Keine Kontrolle der Rüstungsexportkontrolle
Der infolge des terroristischen Überfalls und Massenmords durch die Hamas ausgebrochene Gaza-Krieg wirft unentwegt auch rechtliche Fragen auf. Schon mehrfach hat sich dabei die deutsche Bundesregierung vor Gericht wiedergefunden. Als zweitgrößter Rüstungslieferant musste sich die Bundesrepublik vor dem IGH und deutschen Gerichten für die Unterstützung Israels angesichts zahlreicher Berichte über dessen völkerrechtswidrige Kriegsführung rechtfertigen. Jetzt hat das Verwaltungsgericht Frankfurt im Eilrechtsschutz entschieden: Bestehende Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte nach Israel dürfen weiter genutzt werden. Die Entscheidung lässt inhaltlich viele Fragen offen und wirft methodisch einige weitere auf. Sie spricht grund- und menschenrechtliche Möglichkeiten an, wo keine bestehen. Und verwirft sie vorschnell, wo sie durchaus weiterführen könnten.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt a.M.
Fünf im Gaza-Streifen lebende Personen haben, unterstützt durch mehrere Menschenrechtsorganisationen, beim VG Frankfurt beantragt, dass ihre Drittwidersprüche gegen erteilte Genehmigungen für Rüstungsexporte an Israel aufschiebende Wirkung erhalten sollen. Grundsätzlich sieht das Außenwirtschaftsgesetz keinen aufschiebenden Effekt von Widerspruch und Anfechtung erteilter Ausfuhrgenehmigungen vor. Da die Exportgenehmigungen vom Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit Sitz in Eschborn erteilt wurden, war das VG Frankfurt für das Verfahren zuständig.
Dessen fünfte Kammer kommt auf wenigen Seiten zu dem Ergebnis, die Anträge seien unzulässig, da es den Antragsteller*innen an einer Antragsbefugnis fehle. Darüber hinaus seien die Anträge aber auch offensichtlich unbegründet. Zur fehlenden Antragsbefugnis gelangt das Gericht in Ermangelung drittschützender Normen. Es prüft solche in dreifacher Hinsicht. Erstens, hinsichtlich eines drittschützenden Charakters der einschlägigen Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG). Zweitens „gestützt auf Art. 34 der Europäischen Menschenrechtskonvention“ (EMRK). Und drittens unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG). Zum letzten Punkt formuliert die Kammer vergleichsweise vorsichtig, dass die mögliche Verletzung einer drittschützenden Norm sich „wohl auch nicht unmittelbar“ aus den Grundrechten ergäbe. Sie geht daher anschließend noch einmal darauf ein und schmettert entsprechende Ansätze ebenfalls als offensichtlich unbegründet ab.
Der Beschluss enthält einige für sich genommen bemerkenswerte Passagen.1) Der Fokus hier soll sich aber vor allem auf den Umgang des Gerichts mit grund- und menschenrechtlichen Zusammenhängen richten.
Art. 34 EMRK als drittschützende Vorschrift?
Zunächst zum menschenrechtlichen Ansatz, den das VG Frankfurt bespricht und verwirft. Es überlegt, ob „gestützt auf Art. 34 EMRK“ eine Antragsbefugnis bestehen, darin also eine drittschützende Vorschrift liegen könnte. Zu dieser Erwägung sieht es sich durch das kürzlich ergangene und vielfach besprochene Klimaseniorinnen-Urteil des EGMR veranlasst. Darin hatte sich der Gerichtshof ebenfalls mit der Abgrenzung von – unzulässigen – Popularklagen zu den nach Art. 34 EMRK zulässigen Individualbeschwerden befasst. Und er war zu dem Ergebnis gekommen, dass hinsichtlich der Gefahren des Klimawandels zwar einzelne Seniorinnen aus der Schweiz nicht hinreichend individuell betroffen seien. Sehr wohl aber könne eine Vereinigung von Seniorinnen für diese insgesamt durch die Klimaerhitzung besonders betroffene Personengruppe Beschwerden über damit verbundene Menschenrechtsverletzungen vortragen.
All diese Erwägungen des EGMR fußten auf dem Befund, dass substanzielle Menschenrechte betroffen waren, konkret Art. 8 EMRK, über den die Konventionsstaaten auch Schutzpflichten für Gesundheit und körperliches Wohlbefinden treffen. Eine Auseinandersetzung mit möglicherweise einschlägigen Menschenrechten der palästinensischen Antragsteller*innen hätte natürlich auch das VG Frankfurt vornehmen können. Schließlich wirken sich diese potenziell auch auf das Verständnis der Grundrechte und damit letztlich die Auslegung des einfachen Rechts aus (Görgülü). Dann hätte sich das VG inmitten der vielschichtigen Debatte um die extraterritoriale Anwendung der EMRK wiedergefunden – und dort wohl gut vertretbar aus der Prüfung im konkreten Fall aussteigen können.
Stattdessen sieht das Gericht nur, dass der EGMR in einer bemerkenswerten Entscheidung individuellen Klägerinnen eine Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK versagt hatte, weil sie nicht hinreichend individuell betroffen waren. Unter dem zart angedeuteten Zugeständnis, dass die gesundheitlichen Folgen der Klimaerwärmung womöglich doch nicht ganz auf die Gefahren durch den Einsatz von Rüstungsgütern im Gaza-Krieg übertragbar seien, nutzt das VG den Verweis auf die EMRK aber allein für die Feststellung, die Antragsteller seien ebenfalls unzureichend individuell betroffen. Denn sie seien „allesamt scheinbar unverletzte, berufstätige Männer mittleren Alters, die besser Schutz vor Kampfhandlungen in Gaza suchen können als andere Gruppen“. Diese Vergleichsgruppenbildung für die Feststellung der Schwere einer Gefährdung im Kriegskontext ist nicht nur nach den zuvor zitierten Maßstäben des EGMR kaum überzeugend.2) Sie ist auch an Zynismus schwer zu übertreffen. Eine auch nur im Ansatz nachvollziehbare, juristisch sinnvolle Prüfung menschenrechtlicher Zusammenhänge ist sie nicht.
Zur Bedeutung grundrechtlicher Schutzansprüche
Schwer nachzuvollziehen ist weiterhin, warum das VG Frankfurt eine mögliche Antragsbefugnis unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG prüft. Hier scheint ein grundlegendes Missverständnis über die Funktion grundrechtlicher Schutzansprüche zu bestehen. Denn einen unmittelbaren Drittschutz aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hätte das Gericht hier gar nicht feststellen können. Zumindest in solchen Schutzkonstellationen, in denen ein staatliches Handeln zugunsten der in ihren Grundrechten gefährdeten Personen notwendigerweise einen Eingriff in ebenfalls grundrechtlich geschützte Freiheiten Dritter bedeutet, muss schon aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes zunächst die Legislative tätig werden. Erst mit einer durch den formalen Gesetzgeber geschaffenen Ermächtigungsgrundlage kann die Exekutive dann schützend zugunsten der Gefährdeten eingreifen. Konkret in Bezug auf Rüstungsexporte bedeutet das also, dass es dem BAFA als für die Exportkontrolle zuständigem Bundesamt durch eine gesetzliche Grundlage erst einmal erlaubt sein müsste, zum Schutz des Lebens von Personen eine Ausfuhrgenehmigung zu untersagen. Denn mit der Untersagung einer Ausfuhr ist notwendigerweise ein Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Rüstungsunternehmen verbunden.
Das VG Frankfurt scheint sein Vorgehen insofern an die Entscheidungen im Ramstein-Verfahren anzulehnen. Dabei übersieht es aber den zentralen Unterschied zwischen beiden Konstellationen: Während für den Schutz der jemenitischen Kläger vor (völkerrechtswidrigen) Drohnenangriffen ein Handeln des deutschen Staates gegenüber den USA erforderlich wäre, müsste im Eilrechtsschutz gegen Rüstungsexportgenehmigungen staatlicherseits zulasten privater Rüstungsunternehmen gehandelt werden. Die USA als Drittstaat können sich nicht auf Grundrechte berufen, deutsche Rüstungsunternehmen sehr wohl. Gegenüber den USA könnte ein durchsetzbarer Schutzanspruch daher – ohne einfachgesetzliche Grundlage – unmittelbar aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit folgen. Für ein Handeln gegenüber den Rüstungsunternehmen bräuchte es zunächst eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
Ist die Frage nach einem grundrechtlichen Schutzanspruch der palästinensischen Antragsteller*innen damit schon nach der Eingangsfeststellung, es gäbe keine Drittschutz vermittelnden Vorschriften im Außenwirtschaftsrecht obsolet? Nein, das ist sie nicht. Die Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entfaltet sich lediglich nicht in Form eines unmittelbaren Anspruchs, sondern mittelbar. Entweder über die Möglichkeit, dass Vorschriften des AWG eben doch – sofern es der Wortlaut zulässt – grundrechtskonform dahingehend auszulegen sind, dass sie Drittschutz erlauben. Oder, für den Fall, dass eine solche Auslegung an der Wortlautgrenze scheitert, über ein Aussetzen des Verfahrens und einen Antrag auf konkrete Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht. Denn sollten grundrechtliche Schutzansprüche bestehen, denen unter der geltenden Gesetzeslage nicht entsprochen werden kann, wäre das AWG dahingehend verfassungswidrig.
Möglicher drittschützender Charakter der Genehmigungsvorschriften
Wäre es dem BAFA also möglich, etwaige Schutzansprüche bei Genehmigungsentscheidungen zu berücksichtigen? Hätte das Amt, in anderen Worten, eine Ermächtigungsgrundlage, um Rüstungsunternehmen eine beantragte Ausfuhr zu untersagen und damit in deren Berufsfreiheit einzugreifen, wenn durch den Einsatz der Waffen(teile) im Ausland die Gefahr (völker)rechtswidriger Tötungen droht?
Um diese Fragen zu beantworten ist ein genauerer Blick auf die Genehmigungsvorschriften des Außenwirtschaftsrechts erforderlich. Diesen spart sich das VG Frankfurt allerdings und nimmt eine grobe Abkürzung. Es blickt allein auf § 4 Abs. 1 AWG, in dem aufgelistet wird, zu welchen Zwecken eine Beschränkung des grundsätzlich freien Außenwirtschaftsverkehrs durch Rechtsverordnung vorgesehen werden kann. Damit spricht es zwar die im Ergebnis zentrale Norm an. Für ein Verständnis der rechtlichen Ausgangslage ist allerdings der ausgesparte systematische Kontext nachzutragen.
Grundsätzlich ist der Außenwirtschaftsverkehr und damit auch die Ausfuhr von Gütern frei, kann aber durch Gesetz oder Rechtsverordnung eingeschränkt werden, § 1 Abs. 1 AWG. Entsprechende Beschränkungen durch Rechtsverordnungen müssen bestimmten Zwecken dienen, die – hier kommt die vom VG geprüfte Norm ins Spiel – weitestgehend in § 4 Abs. 1 AWG aufgeführt werden. Speziell für Rüstungsgüter sind solche Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 AWG vorgesehen und durch die Außenwirtschaftsverordnung in Form eines Genehmigungserfordernisses für die Ausfuhr umgesetzt. Die Genehmigungsentscheidung des BAFA schließlich richtet sich nach § 8 Abs. 1 AWG. Danach ist die Genehmigung zu erteilen, solange der Zweck, zu welchem ein Genehmigungserfordernis verordnet wurde, nicht wesentlich dadurch gefährdet würde (S. 1). Im Falle einer wesentlichen Zweckgefährdung kann die Genehmigung nur erfolgen, wenn das volkswirtschaftliche Interesse entsprechend überwiegt (S. 2).
Mit diesem Gesetzeswortlaut liegt nahe, dass eine behördliche Berücksichtigung etwaiger grundrechtlicher Schutzansprüche nur bei Gefährdung eines der in § 4 Abs. 1 AWG gelisteten Zwecke möglich wäre. Nur so kommt das BAFA zu einer Ermessensentscheidung. Nur so hätte es eine Möglichkeit, beantragte Ausfuhren zu versagen.
Blickt man nun, wie das VG Frankfurt und die von ihm in Bezug genommenen Gerichte, flüchtig auf die Beschränkungszwecke des § 4 Abs. 1 AWG, liegt tatsächlich nahe, darin keine für Ausländer*innen im Ausland schützenden Aspekte zu finden. Es geht primär um Sicherheitsinteressen und die auswärtigen Beziehungen Deutschlands. Hier lohnt es sich jedoch, genauer hinzuschauen. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung wird über die mögliche „erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland“ (Nr. 3) auch die Achtung der Menschenrechte durch das Bestimmungsland bei jeder Entscheidung über die Ausfuhr von Rüstungsgütern berücksichtigt. Eine solche, nach dem Beschränkungszweck für Rüstungsexporte zu beachtende Menschenrechtsprüfung lässt sich – methodisch zulässig – als drittschützend verstehen. Sie könnte schließlich die einzig dogmatisch zulässige Auslegung sein, wenn nur so eine grundrechtskonforme Situation – Gewährung eines Schutzanspruchs aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – möglich wäre. In der weiteren Konsequenz käme dem BAFA ein Genehmigungsermessen zu (§ 8 Abs. 1 S. 2 AWG), was wiederum im Sinne des Schutzanspruchs zulasten der Rüstungsexporteure ausfallen müsste.
Dieses Verständnis soll hier keineswegs als zwingend dargestellt werden. Ganz so eindeutig, wie vom VG Frankfurt kolportiert, ist ein Drittschutz vor dem Hintergrund möglicher grundrechtlicher Schutzansprüche aber eben auch nicht abzulehnen.
Sollte eine drittschützende Auslegung des AWG aber, wie es das VG Frankfurt annimmt, tatsächlich nicht möglich sein, bleibt die Frage nach dem Bestehen von grundrechtlichen Schutzansprüchen weiterhin relevant – bloß nicht wie vom Gericht angenommen. Denn auch wenn ein Drittwiderspruchsrecht nicht unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgen kann, könnte sich eine einfachgesetzliche Lage, welche die Berücksichtigung grundrechtlicher Schutzansprüche nicht erlaubt, als verfassungswidrig erweisen. Das Verfahren wären dann auszusetzen und ein konkreter Normenkontrollantrag an das Bundesverfassungsgericht zu stellen.
Prüfung grundrechtlicher Schutzansprüche für Gefährdungen im Ausland
Insofern stellt die Prüfung etwaiger Schutzansprüche weiterhin eine zentrale Weichenstellung für das Verfahren dar. Der Umgang mit diesem Punkt durch das VG ist dabei mehr als nur unbefriedigend. Es referiert zunächst, inwiefern gerade nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechende Ansprüche in Betracht kommen könnten: die Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt gilt örtlich unbegrenzt, Grundrechte sind auch in Auslandszusammenhängen keine rein objektiven Pflichten, sondern vermitteln stets auch subjektive Rechte. Sodann stellt es fest, dass nach der Verfassungsrechtsprechung aber Differenzierungen zulässig bleiben, die „den besonderen Bedingungen im Ausland Rechnung tragen“. Diesen Obersätzen in Form direkter Zitate des Bundesverfassungsgerichts folgt sodann jedoch: nichts – keine Subsumtion, kein Versuch die konkreten Differenzierungen, die aufgrund des Auslandszusammenhangs erforderlich seien, zu benennen.
Stattdessen verweist das Verwaltungsgericht auf Art. 26 Abs. 2 S. 1 GG und den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Das überrascht. Art. 26 Abs. 2 S. 1 GG regelt die Kriegswaffenkontrolle durch die Bundesregierung. In Anbetracht der konkret angegriffenen Ausfuhrpositionen und der Tatsache, dass das Verfahren sich gegen das BAFA richtet, scheint eigentlich klar, dass es hier nicht primär um Kriegswaffenausfuhren und die Kontrolltätigkeit der Bundesregierung geht. Wie das VG nur wenige Zeilen zuvor erinnerte, spielt sich das Verfahren im Bereich des grundsätzlich freien Außenwirtschaftsverkehrs für sonstige Rüstungsgüter ab. Und eben nicht im Bereich der grundsätzlich verbotenen und unter Genehmigungsvorbehalt zu gestattenden Kriegswaffenproduktion. Selbst wenn man dem Verweis auf Art. 26 Abs. 2 S. 1 GG folgt, bleibt der argumentative Schluss gewagt. Es erscheint logisch keinesfalls zwingend, aus der verfassungsrechtlichen Regierungsaufgabe, jeglichen Umgang mit Kriegswaffen zu kontrollieren, zu folgern, Gerichte dürften nicht prüfen, ob durch die Wahrnehmung dieser Aufgabe Grundrechte gefährdet werden. Der Zweck des Verfassungsauftrags aus Art. 26 GG ist die Friedenssicherung. Durch Berücksichtigung grundrechtlicher Garantien wird dieser nicht geschwächt, sondern eher noch gestärkt.
Das hinsichtlich seiner knappen Absage an grundrechtliche Schutzansprüche „wohl“ (s.o.) selbst unsichere Gericht versucht sich über die anschließende Darlegung der vermeintlich offensichtlichen Unbegründetheit abzusichern. Es greift die dahingehend ebenfalls restriktiven Maßstäbe auf, die das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Ramstein-Urteil aufgestellt hat. Darin wurden die – vom Oberverwaltungsgericht noch zugesprochenen – Schutzansprüche jemenitischer Kläger, die im Einsatzgebiet US-amerikanischer Drohnenangriffe leben und Angehörige durch völkerrechtswidrige Einsätze verloren hatten, im Wesentlichen aus zwei Gründen abgelehnt. Erstens müsse eine „über isolierte Einzelfälle hinausgehende Praxis völkerrechtswidriger Handlungen des anderen Staates feststellbar sein“. Das sei für die Drohneneinsätze nicht belegt. Zweitens verfüge die Bundesregierung „in Bezug auf die völkerrechtliche Beurteilung des Handelns anderer Staaten innerhalb der Bandbreite der vertretbaren Rechtsauffassungen über einen Einschätzungsspielraum“. Dieser sei nur eingeschränkt gerichtlich kontrollierbar und zumindest nicht offensichtlich überschritten.
Keine gerichtlich überprüfbaren Maßstäbe im Völkerrecht?
Das VG Frankfurt übernimmt beide Voraussetzungen für die Prüfung etwaiger Schutzansprüche der palästinensischen Antragsteller*innen. Es verzichtet dabei erneut auf eine eigene Subsumtion, ob eine „über isolierte Einzelfälle hinausgehende Praxis völkerrechtswidriger Handlungen“ im Gaza-Krieg vorliege. Dabei hätte es hier durchaus Unterschiede zum Ramstein-Verfahren gegeben, etwa die Anzahl gut dokumentierter Indizien für systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Der vollständige Ausfall einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dieser Frage ist daher zunächst überraschend.
Er erklärt sich aber über die zweite herangezogene Einschränkung: den weiten Einschätzungsspielraum der Bundesregierung. Dass dieser sich „innerhalb der Bandbreite vertretbarer Rechtsauffassungen“ bewegen müsse, erweckt letztlich nur den kurzen Anschein eines rechtlichen Maßstabs. Denn im Ergebnis gilt dem Frankfurter wie dem Bundesverwaltungsgericht jede Regierungsauffassung per se als vertretbar. Zu dieser Aufopferung des Völkerrechts auf dem Altar der Außenpolitik gelangen beide Gerichte über einen Verweis auf die gut 40 Jahre alte Hess-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Darin findet sich die Aussage, Regierungsauffassungen seien für das Völkerrecht so prägend, dass nationalen Gerichten nur eine sehr zurückhaltende Kontrolle möglich sei. Knapp stellt das VG dazu fest: „Dies gilt auch heute noch und ist auf die vorliegende Konstellation übertragbar“. Dieses Postulat lädt fast schon wegen seiner Kurzsilbigkeit zu Nachfragen ein. Ist eine Übertragung der Maßstäbe der Hess-Entscheidung wirklich überzeugend? Dort ging es um die Auslegung von Art. 107 UN-Charta, einer Übergangsvorschrift für infolge des Zweiten Weltkriegs ergriffene Maßnahmen gegen die ehemaligen Achsenmächte. Im vorliegenden Verfahren geht es um Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Während die erste Norm kaum rechtlich relevant wurde, sind für letztere die rechtlichen Maßstäbe etabliert. Ganze Bücherregale sind gefüllt mit Darstellungen zum Verbot unterschiedsloser Angriffe und unverhältnismäßiger Kollateralschäden. Auch die Bundesregierung selbst hat dazu schon oft Position bezogen. Eine Vertretbarkeitsprüfung hinsichtlich der Einschätzungen zu Israels Kriegsführung in Gaza wäre hier also durchaus möglich gewesen.
Anspruchsvolle Fragen ohne großen Selbstanspruch umgangen
Mit dieser Kritik am Vorgehen des VG Frankfurt kann und soll nicht behauptet werden, eine umfassende Prüfung hätte mit Sicherheit ergeben, dass die konkret angegriffenen Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter eine rechtswidrige Gefährdung des Lebens der Antragsteller*innen bedeuten. Die Kritik zielt vielmehr darauf ab, dass sich das Gericht, letztlich ohne Not, eine inhaltliche Prüfung überhaupt nicht zugesteht. Die zunehmend aufkommenden Fragen um das komplexe Zusammenspiel von auswärtiger Politik, internationalem Recht und deutschen Grundrechten verlangen von den Gerichten einiges an methodischem Feingefühl. Die voreilige und kategorische Absage, die das VG Frankfurt den angetragenen Schutzgesuchen von Personen in Lebensgefahr erteilt, wird letztlich weder den Betroffenen noch den rechtlichen Fragen gerecht.
References
↑1 | Wie etwa die im starken Kontrast zum Vertrauen in völkerrechtliche Einschätzungen der Bundesregierung stehende Auffassung, Berichte von UN-Organen könnten „nicht ohne nähere intensive Prüfung als Grundlage für den Vorwurf von Völkerrechtsverstößen herangezogen werden, da die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen in der Vergangenheit eine nicht unumstrittene Herangehensweise im Umgang mit dem Nahost-Konflikt zeigten“; wobei die Arbeit zweier Autoren der gleichermaßen nicht unumstrittenen Plattform MENA-Watch als Beleg angeführt wird. |
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↑2 | Erstens müssen Niveau und Schwere der Gefahr staatlichen Handelns oder Unterlassens für den Beschwerdeführer bedeutend sein und zweitens muss eine dringende Notwendigkeit bestehen, den individuellen Schutz des Beschwerdeführers zu gewährleisten, weil vernünftige Maßnahmen zur Minderung des Schadens fehlen oder unzulänglich sind. Zumindest für den Fall, dass die auszuführenden Rüstungsgüter tatsächlich im Gazastreifen zum Einsatz kommen, hätte sich darunter durchaus subsumieren lassen. |