Menschenrechtsverletzungen, Internationales Deliktsrecht und Beweislast
In der heutigen Zeit dürfte unzweifelhaft sein, dass menschenrechtlichen Schutzgütern mancherorts auch und zum Teil gerade von privater Seite Gefahr droht. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst Zulieferer und Tochtergesellschaften deutscher Muttergesellschaften im Ausland teilweise leider menschenunwürdige Arbeitsplätze bereitstellen oder in anderer Weise finanzielle Eigeninteressen in illegitimer Weise über die Grundbedürfnisse der örtlichen Bevölkerung stellen. Diese Entwicklung hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob man das deutsche Deliktsrecht aktivieren kann, um Menschenrechte grenzüberschreitend gegenüber Privaten durchzusetzen. Dieser Beitrag soll zwei Hürden beleuchten, die dieses Vorhaben nehmen müsste: das Internationale Deliktsrecht und die Verteilung der Beweislast für die Verletzung menschenrechtsbezogener Sorgfaltspflichten.
1. Anwendbares Deliktsrecht
Ob das deutsche Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) Anwendung findet, bestimmt sich nach den Vorschriften des Internationalen Privatrechts. Dieses Teilgebiet des Privatrechts dient traditionell dazu, den kartographischen Schwerpunkt eines Rechtsverhältnisses zu finden und dann das Privatrecht des so gefundenen Ortes zur Anwendung zu bringen. Es dient damit einem räumlichen Gerechtigkeitsideal, dem es gerade nicht darauf ankommt, wie ein Rechtsstreit letztendlich in der Sache entschieden wird.
a) Situation de lege lata
Schon ein erster Blick auf einschlägige Sachverhalte eröffnet dem Betrachter, dass es schwer sein dürfte, nach dieser Leitmaxime bei einer Verletzung menschenrechtlicher Schutzgüter im Ausland zu einer Anwendbarkeit deutschen Rechts zu gelangen: Das schädigende Verhalten – etwa die mangelnde Brandsicherung am Arbeitsplatz – findet im Ausland statt, der Schaden tritt im Ausland zum Nachteil ausländischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland ein und in der Regel ist auch die unmittelbar schädigende (juristische) Person eine ausländische. Allein der Sitz der möglicherweise mittelbar mitverantwortlichen Muttergesellschaft oder in den Zuliefererfällen der des Auftraggebers kann sich in Deutschland befinden, was aber bei einer strikt räumlichen Betrachtung nicht entscheidend ins Gewicht fällt.
Ein Blick in die einschlägige Regelung des Internationalen Deliktsrechts bestätigt den so begründeten Verdacht: Gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist auf unerlaubte Handlungen (vertragliche Ansprüche werden gegen die Muttergesellschaft oder Auftraggeberin regelmäßig nicht bestehen) das „Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.“ In den diskutierten Fällen führt diese Regel praktisch ausschließlich zur Anwendbarkeit ausländischen Rechts. So ging beispielsweise das LG Dortmund in dem paradigmatischen KiK-Fall von pakistanischem Recht aus.
Nun wird teilweise erwogen, ob nach der sogenannten Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO abweichend von der grundsätzlichen Anknüpfung an den Schadenseintrittsort ausnahmsweise doch eine Anwendung deutschen Rechts in Frage kommt (dazu Peters/Gless/Thomale/Weller, hier, S. 28). Dies würde „eine offensichtlich engere Verbindung“ des Sachverhalts zu Deutschland erfordern. Dafür spräche zwar, dass in den diskutierten Fällen das deutsche Unternehmen von Deutschland aus auf das Unternehmen im Ausland hätte einwirken können. Indes verbietet sich ein Rückgriff auf die Ausweichklausel aus zwei Gründen: Erstens würde damit mittelbar doch auf den Ort des schädigenden Verhaltens abgestellt, obwohl Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO dieser Anknüpfung eine klare Absage erteilt. Und zweitens würde man sich damit darüber hinwegsetzen, dass die Ausweichklausel allein dazu dient, international-privatrechtliche – das heißt: räumliche – Gerechtigkeit herzustellen. Rein räumlich betrachtet liegt der Schwerpunkt des Geschehens aber nun einmal im Ausland.
Darin zeigt sich auch die Krux an dem Vorhaben, den menschenrechtlichen Schutzstandard des deutschen Rechts durch das Internationale Privatrecht auf Verletzungen im Ausland zu erstrecken: Man erstrebt materielle Ergebnisgerechtigkeit durch ein Mittel, dem es traditionell gar nicht auf das Ergebnis eines Rechtsstreits ankommt. Zugleich liegt hierin aber der Ansatzpunkt für einen weiteren diskutierten Weg zum deutschen Deliktsrecht. Denn auch das Internationale Privatrecht muss als grundrechtsgebundener Teil der Rechtsordnung zumindest einen Minimalbestand an materieller Gerechtigkeit sicherstellen. Dies geschieht durch den sog. ordre public-Vorbehalt, welcher der Abwehr materiell besonders ungerechter, mit den Grundwerten des Forumstaates unvereinbarer Ergebnisse dient und zu diesem Zweck ein Abweichen vom räumlichen Gerechtigkeitsideal ermöglicht.
Diese Einbruchstelle in das traditionelle Paradigma ist auch in Art. 26 Rom II-VO niedergelegt. Auch wenn man darüber streiten mag, wie großzügig von diesem Vorbehalt Gebrauch zu machen ist, dürfte sich bei Menschenrechtsverletzungen nur selten ein Anwendungsbereich für ihn auftun. Denn der ordre public-Vorbehalt setzt unter anderem voraus, dass das ausländische Recht dem inländischen Wertestandard offensichtlich widerspricht. Das wird aber naturgemäß kaum der Fall sein, soweit es um universell anerkannte Menschenrechte geht. Denn soweit die Haftung des unmittelbaren Verursachers – also der Tochtergesellschaft oder des Zulieferers – in Rede steht, dürfte die Anspruchslage im Ausland kaum schlechter sein als im deutschen Recht: Es wird sich beispielsweise kaum ein Staat finden, in dem die Körperverletzung keinen Anspruch des Verletzten zur Folge hat. Umgekehrt findet sich für einen Anspruch gegen eine juristische Person (z.B. Muttergesellschaft) für ein Fehlverhalten einer anderen juristischen Person (z.B. Tochtergesellschaft) auch im deutschen Recht nach dem derzeitigen Stand nur in absoluten Ausnahmefällen eine Anspruchsgrundlage (Wagner, RabelsZ 80 [2016], 717, 761: „Rechtsträgerprinzip als eigentliche Hürde der Menschenrechtsklagen“).Man kann dem ausländischen Recht deshalb kaum ein unerträgliches Abweichen von inländischen Werten vorwerfen, wenn es ebenfalls keinen Anspruch gewährt. Zudem würde ein Eingreifen des ordre public-Vorbehalts auch regelmäßig nicht dazu führen, dass deutsches Recht zur Anwendung käme. Vielmehr ist wegen des Ausnahmecharakters der Vorbehaltsklausel das ausländische Recht nur so zu modifizieren, dass es mit inländischen Werten (gerade so) vereinbar ist.
Das für Befürworter einer Haftung nach deutschem Recht ernüchternde Ergebnis lautet danach: Derzeit richtet sich die Haftung regelmäßig allein nach ausländischem Recht (so auch Rühl, hier). Zugleich muss – und so beweist sich die Ergebnisneutralität des Internationalen Privatrechts – damit nicht die Aussage verbunden werden, dass Menschenrechtsklagen deshalb eine geringere Aussicht auf Erfolg hätten. Denn wie die Auseinandersetzung mit dem ordre public gezeigt hat, steht der Geschädigte nach ausländischem Recht weder generell besser noch generell schlechter als nach den §§ 823 ff. BGB.
b) Lex ferenda?
Eine besondere Effizienz im Rechtsfindungsprozess wird man diesem Zustand, der umfangreiche Ermittlungen zu teils schwer zugänglichen Rechtsordnungen erforderlich macht, freilich nicht attestieren können. Andererseits stellt sich das Problem aufwendiger Fremdrechtsermittlung nicht nur bei Menschenrechtsklagen, sondern bei fast allen im Ausland begangenen Delikten. Sollte also der Gesetzgeber für die Menschenrechtsverletzungen einen kollisionsrechtlichen Sonderweg gehen? Die Antwort darauf lautet de lege lata meines Erachtens: nein, denn derzeit ist im deutschen Deliktsrecht ebenfalls nur in Ausnahmefällen mit einem Anspruch zu rechnen.
Grundlegend anders verhielte es sich deshalb aber, wenn der deutsche Gesetzgeber im Sachrecht die Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Haftung der deutschen Unternehmen schaffen würde. Dann wäre es regelrecht widersprüchlich, wenn er nicht auch für deren internationale Anwendbarkeit sorgen würde, weil sie sonst leerliefe. Damit bleibt die Frage, wie der deutsche Gesetzgeber einen entsprechenden politischen Willen wirksam umsetzen kann.
Das Internationale Deliktsrecht ist mittlerweile fast ausschließlich durch Unionsrecht geregelt. Eine eigene deutsche Kollisionsnorm für Menschenrechtsverletzungen ginge wegen ihres Anwendungsnachrangs ins Leere und ist deshalb nicht sinnvoll.
Jedoch lässt das Unionsrecht in Art. 16 Rom II-VO eine Hintertür für die Mitgliedstaaten offen. Die Norm ermächtigt die mitgliedstaatlichen Gerichte dazu, als besonders zentral für die nationale Werteordnung empfundene Normen des Forumstaates unabhängig davon durchzusetzen, welches Recht auf den Sachverhalt eigentlich anwendbar ist. Ein zentrales Element dieser sogenannten Eingriffsnormen besteht darin, dass sie als sachrechtliche Einzelnormen direkt zur Anwendung kommen und nicht – wie bei Verstößen gegen den ordre public – nur ein im Lichte der inländischen Werteordnung modifiziertes Auslandsrecht. Schon dies spricht dafür, eine Neuregelung der Haftung deutscher Unternehmen als Eingriffsnorm auszugestalten. Entscheidet sich der deutsche Gesetzgeber für diesen Weg, so sollte er den internationalen Geltungswillen der Neuregelung deutlich zum Ausdruck bringen, sei es (vorzugswürdig) im Gesetzestext oder in der Gesetzesbegründung. Auch das Fehlen einer solchen Klarstellung verbietet eine Einordnung als Eingriffsnorm wohl nicht, würde aber voraussichtlich – wie die Diskussion über die französische Neuregelung zeigt – ungewollte Meinungsverschiedenheiten hervorrufen (dazu Grabosch, hier, S. 35 und Krebs, hier).
Für eine solche Eingriffsnorm gibt es zwei Grundformen: eine weite, bei der die gesamte Haftungsregel Eingriffsnorm ist, und eine enge, bei der lediglich eine Sorgfaltspflicht mit international zwingender Geltung normiert wird. Beide Wege sind für das an sich anwendbare Auslandsrecht auf ihre Art schonender und eingriffsintensiver zugleich: Die weite Lösung derogiert es umfassender, greift aber nicht in seine Binnenstruktur ein, die enge Lösung lässt es zwar in Teilen anwendbar bleiben, amalgamiert es aber im Gegenzug mit ihm fremden Rechtsvorstellungen und unterstellt ihm so letztlich Ergebnisse, die nicht zu ihm passen. M.E. verdient die weite Lösung den Vorzug, weil sie eine aufwendige Fremdrechtsermittlung und die schwierige Einpassung einer deutschen Sorgfaltspflicht in fremde Haftungsregeln entbehrlich macht.
Dieses Argument passt zugegeben nicht in das Bild eines Internationalen Privatrechts, dessen Ausgangspunkt die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen ist. Ein Bruch mit diesem Ausgangspunkt liegt aber ohnehin im Wesen jeder Eingriffsnorm und – wie dargelegt – ist keine der Lösungen pauschal schonender für das Auslandsrecht. Zumindest in dieser Pattsituation darf die Praktikabilität der weiten Lösung den Ausschlag geben.
2. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
Bei der Einführung einer neuen Haftungsnorm oder Sorgfaltspflicht sollte sich der Gesetzgeber auch über die Beweislastverteilung Gedanken machen (siehe auch Domeij, hier). Dazu könnte er entweder die Regelungsstruktur des aktuellen Deliktsrechts übernehmen oder die Beweislast einer davon abweichenden (Vermutungs-)Regelung zuführen. Die besseren Gründe sprechen, wie zu zeigen ist, für Letzteres.
a) Darlegungs- und Beweisbelastung des Anspruchstellers?
Würde der Gesetzgeber eine neue Haftungsnorm sprachlich fassen wie § 823 Abs. 1 BGB („Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt […]“), so würde er die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich dem Anspruchsteller aufbürden. Diesem wird bereits die Darlegung eines pflichtwidrigen Verhaltens schwerfallen: Denn spätestens auf ein Bestreiten des Anspruchsgegners müsste er dann substantiiert darlegen, welches konkrete Versäumnis er ihm vorwirft, ohne Einblick in seine internen Strukturen zu haben. Selbst wenn ihm das gelänge, würde ihm der Beweis dieser Behauptung regelmäßig misslingen, weil er nicht um die erforderlichen Beweismittel weiß: Zwar können auch Zeugen aus dem Lager der Gegenpartei benannt werden und das Gericht kann die Vorlage von Urkunden und sonstigen Unterlagen in ihrem Besitz anordnen (§ 142 I 1 ZPO). Beides würde aber eine genaue Bezeichnung der jeweiligen Beweismittel erfordern, die der Geschädigte in den meisten Fällen nicht leisten kann. Ein diesen Mangel behebender allgemeiner Informationsanspruch gegen den Prozessgegner ist dem deutschen Zivilprozess fremd.
Eine Beweisbelastung des Anspruchstellers würde deshalb regelmäßig eine Erfolglosigkeit seiner Rechtsverfolgung bedeuten. Sollte sich der Gesetzgeber dennoch nicht anders entscheiden, könnte man allenfalls einen Anscheinsbeweis zugunsten des Anspruchstellers erwägen: Es liegt nach der Lebenserfahrung nahe, dass entsprechende Bemühungen der Muttergesellschaft oder des (praktisch) einzigen Auftraggebers bei dem ausländischen Unternehmen dazu führen würden, dass dieses menschenrechtliche Standards einhält. Ein entsprechendes Versagen des ausländischen Unternehmens könnte deshalb prima facie den Schluss zulassen, dass das deutsche Unternehmen die gebotene Einflussnahme unterlassen hat. Ob dies aber tatsächlich stets so nahe liegt, wie es für einen Anscheinsbeweis erforderlich wäre, ist ungewiss. Jedenfalls sollte sich der Gesetzgeber, wenn er schon eine Neuregelung vornimmt, nicht darauf verlassen.
b) Darlegungs- und Beweislast des Anspruchsgegners?
Das andere Extrem wäre eine volle Beweislastumkehr, kraft derer den Anspruchsgegner die Darlegungs- und Beweislast dafür träfe, dass er seine menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gewahrt hat. Allerdings wird auch ihm dieser Beweis nicht immer leichtfallen, weil – gegebenenfalls lange zurückliegende – Kommunikationsprozesse nicht ausnahmslos nachvollzogen werden können und auch noch schwer vorhersehbar ist, welche Umstände für die Bewertung des Verhaltens als sorgfaltswidrig eine Rolle spielen würden. Eine umfassende Beweisbelastung des Anspruchsgegners ist deshalb ebenfalls nicht angezeigt.
c) Vermittelnder Vorschlag
Damit sind zugleich die wesentlichen Eckpfeiler der vorzugswürdigen Lösung abgesteckt: Weder dürfen Darlegung und Beweis generell dem Anspruchsteller obliegen noch sollten Unternehmen den vollen Beweis für das Fehlen einer Sorgfaltspflichtverletzung erbringen müssen, um sich zu entlasten. Als Mittellösung würde sich anbieten, die Position des Anspruchstellers durch eine widerlegliche Vermutung des sorgfaltswidrigen Verhaltens zu verbessern. Um eine Einseitigkeit zulasten von Unternehmen zu vermeiden, sollte diesen die Möglichkeit gegeben werden, die Vermutung durch den Nachweis bestimmter zu normierender Schutzmaßnahmen auszuschalten.
Als Struktur der Beweislast ergäbe sich:
- Es wird widerleglich vermutet, dass der Anspruchsgegner eine Sorgfaltspflicht verletzt hat.
- Diese Vermutung gilt nicht, wenn der Anspruchsgegner nachweist, dass er sich an bestimmte formalisierte Vorgaben gehalten hat. Zu denken wäre hier insbesondere an standardisierte Dokumentationsobliegenheiten.
- Soweit die Vermutung nicht eingreift, trägt der Geschädigte die Beweislast und kann noch immer (zumindest theoretisch) zu einem Anspruch gelangen, indem er den Sorgfaltspflichtenverstoß positiv nachweist.
3. Schluss
Die beiden Schlaglichter haben gezeigt, dass eine zivilrechtliche Haftung nach deutschem Deliktsrecht für Menschenrechtsverletzungen im Ausland de lege lata wenig Aussicht auf Erfolg hat, schon weil dieses in aller Regel gar nicht zur Anwendung kommt. Auch die Beweislastverteilung stellt die Geschädigten vor erhebliche Herausforderungen. Beides kann der Gesetzgeber ändern. Es bleibt zu hoffen, dass ihm dabei insbesondere mit Blick auf das Sachrecht eine Regelung gelingt, welche die Interessen aller Beteiligten gerecht gegeneinander ausgleicht.