Ein „Hochschulsicherheitsrecht“ verstößt gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung wissenschaftlicher Forschung und Lehre
Wir appellieren an Sie: Frau Ministerin Brandes, ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück!
Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler aus allen juristischen Fakultäten des Landes NRW haben sich zu der folgenden Stellungnahme zusammengeschlossen. Sie trägt die Unterschrift einer deutlichen Mehrzahl aller aktiven Hochschullehrer des Verfassungsrechts, mehrere Rechtsfakultäten sind mit ihrem Öffentlichen Recht vollständig vertreten.
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Wir lehren und forschen zum Verfassungsrecht – das ist unser dienstlicher Auftrag und unsere gemeinsame Verpflichtung, die wir als Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer an den Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen wahrnehmen. Uns trennen oftmals politische Grundauffassungen und juristische Ordnungsvorstellungen, wir streiten miteinander im akademischen Austausch und als Gutachter oder Prozessvertreterinnen vor den Verfassungsgerichten. Als BeamtInnen und als Verteidiger des freiheitlichen Verfassungsstaats empfinden wir hohen Respekt vor dem politischen Mandat der Landesregierung und der Gestaltungsaufgabe des Parlaments. Daher äußern wir uns in dieser gemeinsamen Stellungnahme zu einem laufenden Gesetzgebungsverfahren nur deswegen, weil wir in großer Sorge sind, dass ein nicht wiedergutzumachender Schaden droht.
Ein solcher Fall liegt mit dem Entwurf des „Hochschulstärkungsgesetzes“ vor, das geeignet ist, die Wissenschaftsfreiheit ernsthaft und nachhaltig zu beschädigen und dadurch die Hochschulen nicht zu stärken, sondern sie zu schwächen. Nordrhein-Westfalen würde von seiner insgesamt guten hochschulrechtlichen Position nicht nur in eine Außenseiterlage gebracht. Sollten die vorgeschlagenen Regelungen geltendes Recht werden, drohen langwierige verfassungsrechtliche Streitigkeiten vor dem Verfassungsgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. Der Gesetzentwurf ist von einem tiefen Misstrauen gegen die Selbstverwaltung in Forschung und Lehre durchzogen und etabliert gefährliche Instrumente, die Innovation und Engagement beschädigen werden. Von diesem Engagement aber lebt die Hochschullandschaft. Daher appellieren wir an Frau Ministerin Brandes: Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück! Verzichten Sie auf eine Haltung des Misstrauens, die mit diesem Gesetz in die Hochschulen getragen wird!
Die Organisationen, die für die Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen stehen, formulieren in diesen Tagen ihre Stellungnahmen zum Gesetzentwurf. Wir – als Lehrende des Verfassungsrechts in den Hörsälen, als BetreuerInnen des wissenschaftlichen Nachwuchses und als Vertreter der akademischen Selbstverwaltung in den Gremien vor Ort – beschränken unsere Kritik auf drei grundsätzliche Aspekte, die geeignet sind, die Arbeit in den Hochschulen in ihrer Substanz zu treffen:
- Der Gesetzentwurf etabliert eine Vielzahl an Standards und neuen abstrakten Zielsetzungen, die von den Hochschulen jeweils ausgearbeitet werden sollen, um sie überhaupt anwendbar zu machen. Nur scheinbar ist das eine Stärkung der Selbstverwaltung. Tatsächlich werden damit nicht nur mutwillig wissenschaftsfremde Konflikte in die Hochschulen getragen und abertausende von Arbeitsstunden auf Dauer gebunden, die Forschung, Lehre und Transfer verloren gehen – an jeder einzelnen Hochschule, immer und immer wieder. Dass der Entwurf unter „Kosten: keine“ angibt, ist geradezu eine Verhöhnung der akademischen Selbstverwaltung – es offenbart ein Verständnis, es handele sich bei den Hochschulen letztlich um nachgeordnete Dienststellen. Das aber steht im klaren Gegensatz zum verfassungsrechtlichen Auftrag und zum verfassungsrechtlichen Schutz der Hochschulen gegenüber einer solchen Indienstnahme.
- Die vorgesehenen Regelungen zur Promotionsbetreuung sind von einer Missbrauchsperspektive durchdrungen und inhaltlich vollkommen sachwidrig. Selbstverständlich sind Qualitätssicherung und der Schutz der Eigenständigkeit von DoktorandInnen im Verfahren das zentrale Ziel jedes Promotionsverfahrens. Dass aber eine Bewertung von Dissertationen regelmäßig nicht durch Betreuerinnen und Betreuer erfolgen soll, ist angesichts der hohen Ausdifferenzierung der Fachforschung von vornherein nicht praktikabel. Es ist schlicht unmöglich, dass praktisch jede/r Hochschullehrende sämtliche Forschungsarbeiten des Gesamtfachs vollständig in der Tiefe beurteilen könnte. Was machen kleine Fächer, an denen es überhaupt keine Zweit- oder Drittzuständigkeiten gibt? Welchen Anreiz sollte es geben, hochkomplexe „fremde“ Arbeiten jenseits des eigenen Forschungsgebiets originär zu beurteilen – auf Kosten eigener Forschungs- und Betreuungsleistungen? Wie sollten entsprechende Gutachten dann von Dritten eingeschätzt werden, etwa in den Verlagen und anderen Forschungsinstitutionen?
- In besonders dramatischer Weise ist der neue Teil 10 „Sicherheit und Redlichkeit in der Hochschule“ (§§ 84–97 HG-E) misslungen. Wir stehen im Hörsaal Tag für Tag ganz praktisch und konkret dafür ein, dass die Hochschulen als akademischer Lebensraum ein Ort des Mutes, des Zutrauens, der freien Rede, des gemeinsamen Wagnisses sind. Wir sind dem gemeinsamen Ziel verpflichtet, durch offenen Diskurs bessere Argumente zu formulieren, Irrtümer zu entdecken, der Wahrheit näher zu kommen. Das gelingt nur im wechselseitigen Vertrauen, und dabei können auch Grenzüberschreitungen vorkommen. Für solche Fälle haben die Hochschulen seit langem Instrumente der Klärung etabliert, die allen Statusgruppen offenstehen. Die Asymmetrie in der Lehre und Forschung stellt dabei immer wieder eine Herausforderung dar, ebenso die gemeinsame Verpflichtung, sich wechselseitig zu respektieren. Alle diese Bemühungen wischt der Gesetzentwurf weg, mit einer großen Geste, die sich dienstrechtlich als hohl erweist: Denn selbstverständlich können wegen des Vorbehalts des Parlamentsgesetzes – einer zentralen demokratischen und rechtsstaatlichen Errungenschaft – eben nicht Straf- und Disziplinierungsentscheidungen im Wege der Selbstverwaltung legitimiert werden. Die Idee eines „Hochschulsicherheitsrechts“ verlässt den Boden des verfassungsrechtlichen Schutzes der Wissenschaft und rechtsstaatlicher Verfahrensvorgaben. Und damit richtet der Gesetzentwurf wissenschaftspolitisch Schaden in doppeltem Sinn an: Den wirklichen Opfern von Diskriminierung gibt er Steine statt Brot, und alle Hochschulen überzieht er mit einem System des institutionalisierten Misstrauens.
Unsere Einwände betreffen nicht eine symbolische Seite des Gesetzentwurfs, sondern zielen auf seine Grundperspektive. Was durch die Regelungen des Referentenentwurfs verursacht wird, ist eine Umwidmung der Hochschulen von Orten des gemeinsamen Wagnisses auf der Suche nach Wahrheit zu Orten des Verdachts und der Disziplinierung – vielleicht, ohne das in dieser Schärfe zu wollen. Wir stehen sehr gerne bereit, Ihnen, Frau Ministerin, als „Ihre“ Fachleute an „Ihren“ Hochschulen diese (und weitere) Sachgesichtspunkte näher zu erläutern. Haben Sie den Mut und die Stärke, den Gesetzgebungsprozess neu aufzusetzen. Mit dem vorgelegten Entwurf verlieren Sie die Mitglieder der Hochschulen, Sie verlieren Engagement und Leidenschaft, die wir für eine gute Zukunft des Hochschulstandortes NRW in Lehre, Forschung und Transfer benötigen!
13.12.2024
- Prof. Dr. Wolfram Cremer, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Andrea Edenharter, FernUniversität in Hagen
- Prof. Dr. Dirk Ehlers, Universität Münster
- Prof. Dr. Christoph Engel, MPI/Universität Bonn
- Prof. Dr. Joachim Englisch, Universität Münster
- Prof. Dr. Jörg Ennuschat, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. James Fowkes, LL.M. (Yale), Universität Münster
- Jun.-Prof. Dr. Friederike Gebhard, Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Patrick Hilbert, Universität Münster
- Prof. Dr. Michaela Hailbronner, LL.M. (Yale), Universität Münster
- Prof. Dr. Andreas Haratsch, FernUniversität in Hagen
- Prof. Dr. Johannes Hellermann, Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Bernd Holznagel, LL.M. (McGill), Universität Münster
- Prof. Dr. Stefan Huster, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Markus Kaltenborn, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Simon Kempny, LL.M. (UWE Bristol), Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Michael Kotulla, Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Marcel Krumm, Universität Münster
- Prof. Dr. Julian Krüper, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Oliver Lepsius, LL.M. (Chicago), Universität Münster
- Prof. Dr. Stefan Magen, M.A., Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Nora Markard, MA (King´s College), Universität Münster
- Jun.-Prof. Dr. Maria Marquardsen, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Franz Mayer, LL.M. (Yale), Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Lothar Michael, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Martin Morlok, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Angelika Nußberger, M.A., Universität zu Köln
- Prof. Dr. Niels Petersen, M.A., Universität Münster
- Prof. Dr. Stefan Pieper, Universität Münster
- Prof. Dr. Bodo Pieroth, Universität Münster
- Prof. Dr. Arne Pilniok, Universität Bielefeld
- Jun.-Prof. Hannah Ruschemeier, FernUniversität Hagen
- Prof. Dr. Stephan Rixen, Universität zu Köln
- Prof. Dr. Heiko Sauer, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
- Prof. Dr. Christoph Schönberger, Universität zu Köln
- Prof. Dr. Sophie Schönberger, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Roman Seer, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Angelika Siehr, LL.M. (Yale), Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Indra Spiecker gen. Döhmann, LL.M. (Georgetown), Universität zu Köln
- Prof. Dr. Gernot Sydow, M.A., Universität Münster
- Prof. Dr. Pierre Thielbörger, M.PP., Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Sebastian Unger, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Matthias Valta, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Hinnerk Wißmann, Universität Münster
- Prof. Dr. Thomas Wischmeyer, Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Fabian Wittreck, Universität Münster
–
Der Stellungnahme der Erstunterzeichner schließen sich an:
– - Prof. Dr. Andreas Funke, Universität Erlangen-Nürnberg
- Prof. Dr. David Kuch, Universität Konstanz
- Prof. Dr. Hermann Pünder, LL.M. (Iowa), Bucerius Law School Hamburg
- Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M. (Berkeley), Universität zu Köln
- Prof. Dr. Hans-Peter Haferkamp, Universität zu Köln
- Prof. Dr. Sonja Meier, LL.M. (London), Universität zu Köln
- Prof. Dr. Martin Avenarius, Universität zu Köln
- Prof. Dr. Christian Katzenmeier, Universität zu Köln
- Jun.-Prof. Dr. Sebastian Golla, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Ulrich von Alemann, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Bettina Heiderhoff, Universität Münster
- Prof. Dr. Ingo Saenger, Universität Münster
- Prof. Dr. Janbernd Oebbecke, Universität Münster
- Prof. Dr. Mark Deiters, Universität Münster
- Prof. Dr. Wolfram Timm, Universität Münster
- Prof. Dr. Michael Heghmanns, Universität Münster
- Prof. Dr. Thomas Hoeren, Universität Münster
- Prof. Dr. Peter Oestmann, Universität Münster
- Prof. Dr. Nils Jansen, Universität Münster
- Prof. Dr. Stefan Arnold, LL.M. (Cambridge), Universität Münster
- Prof. Dr. Frauke Wedemann, Universität Münster
- Prof. Dr. Sebastian Lohsse, Universität Münster
- Prof. Dr. Anne Christin Wietfeld, Universität Münster
- Prof. Dr. Klaus Boers, Universität Münster
- Prof. Dr. Gerald Mäsch, Universität Münster
- Sandro Plenker, Universität Münster
- Prof. Dr. Eric Achermann, Universität Münster
- Prof. Dr. Sebastian Kubis, LL.M. (Illinois), FernUniversität in Hagen
- Prof. Dr. Emanuel V. Towfigh, EBS Wiesbaden
- Prof. Albert Ingold, Universität Mainz
- Prof. Dr. Fabian Klinck, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Arnulf von Scheliha, Universität Münster
- Prof. Dr. Stefan Muckel, Universität zu Köln
- Dr. Sven Jürgensen, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Antje Roggenkamp, Universität Münster
- Prof. Dr. Stefan Greiner, Universität Bonn
- Prof. Dr. Martin Höpner, MPI für Gesellschaftsforschung, Köln
- Prof. Dr. Thomas Gutmann, Universität Münster
- Prof. Dr. Matthias Casper, Universität Münster
- Jun.-Prof. Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia), Universität Münster
- Prof. Dr. Ulrich Wackerbarth, FernUniversität Hagen
- Prof. Dr. Marion Bönnighausen, Universität Münster
- Prof. Dr. Alfons Fürst, Universität Münster
- Prof. Dr. Elsemieke Daalder, Universität Münster
- Prof. Dr. Michael Klasen, Universität Münster
- Prof. Dr. Johannes Roth, Universität Münster
- Prof. Dr. Nicola Kaminski, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Oliver W. Lembcke, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Britta Rehder, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Dr. Markus Thiel, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster
- Prof. Dr. Christoph Moes, LL.M. (Harvard), Universität Augsburg
- Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Universität Münster
- Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock, FernUniversität Hagen
- Prof. Dr. Manuel Brunner, HSPV NRW, Bielefeld
- Prof. Dr. Clauß Peter Sajak, Universität Münster
- Prof. Dr. Moritz Vormbaum, Universität Münster
- Prof. Dr. Clemens Höpfner, Universität zu Köln
- Prof. Dr. Hans-Peter Großhans, Universität Münster
- Prof. Dr. Frank Ulrich Müller, Universität Münster
- Prof. Dr. Katrin Gierhake, Universität Regensburg
- Prof. Dr. Jörn Griebel, Universität Siegen
- Prof. Dr. Holger Lyre, Universität Magdeburg
- Prof. Dr. Christoph Buchert, HSPV NRW, Köln
- Prof. Dr. Kyrill Schwarz, Universität Würzburg
- Prof. Dr. Günter Reiner, Universität der Bundeswehr, Hamburg
- Prof. Dr. Ronald Asch, Universität Freiburg
- Prof. Dr. Matthias Cornils, Universität Mainz
- Prof. Dr. Henrieke Stahl, Universität Trier
- Prof. Dr. Jörg Matysik, Universität Leipzig
- Prof. Dr. Michael Schaefers, Universität Münster
- Prof. Dr. Michael Schwartz, Universität Münster
- Jun.-Prof. Dr. Friederike Malorny, Universität Münster
- Prof. Dr. Gerd Morgenthaler, Universität Siegen
- Prof. Dr. Jakob Schirmer, M.A., HSPV NRW, Gelsenkirchen
- Prof. Dr. Frank Göttmann, Universität Paderborn
- Prof. Dr. Boris Kotchoubey, Universität Tübingen
- René Kieselmann, Rechtsanwalt, Berlin
- Prof. Dr. Petra Pohlmann, Universität Münster
- Prof. Dr. Gerrit Brösel, FernUniversität Hagen
- Prof. Dr. Gereon Wolters, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Rainer Baule, FernUniversität Hagen
- Prof. Dr. Arndt Kiehnle, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Ingke Goeckenjan, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Martin Schermaier, Universität Bonn
- Prof. Dr. Hendrik Schoen, HSPV NRW, Münster
- Prof. Dr. Christine Osterloh-Konrad, Universität Tübingen
- Prof. Dr. Robert Schmidt, FernUniversität Hagen
- Prof. Dr. Astrid Reuter, Universität Münster
- Prof. Dr. Thomas Finkenauer, Universität Tübingen
- Prof. Dr. Carsten Burstedde, Universität Bonn
- Prof. Dr. Matteo Fornasier, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Barbara Remmert, Universität Tübingen
- Prof. Dr. Judith Könemann, Universität Münster
- Prof. Dr. Renate Schaub, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Volker Steffahn, Bucerius Law School, Hamburg
- Prof. Dr. Christoph Thole, Dipl.-Kfm., Universität Köln
- Prof. Dr. Stefan Korch, LL.M. (Harvard), Universität Münster
- Prof. Dr. Thomas Hering, FernUniversität Hagen
- Prof. Dr. Volker Boehme-Neßler, Universität Oldenburg
- Prof. Dr. Jörg Winkelmann, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Sebastian Piecha, HSPV NRW, Hagen
- Prof. Thomas Neuhaus, Folkwang Universität der Künste, Essen
- Prof. Dr. Cerstin Bauer-Funke, Universität Münster
- Dr. Elke Williamson, Universität Münster
- Prof. Simone König, Universität Münster
- Prof. Dr. Thomas Straube, Universität Münster
- PD Dr. Jens Ehmke, Universität Münster
- Prof. Dr. Markus Missler, Universität Münster
- Prof. Dr. Dr. Robert Nitsch, Universität Münster
- Prof. Dr. Wolfgang A. Linke, Universität Münster
- Prof. Dr. Dag Harmsen, Universität Münster
- Prof. Dr. Christine Hartmann, Universität Münster
- Prof. Dr. Ali Gorji, M.D., Universität Münster
- Prof. Dr. Linus Kramer, Universität Münster
- Prof. Dr. Noelia Alonso Gonzalez, Universität Münster
- Prof. Dr. Markus Fehrenbach, Ruhr-Universität Bochum
- PD Dr. Eva Schönefeld, Universität Münster
- Prof. Dr. Kerstin Steinbrink, Universität Münster
- Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Bernd Schäfer, Universität Münster
- Prof. Dr. Helmut Pulte, Ruhr-Universität Bochum
- Prof. Dr. Nikolaus Marsch, D.I.A.P. (ENA), Universität des Saarlandes
- Prof. Dr. Timo Rademacher, M.Jur. (Oxford), Universität Hannover
Die Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner lehren Verfassungsrecht an den juristischen Fakultäten der Universitäten in Nordrhein-Westfalen. Es besteht die Möglichkeit, sich über diesen Kreis hinaus der Stellungnahme anzuschließen. Dazu wird um eine kurze Nachricht an stellungnahme.hochschulgesetz@gmx.de gebeten.
Der Gesetzentwurf des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft findet sich unter https://www.mkw.nrw/system/files/media/document/file/refe_hochschulstaerkungsgesetz.pdf
„Ist es normal, dass ich etwas für meinen Chef schreiben soll und dann nicht auf dem Text stehe?“ Das fragte mich eine Doktorand*in eines benachbarten Lehrstuhl gestern Abend.
Wenn Sie alle in sich gehen, wissen viele von Ihnen, dass Sie Ähnliches praktizieren oder praktiziert haben. Alle von Ihnen wissen, dass derartiges nach wie vor weit verbreitet ist. Hinzu kommen Dinge wie 50 Prozent bezahlen und 100 Prozent Präsenz erwarten, ungleiche Verteilung von Aufgaben und Unterstützung und vieles mehr. All das in einem Umfeld, in dem klar ist, dass man dem als befristete Wissenschaftler*in mit ausstehenden Qualifikationsarbeiten oder Berufungs- oder Einstellungsverfahren in der Regel nichts entgegenzusetzen hat. Genau deshalb geht das hier auch nur anonym.
Sind alle so? Nein! Hat der Gesetzesentwurf Probleme? Gewiss! Aber der Grund für die Missbrauchsperspektive ist der vielfältige Machtmissbrauch. Der Grund für das Misstrauen ist die fehlende Vertrauenswürdigkeit. Schon der Umstand, dass Sie es nicht geschafft oder gewollt haben, Menschen ohne Professor*innentitel in Ihrer Liste aufzunehmen, spricht Bände.
Vielen Dank, Anonym24, für den Beitrag, der Gelegenheit gibt, noch einige Punkte zu verklaren.
Zunächst: Es ist weder normal noch in Ordnung, dass Texte unter dem Namen eines Autors veröffentlicht werden, der sie nicht geschrieben hat. Dass die vielen Unterzeichner dieser Stellungnahme – „wenn (s)ie in sich gehen“ – zugeben müssten, dies selbst so oder ähnlich praktiziert zu haben, ist ein scharfer Vorwurf, der auch nicht dadurch entkräftet wird, dass Sie einräumen, dass „nicht alle so sind“. Im Übrigen, so viel Präzision muss sein, würden solche Vorkommnisse über das „Redlichkeitsrecht“ des neuen HG-Entwurfs geahndet, gegen das sich die Stellungnahme gar nicht wendet.
Überhaupt ist es nötig, g e n a u e r darauf zu schauen, welche Form von „Machtmissbrauch“ der Entwurf wie und mit welchen Mitteln adressiert. Der Teufel liegt, wie so häufig, im Detail. Dabei geht es vor allem um folgende Punkte:
Das Hochschulsicherheitsrecht des Entwurfs adressiert Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter, Mitarbeiter in Technik und Verwaltung, Hochschulleitungen UND Professoren. Das unterschlägt die Ministerin in ihrer Kommunikation, die fortwährend den Eindruck erweckt, es ginge „nur“ um die Disziplinierung von Professoren. Damit wird jedermanns Kommunikation an der Hochschule – im Hörsaal, im Seminar, in der Mensa, in den Gremien, beim Hochschulsport … – künftig disziplinarisch kontrolliert. Nimmt man alleine einige der aktuellen gesellschaftlichen Aufregerthemen (Ukraine-Krieg, Gaza-Konflikt, Pluralität der Geschlechterordnung…) wird deutlich, wie weitreichend die neuen Regelungen in alle Richtungen (!) in die Freiheit der Meinungsäußerung eingreifen und in die von Forschung, Lehre und Studium ohnehin.
Die Eingriffsvoraussetzungen des Hochschulsicherheitsrecht in Gestalt des § 84 I Nr. 2 HG-E sind derartig unterbestimmt und offen für Subjektivierung, dass ihr Missbrauchspotential immens ist. Wer den Entwurf immer nur auf die von der Regelung „gemeinten“ und offensichtlichen Fälle bezieht, wird das nicht sehen. Wenn man allerdings schaut, welche Fälle „erfasst“ werden, gibt dies Anlass zu schlimmsten Befürchtungen.
Dabei beschränkt sich der Entwurf keineswegs auf Gefahrenabwehr, wie die Ministerin suggeriert, sondern zielen auf harte Sanktionen – nochmal: gegenüber a l l e n Hochschulangehörigen. Die Verhältnismäßigkeit dieser Sanktionen zu gewährleisten, wird künftig Aufgabe der dafür schon nach eigenem Bekunden kaum gerüsteten Hochschulverwaltungen.
Noch ein Wort zu den Unterzeichnern: Die Kolleginnen und Kollegen kommen aus ganz unterschiedlichen Fächern verschiedener Universitäten und Hochschulen, sie decken ein breites politisches Spektrum ab (von „konservativ“ bis „progressiv“), sie leiten Fakultäten, Gremien, Institute, Forschungsgruppen, Lehreinrichtungen usf. und sind in dieser Funktion nicht nur für die Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen, sondern der aller Mitarbeiter zuständig. Ihnen pauschal die Fähigkeit und die Verantwortung für die Wahrnehmung dieser Interessen abzusprechen, erscheint unangemessen und in dieser Pauschalität ehrlich gesagt auch anlasslos.
Mein Erstaunen bezieht sich im Übrigen auch darauf, dass sich (bislang) nicht auch aus den Studentenvertretungen, den Personalräten der wissenschaftlichen Mitarbeiter und der Mitarbeiter in Technik und Verwaltung lauter Protest gegen diesen Entwurf regt. Denn eenn der Entwurf Gesetz wird, und das muss man leider mit aller juristenuntypischen Dramatik sagen, wird das Miteinander an den Hochschulen nicht mehr sein, was es war. Und davon sind dann alle Statusgruppen betroffen und keineswegs nur die notorisch verdächtigen Professoren.
Sehr geehrter Prof. Krüper,
ihre Überraschung im Bezug auf die Mangelnde Positionierung der Studierenden ist aus iherer Sicht nachvollziehbar, es ist jedoch schlichtweg so dass das Durcharbeiten eines Entwurfs von fast 300 Seiten einige Zeit in Anspruch nimmt, und die konsentierung einer Stellungnahme ebenfalls. Es ist meine Wahrnehmung das auch die Studierendenschaften sich individuell aber auch über das Landes ASten Treffen (LAT) entschieden zumindest gegen das Sicherungsrecht Positioniert haben. Diese Stellungnahme sind Teilweise (noch) nicht online sind aber dem Ministerium zweifelsohne schon zugegangen. Hier beispielsweise eine besonders detailierte aus Bonn.
Als kleiner Hinweis der mich beim lesen der Petition zuerst hat denken lassen die Maßnamen gegen Studis seien mitgemeint:
Das (bereits existierende) Sicherungsrecht gegen Studis wird ja (auch im Gesetz) oft eher als Ordnungsrecht bezeichnet, es ist daher für mich immer etwas unklar ob dieses Ordnungsrecht auch unter dem Begriff Sicherungsrecht mitgefasst wird. Ihre Klarstellung das auch mindestens das erweiterte Ordnungsrecht in der Petition mitgemeint ist freut mich daher sehr.
In der Tat ist es so, dass es in § 51a HG bereits jetzt Ordnungsmaßnahmen gibt, die gegen Studenten gerichtet werden können. Das neue “Sicherheitsrecht” steht neben diesen Maßnahmen, weil es unterschiedlos alle Mitglieder der Hochschule (§ 9 I HG) umfasst und deswegen auch die kommunikativen Verhältnisse zwischen Studenten reguliert werden (Mensa, Vorlesung, Seminar, Hochschulsport…). Im Unterschied zu § 51a HG, der schwere Verstöße gegen Anforderungen an die Funktionsfähigkeit des Hochschulbetriebs sanktionierbar macht, erfasst das neue Sicherheitsrechts viel zu niedrigschwellige, hochgradig unbestimmte und eben auch (!) nur subjektiv relevant empfundene Sachverhalte. Es lässt sich problemlos für den politischen Meinungskampf instrumentalisieren und rüstet diesen völlig unnötig mit scharfen rechtlichen Waffen auf, die von jedem und aus jeder politischen Richtung missbraucht werden können. In wessen Interesse das sein soll, erschließt sich mir nicht. Die Kommunikation des Ministeriums verschleiert all das unter dem griffigen und scheinbar einleuchtenden Begriff des Machtmissbrauchs (von Professoren).
Wenn ich mich aber (zum Beispiel) als Student mit meinen Kommilitionen beim Hochschulsport engagiert über den Gaza-Krieg, den Angeriff Russlands auf die Ukraine oder über die Frage streite, ob es mehr als zwei Geschlechter gibt …, hat das aber nichts mit Machtmissbrauch zu tun, sondern ist in den Grenzen des Strafrechts Meinungsäußerung. Das Gesetz legt aber nahe, unterhalb der durch das Strafrecht gezogenen Grenze Meinungsäußerungen in solchen Kontexten zu sanktionieren – und zwar sehr scharf. Vielleicht ist das vom Ministerium nicht gewollt, möglich aber wird es sein. Und natürlich kann man sich dann dagegen wehren, vermutlich sogar mit Erfolg. Aber das ist doch kaum die Art von Kommunikationskultur, die den Hochschulen angemessen ist, denn es wird dazu führen, dass die kritische Debatte auf dem Campus immer unter dem Damoklesschwert solcher Sanktionen steht, deren Zulässigkeit im Einzelfall immer wieder neu verhandelt werden muss. Da hält man am Ende lieber den Mund – als Professor, als Mitarbeiter und eben auch als Student.
Liebe:r anonym24,
ich teile Ihre Einschätzung, dass es an den Hochschulen viel Machtmissbrauch gibt. Ich glaube nicht, dass durch dieses Gesetz auch nur eine einzige Person besser geschützt würde. Es gibt aus meiner Sicht nicht in erster Linie einen Mangel an rechtlichen Regeln sondern ein Defizit an Regelvollzug – aus den gleichen Gründen, die auch für alle anderen Organisationstypen gelten (unklare Evidenzlage, Seilschaften, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus etc.). Daran ändert dieser Gesetzentwurf nichts. Er speist aber mit seinen zahlreichen undefinierten Begriffen, an die ein Sanktionsapparat geknüpft wird, ein Konfliktpotential in die Hochschulen hinein, das beträchtlich ist und bei dem ich nicht sicher bin, dass diese Konflikte zugunsten der Schutzbedürftigen ausgetragen werden. Im schlimmsten Fall werden schutzbedürftige Studierende und Beschäftigte instrumentalisiert in der sachfremden Auseinandersetzung zwischen universitätsinternen Lagern.
Wenn es um politische Regulierung geht, sollte eher die Frage gestellt werden, wo dieser Machtmissbrauch eigentlich herkommt. Gibt es ein professorales “Darth Vader”-Gen? Ich hoffe und denke nicht. Wir sollten stattdessen über Anerkennungsstrukturen in Hochschule und Wissenschaft reden. Wenn es sich für einen Teil der Professor:innenschaft “lohnt”, Macht zu missbrauchen, läuft in diesen Strukturen m.E. etwas falsch.
Liebe:r anonym24, ich wünsche Ihnen schöne Feiertage! Herzliche Grüße!
Es ist eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz, dass Autoritäten und Autonomiepositionen infragegestellt werden. .Jeder will zu jedem Zeitpunkt über alles mitreden und alles kontrollieren dürfen. Dass die Landespolitik dem nachgibt bzw. es sich gern zueigen machen will, ist fürwahr schlimm. Und ganz konkret ist die Frage: Wer will um Gottes Willen in so einem System noch HochschullehrerIn werden, insbesondere in Jura, wo es doch berufliche Alternativen gibt – und wer wird dann Verfassung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie unterrichten?