Erektion und Erschlaffung
Hoppla. Da ist doch tatsächlich in diesem Wahlkampf, dessen Langweiligkeit nur noch von der Langweiligkeit des Gejammers über seine Langweiligkeit übertroffen wird, etwas im buchstäblichen Sinne Spannendes passiert. Peer Steinbrücks Geste prangt und reckt sich uns auf dem Titelblatt des SZ-Magazins entgegen, und alle halten den Atem an.
Es hat natürlich nur einen Moment gedauert, bis das erwartbare Geschnatter losgebrochen ist, wem das nun im Wahlkampfendspurt nützt oder schadet, ob das nun eher kantig oder eher prollig wirken könnte und was das über Steinbrücks Wille, Kanzler zu werden, aussagt. Aber dahinter haben doch jedenfalls alle offenbar das Gefühl: Mann, dieses Bild ist unglaublich stark. Das das sagt etwas über uns aus, auf das wir zurückgreifen werden, wenn wir später mal darüber nachdenken, wie wir eigentlich drauf waren im Jahr 2013. Das wird zu einer Ikone.
Was sagt es uns, dieses Bild? Im Vordergrund natürlich, dass hier ein Kerl steht, brustbehaart, breitschultrig und aggressiv, das Zeichen seiner erigierten Penetrationsbereitschaft steil in die Luft gereckt.
Weswegen nicht wenige der Chefredakteure und Meinungsbonapartes dieses Landes das Bild total super finden: Es verschafft ihnen Erleichterung gegenüber Merkels passivem, präsidialem Mutti-Gepuschel. Peer zeigt Kante! Kampf! Konflikt! Kanzler!
Mir scheint aber das Bild eine zweite Ebene zu haben, und die ist von ganz anderer Natur. Das Kraftzentrum dieses Bildes, von dem seine obszöne Wirkung ausgeht, ist ja gar nicht so sehr der Finger. Der ragt im Gegenteil eigentlich nur so ein bisschen unscharf zur Seite raus.
Es ist Steinbrücks Gesicht. Genauer, die untere Hälfte seines Gesichts. Dieser hängende Unterkiefer. Dieser halb geöffnete Mund. Diese Zunge.
Dieser Gesichtsausdruck ist nichts weniger als Kante. Da ist nichts Gestrafftes, Gerecktes, Erigiertes drin. Er ist schlaff. Aggressiv, sicher. Aber schlaff.
Erst diese Kombination, so scheint mir, macht die schockierend kraftvolle Zeichenhaftigkeit dieses Bildes aus. Es sagt eben nicht: fuck me!, sondern es sagt: fuck you! Eine Woche vor der Wahl sagt das einer, der gewählt werden will, allen, die ihn wählen sollen.
Die Kombination von Erektion und Erschlaffung: Da steckt Obamas vorgezeigte, aber nicht abgeschossene Rakete drin. Da steckt der dröhnende Leitartikelton des durch die Medienkrise bis ins Mark verunsicherten Chefredakteurs-Mastodon drin. Da steckt der Abschied einer ganzen Generation von mächtigen Männern drin, die sich vor ihrem Ruhestand fürchten, während oben drüber Angela Merkel ihre Raute macht, lächelt und den kleinen Peer mit seinem dummen dünnen Finger einfach auf dem Frühstücksbrettchen verzehrt.
Das steckt da alles drin, und deshalb werden wir an dieses Bild noch denken, wenn längst keiner mehr weiß, wer dieser Steinbrück eigentlich noch mal war.
Uhm…okay….darf man fragen ob es was Verdorbenes zum Frühstück gab? Irgendwie “leicht” befremdlicher Beitrag…Oder wollten sie nur mal testen wie viele Leute auf einen Eintrag mit Erektion und Erschlaffung klicken?
Kann mich @Noahs Befremden nicht anschließen. Das ist die mit Abstand intelligenteste Analyse des Bildes, die ich gelesen habe. Max, wo bleiben Deine flattr-Buttons?
Er zeigt mitnichten allen Wählern den Stinkefinger. Wie so oft ist hier der Zusammenhang wichtig und der Zusammenhang hier ist, dass er konkret auf eine Frage geantwortet hat. Er zeigt also allen Leuten den Stinkefinger, die nicht sehr nett in den letzten Monaten auf ihn mit Schmähungen eingeprügelt haben.
[…] Maximilian Steinbeis: Erektion und Erschlaffung […]
“On Matters Constitutional”?
@Hartmut Rensen: Ja. Stinkefinger wird nicht Bundespräsident 🙂
und: Max kann das Bild interpretieren, ohne dass ihm die “Völkerrechtler” schnappatmend vorwerfen, moralisierender Pragmatiker im Reich der Ethik zu sein…