Obama vs. Tea Party: Showdown vor dem Supreme Court
Ist die Verfassung dazu da, der Regierung das Regieren einfacher oder schwerer zu machen? Oder anders gefragt: Wenn in den von der Verfassung vorgegebenen Verfahren schier überhaupt nichts mehr vor noch zurück geht vor lauter politischer Blockade – ist dann Stillstand der von der Verfassung gewollte und befohlene Zustand? Und wenn nein, wie soll sich dann die Regierung verfassungsgemäß verhalten?
In unserem entpolitisierten GroKo-Vierfünftelmehrheits-Deutschland ist so eine Situation im Augenblick schwer vorstellbar, aber in den USA ist sie seit Jahren bittere Realität: Präsident Obama hat es mit einem Kongress zu tun, der jeden politischen Gestaltungswillen dem obersten Ziel unterordnet, den Präsidenten lahmzulegen, ob beim Haushalt oder bei den Nachbesserungen an Obamacare oder sonstwo.
Besonders krass ist diese Blockadepolitik, wenn es um die Ernennung von Bundesbeamten geht. Dafür braucht der Präsident nach Art. 2 der US-Verfassung die Zustimmung des Senats. Dort hätten die Demokraten eigentlich sogar die Mehrheit, aber das hilft Obama wenig, solange die republikanische Minderheit mittels des berüchtigten Filibuster die Ernennungen ad infinitum hinauszögern kann.
Heute verhandelt der US Supreme Court einen Fall, der diese Konstellation auf den Punkt bringt. Es geht um Obamas Versuch, eine Klausel in der Verfassung auszunutzen, die es dem Präsidenten erlaubt, auch ohne Zustimmung des Senats Beamte zu ernennen – nämlich wenn dieser im Urlaub ist (“Recess Appointments”). Auf dieser Grundlage umstrittene Leute durchzubringen, ist seit Jahrzehnten Praxis. Die Gegenseite wehrt sich dadurch, dass sie technisch verhindert, dass der Senat Urlaub macht, indem alle paar Tage eine Pro-Forma-Sitzung abgehalten wird, an der niemand teilzunehmen braucht und bei der auch nichts beschlossen wird – sie ist ausschließlich dazu da, die besagte Verfassungsklausel auszuhebeln.
Aus unserer Perspektive neigt man dazu, sich die Blockadetaktik mit dem Interesse der Opposition zu erklären, die Regierung schlecht aussehen zu lassen – wie weiland Lafontaine gegen Kohl. Aber das scheint mir zu kurz gegriffen: Was uns wie ein politischer No-Brainer erscheint – eine dysfunktionale Regierung will doch niemand – ist aus republikanischer Sicht überhaupt nicht so. Im Gegenteil, wenn das National Labor Relations Board mangels Beamter nicht arbeitsfähig ist, dann ist das für hartgesottene Libertäre eine gute Sache und keine schlechte. Schließlich halten sie dieses Board mitsamt allen anderen Bundesbehörden außer dem Militär ohnehin für in höchstem Maße überflüssig.
Das Lafontaine-Kalkül taucht eher auf der anderen Seite der Gleichung auf: Schlecht aussehen lassen kann sie die Regierung dann am ehesten, wenn diese versucht, die Blockade zu durchbrechen, ob mit Mitteln wie dem “Recess Appointment” oder auf andere Weise.
Dass Obama ein ganz übler Verfassungsbrecher ist, wenn nicht gar ein regelrechter Diktator, ist mittlerweile ein fest etablierter Topos im rechtslibertären Sektor der amerikanischen Öffentlichkeit. Wer daran zweifelt, dem gebe ich den Rat, mal die Suchworte “Obama” und “Constitution” in Twitter einzugeben.
Die Taktik ist ebenso raffiniert wie effizient: Was immer Obama versucht, um sich aus dem Würgegriff des Kongresses zu befreien, lässt sich prächtig als ruchloser Übergriff des Präsidenten in die geheiligten Rechte der Volksvertretung denunzieren, mit allen dazugehörigen Reminiszenzen an 1775. Da fühlt sich jeder rotnackige Texaner gleich wie ein wiedergeborener Thomas Jefferson, wenn er den schwarzen Mann im Weißen Haus als Feind von Demokratie und Gewaltenteilung hassen kann, nach dem Motto: So einen hätten die Verfassungsväter niemals als Präsidenten gewollt! Mit welcher Leichtherzigkeit man dem vorangegangenen Präsidenten jeden noch so krassen Executive-Power-Wahnsinn verziehen hatte, vergisst man darüber um so leichter.
Jetzt kommt es somit auf den US Supreme Court an, auf die Ausgangsfrage eine angemessene Antwort zu finden. Das Vertrauen, dass ihm das gelingt, war schon mal größer. Aber lassen wir uns überraschen.
Update: Der Supreme Court scheint der Ansicht zuzuneigen, dass es allein die Sache des Senats ist, zu entscheiden, wann er im Urlaub ist und wann nicht.