Mit Netz und doppeltem Boden – Beamte in der Politik
Am vergangenen Freitag ist Waltraud (genannt Wara) Wende nach nur gut zwei Jahren vom Amt der Ministerin für Bildung und Wissenschaft in Schleswig-Holstein zurückgetreten. Als Grund nannte sie die Belastung durch die gegen sie laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlung. Diese war ausgelöst worden durch einen Beschluss des Präsidiums der Universität Flensburg, auf den Wende noch als deren Präsidentin hingewirkt hatte und der ihr zusicherte, im Anschluss an ihr Ministeramt an die Universität Flensburg zurückkehren können – eine Art Versicherung gegen die Risiken des volatilen Politikbetriebs.
Nachdem diese Rückkehroption im Frühjahr bekannt geworden war, erhob sich heftige Kritik – der Landtag traf sich zu einer Aktuellen Stunde und die Opposition forderte die Entlassung der parteilosen Ministerin. Der Vorwurf: Eine Wissenschaftsministerin, die sich auf diese Art selbst bediene, könne ihr Amt als Gesprächspartnerin der Hochschulen nicht mit der nötigen Objektivität ausüben.
Aber handelte es sich hier tatsächlich um einen ungewöhnlichen, ja skandalösen Vorgang?
Auf den ersten Blick keineswegs. Rückkehroptionen sind im Beamtenrecht allgegenwärtig – und gelten für den Lehrer, der ein Abgeordnetenmandat erringt, ebenso wie für Professorinnen, die ein Ministeramt übernehmen. Für die Dauer des Mandates bzw. Regierungsamtes wird der Beamte ohne Bezüge beurlaubt, die Rechte aus dem Beamtenverhältnis ruhen (§ 5 AbgG, § 18 I BundesministerG, § 3 I Landesministergesetz Schleswig-Holstein, § 40 BBG). Endet die Mitgliedschaft im Parlament bzw. in der Regierung, hat der Beamte das Recht, in das Dienstverhältnis zurückzukehren (§ 6 I AbgG, § 18 II BundesministerG, § 3 II LandesministerG SH) – und zwar in einer dem zuletzt bekleideten Amt gleichwertigen Laufbahn.
In einem so unsteten Geschäft wie der Politik ist eine solche Rückfahrkarte von großem Vorteil, denn die Entscheidung für ein politisches Amt oder Mandat ist mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko verbunden: Zwar ist die durchschnittliche Verbleibdauer im Deutschen Bundestag mittlerweile auf gut 10 Jahre (2,6 Legislaturperioden) gestiegen, viele Parlamentarierinnen scheiden aber wieder aus, bevor sie das Eintrittsalter für die Altersentschädigung (65 bzw. 67 Jahre, § 19 AbgG) erreichen, und der durchschnittliche Bundestagsabgeordnete dürfte sich auch nicht darauf verlassen können, dass im Anschluss an sein Mandat ein lukrativer Aufsichtsrats- oder Vorstandsposten lockt. Beamtinnen und Beamte müssen sich hingegen keine Zukunftssorgen machen – ihr finanzielles Auskommen ist auch nach Ende der politischen Laufbahn gesichert. Vor diesem Hintergrund dürfte es kein Zufall sein, dass sie aktuell mit fast 30% die größte Berufsgruppe im Deutschen Bundestag stellen.
Wenn es sich aber um einen so alltäglichen Vorgang handelt, warum ermittelt die Staatsanwaltschaft?
Bei der ehemaligen Ministerin aus Schleswig-Holstein lag der Fall etwas anders: Sie war bis zu ihrem Eintritt in die Landesregierung zwar Präsidentin der Universität Flensburg, ordentliche Professorin aber war sie nicht in Flensburg, sondern im niederländischen Groningen. Mit Rücktritt von ihrem Präsidentenamt, das in der Folge neu besetzt wurde, bestand mit der Universität Flensburg folglich kein Beamtenverhältnis mehr, das während ihrer Regierungszugehörigkeit ruhen und danach wieder aufleben konnte (§ 3 II LandesministerG SH i.V.m. § 23 VII HochschulG). Der Präsidiumsbeschluss der Universität Flensburg war folglich nicht Ausdruck der beamtenrechtlichen Rückkehroption, sondern sicherte ihr eine Position, die sie zuvor nicht innehatte.
Dabei steht der Verdacht im Raum, dass Frau Wende im Gegenzug zu dem ihr gewährten Rückkehrrecht den Kanzler der Universität Flensburg, Frank Kupfer, zur Wiederwahl vorgeschlagen hat – also Vorteil gegen Vorteil geflossen ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt sowohl gegen Frau Wende als auch gegen Herrn Kupfer wegen des Verdachts der Bestechung und der Bestechlichkeit. Gegen die ehemalige Universitätspräsidentin steht ferner der Verdacht des Betruges im Raum, weil sie gegenüber dem für die Rückkehroption zuständigen Senat der Universität unzutreffende Angaben gemacht haben soll. Im August wurden u.a. das Ministerium und das Privathaus Wendes durchsucht. Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen wird Wara Wende wohl nicht an die Universität Flensburg zurückkehren. Schon im April diesen Jahres hatte sie auf ihre Rückkehroption verzichtet (zur Chronologie der Ereignisse s. hier).
Bleibt die Frage, wie mit Rückkehroptionen im Allgemeinen umzugehen ist. Zumindest für den parlamentarischen Betrieb gilt: Die Offenlegungspflichten für Abgeordnete nach §§ 44a IV, 44b AbgG sollten um eine allgemeine Pflicht, auch Rückkehroptionen offenzulegen, ergänzt werden. Bisher gilt eine solche nur für Vereinbarungen, wonach dem Abgeordneten nach der Beendigung der Mitgliedschaft bestimmte Tätigkeiten übertragen werden sollen, d.h. vertragliche Rückkehrrechte. Beamtenrechtliche Rückkehroptionen sind hingegen nur mittelbar dadurch erkennbar, dass die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit angezeigt werden muss (anders aber etwa in Niedersachsen, wo eine Offenlegungspflicht auch für gesetzliche Rückkehroptionen besteht, § 27 VI Niedersächsisches Abgeordnetengesetz).
Uninteressierte, interessen-freie Politiker sind weder wirklichkeitsnah noch wünschenswert, aber die Wählerinnen und Wähler sollten mögliche Interessenkonflikte und Abhängigkeiten zumindest erkennen können – das stärkt das Vertrauen in den einzelnen Abgeordneten und die parlamentarische Demokratie insgesamt (so schon das BVerfG im Diätenurteil von 2007). Schließlich ist eine solche Offenlegungspflicht auch im Sinne der Gleichheit der Abgeordneten untereinander geboten: veröffentlichungspflichtige Nebentätigkeiten sind ebenso eine Versicherung für die Zeit nach der Politik wie Rückkehroptionen – dass Letztere Erstere unnötig machen, sollte verbeamteten Politikerinnen nicht zum Vorteil gereichen.
Moin Anna,
schöner Beitrag. Endlich ist mein juristischer Informationsdurst in dieser Frage mal beantwortet worden.
Du forderst, dass die „Offenlegungspflichten für Abgeordnete […] um eine allgemeine Pflicht, auch Rückkehroptionen offenzulegen, ergänzt werden“ sollten. Zur Begründung fügst Du einerseits die Stärkung des Vertrauens (der Bürgerinnen und Bürger) in die Abgeordneten und in die Demokratie insgesamt an und die Gleichbehandlung innerhalb der Abgeordneten andererseits.
Unabhängig der Argumentation mündet Deine beispielhafte juristische Analyse in einen Aufruf nach gesetzgeberischer Tätigkeit, wie ich ihn vom gängigen Politiker gewohnt bin, der sich über die Verwicklung eines fremdparteilichen Kollegen (oder Kollegin) in einen Skandal empört. Ist eine Gesetzesergänzung denn wirklich zielführend, um in Zukunft solche Fälle zu vermeiden? Ich habe den Eindruck, dass Du Wara Wende unterstellst, dass sie von ihrem Vorhaben abgelassen hätte, wenn sie zur Veröffentlichung der entsprechenden Angaben verpflichtet gewesen wäre.
Ich möchte nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich Deinen Appell einer Gesetzesänderung abwegig finde; keinesfalls! Ich behaupte nur, dass wir Juristen nicht unbedingt für unseren Aktionismus bekannt sind.
Mit den besten Grüßen aus Trier
Oliver
Lieber Oliver, vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich wollte Wara Wende keineswegs unterstellen, dass sie im Falle einer Offenlegungspflicht anders gehandelt hätte. Es geht mir nicht um Abschreckung – und die Erfahrungen mit der Veröffentlichungsflicht von Nebentätigkeiten im Bundestag sprechen auch nicht dafür, dass dadurch Nebentätigkeiten weniger oder Freiberufler aus dem Bundestag verdrängt würden. Aber ich finde es bemerkenswert, dass Nebentätigkeiten seit Jahren aufgeregt diskutiert werden, Rückkehroptionen hingegen kaum eine Rolle spielen. Für eine unterschiedliche Behandlung sehe ich keinen Anlass, deshalb halte ich eine Gesetzesänderung für angebracht.
Wie die Öffentlichkeit und die Wähler dann mit den veröffentlichten Informationen umgehen, sei ihnen überlassen – ganz so weit geht mein Aktionismus dann doch nicht 😉
Wählerinnen und Wähler sollten mögliche Interessenkonflikte und Abhängigkeiten zumindest erkennen können
Ich hielte es für sinnvoll, wenn die Wähler sich zunächst einmal darüber bewusst würden, welches die tatsächlichen Interessenkonflikte zwischen ihnen und den Abgeordneten sind. Solange Wähler sich das Wesen des Abgeordnetendaseins als eine Art Arbeitsverhältnis verfabeln, obwohl es die Abgeordneten und nicht die Wähler sind, die das Hausrecht ausüben, erscheint mir das Bedürfnis “das Vertrauen in den einzelnen Abgeordneten und die parlamentarische Demokratie insgesamt” stärken zu wollen als intellektuell ziemlich unredlich.
Hey Anna,
könnte eine unterschiedliche Behandlung von Rückkehroption einerseits und Nebentätigkeit andererseits hinsichtlich ihrer Veröffentlichung nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass beide “Privilegien” in jeweils unterschiedlicher Weise geeignet sind, auf die freie Mandatsausübung des Abgeordneten einzuwirken?
Nebentätigkeiten sind besonders geeignet, die Mandatsausübung in zeitlicher und politischer Hinsicht zu beeinflussen, auch bezüglich der natürlichen Arbeitsbelastungen.
Die bloße Gewissheit hingegen, wieder in den alten Beruf zurückkehren zu können, bewirkt keine Laisser-faire-Haltung beim Abgeordneten 😊 oder zu einer vergleichbaren Mehrbelastung wie bei Nebentätigkeiten.
Wenn Du nun auf dieser Grundlage Deine Meinung revidierst und Dich mir anschließt, dann hast Du Glück; musst du dann nicht entscheiden, warum nur Beamte die Rückkehroption offenlegen müssen und nicht alle Berufstätige, die eine berufliche Absicherung von Ihrem Arbeitgeber erhalten haben 😉
Lieber Oliver,
ich bin ganz Deiner Meinung: Rückkehroptionen sollten generell offengelegt werde – für vertragliche gilt das meiner Meinung nach aber schon (s.o.), daher der Fokus auf die Beamten.
Sicherlich bringen Rückkehroptionem anders als Nebentätigkeiten nicht das Problem einer Doppelbelastung mit sich, unter der das Mandat leidet. Es können aber in beiden Fällen Interessenkonflikte und Abhängigkeiten bestehen, die zumindest deutlich gemacht werden sollten – was ja auch ein Grund für die Offenlegungspflicht von Nebeneinkünften ist. Schließlich finde ich, dass die Gleichheit der Abgeordneten gebietet, deutlich zu machen, dass der eine Abgeordnete ein größeres Interesse daran haben mag, nebenbei zu arbeiten, als der andere. Damit will ich nicht sagen, dass jeder Freiberufler nebenbei arbeiten muss, aber das Zukunftsrisiko ist eben doch ein Anderes als das verbeamteter Kollegen.
Hey Anna,
auf ein Letztes:
Ich denke, dass sich Interessenskonflikte bei Abgeordneten immer ergeben können und dass diese nicht zu vermeiden sind. Das heißt natürlich nicht, dass man zu resignieren hätte, falls solche erkenntlich werden. Doch denke ich auch, dass nur solche „Dinge“ offengelegt werden sollten, die wie gem. § 44a Abs. 4 AbgG „auf für die Ausübung des Mandats bedeutsame Interessenverknüpfungen hinweisen können“. Das Risiko der „bedeutsamen Interessenverknüpfung“ sehe ich bei einer Rückkehroption eines Beamten nicht wie bei einer Nebentätigkeit. Die Rückkehroption ist die bloße Absicherung für die Zeit nach dem Mandat, die Nebentätigkeiten könnten sich unmittelbar auf die Mandatsarbeit auswirken.
Grüße