L’isola che non c’è – ein Vorgeschmack auf Opposition in Zeiten der Großen Koalition
« Seconda stella a destra: / questo è il cammino / e poi dritto / fino al mattino. / Non ti puoi sbagliare perché / quella è l’isola che non c’è »
(Nach dem zweiten Stern rechts, / das ist der Weg, / und dann immer geradeaus / bis zum Morgen. / Du kannst es gar nicht verfehlen, denn / das ist die Insel, die es nicht gibt.)
An dieses Lied über die „Isola che non c’è“, das der italienische Cantautore Edoardo Bennato in Anlehnung an Peter Pans Nimmerland sang, mochte man sich vergangenen Montag im Bundestag erinnert fühlen, als das Plenum die Entschließungsanträge von Grünen und Linken zu den Abhöraktivitäten der NSA in einen nicht existierenden Hauptausschuss verwies. Nachdem der Bundestag seit Wochen auf eine neue Regierung wartet wie sonst nur auf Godot, bot sich bei der ersten Arbeitssitzung des neu konstituierten Parlaments ein desaströses Bild, das in Hinblick auf die Rechte der parlamentarischen Minderheit nichts Gutes ahnen lässt für die nächsten vier Jahre unter der Großen Koalition.
Bereits in der Aussprache zeigten sich insofern die Auswirkungen der neuen politischen Realitäten vor dem Hintergrund einer unverändert fortgeschriebenen Geschäftsordnungspraxis: In einer Debatte von mehr als 100 Minuten kam den Fraktionen von Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen ein Redeanteil von 25 Minuten zu. Rein rechnerisch sind die beiden Fraktionen dabei zwar sogar noch überproportional repräsentiert. Berücksichtigt man aber einerseits ihre Stellung als zukünftige und bereits jetzt faktische Opposition und die Brisanz des Themas in Hinblick auf die beabsichtigte Kontrolle der Regierung andererseits, stellt sich ein Redeanteil regierungskritischer Inhalte von einem Viertel angesichts einer mehr oder weniger regierungsunterstützenden Drei-Viertel-Mehrheit der Debattenanteile als wenig funktionsgerecht dar.
Ihre dunklen Schatten warf die sich anbahnende Große Koalition dann aber vor allen Dingen bei der Schlussabstimmung voraus. Unter sehr zweifelhaftem Umgang mit der Regelung des § 88 Abs. 2 GO BT, bei der Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn (SPD) auf eine entsprechende parlamentarische Praxis verwies, verweigerte das Plenum den Antragstellern zunächst eine endgültige Abstimmung über ihre Entschließungsanträge. Politisch wollte man auf diese Weise vermutlich erreichen, dass sich die SPD, die sich noch vor der Wahl äußerst kritisch zum Verhalten der Bundesregierung in der NSA-Affäre geäußert hatte, nicht bereits vor Abschluss des Koalitionsvertrags förmlich auf ihre Seite schlagen musste. Wie dies mit dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, nach der Entschließungsanträge einem Ausschuss nur überwiesen werden können, wenn die Antragsteller nicht widersprechen, vereinbar sein soll, blieb dabei völlig offen.
Seine ganze Absurdität entfaltete der Vorgang jedoch erst im Anschluss, als eine ebensolche Verweisung nicht nur gegen den Willen der Antragsteller erfolgte, sondern auch an einen Ausschuss, der bislang noch gar nicht eingesetzt worden und damit rechtlich nicht existent war. Jenseits von Streitigkeiten über die Auslegung der Geschäftsordnung wurde hier ein Weg beschritten, der an den demokratischen Grundsätzen des Minderheitenschutzes im Parlament rüttelt. Wie das Bundesverfassungsgericht – ironischerweise ebenfalls in Bezug auf die Kontrolle der Nachrichtendienste – treffend zusammengefasst hat, wurzeln „das Gebot, parlamentarische Minderheiten zu schützen sowie das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der Opposition […] im demokratischen Prinzip […]. Dieser Schutz geht nicht dahin, die Minderheit vor Sachentscheidungen der Mehrheit zu bewahren (Art. 42 Abs. 2 GG), wohl aber dahin, der Minderheit zu ermöglichen, ihren Standpunkt in den Willensbildungsprozess des Parlaments einzubringen“.
Zu dieser essentiellen Möglichkeit, den eigenen Standpunkt in den Willensbildungsprozess des Parlaments einzubringen, gehören die Befassung des Plenums, die Abstimmung zur Sache und die Verhandlung in einem transparenten, vorhersehbaren, den Minderheitenrechten Rechnung tragenden Verfahren. Die Verweisung an einen gegenwärtig noch inexistenten Ausschuss wird diesen Anforderungen jedenfalls nicht gerecht, mag auch die Absicht bestehen, das Gremium in Zukunft einzurichten. Der Vorgang kommt einer Verweisung ins Nirvana gleich – was spirituell gehaltvoll sein mag, sich im weltlichen Geschäft der Opposition aber als wenig erleuchtend darstellt. Zu ihrer Rechtfertigung kann auch nicht die Gestaltungsfreiheit der Mehrheit herangezogen werden: Zwar muss sich der Bundestag zum jetzigen Zeitpunkt nicht von der Opposition zur Einsetzung der ständigen Ausschüsse zwingen lassen. Kann er sich über ihre Errichtung jedoch noch nicht einigen, so muss er in der Konsequenz die anstehenden Entscheidungen eben im Plenum treffen. Dieser Verantwortung kann und darf er sich nicht entziehen.
Der Vorgang lässt befürchten, dass die Ankündigungen von CDU/CSU und SPD, die Rechte der Opposition in dieser Legislaturperiode mit besonderer Sorgfalt zu schützen, sich als leere Versprechungen erweisen könnten. Dies ist in Zeiten, in denen die Krise der repräsentativen Demokratie immer lauter heraufbeschworen oder vielleicht auch nur beschrieben wird, besonders brisant. Die sich anbahnende Quasi-Konkordanz-Demokratie der Großen Koalition darf nicht insgesamt im Verweis des Parlamentarismus in das verfassungsrechtliche Nimmerland münden.
Ausgefochten wird dieser Streit in der nächsten Legislaturperiode vermutlich maßgeblich vor dem Bundesverfassungsgericht. Dies mag aus verfassungsrechtlicher Sicht in der Sorge um den Schutz der Minderheitenrechte in gewisser Weise beruhigend sein. In Hinblick auf die Rolle des Parlaments im demokratischen Verfassungsstaat ist es dies nicht.
Der Artikel verdeutlicht anhand des aktuellen parlamentarischen Geschehens sehr gut, was viele Staatsrechtler und interessierte Bürger bereits seit Beginn der Koalitionsverhandlungen fürchten: Eine ins Abseits gedrängte und damit de facto handlungsunfähige Opposition. Gift für die parlamentarische Demokratie. Bleibt uns nur das Warten darauf, dass sich die Große Koalition wieder selbst diskreditiert (man erinnere sich an dieser Stelle an das Merkel I Kabinett) oder eben auf die ersten Klagen vor dem BVerfG.
“die Ankündigungen von CDU/CSU und SPD, die Rechte der Opposition in dieser Legislaturperiode mit besonderer Sorgfalt zu schützen”
Verzeihung, aber man muss sehr, SEHR naiv sein, um ernsthaft auch nur eine Sekunde daran geglaubt zu haben.
Frau Merkel hat seit jeher nur ein Ziel: ihre persönliche Macht zu erhalten und auszubauen.
Jetzt hat sie die Möglichkeit, die Opposition faktisch handlungsunfähig zu machen und sich parlamentarischer Kontrolle völlig zu entziehen. Es ist klar, dass sie diese Möglichkeit nutzen wird.
Die einzige Hoffnung für die parlamentarische Demokratie in der kommenden Legislaturperiode besteht darin, dass die SPD-Basis die Übergroße Koalition verhindern könnte.
Ansonsten stehen wir vor vier Jahren einer Regierungskoalition, die einerseits die Verfassung ändern und andererseits die Opposition handlungsunfähig machen kann.
Welchen Schaden das der parlamentarischen Demokratie in Deutschland zufügen wird, ist noch nicht absehbar.
Aber der Schaden wird groß sein.
1. Dass nicht nur das Recht, Anträge zu stellen, sondern auch die in § 88 Abs. 2 GO-BT vorgesehene Beschränkung der Möglichkeit, Anträge in einen in absehbarer Zeit einzurichtenden (!) Ausschuss zu überweisen, verfassungsrechtlich vorgegeben ist, steht nicht nur keineswegs fest, sondern ist sehr zweifelhaft. Man wird hier wohl noch nicht von einer Bestimmung sprechen können, die zum in einer parlamentarischen Demokratie von Verfassungs wegen notwendigen Kernbereich der Oppositionsrechte gehört, solange das Antragsrecht als wesentlicher Teil der oppositionellen Mitwirkungsrechte nicht ausgehöhlt wird.
Ob das Vorgehen von CDU/CSU und SPD sonderlich klug gewesen ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.
2. Ob die parlamentarische Demokratie Schaden nehmen wird, lässt sich nicht seriös und jenseits bloßer Spekulation beurteilen. Rückschauend auf große Koalitionen in der Vergangenheit mag zum einen eine Wählerbewegung weg von den Koalitionsparteien und hin zu den kleinen Parteien naheliegen. Zum anderen mögen außerparlamentartische Bewegungen an Bedeutung gewinnen. Das muss aber keineswegs mit einem Schaden verbunden sein, wie der Blick zurück ebenfalls zeigt. Geht die nächste Wahl halt anders aus und muss bis dahin halt mehr von der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht werden. Auch das sieht das Grundgesetz vor.
hier das lied
http://www.youtube.com/watch?v=hL8JaSH9EP8
sn
Wenn’s um die Insel herum wenigstens ein nettes Meer gäbe; aber nein, nichts als öde Wüste…
… und ´ne klitzekleine Oase in Karlsruhe, wenn ´s mal richtig ernst wird, und nicht etwa schon bei jeder Posse.