Die Konsultation der EU-Kommission zum Investitionsschutz: Was lernen wir daraus über die TTIP-Verhandlungen?
Ein kurzer Blick zurück: Die öffentlich und medial aufgeladene Kritik an einem Investitionsschutzkapitel einschließlich der Möglichkeit von Investor-Staat-Streitbeilegung im TTIP führte dazu, dass sich die Kommission am 21. Januar 2014 dazu genötigt sah, eine öffentliche Konsultation zu diesem Thema durchzuführen. Auf meine Frage, warum die Konsultation nur zu diesem und nicht zu anderen strittigen Themen wie Dienstleistungsliberalisierung und regulatorische Kooperation durchgeführt würde, antwortete ein Kommissionsbeamter aus dem TTIP-Verhandlungsteam: „Wir wurden dazu gezwungen“. Das bedeutet zweierlei: Erstes, von selbst hätte die Kommission diesen Schritt – trotz ihrer Beteuerungen, transparent zu verhandeln und alle Betroffenen ausreichend zu informieren – nicht unternommen. Zweitens, Konsultationen zu anderen Themen wird es nur geben, wenn die Öffentlichkeit sie vehement einfordert.
Anders als in den Medien seinerzeit gelegentlich berichtet, war damit jedoch kein generelles Verhandlungsmoratorium verbunden. Vielmehr erklärte Kommissar de Gucht: “Ich lese heute jedoch Schlagzeilen, die behaupten, dass die TTIP-Verhandlungen – oder zumindest ein Teil der Verhandlungen – ausgesetzt werden sollen. Das ist nicht richtig. Der Verhandlungsprozess läuft (…) auf Hochtouren weiter, die nächste Verhandlungsrunde steht Mitte März an. Nur beim Thema ISDS drücken wir auf den “Pause-Knopf”.”
Die Kommission versprach, dass sie im März 2014 einen Textvorschlag der EU für die Verhandlungen zum Investitionsschutz im TTIP veröffentlichen würde:
EU Trade Commissioner Karel De Gucht today announced his decision to consult the public on the investment provisions of a future EU-US trade deal (…). In early March, he will publish a proposed EU text for the investment part of the talks which will include sections on investment protection and on investor-to-state dispute settlement, or ISDS.
Daher war allgemein erwartet worden, dass ein in die TTIP-Verhandlungen eingeführter Text veröffentlicht werden würde. Dem war jedoch nicht so. Für die am 27. März 2014 begonnene öffentliche Online-Konsultation über Investorenschutz in der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft greift die Kommission auf Textbeispiele aus dem umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) zurück.
Das Konsultationsdokument gliedert sich im Wesentlichen in zwölf Fragen, die jeweils mit Textreferenzen aus dem CETA erläutert werden. Die Struktur der zwölf Fragen folgt einem einheitlichen Muster: Nach einer kurzen Erklärung des Gegenstands der Frage folgt eine Darstellung, wie dieser in den meisten Investitionsabkommen behandelt wird, um sodann die Ziele und den Ansatz der EU zu erläutern. Bereits diese Struktur ist kritikwürdig. Die Charakterisierung des Inhalts der „meisten Investitionsschutzabkommen“ erweckt den Eindruck, dass in den meisten Abkommen die von der EU vorgeschlagenen Ideen nicht vorhanden seien und dass der EU-Ansatz daher innovativ und progressiv sei. Es soll der Eindruck entstehen, die EU stelle dem traditionellen Ansatz einen innovativen Ansatz gegenüber.
Dieser Eindruck wird durch die tabellarische Gegenüberstellung des „traditionellen Ansatzes“ und des EU-Ansatzes im Anhang des Dokuments verstärkt. Die linke Säule der Tabellen, die den traditionellen Ansatz enthält, ist überwiegend leer. Die rechte Säule, in der der EU-Ansatz abgedruckt ist, ist dagegen gefüllt mit detaillierten Vorschriften. Hier wird bereits rein optisch suggeriert, der EU-Ansatz sei eine erhebliche Verbesserung. Neben der suggestiven Struktur der Darstellung ist auch empirisch zweifelhaft, auf welcher Grundlage die Kommission den Inhalt des traditionellen Ansatzes ermittelt haben will. Sie spricht stets allgemein von „most existing investment agreements“, ohne auch nur ein einziges anderes Abkommen oder andere Belege für ihre Charakterisierung zu nennen. Tatsächlich lassen sich zahlreiche Vorschläge, die die Kommission als Innovationsleistungen anpreisen will, bereits in anderen Investitionsverträgen nachweisen.
Das Konsultationsdokument spricht wiederholt vom „EU approach“, ohne dass erläutert wird, was damit gemeint sein soll. Da es weder ein EU-Musterabkommen für Investitionsschutzabkommen oder -kapitel gibt noch ein einziges unterzeichnetes Abkommen mit Investitionsschutzvorschriften, an dessen Verhandlung die EU maßgeblich beteiligt gewesen wäre, lässt sich der „EU approach“ am ehesten als allgemeine Wunschvorstellungen der Kommission beschreiben. Es ist daher umso bemerkenswerter, dass diese Wunschvorstellungen mit Textauszügen aus dem – zwischen der EU und Kanada – ausgehandelten CETA illustriert werden. Da nicht anzunehmen ist, dass die Kommission ihre Wünsche in den Verhandlungen mit Kanada vollständig durchsetzen konnte, fragt sich, ob die Kommission den „EU approach“ unter dem Eindruck der Verhandlungen mit Kanada bereits angepasst hat oder überhaupt erst auf der Grundlage dieses Ergebnisses formuliert hat.
In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass sich verschiedene Textteile des CETA-Textes wortgleich oder jedenfalls sinngemäß auch im kanadischen Musterabkommen für bilaterale Investitionsschutzabkommen finden lassen. Insofern dürfte der im Konsultationsdokument erläuterte „EU approach“ zu einem großen Umfang von kanadischen Vorstellungen geprägt sein. Das ist zwar per se nicht problematisch, relativiert die eigene schöpferische Leistung der Kommission jedoch.
In jedem Fall lässt sich festhalten, dass das Konsultationsdokument keine Auskunft darüber gibt, was die EU in den TTIP-Verhandlungen zum Thema Investitionsschutz vorgeschlagen hat oder vorschlagen will. Es ist nicht einmal erkennbar, ob die Kommission überhaupt bereits eine spezifische Position für das TTIP entwickelt hat.
Schließlich ist noch anzumerken, dass auf der Grundlage des Konsultationsdokuments auch keine abschließende Bewertung des Investitionsschutzkapitels im CETA möglich ist, da unklar ist, ob alle relevanten Vorschriften veröffentlicht wurden und in welchem weiteren Kontext die einzelnen Vorschriften stehen. Eine abschließende Bewertung des CETA ist erst mit der Veröffentlichung des vollständigen Texts möglich, auf die mehr denn je gedrungen werden sollte.
Anmerkung: Dieser Text beruht auf Teilen eines Gutachtens des Verfassers für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank für diesen Beitrag. Das Unbehagen gegenüber den Verhandlungen zu CETA, TTIP, TISA und deren Kommunikation in der Öffentlichkeit seitens der EU wird hier deutlich beschrieben und belegt.
Über eine Antwort zu meinen Fragen, die ich im Folgenden als Fachfremde stelle, würde ich mich freuen.
1. Am 12.03.2014 wurde während der Fragestunde im Bundestag mit Schwerpunkt TTIP, die Frage von Ralph Lenkert zu möglichen ISDS- Klagen von Dr. Maria Flachsbarth, Staatsekretärin, folgendermaßen beantwortet: http://www.youtube.com/watch?v=3-rrezt8b0o#t=266
„Zu welchen Klagen es auch immer kommen möge, kann ich mich nicht äußern, da ich, selbstverständlich wie Sie, nicht in die Zukunft sehen kann.“ (Flachsbarth)
Vor einiger Zeit schrieb Prof. Dr. Axel Flessner in seinem Beitrag in diesem Blog: „..Dass jemand einem noch ganz unbestimmten Personenkreis ein Schiedsangebot macht, das dann von jedem, der die Voraussetzungen erfüllt, angenommen werden kann (hier: von den Investoren aus dem anderen Vertragsstaat), passt nicht zu den Schutzvorkehrungen gegen unbedachte und grenzenlose Preisgabe von staatlichem Rechtsschutz ..“
Wie sehen die Fachleute des Verfassungsblogs dieses Dilemma?
2. Die als „Living Agreement“ konzipierten Abkommen CETA und TTIP sollen veränderbar sein. Der Einfluss der Mitgliedsstaaten soll durch einen Regulierungsrat „vorreguliert“ werden und das nicht nur im Zusammenhang mit ISDS. Wer in diesem Regulierungsrat sitzen soll sagt die Kommission nicht und antwortet auch nicht auf schriftliche Anfragen zur Klärung. (siehe hierzu: Corporate Europe Observatory, corporateeurope.org)
In Anlehnung an die Formulierung von Herrn Prof. Dr. Flessner frage ich mich:
Darf ein Staat wie die BRD einem „noch ganz unbekannten Personenkreis“ die Möglichkeit geben, seine Regulierungsrechte und Pflichten zu lenken?
3. Die im CETA Abkommen als Referenztext zu TTIP angepriesene Transparenz der Schiedsverfahren beziehen sich ausschließlich auf die Transparency Rules des UNCITRAL Schiedsgerichtes. Das ICSID hat schon 2006 Transparenzregeln entwickelt, die aber nicht so weit gehen wie die des UNICITRAL Schiedsgerichtes. Sehe ich das richtig, dass die Regeln des UNCITRAL für andere Schiedsgerichte wie z.B. das ICSID nicht verpflichtend sind, da diese selbständig arbeiten und jeweils eigenen Konventionen folgen? (Die Inanspruchnahme weiterer Schiedsgerichte außer den bereits genannten ist im CETA Referenztext ebenfalls nicht ausgeschlossen.)
Die EU Kommission versucht, (siehe Zitat unten, Erklärungstext zu Frage 6 des Konsultationsdokuments) der Öffentlichkeit gegenüber gezielt den Eindruck zu erwecken, sie habe die Transparenzregeln gerade erst erfunden, indem sie im CETA- Referenztext schlicht die Regeln abschreibt, die nur für eines (UNCITRAL) der verschiedenen Schiedsgerichte gelten. Die Kommission will suggerieren, sie sorge für außerordentliche Transparenz und Offenheit in diesem Abkommen und könne damit die Schiedsgerichtsbarkeit beeinflussen. Hätte sie tatsächlich diese Kompetenz, würde nicht die Idee eines unabhängigen Schiedsgerichts ad Absurdum geführt?
„Die EU möchte die Transparenz und Offenheit des ISDS-Systems im Rahmen der TTIP gewährleisten. Sie wird deshalb für die Aufnahme von Bestimmungen sorgen, die sicherstellen, dass die Anhörungen öffentlich sind und alle Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In ISDS-Sachen im Rahmen der TTIP werden (mit Ausnahmen lediglich zum Schutz von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen) alle Dokumente öffentlich verfügbar und Anhörungen öffentlich sein. Interessierte Kreise der Zivilgesellschaft werden Beiträge einreichen können, um den ISDS-Schiedsgerichten ihre Ansichten und Argumente zur Kenntnis zu bringen.
Die EU hat federführend an der Festlegung neuer Transparenzvorschriften der Vereinten Nationen zu ISDS[1] mitgewirkt. Die angestrebte Transparenz wird durch Einbeziehung dieser Regeln in die TTIP erreicht“
Zu Ihren Fragen drei kurze Antworten:
1. Axel Flessner weist m. E. zu Recht auf ein fundamentales Problem der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit hin: Es ist dem Schiedswesen eigentlich inhärent, dass sich die Parteien eines Streits vorher kennen, da sie sich entweder in einem bilateralen Vertrag oder einer ad hoc Vereinbarung zuvor darauf geeinigt haben, einen evt. Streit durch ein Schiedsgericht zu lösen. Mit anderen Worten: Wenn ich mich auf die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens einlasse, weiß ich, mit wem ich es zu tun haben werde. Das ist beim Investitionsschutz anders, da der Staat eine generelle einseitige Zustimmung zum Schiedsgerichtsbarkeit abgegeben hat, ohne zu wissen, welche Investoren davon Gebrauch machen können. Eine derartige Zustimmung ist jedoch im Kern nichts anderes als die staatliche Rechtsweggarantie, weswegen Investor-Staat-Streitigkeiten – wie Jochen von Bernstorff (https://verfassungsblog.de/streitigkeiten-ueber-gemeinwohlorientierte-regulierung-von-investoren-gehoeren-im-demokratischen-rechtsstaat-vor-die-nationalen-gerichte/) ausgeführt hat – vor die nationalen Gerichte gehören.
2. Das zentrale Problem ist, dass noch wenig bekannt ist, wie der regulatory cooperation council aussehen wird. Erst wenn man da eine ungefähre Vorstellung hat, insbesondere auch zu dessen Kompetenzen, kann man die Frage seriös beantworten. Daher sollte eine Forderung an die Kommission sein, auch zu diesem Thema Texte zu veröffentlichen und eine Konsultation durchzuführen.
3. Nach dem EU-Text wären die UNCITRAL Regeln für alle Verfahren – also auch für ICSD-Verfahren – verbindlich (vgl. den Text: “shall apply … disputes under this Section”).
Merci!
[…] und dem deutschen Gesetzgeber abgelehnt werden muss (kritisch dort auch die Beiträge von Krajewski, Feichtner, von Bernstorff, Stoll, allerdings ohne die verfassungsrechtlichen Folgerungen). Man […]
[…] sich – insb. auch mit dem Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission (hierzu kritisch Krajewski) – die verfassungsrechtliche Debatte hinsichtlich des in TTIP zu vereinbarenden […]