Formlos verfassungsändernde ‘Staatspraxis’ und Gesetzesauslegung nach Parlamentsrede
Zum Mietendeckel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute über die Normenkontrollen gegen das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln, sog. Mietendeckel) entschieden. Das Gesetz ist nicht mit Wirkung für die Zukunft für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden, sondern rückwirkend für nichtig.
Der Senat ist der Auffassung, dass dem Land Berlin keine Gesetzgebungskompetenz für den Erlass von öffentlich-rechtlichen Mietpreisgrenzen zusteht. Er begründet diese Auffassung in zwei Schritten: Erstens handele es sich bei jedweden Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum um bürgerliches Recht, das bekanntlich der konkurrierenden Gesetzgebung unterfällt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG). Im Kompetenztitel des Wohnungswesens, das bekanntlich der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder unterfällt (Art. 70 Abs. 1 GG), seien Mietpreisgrenzen darum nicht mehr enthalten. Mit Bezug auf die Miethöhe habe der Bund, zweitens, mit der sog. Mietpreisbremse (§§ 556d ff. BGB) von seiner Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht.
Damit hat das Gericht die ungünstigste, verfassungspolitisch sowie praktisch folgenreichste Entscheidung getroffen, die in der Sache denkbar war.
Zum ersten Schritt
Unbestreitbar richtig ist: Der einfache Bundesgesetzgeber hat sich in der Nachkriegszeit politisch entschieden, im Bereich des frei finanzierten Wohnraums hinsichtlich der Preisbildung mit zunehmender Ausschließlichkeit auf das bürgerliche Recht in Gestalt des sog. sozialen Mietrechts zu setzen. Diese politische Entscheidung hat der Bundesgesetzgeber über die Jahrzehnte konsequent durchgearbeitet und die entsprechenden Regeln auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder angepasst.
2006 aber hat der verfassungsändernde Bundesgesetzgeber mit dem Kompetenztitel Wohnungswesen ausschließlich den Ländern die öffentlich-rechtlichen Instrumente zur Bewältigung der Probleme sozialer Wohnungsversorgung an die Hand gegeben. Damit geht eigentlich einher, dass seitdem die Länder auch die Autorität innehaben, politisch über den Einsatz dieser Instrumente zu entscheiden. Zu diesen gehörte lange anerkannt auch öffentlich-rechtliches Preisrecht in Gestalt von politisch bezifferten und damit vom Marktmechanismus entkoppelten Mietpreisgrenzen.
Das Bundesverfassungsgericht sagt nun in der Quintessenz: Indem sich der Bundesgesetzgeber politisch konsequent für das bürgerliche Recht entschieden hat, hat er zugleich den verfassungsrechtlichen Kompetenztitel des Wohnungswesens um Mietpreisgrenzen verkürzt (Rn. 180 ff.).
Das ist verfassungsrechtlich nicht vertretbar. Der Gehalt von Kompetenztiteln kann nicht durch die politische Ausrichtung der Aktivität des einfachen Bundesgesetzgebers geändert werden, und sei sie auch über längere Zeit konsequent durchgehalten. Der Gehalt von Kompetenztiteln kann nur durch förmliche Verfassungsänderung geändert werden. Das Gericht meint offenbar, es könne sich für diesen Zug auf die Relevanz der Staatspraxis für die Auslegung von Kompetenztiteln berufen. Relevanz der Staatspraxis bedeutet aber sicher nicht, dem einfachen Gesetzgeber im Wege der Gesetzesbegründung – nur da finden sich die Angaben zu politischen Alternativen und Kompetenztiteln – die Manipulation des Gehalts der verfassungsrechtlichen Kompetenztitel zu eröffnen.
Am Rande sei notiert: noch 1993 hatte der Bundesgesetzgeber eine Änderung des sozialen Mietrechts ausdrücklich auch auf den Kompetenztitel des Wohnungswesens gestützt. Und schon 13 Jahre später waren – nach Auffassung des Senats – sämtliche Regelungen zur Mietpreishöhe zum Kompetenztitel bürgerlichen Recht übersiedelt. Es scheint eine recht dynamische Sache zu sein, diese neue, formlos verfassungsändernde „Staatspraxis“.
Zum zweiten Schritt
Für den angeblich abschließenden Charakter der bürgerlich-rechtlichen Regeln des Bundes lässt das Bundesverfassungsgericht die einschlägige Vorschrift des BGB, die öffentlich-rechtliche Mietpreisgrenzen explizit anspricht (§ 558 Abs. 2 S. 2 BGB), erstaunlicher Weise außen vor. Dabei wäre eine Behandlung interessant gewesen: Einer Regelung, welche die Existenz von Mietpreisgrenzen jenseits des BGB voraussetzt, wird man eigentlich schwerlich einen abschließenden Charakter gegenüber jenen beilegen können. (Es ist behauptet worden, damit seien nur Preisgrenzen für öffentlich geförderten Wohnraum gemeint. Das ist aber historisch einfach falsch.)
Davon abgesehen lässt sich ein abschließender Charakter weder den bürgerlich-rechtlichen Regeln selbst noch den förmlichen Gesetzesmaterialien entnehmen. Darum muss das Gericht wesentlich mit protokollierten Äußerungen einzelner Parlamentarier argumentieren (Rn. 158). Nicht geringes Gewicht hat dabei eine Äußerung der Unions-Bundestagsabgeordneten Weisgerber (Schweinfurt), die in der Plenardebatte zur Mietpreisbremse eine „politische Verantwortungsübernahme des Bundes für die gesamte Wohnungspolitik“ reklamierte.
Die Legitimität einer solchen „politische Verantwortungsübernahme des Bundes“ für ein seit 2006 in die ausschließliche Kompetenz der Länder fallendes Problem sei dahingestellt. Jedenfalls ist der Zug des Senats methodisch nicht vertretbar. Denn, wie das Gericht an anderer Stelle selbst festhält (vgl. Rn. 106): Die subjektiven Vorstellungen einzelner Mitglieder der beteiligten Organe sind für die Ermittlung des objektiven Willens des Gesetzgebers nicht maßgeblich. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn sich die einzelne Äußerung nicht im Gesetzestext niedergeschlagen hat, sich nicht einmal auf den Gesetzestext beziehen, sondern darauf, was man mit dem Gesetz Tolles erreiche.
Zur rückwirkenden Nichtigkeit
Das Gesetz wurde rückwirkend für nichtig erklärt. Das entspricht zwar dem gesetzlich vorgesehenen Regelfall für verfassungswidrige Gesetze (§ 95 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 78 S. 1 BVerfGG), entspricht aber nicht unbedingt der regelmäßigen Praxis. Eine Unvereinbarkeitserklärung mit Wirkung für die Zukunft (vgl. § 31 Abs. 2 S. 3 GG) erfolgt insbesondere dann, wenn das rückwirkende Außerkrafttreten der Rechtsnorm erhebliche Nachteile mit sich bringen würde, die die Nachteile der zeitweisen Geltung des Gesetzes überwiegen. Ohne die hier im Raum stehenden Nachteile – die potentiell katastrophalen Konsequenzen aus der Nachzahlungsverpflichtung, gerade in Zeiten von Corona – auch nur in einem Halbsatz zu würdigen, sah der Senat hierzu „keinen Anlass“ (Rn. 187). Dabei hat das Gericht in der Vergangenheit für weitaus weniger gewichtige Belange von der Nichtigkeitsfolge abgesehen, wie das Erfordernis einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung oder die Belange von Studienplatzbewerbern.
Das Schweigen des Senats zu den praktischen Folgen ist auch deswegen bemerkenswert, weil die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erging. Da hätte sich der Senat über die sozialen Härten informieren können. Und vielleicht hätte er sich doch einem qualifizierten Rechtsgespräch aussetzen sollen über die oben behandelten Punkte.
Die Entscheidung kam für die Beteiligten so überraschend wie für die Öffentlichkeit. Bis vorgestern war nicht einmal klar, welcher Senat (wann) entscheiden würde. Die Zuständigkeit lag bei beiden Senaten. Im Ersten Senat waren bis heute die Verfassungsbeschwerden der Vermieter anhängig. Man kann nur spekulieren, wie die Sache im Ersten Senat ausgegangen wäre, und wie es kam, dass letztlich der Zweite das Rennen gemacht hat.
Florian Rödl ist Verfahrensbevollmächtigter des Landes Berlin in dem Verfahren um den Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht.
Die Entscheidung war im Lichte der Rechtssprechung der letzten Jahre vor allem eines: vorhersehbar.
Wenn erst 2019 zur Mietpreisbremse, einzig auf Grundlage Bürgerliches Recht, entschieden wurde, dass Ausgestaltung des sozialen Mietrechts (mit einer Gesetzesbegründung, die bis auf den Wortlaut(!) der des MietenWoG gleicht) dem Bund obliegt, dann musste man wissen, dass die Wahrscheinlichkeit einer inkonsistenten Kehrtwende nicht groß war.
Ackermann hatte es kommen sehen, wenngleich er sich ein anderes Ergebnis gewünscht hat. Die theatralische Empörung, die hier nun aufgeführt wird – nun ja. Helfen tut es niemandem.
“Angesichts übereinstimmender Ziele und nur graduell von- einander abweichender Regelungsinhalte24 wirkt jeder Ver- such, die Berliner Regelung außerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu verorten und sie auf diese Weise vor der Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG zu bewahren, gekünstelt, es sei denn, man stellt zugleich die Einordnung der bundesrechtlichen Mietpreisbremse als „bürgerliches Recht“ i. S. von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in Frage. Das gilt insbesondere für die mit einigem Aufwand begründete These, der Mietendeckel sei öffentliches Miet- preisrecht, das ehemals dem Kompetenztitel „Wohnungs- wesen“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG unterfiel und mit dessen Abschaffung in der Föderalismusreform I 2006 gemäß der Grundregel des Art. 70 Abs. 1 GG in die Gesetzgebungs- kompetenz der Länder übergegangen sei.25 Das träfe aller- dings nur dann zu, wenn auch die BGB-Regelung des Miet- preisrechts in Wahrheit eine unter falscher Flagge segelnde Regulierung des Wohnungswesens wäre, die nunmehr den Ländern zugewiesen ist.”
Ackermann bis zum Schluss gelesen? Also insb. bis zur Frage des abschließenden Charakters der Mietpreisbremse?
Selbstverständlich. Die Erwiderung von Gerhard Wagner fand ich dann jedoch etwas überzeugender. Aber ich glaube das ist hier gar nicht der Punkt, oder?
Die Autoren hier argumentieren ja gerade ganz zentral mit dem Gehalt des Kompetenztitels Wohnungswesen. Und das trägt eben einfach nicht, wie selbst der Landeskompetenz-Befürworter Ackermann feststellte.
Dass das Gericht sich nach der Entscheidung zur Mietpreisbremse mit impliziter Kompetenzbestätigung durch Bürgerliches Recht nicht selbst schachmatt setzen würde, war doch relativ erwartbar, meine ich.
Wenn die Entscheidung nicht einstimmig (mit Fr. Wallrabenstein) ergangen wäre, hätte ich etwas mehr Verständnis für die Gegenargumente. So aber war die Sachen eben klar.
Im zweiten Teil des Beitrags (“Zum zweiten Schritt”) geht es doch explizit um die methodischen Mängel, die der Beschluss hinsichtlich der Frage des abschließenden Charakters der Mietpreisbremse aufweist. Insoweit haben Gather/Rödl und Ackermann m. E. einen guten Punkt. Dass das BVerfG erst einen objektiven Maßstab (Rn. 106) postuliert, um dann auf einzelne Aussage von Abgeordneten zu rekurrieren (Rn. 158), irritiert schon erheblich.
Den Verweis darauf, dass die Entscheidung 8:0 hinsichtlich des Ergebnisses und damit mit der Stimme von Frau Wallrabenstein ergangen sei, habe ich in den letzten beiden Tagen schon häufiger gelesen. Warum leiten Sie hieraus Unverständnis für die Gegenargumente ab? Argumente können nach einer Auseinandersetzung in der Sache – wie hier von Gather/Rödl erfolgt – weniger oder eben mehr überzeugend sein. Ein pauschaler Verweis auf das “klare” Abstimmungsergebnis am BVerfG langweilt mich ehrlich gesagt. Noch dazu ist es ja kein Geheimnis, dass man in Karlsruhe – auch mit Blick darauf, sich nicht selbst der eigenen Legitimation zu berauben – in den allermeisten Fällen “mit einer Stimme” spricht.
“Die in §§ 556d, 558 Abs. 3 Sätze 2, 3 BGB enthaltene Ermächtigung der Landes- regierungen, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten auszuweisen und so eine verschärfte bundesgesetzliche Preis- kontrolle zu erreichen, verlöre jeden vernünftigen Sinn, wenn die Länder befugt wären, ganz unabhängig davon ihr eigenes Preisrecht für Wohnraummietverhältnisse zu schaffen.” schreibt Gerhard Wagner treffend zum abschließenden Charakter der Mietpreisbremse.
Aber der Reihe nach:
Der Verweis auf die Klarheit des Ergebnisses ist unter anderem deshalb nicht unwichtig, weil hier in einem Gestus vorgetragen wird, der nahe am Diskreditierungsversuch (im Falle des Artikels von Hr. Wihl nicht nur nahe, sondern vollständig zutreffend) ist.
Auch weil (insb. vom Gesetzgeber) ständig insinuiert wurde, es wäre alles vollkommen strittig und man hätte ja nicht ahnen können, wie die Sache ausgeht. Und das obwohl man das Gesetz nachweislich aus politischen Gründen gegen die gesamte juristische Expertise der zuständigen Verwaltung durchsetzte (vgl. Herrlein/Tuschl), und gegen Gutachten, die man selbst in Auftrag gegeben hatte.
Aber in diesem speziellen Fall standen die Chancen in einem ganz bestimmten und sehr ungünstigen Verhältnis zu den Risiken – das konnte man durchaus wissen und man tut (jetzt weiter) so, als wäre das nicht so gewesen. Das ist aber angesichts der Tragweite, die das Scheitern des Deckels hat (und die konnte man von Beginn an absehen) keine Kleinigkeit, sondern dramatisch. Besonders für die, die man eigentlich schützen wollte. So weit meine allgemeinen/politischen Anmerkungen.
Dass der Senat auf das wörtliche Zitat von Luczak eingeht, empfand auch ich als fragwürdig/unnötig. Aber das hat auch viel mit meiner persönlichen Abneigung gegen Hr. Luczak zu tun, aus der ich hier keinen Hehl machen möchte. Mich nervt da also eher die Adelung, die dieser unsägliche Lobbyist erfährt. Aus meiner Sicht ist das aber ohnehin kein so zentrales Argument, wie hier behauptet wird.
Nochmal: entscheidend in der Argumentation der Kompetenzbefürworter*innen war es, zu behaupten, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber 2006 das Mietpreisrecht aufsplittern wollte, indem die Länder vermeintlich alle Kompetenzen aus dem Wohnungswesen bekommen – also auch Gestaltungsmöglichkeiten im Mietpreisrecht. Allein, das hat angesichts der Lage der Dinge nie getragen.
Mit Blick auf die enorme Wichtigkeit einer solchen Entscheidung, wäre es, das stellt auch das BVerfG in Rn 184 / 185 nochmal heraus und belegt umfassend, dass es einigermaßen abwegig ist, zu behaupten, dass das 2006 niemandem aufgefallen sein sollte und in der logischen Konsequenz dann auch keine Diskussionen zur Abgrenzung stattgefunden hatten, die sich hätten aufdrängen müssen. Wo es doch bei der Föderalismusreform gerade darum ging, die Kompetenzen KLARER zu verteilen, nicht unklarer.
Selbst wenn man nun daran noch immer einen Zweifel hatte und nach 2006 argumentieren wollte, dass die Länder eine Kompetenz aus dem Wohnungswesen besitzen, um im sozialen Mietrecht ebenfalls tätig zu werden, weil diese Kompetenz als “unbenannter Rest” auf die Länder übergegangen sei, hätte sich das allerspätestens 2019 mit der Entscheidung zur Mietpreisbremse erledigen müssen.
Diese hat ja implizit bestätigt, dass allein auf Grundlage Art 74 das soziale Mietpreisrecht ausgestaltet werden konnte, mit einer Begründung, die bis auf den Wortlaut jener des MietenWoG gleicht.
Und so war es auch kein Zufall, dass Max Putzer zuvor auch noch die Bundeskompetenz für die Mietpreisbremse in Frage gestellt hatte. Und damit “falsch” lag.
wobei verständlich ist, dass ein kompetenzwidriges Gesetz auch rückwirkend nichtig ist.
ansonsten könnte ein unzuständiger Gesetzgeber in Zukunft auf die Idee kommen, kompetenzwidrige Gesetze zu erlassen in der Hoffnung, dass bis zu Erklärung der Verfassungswidrigkeit schon aus seiner Sicht Vorteile entstanden sind
Das wäre allerdings noch schlimmer, wenn der Senat hier bewusst an den Mieter*innen ein Exempel für den Gesetzgeber statuiert hätte.
Im Übrigen: Ja, man kann nur spekulieren, wie die Entscheidung im ersten Senat ausgegangen wäre. Aber das an den Schluss Ihres Beitrags zu stellen spricht auch Bände. Denn dass der zweite Senat und eben nicht der erste Senat entschieden hat, fällt ja nicht vom Himmel, sondern war Folge eine Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache einen klaren Kompetenzverstoß zu sehen und deshalb dem Senat die Entscheidung zu überlassen, der für das Staatsrecht zuständig ist. Die Entscheidung erging dort dann einstimmig.
Mit Verlaub, aber schon Schritt 1 ist irrtümlich. Die Länder haben für preisgebundenen Wohnraum (sozialer Wohnungsbau) und Bau die Kompetenz; diese sind öffentlich-rechtlich. Das bestreitet auch keiner. Die Preisgestaltung des frei finanzierten Wohnraums fällt aber nicht hierunter genauso wenig wie die Preisgestaltung beim Autoverleih.
Eine ausgesprochen enttäuschende Entscheidung, die ersichtlich ergebnisorientiert argumentiert und dabei hinter der juristisch differenzierten Debatte im Vorfeld eigentümlich zurückbleibt. So findet der Lösungsansatz, der von Schneider/Franke in DÖV 2020, 415ff. so überraschend wie überzeugend entwickelt wurde, mit keinem Wort Eingang in die Begründung des Beschlusses – und das, obwohl der Aufsatz angesichts dessen Zitierung an anderer Stelle offensichtlich bekannt war.
Trotz allem hat der Landesgesetzgeber mE weitere Möglichkeiten, regulierend in den Mietpreisanstieg einzugreifen, und zwar über das ja unbestritten in die Länderkompetenz fallende Ordnungswidrigkeitenrecht. Zu schaffen wäre ein Bussgeldtatbestand, der das Fordern und Entgegennehmen von Mieten, die über dem von der Mietpreisbremse erlaubten Niveau liegen, mit Bussgeldern belegt, die sich der Höhe nach am MietenWoG orientieren könnten. Denn das hat die Vermieter*Innen doch offenbar nachhaltig beeindruckt. Ziel muss es sein, die Lösung dieses systemischen Problems rückzuverlagern von der privat zu verantwortenden Rechtsverfolgung hin zu einem öffentlich steuernden Eingriff.
Die Vorstellung, man könne über eine Art trojanische Pferd namens Ordnungswidrigkeitenrecht nun doch das regeln, was einem als Kompetenz ausdrücklich einfach nicht zugewiesen ist, ist ziemlich befremdlich und ersichtlich eine Umgehung, die ebenso zu kassieren ist, weil damit unter der Tarnkappe des öffentlichen Rechts faktisch Zivilrecht geschaffen wird.
Ah, da haben Sie falsch gelesen. Es geht Ihrem Vorredner nicht um den Deckel, sondern um die Bremse, § 556d BGB. Verstöße gegen diese ahndbar zu machen, ändert ja am Inhalt der zivilrechtlichen Regelung nichts. Also keine Tarnkappe, kein Danaergeschenk 😉
Ehrlich offene Frage: Was sind die konkreten historischen Gesetze, die die beiden folgenden Aussagen in Bezug auf frei finanzierten Wohnraum belegen?
“Zu diesen [den Instrumenten des Wohnungswesens] gehörte lange anerkannt auch öffentlich-rechtliches Preisrecht in Gestalt von politisch bezifferten und damit vom Marktmechanismus entkoppelten Mietpreisgrenzen.”
“Es ist behauptet worden, damit [mit § 558 Abs. 2 S. 2 BGB] seien nur Preisgrenzen für öffentlich geförderten Wohnraum gemeint. Das ist aber historisch einfach falsch.”
Das wüsste ich auch gern.
Über dem Bundesverfassungsgericht ist nur noch der Himmel. Wenn in der Vergangenheit Entscheidungen des Gerichts vollständig hinzunehmen waren, auch wenn manche dadurch gekränkt waren, so bietet die Mietendeckelentscheidung insbesondere wegen der fehlenden mündlichen Verhandlung Raum, sich kritisch damit auseinanderzusetzen.
Die Stellungnahme von Herrn Rödel ist nachvollziehbar.
Gleichwohl birgt die Entscheidung eine Chance, sich des unzweifelhaft massivsten Problems unserer modernen Zeit auf Bundesebene anzunehmen. Wohnraum für Bürgerinnen und Bürger, kleine wie große, sollte kein Spekulationsobjekt sein, welches die Sucht nach Geld vieler Akteure immer wieder von neuem befeuert. Denn Sucht bedeutet Krankheit. Es ist deutlich geworden, wie unsere Gesellschaft in Schieflage geraten ist: auf der einen Seite Eigentümer von Doppelhaushälften, Einfamilienhäusern, Eigentumswohnungen und Vermieter und auf der anderen Seite Mieter. Diejenigen, die vermieten, wollen grundsätzlich die Schraube weiter drehen, von wenigen fairen Vermietern abgesehen, die aber wenig repräsentativ sein werden. Die Kläger gegen den Mietendeckel wollen nicht mieterfreundlich sein, sonst hätten sie nicht geklagt. Der Senat hat das Problem der Schieflage infolge unverhältnismäßig hoher Mietpreise bei Neuvermietungen erkannt, nachdem er über Jahre hinweg mit dem City-Slogan “arm aber sexy” die geldsüchtigen Immobilienkäufer nach Berlin gelockt hatte. Dieses Problem der Schieflage existiert in allen Großstädten und determiniert wahrscheinlich Millionen Bürgerinnen und Bürger in deren Zukunftsplanung. Diese Menschen, große wie kleine, stellen ein sehr großes Potential für den politischen Prozess dar. Sicherlich sind fehlende Neubauten auch ein Problem. Bis hier aber gehandelt wird und tatsächlich die Ärmel hochgekrempelt werden und zur Tat geschritten wird, kann eine lange Zeit vergehen. Die Mieterinnen und Mieter, die unverhältnismäßig hohe Mieten zahlen müssen und sich bei Familiengründung nicht vergrößern können, bleiben mit ihren Sorgen und Nöten alleine. Die Chance auf Bundesebene liegt nun gerade in dem sehr hohen Potential von Mieterinnen und Mietern. Sollte sich dieser Menschen aufrichtig angenommen werden, dann ist möglicherweise ein historischer politischer Meilenstein im Herbst diesen Jahres zu erwarten. Es kann nicht sein, dass das Idelabild in unserer modernen Zeit die Eigentümerin/ der Eigentümer von Wohnraum ist, während Mieterinnen und Mieter ihrem Schicksal überlassen werden. Insbesondere junge Menschen haben ein Recht darauf, in der Preisgestaltung verhältnismäßigen Wohnraum zur Verfügung zu haben. Demokratie bedeutet soziale Mischung. Ohne gedeckelte Mieten ist die soziale Mischung in Großstädten aber mehr als nur auf dem Prüfstand.
Hinweis:
„vgl. § 31 Abs. 2 S. 3 GG“
Da ist etwas schiefgegangen, nehme ich an?
Ein Hinweis wie der von MM erscheint selbstgerecht, scheinbar ist MM noch nie ein Lapsus unterlaufen.
Ansonsten ist feststellen, dass hier kaum etwas Konstruktives kommentiert bzw. diskutiert wird.
Die Verfassungsspezialisten in diesem Blog könnten doch einmal die Möglichkeit eines verfassungsmäßigen Bundesgesetzes bzgl. eines Bundesmietendeckels durchprüfen und sodann ihre verfassungsmäßigen Bedenken insbes. hinsichtlich der Sozialbindung des Eigentums kundtun.