Fake oder Fiktion?
Deepfakes und die Kunstfreiheit
KI trennt die Stimme von der Zunge, das Gesicht vom Körper und macht sie zu beweglichen Instrumenten in den Händen anderer. Unsere digitalen Replikate können in lebensechten und doch völlig künstlichen Szenarien eingesetzt werden – sei es in ausgeklügelten Täuschungen oder offen fiktiven Szenarien. Beides wird gemeinhin als „Deepfake“ bezeichnet. Die Verbindung zwischen einer Person und der Repräsentation ihres Körpers verliert dadurch ihre Gewissheit. Während wir die Kontrolle über unseren eigenen Körper als selbstverständlich ansehen, muss die Kontrolle über unser digitales Abbild rechtlich fixiert werden.
Die neuen technischen Möglichkeiten bergen erhebliche Risiken. Sie ermöglichen aber auch neue Chancen der Selbstverwirklichung in der Kunst und der einvernehmlichen Kommerzialisierung in der Unterhaltung. Hier ist schon der Begriff Deepfake ein epistemisches Hindernis: Lebensechte Fiktion ist ein alter Traum der Kunstgeschichte und ein natürliches Bedürfnis menschlicher Kreativität. Menschen werden gemalt und fotografiert, in Romanen beschrieben und in Liedern besungen – oft ohne ihre Zustimmung. Dass sie nun auf neue Weise zum Gegenstand künstlerischer Nutzung gemacht werden können, ist vor allem eine Erweiterung des künstlerischen Potenzials. Aus dieser Perspektive sind manche Deepfakes Schlüsselromane auf der Höhe der Zeit. Genau wie diese genießen sie als Kunstwerke den Schutz der Kunstfreiheit. Ein generelles Verbot, wie es eine Gruppe von Künstlern fordert, würde zwar Missbrauchsgefahren reduzieren, aber auch den künstlerischen Einsatz der neuen Technik übermäßig stark einschränken.
Die beginnende Deepfake-Regulierung
Deepfakes beschäftigen transatlantisch Gesetzgeber und Gerichte, aber auch Künstler, Schauspieler und die Medienbranche: In einem Aufruf von Künstlern, der auch in Die Zeit vom 20. März 2025 veröffentlicht wurde, wird das strafbewehrte Verbot von Deepfakes ohne Einwilligung der Dargestellten gefordert. Man fürchtet einen „Tsunami aus Fälschungen“ der es zunehmend erschwert, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden: „Dadurch gefährden Deepfakes und Bots unsere Demokratie, denn Demokratie braucht Vertrauen, und Vertrauen braucht Wahrhaftigkeit.” Weiter heißt es: „Satire braucht keine Deepfakes! Sie kommt seit Jahrtausenden sehr gut ohne aus.“ Pardon wird nicht gegeben: „Um Wirkung zu entfalten, muss das Verbot allgemein und absolut sein.“ Man erhofft sich Maßnahmen durch die neue Bundesregierung, die über die Vorgaben der KI-Verordnung der EU hinausgehen. Diese definiert Deepfakes in ihrem Art. 3 Nr. 60 als einen „durch KI erzeugten oder manipulierten Bild-, Ton- oder Videoinhalt, der wirklichen Personen, Gegenständen, Orten, Einrichtungen oder Ereignissen ähnelt und einer Person fälschlicherweise als echt oder wahrheitsgemäß erscheinen würde“. Sie gibt KI-Verwendern in Art. 50 eine Transparenzpflicht vor, die bei bestimmter Nutzung nach Abs. 4 S. 3 milder ausfällt: „Ist der Inhalt Teil eines offensichtlich künstlerischen, kreativen, satirischen, fiktionalen oder analogen Werks oder Programms, so beschränken sich die in diesem Absatz festgelegten Transparenzpflichten darauf, das Vorhandensein solcher erzeugten oder manipulierten Inhalte in geeigneter Weise offenzulegen, die die Darstellung oder den Genuss des Werks nicht beeinträchtigt.“ Die Unterzeichner des genannten Aufrufs wünschen sich demgegenüber ein generelles, durch das Strafrecht bewährtes Verbot von Deepfakes ohne Einwilligung der Betroffenen.
In den Vereinigten Staaten findet der No Fakes Act im Kongress überparteiliche Unterstützung. Er will Betroffenen ein einheitliches Recht an ihrer digitalen lebensechten Abbildung geben und deren Verwendung so an ihre Zustimmung binden. Dabei sieht er aber Ausnahmen etwa für Satire und Dokumentationen vor. In Kalifornien wurden bereits mehrere Gesetze erlassen, die europäischen Vorgaben ähneln (AB 2655, 2839, 2355). Weil es kein dem deutschen und europäischen Recht vergleichbares Persönlichkeitsrecht gibt, ist die Rechtslage für Betroffene in den meisten US-Bundesstaaten schlechter als in der Bundesrepublik. Im aktuellen Hollywood-Tarifvertrag wurde eine entsprechende Klausel bereits aufgenommen: Die Studios dürfen KI-Replikate der Schauspieler nur mit Zustimmung und gegen Vergütung verwenden. Hollywood zeigt, dass die gesamte Unterhaltungsindustrie vor einem radikalen Umbruch steht, der ihre Wertschöpfungskette verändert. Schauspieler brauchen nicht mehr zu schauspielern. Ihr digitales Alter Ego wird zu einem Vermögenswert, der unabhängig von der Person, zu der er gehört, genutzt werden kann. Das deutsche Persönlichkeitsrecht ist auf diese neuen Möglichkeiten schlecht vorbereitet: Sein paternalistischer Ansatz gibt dem Einzelnen zwar das Recht, die Nutzung durch Dritte zu verhindern, nicht aber, sie voll autonom zu gestalten.
Dein Körper, meine Kunst? Deepfakes im Schutzbereich der Kunstfreiheit
Die neue Fähigkeit digitaler Puppenspieler, andere singen und tanzen zu lassen, birgt bisher unbekannte Risiken für die Privatsphäre und die Würde der Betroffenen. Doch ein von Angst getriebener Diskurs ist einseitig auf Risiken fixiert und lässt dabei die Kunstfreiheit außer Acht.
Schon der Begriff „Deepfake“ hat einen negativen Beigeschmack. Er wird dem kreativen Potenzial der neuen Technologie nicht gerecht, deren Anwendungsfälle sich nicht auf Täuschungen beschränken lassen: Fiktion ist etwas anderes als Fälschung. Deepfakes können beiden Zwecken dienen. Ton und Bild verlieren ihren repräsentativen Charakter und gleichen immer mehr einem Text, dessen Wahrheitsgehalt wir auch nicht voraussetzen. Was uns heute ganz selbstverständlich erscheint, war nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert eine Medienrevolution, die erst in mühsamer Anpassung politisch, rechtlich und religiös verarbeitet wurde. Die wüsten Flugblätter der bald folgenden Reformationszeit trafen noch auf Leser, welchen das gedruckte Wort als solches ganz selbstverständlich wahr war. Heute müssen wir die gleiche Lektion für lebensechte Darstellungen lernen.
Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schützt die Freiheit der Kunst ohne Begrenzung auf bestimmte Werktypen oder Medien. Auch KI-generierte Inhalte können Ausdruck individueller schöpferischer Gestaltung sein und damit unter dieses Grundrecht fallen. Zwar reicht dafür nicht ein beliebiger Prompt in einem Bild-, Ton-, oder Videogenerator. Wer mit einem KI-Bildgenerator „cute kittens“ einfordert, wird dadurch nicht zum Künstler. Aber wenn ein Verwender sich einer KI mit eigenem Formwillen und einem hinreichenden Prozesskontrolle bedient, schafft er mithilfe der KI, Kunst (Lennartz, JZ 2024, 1016). Dass dies im Äußerungsrecht und im Urheberrecht erst einmal Irritation und Widerspruch auslöst, ist in der Kunstgeschichte ein sattsam bekanntes Problem. Das Fotografieren Kunst sein kann, war auch lange umstritten. Schließlich kommt das Werk durch den technischen Prozess zustande, den der Photograph nur auslöst – ganz wie ein Künstler heute eine KI per Prompt in Bewegung setzt.
Dem Leben abgeschaute Kunst als Rechtsproblem
Die Darstellung von Personen ohne oder gegen ihren Willen ist nichts Neues. Und die Darstellung nah am Leben ist erst einmal keine (Ver-)Fälschung. Für die Kunst, konkret den Schlüsselroman, hat dies das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten und wichtigsten Entscheidung zur Kunstfreiheit verdeutlicht: Mephisto. Klaus Manns Roman schildert den Aufstieg des ebenso begabten wie erfolgsgierigen Schauspielers und Intendanten Hendrik Höfgen im Nationalsozialismus. Die Figur erscheint als Darstellung Gustaf Gründgens, Klaus Manns ehemaligem Schwager – so sehr, dass das OLG Hamburg den Roman als „Schmähschrift in Romanform“ beschrieb (BVerfGE 30, 173 (199)). Gründgens Adoptivsohn sah Gründgens Persönlichkeitsrecht verletzt und wollte den Vertrieb des Buches in der Bundesrepublik verhindern – was ihm auch gelang. Aber dieser Erfolg stand in Karlsruhe am Ende einer Abwägung im konkreten Fall. Er war nicht die ungeprüfte Folge eines generellen Verbots einer bestimmten künstlerischen Technik. Die abweichende Meinung des Richters Stein wurde später (etwa in Esra) für die Rechtsprechung des Gerichts prägend. Darin bestand er auf den ästhetischen Selbststand des Kunstwerkes, der auch durch dessen Nähe zur Realität nicht aufgehoben wurde. Über Romane wie Klaus Manns „Mephisto“, Maxim Billers „Esra“, zuletzt Benjamin von Stuckrad-Barres „Noch wach?“ und Christoph Peters „Innerstädtischer Tod“ kann man streiten. Sie alle trafen die echten Vorbilder für in ihnen auftretende Figuren. Aber niemand würde auf die Idee kommen, Schlüsselromane generell zu verbieten.
Nun ist ein Roman etwas anderes als eine lebensechte Darstellung in Bild und/oder Ton. Das eigene Bild ist durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfasst und wird bei seiner Nutzung zu künstlerischen Zwecken durch § 22 KuG geschützt. Danach dürfen Bilder „nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.“ Aber gleich der folgende § 23 KuG schafft Ausnahmen, unter anderem in Abs. 1 Nr. 4 für solche Bilder, deren “Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.“ Auch jenseits der Kunst kommen sog. „Zwangskommerzialisierungen“ immer wieder vor. Ob durch Double oder Retusche, Deepfakes sind nur die neueste Variante einer alten Praxis. Das Marlene-Dietrich-Urteil des BGH betrifft eine Fotografie, auf der eine bekannte Szene aus dem Film „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich von einer ähnlich gekleideten Person nachgestellt wurde. Und jeder Zeitungsleser kennt die Sixt-Werbung mit Politikern – Angela Merkel wurde nicht gefragt, ob sie Cabrio fahren will und Robert Habeck hätte auf das Angebot eines Umzugswagens gerne verzichtet. Die Politiker hätten dagegen (wie früher einmal Oskar Lafontaine) auf Unterlassung, vielleicht Schadensersatz klagen und vielleicht obsiegen können – die Entscheidung lag aber bei ihnen, nicht beim Staatsanwalt. Je näher am Original, desto schwerer wiegt das Persönlichkeitsrecht. Das gilt für die Urbild/Abbild Dogmatik bei Romanen, aber auch im Verhältnis von unterschiedlichen Darstellungsformen. Der Spielraum zur Nutzung eines Anderen im Roman ist weiter als im Bild. Bei Deepfakes spricht alles für einen besonders strengen Maßstab. Aber eben nur bei der Bewertung eines konkret generierten Inhalts, nicht durch das Verbot einer Technik per se.
Missbrauch lässt sich mit dem geltenden Recht bekämpfen
Der technische Fortschritt ist kein Grund vom überkommenen Standard abzuweichen und die Kontrolle über das eigene Erscheinen in Kunst und Medien ganz in die Hand der Betroffenen zu legen. Es wäre ein Verlust nicht nur für Künstler, sondern auch für ihr Publikum. Zu sagen, dass Satire keine Deepfakes brauche, weil man in der Vergangenheit auch ohne konnte, ist nicht nur trostlos technik-, sondern auch kunstfeindlich. Portraitmaler empfanden die aufkommende Fotografie auch als überflüssig, Kuratoren für das 19 Jahrhundert interessieren sich nicht für Memes, alte Regisseure spielen keine Videospiele – junge Kunstformen muss man auch vor alten Künstlern schützen. Die Unterzeichner garnieren ihren Aufruf mit der zeitgeistigen Warnung vor Desinformation – immer ein Zeichen für mangelndes Vertrauen in die Mitbürger. Walter Benjamin sah durch das Radio den faschistischen Führer in jedes Haus kommen, in Amerika sah man später durch das Fernsehen die Politik zu reiner Oberfläche verkommen – die Demokratie ist dann doch nicht verschwunden. Viel spricht dafür, dass es mit Internet-Plattformen und nachschaffenden Algorithmen genauso ist. Deepfakes haben bisher noch keine Betrüger in die Regierung gebracht, das Argument mit digitaler Desinformation hat aber schon dazu gedient, eine Wahl in Europa zu annullieren. Der Begriff und die mit ihm verbundenen Vorstellungen sind schlecht gealtert.
Auch ohne neue Gesetze erreichte der Medizinjournalist und Unterzeichner des Verbots-Aufrufs Eckart von Hirschhausen vor dem OLG Frankfurt, dass Meta Deepfakes von ihm löschen muss. In diesen warb sein digitales Alter Ego für Abnehmprodukte. In diesem Wiedergänger des Herrenreiter-Falles nahm von Hirschhausen nicht den Uploader, sondern per Störerhaftung die Plattform in Haftung. Der entsprechende Anspruch ergab sich aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Er erfordert – typisch für das Äußerungsrecht – aber eine Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten. Im konkreten Fall war diese Abwägung einfach und ging zu seinen Gunsten aus. In anderen Fällen mag es anders sein – und das ist auch gut so. Es gibt nicht nur Betrugsversuche mit der neuen Technik, sondern auch Deepfakes mit künstlerischem Anspruch, die offen als synthetisch ausgeflaggt werden: Ein Beispiel ist David Guetta, wenn er unter dem Jubel Tausender einen Eminem-Deepfake verwendet. Ist das ein Fall für den Staatsanwalt?
Fazit
Neuen technischen Möglichkeiten einen rechtlichen Riegel vorzuschieben, sollte keine selbstverständliche Reaktion sein. Vielmehr ist der beste Ansatzpunkt, das Phänomen zunächst als eine potenzielle Verbesserung der menschlichen Kreativität und Autonomie zu verstehen. Es ermöglicht eine Vervielfachung der Möglichkeiten zur Selbstdarstellung von Person und Körper. Die Verwendung von Nachbildungen kann Kunst sein, ist aber sicherlich Meinungsäußerung und als solche in jeder westlichen Rechtsordnung durch ein Grundrecht geschützt. Die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und künstlerischem Ausdruck muss der neuen Möglichkeit der realistischen Fiktion gerecht werden. Aber ein pauschales Verbot ist mit der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht vereinbar.