Fleisch ist kein Gemüse: Die Schlussanträge zum Bio-Gütesiegel für Fleisch aus ritueller Schlachtung
In der Europäischen Union werden hunderte Millionen Säugetiere landwirtschaftlich genutzt. Im ersten Halbjahr 2018 produzierten gewerbliche Schlachtbetriebe in Deutschland 4,0 Millionen Tonnen Fleisch. Fleischerzeugnisse sind in erster Linie Wirtschaftsgüter, für die unionsrechtliche Vorgaben gelten. Diese dienen dem freien Warenverkehr, der Lebensmittelsicherheit, dem Verbraucherschutz – und dem Tierschutz (vgl. Art. 13 AEUV; zuvor Protokoll Nr. 33 zum EGV). Lediglich geringe Bruchteile der verkauften Fleischmenge werden nach den Standards ökologischer bzw. biologischer Landwirtschaft einerseits oder im Wege ritueller Schlachtungen andererseits erzeugt. Angesichts der auf niedrigem Niveau wachsenden Marktanteile dieser Produkte war es allerdings nur eine Frage der Zeit, bis diese jeweils besonderen Fälle der Fleischproduktion zusammentreffen würden.
Auf eine solche Situation geht der Fall eines Vorabentscheidungsersuchens der Cour administrative d’appel de Versailles zurück, für den nun die Schlussanträge vorliegen: Ein französischer Tierschutzverband hatte 2012 beim Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung beantragt, die Kennzeichnung „ökologischer/biologischer Landbau“ auf der Verpackung von als „halal“ zertifiziertem Hacksteak zu verbieten; dieses Fleisch stammt von Tieren, die rituell geschlachtet wurden, d.h. in der Regel ohne vorherige Betäubung. Die zuständige Stelle und anschließend das Verwaltungsgericht lehnten diesen Antrag ab. Das Berufungsgericht legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob die Vorschriften des Unionsrechts so auszulegen seien, dass die Vergabe des o.g. Gütezeichens für „halal“ produziertes Fleisch verboten sei (vgl. zum Verfahren Rn. 17 ff.).
Was ist „halal“?
Für den Ausdruck „halal“ beschreibt der Generalanwalt eine Unschärfe, die darauf zurückzuführen sei, dass die „Halal“-Zertifizierungsstellen in den Mitgliedstaaten die Anforderungen an rituelle Schlachtungen, insbesondere in Bezug auf die Frage des Ob und Wie einer Betäubung, uneinheitlich festlegten. Daher gebe es auf dem Markt auch als „halal“ gekennzeichnete Erzeugnisse, die aus Schlachtungen von Tieren stammten, die vorher betäubt worden seien. Die Kennzeichnung „halal“ sage sehr wenig über eine vorherige Betäubung bei der Schlachtung und gegebenenfalls über das gewählte Betäubungsverfahren aus.
Was ist „bio“?
Die Regelungen für die ökologische Landwirtschaft zur Unterbringung und Haltung von Tieren sind hingegen relativ detailliert (vgl. Art. 10-12, 18 Verordnung Nr. 889/2008) und stellen die Lebensverhältnisse (z.B. Besatzdichte und Ausstattung der Ställe), Futtermittel und den Umgang mit dem Tier in den Mittelpunkt. Die Schlachtung wird nur bei den Regelungen über das Mindestalter von Geflügel bei der Schlachtung und im Zusammenhang mit den Haltungsbüchern erwähnt. Die Verordnung enthält keine Vorschriften über die Schlachtung und kein Verbot der Schlachtung ohne Betäubung. Der Generalanwalt gibt an, sich schwerlich vorstellen zu können, dass das „Schweigen dieser Regelung zur eventuellen Schlachtung ohne Betäubung rein zufällig“ sei: Die Verordnung verbiete bestimmte Praktiken im Umgang mit Tieren; anders als für Säugetiere gebe es für ökologische/biologische Aquakulturen die Vorgabe, darauf zu achten, dass die Tiere sofort betäubt würden und keine Schmerzen empfänden; schließlich sei die Frage seit langem bekannt und werde durch die allgemeinen Regeln zur Tötung von Tieren zur Lebensmittelherstellung adressiert (vgl. Verordnung Nr. 1099/2009). Der Käufer von Waren mit dem Gütezeichen „ökologischer/biologischer Landbau“ könne nicht in einem Vertrauen auf etwas geschützt werden, was in der Verordnung zu diesem Gütesiegel überhaupt nicht geregelt sei.
Geht beides zusammen?
Demgegenüber verlangt Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1099/2009, dass die Tiere bei der Tötung und damit zusammenhängenden Tätigkeiten von jedem vermeidbaren Schmerz, Stress und Leiden verschont werden. Die Verordnung sieht die Betäubung bei der Schlachtung vor, erlaubt aber in Ausnahmefällen die rituelle Schlachtung ohne Betäubung (vgl. zum Regelungsregime EuGH, Urteil vom 29. Mai 2018, Rs. C-426/16). Dieser speziellen Regelung zur Schlachtung von Tieren gibt der Generalanwalt den Vorzug vor den Regelungen des ökologischen Landbaus – auf der Grundlage der letztgenannten Vorschriften kann man in der Tat allenfalls Maximen fingieren. Dem Tierschutz diene die Verordnung Nr. 1099/2009 gleichwohl, und daher müsse die rituelle Schlachtung besondere Anforderungen erfüllen. Religionsfreiheit und Tierschutz seien folglich miteinander abgewogen worden.
Der Generalanwalt argumentiert also mit dem positiven Recht, mit dem Verhältnis von allgemeinen und besonderen Vorschriften zueinander und von je besonderen Vorschriften untereinander sowie mit der Einheit der Rechtsordnung des Unionsrechts.
Fleisch ist kein Gemüse!
Dieser Zugriff auf das Problem und seine Lösung ist pragmatisch, verzichtet er doch auf die Hochzonung einer rechtlichen Frage auf die Ebene der Grundrechte. Gleichzeitig respektiert er Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten und die Pluralität der Vorstellungen, die mit der Kennzeichnung „halal“ verbunden sind. Die Tierschutzstandards, deren Einhaltung die Vorschriften zum ökologischen/biologischen Landbau einfordern und die höher sind als diejenigen der konventionellen Landwirtschaft, gelten für die gesamte Lebensdauer des Tieres. Sie sollen das Leiden des Tieres so gering wie möglich halten, auch bei der Schlachtung. Die Schlachtung ist jedoch eine besondere Form der Tötung des Tieres – das Tier wird zum Objekt gemacht. Tierschutz ist sowohl bei der konventionellen als auch bei der rituellen Schlachtung ein Optimierungsgebot – und im Hinblick auf das für die Lebensmittelgewinnung zu tötende Tier ein Widerspruch in sich. Diese Widersprüchlichkeit müssen Landwirte, Schlachter, Konsumenten aushalten. Sie soll, so das Ergebnis der Schlussanträge, nicht zu Lasten der rituellen Schlachtung gehen.
Das ist konsequent: Die Tötung ist für das Tier eine Katastrophe, im Sinne der altgriechischen καταστροφή eine Wendung, die auch im ökologischen Landbau im Sinne des Unionsrechts vorgesehen ist. Die tierschutzkonform durchgeführte rituelle Schlachtung wird voraussichtlich nie das Massengeschäft, das auf der konventionellen Schlachtung basiert. Man könnte den ökologischen Landbau auch so rekonstruieren, dass die Tötung von Tieren, ggf. auch ihre Nutzung insgesamt nicht vorgesehen wäre („Not your mom, not your milk“). Dies entspricht jedoch nicht der karnivoren Präferenz der deutlich überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in Europa, die sich in den rechtlichen Vorgaben spiegelt (vgl. auch die für Art. 72 Abs. 2 GG beachtliche Unterscheidung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG) – Fleischverzehr könnte daher, wie der Genuss von Tabak, auch als Teil der Kultur bezeichnet werden. Die Existenzberechtigung bestimmter Säugetiere und Vogelarten wird auf deren dienende Funktion gestützt.
Der Verzicht darauf, das Problem auf die Ebene des Verfassungsrechts hochzuzonen und das Spannungsfeld der Grundrechte, des Rechts der Religionsgemeinschaften und des Tierschutzes sowie der Kompetenzen der Mitgliedstaaten auf diese Weise zu vermessen, zeigt, dass Rechtsfragen nicht automatisch zu Verfassungsfragen gemacht werden müssen, um sie beantworten zu können. Der Abstand zum Primärrecht ist nicht nur hilfreich, um die Verfassungsfrage nicht als Machtfrage beantworten zu müssen, indem Macht z.B. über Religionsgemeinschaften ausgeübt würde. Dieser Verzicht stellt auch sicher, dass mit den sekundärrechtlichen Vorgaben gearbeitet und in diesem Rahmen eine Lösung gefunden wird. Freilich werden Beteiligte mit ihrem Rechtsvortrag zu betroffenen Grundrechten angehört (Art. 9, 14 EMRK, Art. 10 Charta der Grundrechte der EU) und sie erhalten in diesem Sinne auch eine Antwort: Die Religionsfreiheit garantiert nicht das Grundrecht, Fleischerzeugnisse erwerben zu können, die aus ökologischem Landbau stammen und halal sind. Dies schließt aber nicht aus, dass es rechtlich die Möglichkeit gibt, Fleischerzeugnisse aus ökologischem Landbau zugleich als „halal“ zu kennzeichnen. Diese Wertung wird aus verschiedenen Gründen abgelehnt werden, etwa wegen der eigenen Entscheidung für eine vegetarische Ernährung oder Antipathien gegenüber denjenigen, die aus religiösen Gründen nur Fleischerzeugnisse aus ritueller Schlachtung verzehren. Dies ändert indes nichts daran, dass das Ergebnis des Generalanwalts rechtlich begründet ist. So ist der Lösungsansatz eher ein Zeichen gelungener – nicht nur auf die Religion bezogener – Integration als eine Provokation.
Dass die mit dem hohen Fleischkonsum verbundene Widersprüchlichkeit der „imperialen Lebensweise“ (Ulrich Brand/Markus Wissen, 2017) nicht durch ein Ausspielen des biologischen/ökologischen Landbaus gegen das rituelle Schlachten vertieft wird, mag noch einen weiteren Grund haben: In der Europäischen Union finden pro Jahr ca. 170 Millionen Nutztiertransporte statt. Davon sind etwa zehn Prozent Langstreckentransporte von mehr als acht Stunden (vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Exporte von lebenden Nutztieren aus der EU in Nicht-EU-Länder, 2016, Az. WD 5-3000-059/16), regelmäßig mit dem Ziel der Schlachtung innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union. Defizite des Tierschutzes können daher ungeachtet der Schlachtmethode nicht nur in EU-Schlachthöfen, sondern zum Beispiel auch an der bulgarisch-türkischen oder an der griechisch-türkischen Grenze besichtigt werden (vgl. Manfred Karremann, 37° – Geheimsache Tiertransporte. Wenn Gesetze nicht schützen, 2017).
Eine indirekt mit betroffene Grundrechtsposition kann noch Gewissen-(“negative” Religions-)Freiheit sein. Eine Kennzeichnung besonderen ökologischen Wertes kann irreführend mehr verleiten, Nahrung zu sich zu nehmen, welche eigener Gewissens- oder religiöser Überzeugung widerspricht. Das kann indirekt belastende innere Gewisens- oder religiöse Konflikte bewirken. Eine so indirekt eventuell mit belastete Gewissens- oder Religionsfreiheit kann mit anderen Grundrechtsinteressen abzuwägen sein. So etwa mit wirtschaftlicher Freiheit, Eigentum grundsätzlich frei bezeichnen zu dürfen, ebenso im Wirtschaftsverkehr.
Ein danach nötiger Interessenausgleich kann dazu führen, dass mögliche indirektt belastende Irreführung soweit vertetbar zu vermeiden sein sollte.
Eine Begrifflichkeit wie halal kann dafür U.U. noch nicht genügen, soweit ein genauerer Inhalt davon weniger geläufig scheinen kann.
M.E. kann dabei zudem noch rechtlich grundsätzlich verlangt sein, dass Produkte, welche halal als besonders ökölogisch wertvoll gekennzeichnet sein sollen, grundsätzlich mit ausdrücklich aufklärend kennzeichnen müssen, inwieweit mit Betäubung besonders rituell geschlachtet ist.
Entsprechende Grundrechtsabwägungen können zusätzlich noch national bedeutsam sein. So etwa bei einer Frage, inwiweit solche Kennzeichnung irreführend national wettbewerswidrig sein kann usw.