Meine Sache
Die Nachricht, dass Elon Musk Twitter aus lauter Sorge um die Meinungsfreiheit in sein Privateigentum überführen will, bezieht einen Teil ihrer Wucht aus der Paradoxie, die sie aufzuspannen scheint: Wenn man Eigentum in Blackstones klassischer Formulierung als “that sole and despotic dominion” versteht, “which one man claims and exercises over the external things of the world, in total exclusion of the right of any other individual in the universe” – wie kann das etwas sein, das dem offenen, dem öffentlichen Marktplatz der Ideen und Meinungen nützt, der Twitter angeblich ist und sein soll? Das Recht für sich zu erwerben, ein Gut für seinen privaten Nutzen zu bewirtschaften und alle anderen von dieser Nutzung auszuschließen – wie fügt sich das in die Absicht, dieses Gut für die Allgemeinheit zu öffnen und gerade niemanden davon auszuschließen?
Das beißt sich, das passt nicht, das ist voller Spannung. Kämpfen für den Frieden, Sündigen für die Tugend, der Stoff, aus dem Mythen entstehen. Klingt nach einem angemessen monumentaler Plan für den stets nach überlebensgroßem Format strebenden Elon Musk. Aber interessanter als die Motive dieses Mannes und seine offenbar nicht sehr ausgegorenen Ansichten zum Thema Meinungsfreiheit finde ich die Frage, was das im Fall eines solchen Ideen- und Meinungs-Marktplatzes eigentlich genau sein soll: Eigentum. Das liegt auch daran, dass ich mir diese Frage, wenngleich natürlich in einem um Größenordnungen kleineren Maßstab, als Eigentümer des Verfassungsblogs ja selber zu stellen habe.
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Call for papers
The project Judges under Stress holds the final conference from 17th-18th November 2022 at the University of Oslo. We invite submissions on Institutional Path Dependence – how legal traditions and culture live on, transform and disappear, Judicial Ideology – how judges see themselves in the legal system and Judicial Resistance – how judges can resist and postpone the breaking point of the rule of law. Abstracts of max. 300 words, please send to jusconference2022@gmail.com by 30th May 2022. Find more information here.
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Das Eigentum einer Plattform wie Twitter bezieht sich auf die Technik, nicht auf die Inhalte. Plattformbetreiber sind Ingenieure, keine Verleger: Für die Inhalte sind sie nicht verantwortlich, und wenn sie es wären, wenn sie entscheiden und verantworten würden, was auf ihrer Plattform stattfindet, dann wäre das Diskriminierung, Zensur, freiheitsfeindlich (apropos “despotic dominion”). Sie sind dafür nicht verantwortlich zu machen, und das impliziert im Gegenzug, dass sie für alle offen sein müssen und sich kein Urteil darüber anmaßen dürfen, ob das gut oder schlecht ist, was die Leute da auf ihrer Plattform treiben.
Das ist auch in Gegenwart von NetzDG und DSA und Trump und Hate Speech und Fake News im Wesentlichen die gültige und rechtlich codierte Selbstbeschreibung des digitalen Kapitalismus, und sie ist es, die Musks Behauptung, sein Privateigentum an Twitter sei eine tolle Sache für die Meinungsfreiheit, den Anschein von Plausibilität verleiht.
Ein Teil dieser Selbstbeschreibung trifft auch auf den Verfassungsblog zu: Auch wir machen an den Inhalten, die auf unserer Website erscheinen, kein Eigentum geltend. Alles, was auf dem Verfassungsblog erscheint, steht unter CC-BY-SA-Lizenz. Uns gehört da nichts. Es gibt keine Paywall, keine Exklusivlizenzen. Wir sind Open Access.
Der andere Teil dieser Selbstbeschreibung trifft dagegen überhaupt nicht auf uns zu: Wenn wir etwas nicht sind, dann Ingenieure. Wir sind Redakteure. Wir bauen nicht bloß eine Plattform für Content Producer, sondern übernehmen selbst Verantwortung für das, was bei uns erscheint. Wir sind mit Nachdruck kein soziales Medium. Wir sind eigentlich nicht einmal ein Blog im ursprünglichen Sinne: Es ist gerade nicht so, dass bei uns die Autor_innen auf eigene Kappe hochladen, was sie der Welt mitteilen möchten. Wir sind eigentlich nicht viel anderes als ein ganz klassisches Old-School-Medium, das eine redaktionelle Entscheidung fällt, was es veröffentlicht, und Verantwortung dafür zu übernehmen hat. Wir nehmen, was wir gut finden, i.e. hinreichend interessant, fundiert und stringent argumentiert. Wir glauben dabei, für unsere Entscheidungen stets gute Gründe angeben können, alles andere wäre bei einem wissenschaftlichen Medium ja auch noch schöner. Aber das ändert nichts. Am Ende ist, was wir nehmen und was nicht: unsere Sache.
Verantwortung. Das ist es, was mir bei der klassischen liberalen Definition des Eigentums oft zu kurz kommt: Mein “sole and despotic dominion” über mein Eigentum, so es überhaupt existiert, ist allenfalls der Reflex davon, dass ich für mein Eigentum verantwortlich bin und gemacht werde. Deine Sache, sagt die Gesellschaft zu mir: Du hast dich drum zu kümmern, damit wir es nicht tun müssen. Du hast deine Sache in Ordnung zu halten. Wenn es Probleme mit ihr gibt, dann sind das deine Probleme.
Nach der rein klassischen liberalen Definition wäre ich ein schlechter Eigentümer, wenn nicht gar ein regelrechter Depp. Ich ziehe keinerlei Privatnutzen in Form von Geld aus meinem Eigentum – im Gegenteil. Seit ich 2018 den Verfassungsblog in eine GmbH umgewandelt habe, sind alle Einkünfte aus Crowdfunding, Kooperationen und anderen Quellen dafür draufgegangen, die Gehälter derer zu bezahlen, die diesen drastisch gewachsenen Redaktionsbetrieb jeden Tag stemmen. Ich selbst habe da seit Jahren keinen einzigen Pfennig gesehen. Gewinne, die ich mir ausschütten könnte, wird der Verfassungsblog ohnehin nie abwerfen. Das Äußerste, was ich erwarten kann, ist, dass wir am Ende des Jahres ohne Verlust abschneiden (was im letzten Jahr deutlich misslungen und in diesem auch noch alles andere als gesichert ist).
Es fällt mir aber gar nicht ein, mich deswegen im Mindesten schlecht zu fühlen. Tatsächlich bin ich – was sofort sonnenklar erscheint, wenn man mal zwei Schritte zu der liberalen Eigentumsbegrifflichkeit und ihrer Verengung auf Privatnutzen auf Distanz geht – durch den Verfassungsblog in einer Weise bereichert, die sich gar nicht beschreiben lässt. Hier ist meine Sache, die mir einen respektierten und freien Platz in der Welt verschafft, und ich würde mit Adam Smith behaupten, dass das ein kein bisschen weniger mächtiger Anreiz für unternehmerisches Engagement ist als Profit. Ich genieße das schwindelerregende Privileg, jeden Tag mit den klügsten Leuten zusammenarbeiten und mich mit den spannendsten Themen beschäftigen zu dürfen, die ich mir wünschen kann. Mir geht’s gut, keine Sorge. (Wie ich meinen Lebensunterhalt finanziere? Meine Sache!)
Die Verfassungsblog GmbH ist mein Eigentum. Aber Privatnützigkeit? Ich wüsste nicht wieso. Tatsächlich, siehe da, sind wir gemeinnützig. Wir erfüllen die Voraussetzungen von § 52 AO. “Förderung von Wissenschaft und Forschung” (Abs. 2 Nr. 1), “allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens” (Abs. 2 Nr. 24): das ist der Kern dessen, was wir machen. Wir werden deshalb jetzt unsere Satzung entsprechend ändern und einen Antrag beim Finanzamt stellen, unsere Gemeinnützigkeit formell anzuerkennen.
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Council of Europe: Consultancy services needed for support to judicial reform in Serbia
The Council of Europe has launched a call for the provision of consultancy services in Serbia in the area of independence and accountability of the judiciary, internal organisation of the judiciary, judicial training and caselaw harmonisation.
The call for experts is launched under the framework of the Project “Support for the implementation of judicial reform in Serbia”, co-funded by the European Union and the Council of Europe, implemented for a period of three years (2022-2024).
Interested providers are invited to apply by 11 May 2022. https://go.coe.int/QYvQJ
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Deswegen sind wir auch kein Verlag im herkömmlichen Sinne: Wir betreiben kein Gewerbe. Wir operieren nicht in der Logik von Leistung und Gegenleistung. Wir verkaufen nichts. Wir handeln nicht mit Produkten und Dienstleistungen, jedenfalls im Kerngeschäft. Wir machen, was wir machen, aus ganz anderen Gründen und Motiven, und diejenigen, die uns finanzieren, tun das nicht so sehr als Entgelt für die von uns für sie geleistete Arbeit denn als Förderung, damit wir überhaupt arbeiten können. (Ich will mich ja nicht einmischen in das Geschäftsmodell der Verlage, aber ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, dass die gewerbliche Logik von Leistung und Gegenleistung für die wenigsten von ihnen noch so richtig funktioniert. Weshalb manche von ihnen sich Rent-Seeking-Modellen zuwenden und versuchen, ihr sog. Eigentum an Urheberrechten und User-Daten von Autor_innen und Leser_innen auszubeuten. Mal sehen, wie nachhaltig das ist. Gehört ihnen schließlich nicht wirklich, oder?)
Ab 1.1.2023, wenn alles glatt geht, firmieren wir jedenfalls als Max Steinbeis Verfassungsblog gGmbH. Das eröffnet uns dann auch ganz andere Möglichkeiten fürs Fundraising. Das kann doch nicht sein, dass wir immer noch so fürchterlich unterfinanziert sind. Ist das dann immer noch meine Sache? Ja. Aber halt nicht nur. War es ja noch nie, eigentlich.
Gemeinnützige GmbH also. Wenn Elon Musk Interesse hat an dem Modell, kann er sich ja melden. Wenn nicht, kann er wenigstens was spenden. Kann er dann auch von der Steuer abziehen. (Oh, wait…)
Die Woche auf dem Verfassungsblog
Darf man in Deutschland trotz Ukraine-Krieg für Russland demonstrieren? Oder besser gefragt: darf man das verbieten? Was das deutsche Versammlungsrecht dafür hergibt und wo die Grenzen verlaufen, untersucht PAULA FISCHER.
Die Klimakatastrophe naht, aber die Bundesregierung macht mit einem “Tankrabatt” das Autofahren und Benzinverbrennen und CO2-Produzieren explizit billiger. Geht das mit dem Staatsziel Umweltschutz in Artikel 20a Grundgesetz konform? THOMAS GROSS sagt: nein.
Überhitzt ist auch der Wohnungsmarkt in Deutschland. Einen innovativen Vorschlag macht STEFAN KLINSKI: den Marktzugang für Unternehmen, deren Geschäftsmodell Mieten und Bodenpreise nach oben treiben, durch einen Genehmigungsvorbehalt beschränken. Rechtlich, sagt der Autor, wäre das möglich.
Kryptowährungen werden immer stärker reguliert, so auch in der EU. JANNIS LENNARTZ wirft einen Blick auf die Auswirkungen der anlaufenden Blockchain-Regulierung auf die Grundrechte.
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Summer Academy of European Public Law
For 25 years now, the summer Academy of European Public Law in Greece educates students in the shared European values of democracy, pluralism, and the rule of law. Students truely benefit from the leading figures in the field of European Public Law who teach.
This August, Professor Juli Ponce will focus on “the right to good administration” in law, as well as questions of “nudging” and the use of artificial intelligence. Professor Matteo Gnes will focus on “Legal techniques of legal integration”, norms that drive integration, & methods for harmonisation and standardisation.
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In Großbritannien ist Boris Johnson immer noch im Amt, obwohl er mittlerweile wegen seiner Verstöße gegen die von ihm selbst geschaffenen Covid-Vorschriften Strafe zahlen musste. ALISON YOUNG fragt sich, ob „Partygate“ der Anfang vom Ende der britischen Verfassung ist.
Ein von der polnischen Regierung ins Amt gehievter Richter am polnischen Obersten Gerichtshof hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Ernennung eines Richters in der Zeit der kommunistischen Diktatur ein Problem mit der Unabhängigkeit der Justiz auslöst. Wie sich der EuGH aus der Affäre gezogen hat, berichtet ANNA WÓJCIK.
Der EuGH will durch Livestream-Übertragungen mehr Öffentlichkeit für seine Rechtsprechungstätigkeit herstellen. ALBERTO ALEMANNO findet das löblich, weil damit das Informationsmonopol der journalistischen, anwaltlichen oder Verbandsinsider gebrochen wird, die den Sitzungen vor Ort beiwohnen.
In Bulgarien hat das Parlament das Sonderstrafgericht und die Sonderstaatsanwaltschaft endgültig abgeschafft. RADOSVETA VASSILEVA beleuchtet, wie die beiden Institutionen der Rechtsstaatlichkeit in den letzten zehn Jahren geschadet haben und währenddessen noch von der Europäischen Kommission unterstützt wurden.
Seit 2015 haben die EU-Mitgliedstaaten ihre Pflichten aus dem Schengen-Abkommen nicht mehr so richtig ernst genommen. Die offenen Binnengrenzen, eine der größten Errungenschaften der EU, sind vielfach praktisch irrelevant geworden. Aber jetzt hat der EuGH ein paar klare Worte gesprochen, die JONAS BORNEMANN analysiert.
So viel für diese Woche. Unterstützen Sie uns schon auf Steady? Ja? Vielen Dank. Nein? Warum nicht?
Ihr
Max Steinbeis