und Klimaregulierung in Aussicht gestellt, wird im Anordnungsantrag der Kläger fast genüsslich die damit einhergehende institutionelle Stärkung der Judikative gegen Trump gewendet. Einerseits stelle der totale Zahlungsstopp eine Frage von „großer politischer und ökonomischer Bedeutung“ dar, sodass eine „klare Ermächtigung des Kongresses“ für die Einstellung hätte erkennbar sein müssen. Andererseits dürfe sich das Bezirksgericht nicht an die Auslegungsversuche Marco Rubios oder seines Ministeriums halten, sondern müsse eine gänzlich eigenständige Rechtsfindung betreiben. Diese kleinen Listigkeiten der Rechtsvernunft mögen den Ausschlag geben oder nicht; sie beweisen wenigstens die intentional nicht vollständig zu steuernde Eigenrationalität des juristischen Sprachspiels, auch unter einem politisch derart stark gepolten und machtbewussten Supreme Court.
Drittens übt sich die Administration in einer wegweisenden Prozesstaktik, die das Verhalten der Generalanwältin unversehens stimmig erscheinen lässt: Das Justizministerium hat in seinem Schriftsatz schon gar nicht behauptet, die Verweigerung der im Haushalt bestimmten Auszahlung sei legal. Das ist deshalb keineswegs überraschend, weil die Rechtslage in dieser Sache eindeutiger nicht sein könnte. Schon James Madison hat die Budgethoheit der Volksvertretung in den Federalist Papers (Nr. 58) zu dessen „umfassendster und effektivster Waffe“ erklärt, und auch die konservativen Richter Roberts und Kavanaugh haben die Annahme, der Präsident könne über die Zuweisungen im Haushaltsgesetz frei disponieren, in vergangenen Memoranden und Urteilen scharf zurückgewiesen. Im Impoundment Control Act von 1974 ist dies einfachgesetzlich normiert und für angestrebte Änderungen der Mittelverwendung sogar ein Notifizierungsverfahren vorgesehen. Die Generalanwältin beruft sich angesichts dessen bloß auf eine andere prozessuale Wirkung des Gerichtsbeschlusses, indem sie argumentiert, die Entscheidung könne Geltung jedenfalls nur inter partes und nicht erga omnes entfalten. Die Rechtskraft dieser und aller noch folgenden Gerichtsentscheidungen soll also möglichst so limitiert werden, dass jede betroffene Partei ihre Rechtsverletzung individuell geltend machen müsste. Dieses Projekt vor allem Neil Gorsuchs hat juristisch nicht wenig für sich, wäre aber das Ende der bekannten nationwide injunctions der Bundesgerichtsbarkeit, ihres in dieser brisanten Situation schlagkräftigsten Interventionsinstruments.
In Zusammenschau mit der jüngst kommunizierten Absicht der Administration, Klägern gegen den Staat die Auslegung der Prozesskosten wieder aufzuerlegen, erhärtet sich letztlich der Eindruck, nicht der Rechtsbruch, sondern die wirksame gerichtliche Reaktion auf ihn soll um jeden Preis verhindert werden. Greift diese Strategie durch, ist mit der Judikative als nennenswertes Widerlager gegen die Ausschlachtung der Institutionen nicht mehr zu rechnen.
References
↑1 | Hierzu Victor Loxen, Der Nomos der westlichen Hemisphäre, AVR 61 (2023), 327-355, 340 ff. |
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↑2 | Motor Vehicle Mfrs. Ass’n v. State Farm Mutual Automobile Ins. Co., 463 U.S. 29, 43 (1983). |
↑3 | Aus Gründen der Gewaltenteilung und seiner „verfassungsrechtlich herausgehobenen Position“ findet der APA keine Anwendung auf Entscheidungen den Präsidenten, vgl. Franklin v. Massachusetts, 505 U.S. 788, 789 (1992). |