18 January 2021

Es bedarf mehr

Die FFP2-Maskenpflicht, zusätzliche Kosten und Leistungen der Grundsicherung

Ab heute gilt in Bayern – und möglicherweise auch bald bundesweit – im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und im Einzelhandel die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske. Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen oder ihr geringes Einkommen mit Leistungen der Grundsicherung aufstocken müssen, trifft diese Pflicht besonders hart: Auf sie kommen Mehrkosten zu, die im Regelbedarf nicht zur Verfügung stehen. Es spricht viel dafür, dass die Jobcenter diese zusätzlichen Kosten als Mehrbedarf erstatten müssen.

Wer fährt noch mit Bus und Bahn?

Mit der FFP2-Maskenpflicht sollen die Bürger:innen – anders als mit der Alltagsmaske – nicht nur andere, sondern auch sich selbst vor dem Coronavirus, insbesondere auch in der neuen, vermutlich deutlich ansteckenderen Variante B.1.1.7, schützen. Während in fast allen Einkommensschichten die tägliche Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs im Herbst verglichen mit dem ersten Lockdown im Frühjahr zurückgegangen ist, nutzen Menschen der untersten Einkommensschicht den ÖPNV doppelt so stark wie im Frühjahr. Ihr Job lässt vielen von ihnen keine andere Möglichkeit, da gerade Beschäftigte im Niedriglohnsektor nur eingeschränkt auf das Homeoffice ausweichen können. Wie sollen der Putzmann, die Hausmeisterin oder die Pflegekraft in Teilzeit von Zuhause aus arbeiten?

Wer den ÖPNV häufiger nutzt, hat aber auch einen größeren Bedarf an FFP2-Masken: Diese sind grundsätzlich als Einmalprodukte konzipiert und sollen daher regelmäßig ausgewechselt werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte weist darauf hin, dass es im privaten Bereich möglich ist, die Maske mehrfach zu verwenden, da etwa beim Einkaufen mit einer geringeren Erregerbelastung zu rechnen ist als an Hochrisikoorten wie im Krankenhaus (anders schon wieder bei langen Pendelzeiten im ÖPNV). Dennoch sollten die Masken regelmäßig ausgetauscht werden. Derzeit kostet eine FFP2-Maske zwischen 1,50 Euro und 3 Euro. Selbst bei einer – medizinisch nicht empfohlenen – Nutzung von nur einer Maske pro Woche kommen also leicht Zusatzkosten von 6 bis 12 Euro pro Person und Monat hinzu, eher jedoch noch mehr.

Wer zahlt die Zusatzkosten?

Der Freistaat Bayern stellt, so Stand 18.1.2021, 2,5 Mio. FFP2-Masken für Bedürftige und mildert so die finanzielle Härte ab, welche die Pflicht mit sich bringt. Die Landratsämter sollen 5 Masken pro Person verschicken. Unabhängig davon, dass noch unklar ist, wer zu den Maskenempfängern gehört: Was, wenn der Bedarf etwa wegen häufiger Nutzung des ÖPNV diese fünf Masken übersteigt? Wenn die verschickten Masken zu spät kommen oder die fünf zur Verfügung gestellten Masken verbraucht sind?

Sofern Personen Grundsicherung beziehen, und zwar unabhängig davon, ob sie ihr Leben ausschließlich über Grundsicherungsleistungen finanzieren oder sogenannte Aufstocker sind, stellt sich die Frage, ob das Jobcenter die Zusatzkosten übernimmt. (Passive) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II unterteilen sich – neben Kosten der Unterkunft – in Regelbedarfe und gegebenenfalls bestehende Mehrbedarfe (vgl. § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II). Ob das Jobcenter die Kosten für FFP2-Masken übernimmt, hängt davon ab, welchem Bedarf diese zugeordnet sind. Gehören sie zum Regelbedarf, sind die Kosten auch aus diesem zu bestreiten, unter Umständen muss der Leistungsberechtigte dann an anderer Stelle sparen. Mehrbedarfe hingegen werden zusätzlich zum Regelbedarf gezahlt, sind aber auch spezifischer geregelt.

Kein Regelbedarf

Der Regelbedarf wird in pauschalierter Höhe gewährleistet. Seine Höhe wird auf Grundlage der Ergebnisse einer bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelt. Dazu finden sich in der jeweiligen Gesetzesbegründung zur Regelbedarfsermittlung die Stichprobe sowie der daraus abgeleitete Bedarf wieder, woraus sich dann der Gesamtregelbedarf zusammensetzt. Er umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 20 Abs. 1 S. 1 SGB II). Sofern eine Maske in eine dieser Kategorien fällt, wäre sie grundsätzlich aus dem Regelbedarf zu finanzieren.

Bereits im Frühjahr 2020 hatte sich ein:e Leistungsberechtigte:r an das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen gewandt, um die Zusatzkosten für Mund-Nasen-Bedeckungen als Mehrbedarf anerkannt zu erhalten. Das LSG lehnte den Antrag ab und zeigt damit exemplarisch die zurückhaltende Anerkennung der Sozialgerichte bei pandemiebedingten Mehrbedarfen wie der Notbevorratung (SG Konstanz, 2.4.2020, S 1 AS 560/20 ER und LSG Hessen, 28.4.2020, L 4 SO 92/20 B ER) oder auch Covid-19-Tests (SG Frankfurt, 26.3.2020, S 16 AS 373/20 ER). Da nach der Corona-Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen eine textile Mund-Nasen-Bedeckung wie z. B. eine Alltagsmaske, ein Schal oder ein Tuch genügen, ließen sich diese als Bekleidung ansehen. Kosten für Bekleidung aber seien aus dem Regelbedarf zu bestreiten (LSG Nordrhein-Westfalen, 30.4.2020, L 7 AS 625/20 B ER).

Im Hinblick auf eine einfache Mund-Nasen-Bedeckung ist diese Entscheidung durchaus nachvollziehbar. Als Bekleidungsstücke sind Schal und Tuch unter Berücksichtigung von Winterbekleidung in die Berechnung des Regelbedarfs eingeflossen. Eine solche niedrigschwellige Mund-Nasen-Bedeckung lässt sich zudem kostengünstig zu Hause herstellen. Das ist eine Argumentation, auf die ein:e Leistungsbezieher:in im Rahmen der Eigenverantwortung, mit knappen Mitteln verantwortungsbewusst umzugehen, verwiesen werden kann.

Anders verhält es sich allerdings mit den nun in Bayern erforderlichen FFP2-Masken. Diese sind, anders als Tücher oder Schals, definitiv kein Kleidungsstück. Sie sind nicht in Haushalten vorhanden und lassen sich auch zu Hause nicht herstellen. Zudem sind sie bei der Berechnung des Regelbedarfs nicht berücksichtigt worden. Dieser setzt sich bei Einpersonenhaushalten aus u. a. 36,09 EUR für Bekleidung und Schuhe, 16,60 EUR für Gesundheitspflege und 34,71 EUR für andere Waren und Dienstleistungen zusammen (§ 5 Abs. 1 Regelbedarfsermittlungsgesetz 2021). Zu bedenken ist weiterhin, dass der Gesetzgeber die Regelbedarfe lediglich unter Berücksichtigung der Entwicklung der regelbedarfsrelevanten Preise sowie der Nettolöhne und ‑gehälter je Arbeitnehmer fortgeschrieben hat (§ 7 Abs. 2 Regelbedarfsermittlungsgesetz 2021). Einen Aufschlag für zusätzliche, im Zusammenhang mit der Pandemie stehende Ausgaben hat er trotz Kritik der Sozialverbände nicht in das Gesetz aufgenommen (Stellungnahme des VdK, S. 3).

FFP2-Masken sind auch keine Produkte zur Körperpflege. Zwar kann eine FFP2-Maske grundsätzlich unter den Begriff der Gesundheitspflege subsumiert werden, allerdings betrug dieser Bedarf 2020 noch 15,00 EUR und ist nun auf nur 16,60 EUR erhöht worden. Pandemiebedingt zusätzlich erforderliche Hygieneartikel sind hierbei aber nicht berücksichtigt.

Zudem handelt es sich bei FFP2-Masken nicht um persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. § 20 Abs. 1 S. 2 SGB II konkretisiert diesen unbestimmten Rechtsbegriff, wonach hierzu in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft gehört. Es soll sich um Bedürfnisse handeln, die zwar nicht jeden Tag vorkommen, aber im normalen Alltag auftreten und frei bestimmt werden können (vgl. Eicher/Luik/Saitzek, SGB II, § 20 Rn. 70). Während schon die erste Voraussetzung in einer pandemiebedingten Sondersituation zweifelhaft ist, gehört das Tragen einer FFP2-Maske im Rahmen einer gesetzlichen Verpflichtung nicht zur freien Bestimmung, schließlich gilt diese Verpflichtung auch in Geschäften des täglichen Lebensbedarfs. FFP2-Masken sind also nicht aus dem Regelbedarf zu bestreiten.

Pandemiebedingter Mehrbedarf

Anspruchsgrundlage für einen Mehrbedarf, der zusätzlich zum Regelbedarf gewährt wird, ist § 21 SGB II. In Betracht kommt ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II, der anerkannt wird, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, das heißt, wenn er dem Grunde nach nicht bereits in anderen Leistungsnormen berücksichtigt wird und durch eine außergewöhnliche Lebenssituation veranlasst worden ist. Letztere nimmt der Gesetzgeber an, wenn ohne die Bedarfsdeckung verfassungsrechtlich geschützte Güter außerhalb der Existenzminimumsicherung gefährdet wären (vgl. BT-Drs. 19/24034, S. 35).

Der Bedarf an FFP2-Masken ist wie gezeigt weder vom Regelbedarf erfasst noch von einer anderen Leistungsnorm. Hier kommt der sogenannte Nachranggrundsatz zum Tragen, wonach vorrangig andere Leistungen in Anspruch genommen werden sollen. In diesem Zusammenhang sind die Bedarfe der Grundsicherung von Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung abzugrenzen. Die Gesetzliche Krankenversicherung übernimmt allerdings grundsätzlich (mit einigen, hier nicht in Frage kommenden Ausnahmen) nur die Kosten für medizinisch indizierte Arznei‑, Hilfs- und Heilmittel. Dazu gehören die rechtsverordnungsweise vorgeschriebenen FFP2-Masken grundsätzlich nicht. Vorstellbar wäre dies etwa dann, wenn die betroffene Person derart erkrankt ist, dass jeder Kontakt zu Keimen den Gesundheitszustand erheblich verschlechtern würde.

Der Bedarf an FFP2-Masken liegt in der außergewöhnlichen Lebenssituation aufgrund der Pandemie und den damit einhergehenden Schutzmaßnahmen begründet, ohne die die Gesundheit gefährdet wäre (vgl. Röhner, info also 2020, 205 (208)): einerseits durch ein vom Bayerischen Verordnungsgeber angenommenes erhöhtes Infektionsrisiko und andererseits, indem der Leistungsberechtigte nicht mehr eigenverantwortlich Grundnahrungsmittel einkaufen könnte. Auf den Einkauf durch Dritte kann er angesichts der länger anhaltenden Situation nicht zumutbar verwiesen werden. Ebenso wenig kann er Lieferdienste nutzen, da diese gerade in ländlichen Regionen nicht flächendeckend zur Verfügung stehen und möglicherweise zusätzliche Kosten verursachen. Auch der Nutzung des ÖPNV zur Arbeit, zum Lebensmitteleinkauf oder zu einem anderen berechtigten Anliegen (etwa Pflege Angehöriger) liegen verfassungsrechtlich geschützte Güter zugrunde. Damit liegt ein besonderer Bedarf vor.

Der Bedarf ist außerdem unabweisbar im Sinne des § 21 Abs. 6 S. 2 SGB II: Er kann weder durch Zuwendungen Dritter noch unter durch Einsparungen gedeckt werden und seine Höhe weicht erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab. Zwar ist dem Leistungsberechtigten grundsätzlich zuzumuten, aus dem Regelbedarf für größere Anschaffungen anzusparen. Klassische Beispiele hierfür sind Ansparungen, um defekte Haushaltsgeräte zu ersetzen. Angesichts der kurzfristigen Ankündigung der FFP2-Maskenpflicht sind Ansparpotenziale aber nicht vorhanden. Zudem ist zweifelhaft, ob das im Rahmen der Eigenverantwortung verfügbare Einkommen auch dazu genutzt werden muss, gesetzliche Pflichten, deren Einhaltung für die Eindeckung mit dem Grundbedarf erforderlich ist, zu erfüllen. An anderer Stelle werden gesetzliche Zahlungspflichten etwa als Freibetrag auf verfügbares Einkommen berücksichtigt (z. B. § 11b Abs. 1 Nr. 1–4 SGB II).

Unabweisbarkeit enthält außerdem ein Erheblichkeitskriterium, das nicht pauschal beziffert werden kann, sondern vom Einzelfall abhängt (BVerfGE 137, 34, Rn. 117 f.). Zwar lehnt das Bundessozialgericht eine allgemeine Bagatellgrenze ab, doch verbleibt auch hier ein Bagatellbereich, der jedenfalls im Centbereich liegt (Gagel/Düring, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 61). Somit kann allein wegen eines vermeintlich geringen Betrages von 6 EUR – der ja auch nur dann so gering ist, wenn die Maske mehrfach und selten verwendet wird – die Erheblichkeit nicht verneint werden. Zudem sind gerade dauerhaft benötigte Hygienemittel, wie spezielle Seifen oder Cremes bei Neurodermitis, nach den Vorstellungen des Gesetzgebers typische Anwendungsfälle der Mehrbedarfsklausel des § 21 Abs. 6 SGB II (BT-Drs. 17/1465, S. 9).

Die Anerkennung der zusätzlichen Kosten für FFP2-Masken als Mehrbedarf gilt grundsätzlich auch für Aufstocker, denn zu berücksichtigendes Einkommen wird zunächst auf den Regelbedarf und erst dann auf Mehrbedarfe angerechnet (§ 19 Abs. 3 S. 2 SGB II). Anders ist dies erst dann, wenn ihr anzurechnendes Einkommen Regelsatz und Mehrbedarf übersteigt.

Geld statt Masken

Die Anerkennung der Mehrkosten für FFP2-Masken als Mehrbedarf ist auch Folge dessen, dass der Gesetzgeber im Regelbedarfsermittlungsgesetz 2021 keinen pauschalen Pandemiezusatzbedarf eingeführt oder den Regelsatz deutlich erhöht hat. Damit hätte die Möglichkeit bestanden, Einzelfallprüfungen zu vermeiden. Statt aber diesen Weg zu gehen, verteilt der Freistaat Bayern nun FFP2-Masken. Das mildert die mit der neuen Verpflichtung einhergehende Härte zwar ab und ist bei einem geltend gemachten Mehrbedarf zu berücksichtigen. Zugleich widerspricht dies aber dem Prinzip der Eigenverantwortung: Nach §§ 1 Abs. 2 S. 1, 20 Abs. 1 S. 4 SGB II entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich über den Einsatz ihrer Mittel. Die Leistungen werden pauschal ausgezahlt, was aber der Leistungsberechtigte benötigt und sich leistet, entscheidet grundsätzlich er. Zwar darf der Gesetzgeber sich zu einer Lösung über Sachleistungen entscheiden, wegen des intensiven Eingriffs in die Freiheit des Leistungsberechtigten sollen diese aber die Ausnahme bleiben.

Für engagierte Diskussion und Kritik danke ich Prof. Dr. Thorsten Kingreen und Maria Deutinger.


SUGGESTED CITATION  Mülder, Marje: Es bedarf mehr: Die FFP2-Maskenpflicht, zusätzliche Kosten und Leistungen der Grundsicherung, VerfBlog, 2021/1/18, https://verfassungsblog.de/es-bedarf-mehr/, DOI: 10.17176/20210119-024504-0.

2 Comments

  1. Michael Voß Mon 18 Jan 2021 at 18:56 - Reply

    Sehr geehrte Frau Mülder,

    vielen Dank für Ihre umfassenden und stringenten Ausführungen im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit der Kosten für FFP 2-Masken bei bestehendem Sozialleistungsbezug (SGB II & SGB XII). Sehen Sie auch eine Anspruchsgrundlage für Menschen, welche in einer gleichen oder vergleichbaren Einkommenslage, jedoch nicht im Leistungsbezug sind, die Kosten für die Masken erstattet zu erhalten? Eine direkte Anspruchsgrundlage im IfSG oder sonstigen Gesetzen dürfte es kaum geben, oder? Ich habe mal nachgeforscht, jedoch nichts gefunden.

    Sollten Sie hierzu eine Idee haben wäre es maximal hilfreich, auch hierzu einen Artikel zu verfassen, auf welchen ich mich bereits jetzt freue.

    Mit freundlichen Grüßen

    Michael Voß
    Göttingen