12 June 2025

Das Ringen um das genetische Phantombild

Die Untersuchung der DNA auf die biogeografische Herkunft eines Menschen – bislang ein erfolgloses Unterfangen

Die Bestimmung der biogeografischen Herkunft eines Menschen durch die forensische DNA-Analyse zu strafprozessualen Zwecken ist seit mehreren Jahren höchst umstritten. Ihre Kritiker lehnen sie vehement ab, während ihre Unterstützer seit bald einem Jahrzehnt auf eine gesetzliche Legitimierung drängen. Nun haben die Justizminister von Bayern und Baden-Württemberg auf der 96. Justizministerkonferenz einen Antrag vorgelegt, der die Ausweitung der DNA-Analyse im Strafverfahren auf die Bestimmung der biogeografischen Herkunft vorsieht. Die politischen Erfolgsaussichten waren gut, denn bereits im Dezember 2024 hatte sich die Innenministerkonferenz für eine solche Erweiterung ausgesprochen. Der Vorschlag fand keine Mehrheit. Die Bundesjustizministerin möchte nun auf die Auswertung dieser Ermittlungstechnik warten, die in der Schweiz schon zur Anwendung kommt.

Dieser Post beleuchtet rechtliche, politische und ethische Aspekte des Vorschlags, um aufzuzeigen, wieso die Normierung der Bestimmung der biogeografischen Herkunft wiederholt umfassender Kritik ausgesetzt ist: Das Merkmal liefert nur begrenzte Informationen zum Spurenverursacher, deren Interpretation jedoch zu erheblicher Diskriminierung von Minderheiten führen kann.

Das kritische Merkmal der biogeografischen Herkunft

Im Zentrum der Debatte steht § 81e StPO. Diese Norm unterliegt einem steten Wandel: Seit 2019 ermächtigt § 81e Abs. 2 S. 2 StPO die Ermittlungsbehörden, mittels DNA-Analyse Merkmale feststellen zu lassen, die Rückschlüsse auf das äußere Erscheinungsbild eines unbekannten Täters ermöglichen. Diese sog. erweiterte DNA-Analyse erlaubt die Bestimmung von Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie dem Alter von Personen, wenn die spurenlegende Person nicht anderweitig zu ermitteln ist. Nun steht im Raum, die erweiterte DNA-Analyse gem. § 81e Abs. 2 S. 2 StPO um das Merkmal der biogeografischen Herkunft zu ergänzen. Zuverlässig könne nach dem derzeitigen Stand der Technik so die Herkunft des Spurenverursachers einem der fünf Hauptkontinente zugewiesen werden (Europa, Afrika, Ostasien, Ozeanien und Amerika). Die Aussagekraft sinkt jedoch signifikant, sobald die subkontinentale Herkunft eines Menschen bestimmt werden soll. Befürworter erhoffen sich dennoch, damit künftig zuverlässige genetische Phantombilder von unbekannten Tätern erstellen zu können.

Die biogeografische Herkunft eines Menschen lässt jedoch keine zuverlässigen Rückschlüsse auf dessen äußeres Erscheinungsbild zu. Hierfür sind verschiedene Aspekte der Bestimmung der biogeografischen Herkunft ausschlaggebend. Die für die Ergebnisse entscheidenden Referenzdatenbanken sind auf reine Bevölkerungsgruppen ausgerichtet. Für die Untersuchung dieser Referenzdatenbanken wertet man die mitochondrialen bzw. Y-chromosomalen Marker aus, die Rückschlüsse auf die väterliche oder mütterliche Abstammung zulassen. Die Analyse X-chromosomaler Marker bei Männern könnte zusätzliche Informationen über ihre mütterliche Abstammung liefern. Diese Methoden sind jedoch keineswegs geeignet, multiethnische Gesellschaften und Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie Migration abzubilden. Die Untersuchung der biogeografischen Herkunft ist insgesamt ungeeignet, um belastbare Aussagen zum Phänotyp eines Menschen zu treffen. Gegenteiliges kann man nur dann annehmen, wenn man vorurteilsbehaftet von der Gleichsetzung der biogeografischen Herkunft und Ethnizität ausgeht. Die Erstellung eines Täterprofils anhand der biogeografischen Herkunft birgt damit eine erhebliche Diskriminierungsgefahr.

Warum der bislang geltende Maßstab überholt ist

Den Maßstab für die bisherigen Regelungen bildet der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.2000 zum sog. „genetischen Fingerabdruck”. Darin befassten sich die Richterinnen und Richter mit der Frage, ob die DNA-Analyse mit dem absoluten und abwägungsunzugänglichen Kernbereich der Persönlichkeit vereinbar ist, den das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung schützt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Grundlage der Entscheidung ist die Differenzierung zwischen dem codierenden Bereich der DNA, der persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten des Betroffenen enthält, und dem nicht-codierenden Bereich, der häufig unzutreffend auch als bloßes Füllmaterial der menschlichen DNA bezeichnet wird. Die Richterinnen und Richter entschieden, dass ein Zugriff auf den nicht-codierenden Bereich der DNA zulässig ist, da auf ihm keine persönlichkeitsrelevanten Merkmale gespeichert seien. Im Umkehrschluss sei ein Zugriff auf den codierenden, persönlichkeitsrelevante Informationen enthaltenden Bereich untersagt. Der Stand der forensischen Wissenschaft war zur Zeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedoch weitaus weniger fortgeschritten als heute. Es verwundert daher nicht, dass die damals festgelegte Differenzierung aus heutiger wissenschaftlicher Sicht, insbesondere aus Sicht forensischer Experten, nicht mehr tragbar ist.

Zahlreiche Studien haben seit 2001 auch persönlichkeitsrelevante Informationen auf DNA-Bereichen entdeckt, die vormals dem „nicht-codierenden Bereich” zugeordnet wurden. Es ist daher durchaus möglich, durch Analyse dieses vermeintlich nicht-codierenden DNA-Bereichs Rückschlüsse auf Erbanlagen, Charaktermerkmale und Krankheiten zu ziehen.

Hielte man sich strikt an die vom Bundesverfassungsgericht definierten Leitlinien, wäre die DNA-Analyse zur Bestimmung äußerer Merkmale gänzlich unzulässig, da sämtliche DNA-Bereiche potenziell persönlichkeitsrelevante Informationen enthalten können. Eine Fortführung würde streng genommen neue Maßstäbe erfordern, die sich von der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG lösen und die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs nicht mehr daran messen, ob dieser den codierenden oder den nicht-codierenden Bereich betrifft.

Der Gesetzgeber setzte solche neuen Maßstäbe, als er die erweiterte DNA-Analyse gesetzlich verankerte. Die dabei untersuchten Sequenzen befinden sich auf dem codierenden Bereich der DNA. Der Gesetzgeber begründet die Zulässigkeit des Eingriffs – in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – damit, dass es sich bei Augen-, Haar- und Hautfarbe um äußerlich erkennbare Merkmale handele, die keine besondere Persönlichkeitsrelevanz aufwiesen. Damit suggerierte er auch, dass die Auswertung dieser Bereiche der DNA weniger eingriffsintensiv sei, solange diese Auswertung im Ergebnis nur Aussagen zum äußeren Erscheinungsbild ermöglichen soll. Dies greift allerdings deutlich zu kurz: die Merkmale der erweiterten DNA-Analyse lassen in hohem Maße auch Aussagen für andere hoch diskriminierungsträchtige oder sensitive Merkmale zu.

Ob der jüngste Vorstoß der Innen- und Justizminister doch noch zu einer Änderung des § 81e StPO führen wird, wird sich zeitnah zeigen. Doch um die Vehemenz zu verstehen, mit der diese für die erneute Änderung des § 81e StPO werben, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Um die Befugnisse der Ermittlungsbehörden wird insbesondere im Zusammenhang mit der DNA-Analyse gerne und wiederholt gerungen. Schließlich klingt es nach einem Allheilmittel für mühselige und stockende Ermittlungen: An die Stelle unzuverlässiger Zeugen tritt das genetische Phantombild, abgeleitet aus dem genetischen Fingerabdruck. Dieser vergisst nicht, verwechselt nicht und liefert zuverlässig Ergebnisse, die man nur aus dem genetischen Code eines jeden Menschen abrufen muss. So jedenfalls lesen sich die Argumente der Befürworter, die nicht müde werden, sie zu wiederholen.

Ein Mordfall als Ausgangspunkt

Auslöser der in Deutschland immer wiederkehrenden Forderung nach der Ausweitung der molekulargenetischen Untersuchung im Strafverfahren war der gewaltsame Tod einer Freiburger Medizinstudentin im Jahre 2016. Man fand am Tatort ein Haar des mutmaßlichen Täters, durfte dieses jedoch aufgrund der fehlenden Befugnis zur phänotypischen Analyse nicht in Bezug auf die äußeren Merkmale des Spurenverursachers auswerten. Der Abgleich der DNA in der bundesweiten Analysedatenbank ergab zudem keinen Treffer. Ironischerweise wurde dieser Fall – der nun als Grundstein für die erweiterte DNA-Analyse im Strafprozess gilt – mittels Videoüberwachung gelöst. Die Ermittlungsbehörden fanden ein zur Hälfte blondiertes Haar, das nach Abgleich mit Videoaufzeichnungen der Straßenbahn zum Täter führte. Als Reaktion auf die dadurch aufgekommenen rechtspolitischen Forderungen nach der Erweiterung der strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen, brachte die Landesregierung Baden-Württembergs im Februar 2017 eine Gesetzesinitiative zur Reform des § 81e Abs. 2 StPO in den Bundesrat ein. Diese sollte die Auswertung von DNA-Spurenmaterial unbekannter Herkunft auf Feststellungen über das Geschlecht, die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das biologische Alter ermöglichen. Die bayerische Landesregierung unterstützte diesen Vorstoß und brachte einen Änderungsantrag ein, welcher die erweiterte DNA-Analyse zusätzlich um Feststellungen zur Herkunft des Spurenverursachers ergänzen sollte. Dieser Vorschlag stieß jedoch nicht auf genügend Unterstützung im damaligen Bundesjustizministerium und wurde in der 18. Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt.

Der gescheiterte Vorstoß Bayerns 2018

Nachdem die Gesetzesinitiative von Bayern und Baden-Württemberg bundesweit scheiterte, wurden Änderungen auf landesrechtlicher, gefahrenabwehrrechtlicher Ebene angekündigt. Als erstes und bislang einziges Bundesland führte Bayern 2018 die Befugnis der Ermittlungsbehörden zur erweiterten DNA-Analyse inklusive der Ermittlung der biogeografischen Herkunft im damaligen Art. 32 Abs. 1 S. 2 PAG ein. Die biogeografische Herkunft einer Person konnte somit zur Abwehr von Gefahren für bedeutende Rechtsgüter ermittelt werden. Zur Notwendigkeit der Einführung dieser Maßnahme schwiegen die Unterlagen zum Gesetzesentwurf. Durch diese sehr weitgehenden Befugnisse der Polizeibehörden erhoffte sich die bayerische Landesregierung eine effektivere Gefahrenabwehr. Die darauffolgende Kritik an der bayerischen Regelung war weitreichend: Sie reichte von der Gefahr der Etablierung eines neuen Tools „für Racial Profiling” bis zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit. Auch aus wissenschaftlicher Perspektive war die Regelung höchst fraglich: Sie beruhte auf der Annahme, man könne durch die Entnahme kleinster DNA-Mengen die kontinentale Herkunft einer Person mit einer Wahrscheinlichkeit von über 99,9% bestimmen. Wissenschaftler bezweifeln jedoch, dass eine so genaue Bestimmung möglich ist. Auch die Spurenkommission hat diese Einschätzung schon relativiert. Es sind gerade keine pauschalen Aussagen über die Vorhersagegenauigkeit möglich. Die Vorstellung und oftmals propagierte Annahme, man könne mit kleinsten DNA-Spuren ein „genetisches Phantombild” erstellen, entbehrt einer wissenschaftlichen Grundlage. Dieser Kritik sah sich auch der bayerische Landesgesetzgeber nach der PAG-Reform ausgesetzt. Reagiert hat er darauf 2021 mit der begründungslosen Streichung des Merkmals der biogeografischen Herkunft aus der Befugnisnorm. Heute enthält das mittlerweile in Art. 32a PAG normierte Verfahren der erweiterten DNA-Analyse keine Ermächtigung mehr zur Ermittlung der biogeografischen Herkunft.

Die StPO-Novelle 2019

Mit Zusammentritt der neuen Bundesregierung zur 19. Legislaturperiode erhielt die erweiterte DNA-Analyse auch Rückhalt in der Bundesregierung: Der im Februar 2018 geschlossene Koalitionsvertrag von CSU/CDU und SPD sah eine Ausweitung der DNA-Analyse auf äußerliche Merkmale in § 81e StPO vor. Im Jahr 2019 ergänzte der Gesetzgeber schließlich auf Bundesebene die Ermittlungsbefugnisse im repressiven Bereich um die molekulargenetische Untersuchung äußerer Erscheinungsmerkmale in § 81e Abs. 2 S. 2 StPO. Die Regelung verzichtet allerdings auf die schon 2017 geforderte Einbeziehung des Merkmals der biogeografischen Herkunft. Empfehlungen, die erweiterte DNA-Analyse derart zu ergänzen, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt.

Ausblick

Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass bislang eine Normierung der DNA-Analyse, die die biogeografische Herkunft einschließt, zu Recht kritisch diskutiert wurde. Nun sind es erneut die Justizminister Bayerns und Baden-Württembergs, die eine Neufassung der erweiterten DNA-Analyse fordern. Weshalb ausgerechnet der bayerische Justizminister hieran so festhält, bleibt ungeklärt. Wesentliche Erfolge konnte die kurze und vorübergehende Novellierung des PAG jedenfalls nicht hervorgebracht haben. Andernfalls hätte man sich wohl kaum so sang- und klanglos wieder von ihr verabschiedet.

Ob sich die Bundesjustizministerin dafür einsetzen wird, die Bestimmung der biogeografischen Herkunft zu normieren, bleibt abzuwarten. Sie liefert jedenfalls nur begrenzte Informationen zum Erscheinungsbild des Spurenverursachers. Gleichzeitig besteht eine nicht unerhebliche Diskriminierungsgefahr. Wünschenswert wäre eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob die anvisierte Gesetzesänderung angesichts der begrenzten Aussagekraft tatsächlich verhältnismäßig wäre. Dass die Justizministerkonferenz dem Vorhaben nun ihre Unterstützung versagt hat, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.


SUGGESTED CITATION  Gorstein, Alina; Benner, Rabea: Das Ringen um das genetische Phantombild: Die Untersuchung der DNA auf die biogeografische Herkunft eines Menschen – bislang ein erfolgloses Unterfangen, VerfBlog, 2025/6/12, https://verfassungsblog.de/erweiterte-dna-analyse/, DOI: 10.59704/e758c14237176ddc.

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