Kunst und Politik
Die politische Bedeutung der Kunst und ihre Folgen für die staatliche Förderung
Kunst hat kein politisches Mandat. Aber sie trägt dazu bei, Werte wachzuhalten und zu stärken, auf die eine lebendige Demokratie angewiesen ist. „Rettet Musik die Welt?“ fragt der Pianist Igor Levit. „Nein, das tut sie nicht (…) Musik muss absolut gar nichts.“ Und doch schaffe ein Konzert ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Kunst bringt Menschen zusammen, stiftet Räume der Freiheit, ermuntert uns zum Nachdenken und ermöglicht die Erfahrung von Schönheit. Kunst hat auch das Potential, die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren und unsere Sinne für neue Möglichkeiten zu öffnen.
Kunst kann nur dann auf ihre ganz eigene Art demokratische Werte aktivieren, wenn sie vor staatlichen Eingriffen geschützt ist. Deshalb gilt nach Artikel 5 Absatz 3 GG die Kunstfreiheit. Die Grenzen der Kunstfreiheit liegen dort, wo andere verfassungsrechtlich geschützte Werte verletzt werden. Da inzwischen das Anwachsen des Antisemitismus eine erschreckende Realität ist, wird darüber diskutiert, ob die staatliche Kunstförderung mit politischen Zielen wie der Bekämpfung des Antisemitismus verknüpft werden sollte. Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers kommt mit überzeugenden Argumenten in einem Gutachten vom März dieses Jahres zwar zu dem Schluss, dass es dem parlamentarischen Gesetzgeber „verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich“ sei, „die Vergabe staatlicher Mittel sowohl an öffentliche Kulturinstitutionen als auch an private Künstlerinnen und Künstler durch eine Verpflichtung gegen Antisemitismus und Rassismus zu ergänzen.“ (S. 31) Freilich müsse der Gesetzgeber sorgfältig überlegen, ob er die ohnehin bestehende verfassungsrechtliche Pflicht mit einem Gesetz konkretisieren soll.
Ein Gesichtspunkt, der in dieser Debatte über die Kriterien staatlicher Kunstförderung Beachtung verdiente, ist die tatsächliche Relevanz der Kunst in Demokratien. Die staatlich geförderte Kunst, so meine These, sollte nicht mit politischen Zielen verknüpft werden, weil dies die geringe Sichtbarkeit der Kunst im öffentlichen Raum weiter einschränken würde. Nicht neue Gesetze, Demokratieklauseln und Bekenntnisse zur Verfassungstreue, sondern Persönlichkeiten im Kulturbetrieb, die ihrer Aufgabe gerecht werden und Strukturen, die Verantwortung fördern, sind gefragt.
Die Rolle der Kunst im öffentlichen Raum
Für die Sichtbarkeit der Kunst sind drei Aspekte zu bedenken. Erstens befinden sich Künstlerinnen und Künstler häufig in einer schwierigen ökonomischen Situation. Eine Untersuchung des Statistischen Bundesamtes kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen im Bereich der Bildenden Kunst 2019 monatlich weniger als 1.100 Euro erwirtschafteten. Dieser Befund führt uns zum zweiten Aspekt. Künstler sind weitgehend auf öffentliche und private Förderung angewiesen. Die Kürzung der Kulturprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie auch die Kürzung des Berliner Kulturetats um zwölf Prozent der geplanten Summe sind daher ein Alarmzeichen. Und drittens müssen wir den Umgang der Politik mit Kunst im öffentlichen Raum in den Blick nehmen. Als Beispiel aus der internationalen Politik möchte ich die in einer größeren Öffentlichkeit wenig bekannte Geschichte der Tapisserie „Guernica“ in den Vereinten Nationen darstellen.
Nach der Vorlage von Pablo Picassos Gemälde „Guernica“ gibt es eine Tapisserie, die im Auftrag von Nelson Rockefeller in einem französischen Atelier hergestellt und 1985 als Dauerleihgabe den Vereinten Nationen übergeben wurde. „Guernica“ zeigt die Verzweiflung der Opfer des faschistischen Terroraktes vom 26. April 1937, bei dem deutsche und italienische Flugzeuge die baskische Stadt bombardierten und völlig zerstörten. Zugleich weist das Bild über das konkrete Ereignis hinaus und führt uns das Leid der Menschen vor Augen, das alle Kriege verursachen. Die Tapisserie wurde im Foyer vor dem UN-Sicherheitsrat aufgehängt, in dem die Pressekonferenzen stattfinden, und zwar in der Mitte des Foyers. Mit der Hängung an diesem zentralen Ort wurde sie zu einem Symbol für die Friedensarbeit der Vereinten Nationen. Dennoch haben Politikerinnen und Politiker es nach den Sitzungen im Sicherheitsrat vermieden, die Pressekonferenzen vor der Tapisserie abzuhalten. Eine Durchsicht der Fotos im Archiv der UN ergab zu meiner Überraschung, dass die Politikerinnen und Politiker bei ihren Statements meist am Ende des Foyers vor einem Gummibaum aus Plastik standen!
Am 5. Februar 2003 wurde die Verdrängung des Kunstwerkes besonders deutlich. Es war der Tag, an dem der damalige Außenminister der USA, Colin Powell, im Sicherheitsrat die Bombardierung des Iraks ankündigte. Zu diesem Anlass wurde „Guernica“ verhüllt. Man spannte einen blauen Stoff über die Tapisserie, drapierte eine Stoffbahn mit UN-Logos darüber und stellte rechts und links die Flaggen der Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates auf. Die Presse reagierte prompt. Welch eine Blamage, dass die Antikriegs-Tapisserie nicht im Bild sein sollte, wenn der amerikanische Außenminister über einen Krieg informiert.
Nach dieser Episode wurde die Tapisserie zwar wieder „enthüllt“. Aber man kehrte nicht einfach zur ursprünglichen Situation zurück, sondern hängte „Guernica“ von der Mitte an den Rand des Foyers. Flaggen und Stoffbahn blieben an ihrem Platz. Damit hat die Politik das Kunstwerk noch wirkungsvoller marginalisiert als zuvor. Der Gummibaum ist inzwischen verschwunden. Man hat ja nun ein viel besseres Arrangement.
Es darf vermutet werden, dass die Verdrängung „Guernicas“ an den Rand des politischen Geschehens die Leihgeber veranlasst hat, über eine bessere Sichtbarkeit der Tapisserie nachzudenken. Nachdem die Familie Rockefeller die Tapisserie im Februar 2021 zunächst ohne Begründung aus dem Foyer der Vereinten Nationen abgeholt hatte, war das Entsetzen groß. „Schrecklich, schrecklich, dass sie weg ist“, kommentierte UN-Generalsekretär António Guterres. Ein Jahr später gab Nelson Rockefeller Jr. die Tapisserie an die Vereinten Nationen zurück. Er erklärte, die Tapisserie sei lediglich gereinigt worden und solle in Zukunft auch an anderen Orten als den Vereinten Nationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Das Beispiel belegt die Beobachtung des Kunsthistorikers Martin Warnke, dass die moderne Politik für ihre Zwecke andere Techniken und Medien benötige, als sie den Künstlern verfügbar seien. Einfache visuelle Botschaften, nicht die komplexen Inhalte von Kunstwerken, prägten die politische Kommunikation. Gleichwohl behalte die Kunst eine sinnvolle Funktion: „Wo aus der Distanz zur jeweiligen staatlichen Verfassung, aber mit Blick auf gesellschaftliche Erwartungen, Probleme und Erfahrungen eine überzeugende ästhetische Form gelingt, dort hat die Kunst in dem ihr verbliebenen Wirkungskreis eine … kritische und notwendige Rechtfertigung gewonnen.“1) In den Debatten über die staatliche Förderung sollte diese Bedeutung der Kunst stets präsent sein. Es gilt, den „verbliebenen Wirkungskreis“ der Kunst nicht zu verkleinern, sondern zu erweitern.
Dies heißt konkret, Kunst ohne politische Auflagen zu fördern und im öffentlichen Raum erlebbar zu machen. Die Pianistin Elena Bashkirova bringt es auf den Punkt: „Mir geht es einzig um gute Musik und gute Interpretationen. (…) Ich finde es respektlos und feige, wenn man plötzlich russische und jüdische Musik oder Musiker aus unserem Konzertleben fernhält, nur weil man Angst hat, irgendjemand könnte das kritisch sehen. Solche Einschränkungen der Kunstfreiheit sind nur in Diktaturen üblich.“ Dieser Mut ist vorbildlich und schützt die Demokratie besser als alle Klauseln, die im Zusammenhang mit öffentlich geförderter Kunst diskutiert werden!
Die Antisemitismus-Resolution des Bundestages und die Pointe der Kunstfreiheit
Eine solche Klausel enthält auch die Resolution zum Schutz jüdischen Lebens „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“, die der Deutsche Bundestag am 7. November 2024 verabschiedet hat. Mit Regelungen des Haushaltes sei sicherzustellen, „dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden. Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Conduct und Awareness-Strategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.“ (S. 3) Die Resolution ist zwar rechtlich nicht verbindlich, birgt jedoch die Gefahr, dass sie die Kunstfreiheit faktisch einschränken könnte. Vor allem aber geht die Resolution am Kern des Problems vorbei. Wer die staatliche Förderung der Kunst von solchen Codes of Conduct abhängig macht, schützt nicht vor Antisemitismus, sondern verkennt den Wert der Kunst für demokratisches Handeln.
Denn die Auseinandersetzung mit Kunst und das Nachdenken über unterschiedliche Interpretationen von Kunstwerken erhöhen die Komplexität öffentlicher Debatten. Und genau diese Komplexität statt einfacher Lösungen brauchen wir auch bei der Bekämpfung des Antisemitismus. Schon die Definition des Antisemitismus steht nicht ein für alle Mal fest. Zu Recht betont eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem Textvorschlag zur Bundestagsresolution, dass immer wieder neu durchdacht werden müsse, was unter Antisemitismus zu verstehen sei. Die Arbeitsdefinition des Antisemitismus durch die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die der Resolution des Deutschen Bundestages zugrunde liegt, ist wissenschaftlich umstritten. Die Kunstfreiheit und damit auch die Bedeutung der Kunst für die Stärkung demokratischer Werte werden beeinträchtigt, wenn die Politik die Förderung der Kunst von einem Bekenntnis zu einem umstrittenen Verständnis von Antisemitismus abhängig macht.
Die Pointe der Kunstfreiheit besteht darin, dass Kunst und Politik sich unterscheiden und nach jeweils eigenen Kriterien funktionieren. In dieser Differenz liegt die Chance begründet, dass die Kunst mit ihren spezifischen Arbeitsweisen und ihren besonderen Ausdrucksformen politisch wirkt.
References
↑1 | Martin Warnke, Differenz und Demokratie: Die Kunst. Englische Übersetzung in: Kolja Raube, Annika Sattler (eds.), Difference and Democracy. Exploring Potentials in Europe and Beyond. Frankfurt, New York: Campus 2011, S. 353 für das Zitat. |
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