Plebiszit gegen die Naturnahme
Die ecuadorianische Volksabstimmung über die Erdölförderung und das Rohstoffverwaltungsrecht
Der Abbau fossiler Brennstoffe erfordert einen rechtlichen Rahmen, der es ermöglicht, dass Bodenschätze angeeignet und kommerzialisiert werden. Die dazugehörigen Verwaltungsverfahren sind dabei regelmäßig technisch ausgestaltet und ermöglichen es kaum, strukturelle Fragen (etwa, ob trotz Klimakatastrophe weiterhin Erdöl gefördert werden soll) zu thematisieren. Eine Abkehr von diesen überkommenen Grundsätzen des rechtlichen Umgangs mit dem Rohstoffabbau war jüngst in Ecuador zu beobachten: Hier stimmten am 20. August 2023 knapp 59% der Wähler*innen bei einer nationalen Volksabstimmung dafür, die Ölbohrungen im amazonischen Yasuní-Nationalpark, einem Biodiversitätshotspot und Wohnort indigener Gruppen in freiwilliger Isolation, zu stoppen. Über 700 Millionen Barrel Öl sollen nun im Boden belassen werden. Es handelt sich um einen der weltweit seltenen Fälle der direktdemokratischen Entscheidung über den Rohstoffabbau. Indem sie die Frage der Zukunft der Erdölförderung im Yasuní zum Gegenstand offener politischer Debatte macht, erlaubt sie, dies in einem Kontext zu diskutieren, der über das konkrete Projekt hinausreicht.
Vorgeschichte
Der Volksabstimmung war eine lange Entwicklung vorausgegangen (hierzu Valle Franco). Bereits 2007 stand der Yasuní erstmals im Fokus der internationalen Öffentlichkeit, nachdem der damals frisch gewählte Präsident Ecuadors, Rafael Correa, der Weltgemeinschaft angeboten hatte, aus Umweltschutzgründen auf die Ausbeutung des Öls zu verzichten, wenn die Staatengemeinschaft die hierdurch entfallenden Einnahmen kompensieren würde. Als sich abzeichnete, dass die entsprechende Summe nicht erreicht werden würde, auch weil sich der damalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel gegen das zunächst von der Bundesregierung begrüßte Projekt (Alarcón/Rocha/Di Pietro, S. 68 f.) gestellt hatte, gab Correa 2013 das Scheitern der Initiative bekannt und begann mit der Ölförderung.
Bereits 2014 hatten die Aktivist*innen des Kollektivs Yasunidos etwa 750.000 Unterschriften für die Durchführung einer Volksabstimmung (hierzu Morales Naranjo, S. 130 ff.) über den Abbau im Yasuní gesammelt, deutlich mehr als die eigentlich erforderlichen 5% der Wahlbevölkerung (Martínez-Moscoso/Burdette). Die Regierung weigerte sich jedoch unter Berufung darauf, dass ein Großteil der Unterschriften ungültig sei, die Abstimmung durchzuführen; zu Unrecht, wie das Verfassungsgericht im Jahr 2023 befand, als es schließlich die Durchführung der Abstimmung anordnete. Diese fand nun zeitgleich mit den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen (zum Hintergrund Prieto) am 20. August statt. Seit Einreichung der Initiative im Jahr 2007 hatte sich der Sachverhalt allerdings grundlegend verändert. Ging es damals darum, ein Projekt zu verhindern, bevor mit den Bohrarbeiten begonnen würde, stand nun der Stopp der bereits laufenden Erdölförderung zur Debatte. Die Abstimmungsfrage wurde deshalb vom Verfassungsgericht gegenüber der ursprünglichen Fassung modifiziert. Abgestimmt wurde nun darüber, ob die Ölförderung gestoppt und die Förderinfrastruktur binnen eines Jahres zurückgebaut werden solle (Decisión 2.1, S. 12).
Codierung von Natur
Dass in direktdemokratischen Verfahren über konkrete Bergbauprojekte abgestimmt wird, ist außergewöhnlich. Auch in Ecuador war die Zulässigkeit solcher Abstimmungen nicht selbstverständlich, wurde aber vom Verfassungsgericht bereits 2019 bejaht, da den direktdemokratischen Mitbestimmungsrechten Vorrang vor dem (umstrittenen, hierzu Gutmann/Valle Franco) Bekenntnis der Verfassung zum Bergbau zukomme (Rn. 21).
Grundsätzlich erfolgt auch in Ecuador die Vergabe von Bergbaurechten durch Verwaltungsentscheidung. Solche Verwaltungsentscheidungen werden regelmäßig als technisch und (wirtschafts-)politisch neutral konzeptualisiert. Hierdurch gerät leicht aus dem Fokus, welch grundlegende Gestaltungswirkung einer Genehmigung zum Abbau von natürlichen Ressourcen zukommt. Sie ermöglicht die Aneignung von Natur. Erst die Zuweisung der Abbaurechte an einzelne Personen macht die Natur zum Rohstoff. Die Ausbeutbarkeit der natürlichen Rohstoffe ist nicht naturgegeben, sondern wird durch das Recht konstituiert.
Katharina Pistor hat in ihrem vielbeachteten Buch gezeigt, wie Güter durch rechtliche Codierung in Kapital verwandelt werden. Was Pistor vor allem mit Blick auf das Privatrecht herausarbeitet, zeigt sich auch im Rohstoffverwaltungsrecht. Dieses ermöglicht es, Natur in Kapital zu verwandeln. Im internationalen Bereich rückt diese Rolle des Rechts für den Zugang zu Rohstoffen in Bezug auf das Regime des Tiefseebodenbergbaus in den Fokus (etwa Ehrle; Feichtner; Schofield). Hier ist die Verwandlung von Natur in Kapital besonders augenfällig, da bislang (vermeintlich) ungenutzte Bestandteile des Meeresbodens für die wirtschaftliche Verwertung erschlossen werden. Im nationalen Rohstoffverwaltungsrecht wurde diese Dimension bislang noch kaum in den Blick genommen, vielmehr steht regelmäßig die Beschränkung wirtschaftlicher Tätigkeit durch Rechtsvorschriften im Fokus der Aufmerksamkeit. Dabei bedarf diese wirtschaftliche Tätigkeit in vielen Fällen erst der rechtlichen Ermöglichung, etwa, wenn ein Fischereirecht die Aneignung von Wassertieren ermöglicht.
Besonders deutlich wird diese ermöglichende Funktion des Rohstoffverwaltungsrecht im Bergrecht. Regelmäßig werden die unterirdischen Bestandteile der Natur erst durch eine staatliche Genehmigung wirtschaftlich ausbeutbar, bislang gewissermaßen unverfügbare Natur wird also in die Sphäre der Wirtschaft integriert und kapitalisiert. Dabei erfordert der „systemisch verankerte Expansionsdrang“ des kapitalistischen Wirtschaftssystems (Dörre, S. 34), dass immer weitere bislang kollektiv genutzte Bestandteile der Natur in eigentumsrechtliche Verhältnisse überführt werden (Jäger/Küblbök/Weinzierl, S. 50). Dieser Zugriff auf „cheap nature“ (Moore, S. 33) ist eine wesentliche Voraussetzung kapitalistischen Wirtschaftens.
Rosa Luxemburg hat den Zugriff auf bislang nichtkommodifizierte Bereiche bezogen auf die koloniale Aneignung von Land unter dem Begriff der Landnahme analysiert (S. 5 ff.). Im Vordergrund dieser Betrachtung steht dabei nicht die Ausdehnung des Herrschaftsbereichs eines Staates, sondern vielmehr die Kommodifizierung bislang nicht kommodifizierter Bereiche (vgl. Harvey). Der von Marx als ursprüngliche Akkumulation beschriebene Prozess der Enteignung und individuellen Aneignung von Grund und Boden und der damit einhergehenden Umwandlung von Arbeitsmitteln in Kapital (S. 741 ff.) ist demnach nicht als ein historisches Ereignis, sondern als fortgesetzte Existenzbedingung des Kapitalismus zu verstehen (Luxemburg, S. 318; Angelis, S. 60; Harvey). Jüngere Arbeiten zeigen, dass sich diese als Landnahme charakterisierte Tendenz nicht auf Grund und Boden beschränkt (Dörre, S. 21 ff.; Backhouse, Gonçalves). Die Landnahme erweist sich bei näherem Hinsehen als eine der vielen Formen des Zugriffs auf die natürliche Umwelt, welcher zur Aneignung immer weiterer Bereiche der Natur führt. Zu beobachten ist eine „Unterwerfung der Natur unter neue Produktions- und Eigentumsformen“ (Fatheuer, S. 284). Die „commodity frontier“ (Moore) wird immer weiter verschoben. Hierbei werden durch rechtliche Regelungen öffentliche Güter privatisiert, es werden also solche Bestandteile der Natur eingehegt, die zuvor von der Allgemeinheit genutzt werden konnten. Luxemburg paraphrasierend ist also eine rechtlich ermöglichte Naturnahme zu beobachten.
Einhegung durch Verwaltungsakt
Im deutschen Bergrecht geschieht die Einhegung der Natur per Verwaltungsakt. Der Grundsatz der Bergfreiheit besagt, dass gewisse Bodenschätze nicht vom Grundeigentum umfasst, sondern herrenlos sind und grundsätzlich unabhängig von Eigentumstiteln ausgebeutet werden können. In Ecuador stehen die Bodenschätze im Eigentum des Staates (Art. 317 Verfassung; Art. 16 Ley de Minería, Art. 1 Ley de Hidrocarburos). Für ihre Ausbeutung ist in beiden Fällen eine staatliche Berechtigung oder Konzession erforderlich. Solche Genehmigungen, die in Ecuador als Konzession (Art. 30 ff. Ley de Minería) bzw. in Vertragsform (Art. 12-A Ley de Hidrocarburos) und nach dem deutschen Bergrecht als Verwaltungsakt in Form einer Erlaubnis (§ 7 BBergG), einer Bewilligung (§ 8 BBergG) oder des Bergwerkseigentums (§ 9 BBergG) erteilt werden können, stellen einen Paradefall der Kommodifizierung von Natur durch das Recht dar. Sie erteilen Exklusivitätsrechte (so in Ecuador ausdr. Art. 31 Abs. 2 Ley de Minería) an Natur, die zugleich das Recht umfassen, andere von der Nutzung auszuschließen.
Das Bergrecht zielt damit primär auf die Verfügbarmachung der Natur ab. Dies zeigt sich etwa im deutschen Bergrecht, wo es sich bei der Erteilung einer Bergbaugenehmigung um eine gebundene Entscheidung handelt, auf die bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ein Anspruch besteht (Frenz, S. 41; Wörheide, S. 46). Der Bergbehörde kommt also keine planerische Gestaltungskompetenz zu (Schoch, S. 57). Im Rahmen der projektbezogenen Verwaltungsentscheidungen können übergeordnete Fragen, wie etwa welche Rohstoffe überhaupt ausgebeutet werden sollen, nur sehr eingeschränkt adressiert werden.
Abschied vom Rohstoffverwaltungsrecht?
Mit diesen Grundsätzen bricht der Fall Yasuní. Die öffentlichen Diskussionen im Vorfeld der Abstimmung ermöglichten, nicht nur die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen des konkreten Projekts, sondern des extraktivistischen Wirtschaftsmodells als solchen zu thematisieren (vgl. Acosta im Interview). Bei der Entscheidung ging es nicht mehr nur darum, ob ein konkretes Projekt bestimmte Voraussetzungen erfüllt und gewissen Vorschriften entspricht, sondern grundlegender darum, ob Erdöl gefördert werden soll oder nicht.
Die Auseinandersetzung um die Ölförderung im Yasuní gehen auch nach der Abstimmung weiter. So kündigte der Bergbauminister Fernando Santos Alvite bereits an, die Förderung fortzusetzen, da eine im gesamten Staat abgehaltene Volksabstimmung über ein lokales Projekt keine Gültigkeit habe – eine Argumentation die verwundert, da die Durchführung einer solchen Abstimmung ausdrücklich vom Verfassungsgericht angeordnet worden war.
Schwerwiegender dürfte daher ein weiteres Hindernis sein: Auch wenn das ecuadorianische Staatsunternehmen Petroecuador über die Konzessionen zur Ausbeutung der Ölfelder im Yasuní verfügt, erfolgt diese auf vertraglicher Basis durch ausländische Unternehmen (Martínez-Moscoso/Burdette). Ob sich diese juristisch gegen den Stopp des Projekts wehren werden, bleibt abzuwarten. Nach nationalem Recht wird einem solchem Vorgehen wohl kein Erfolg beschert sein. Zum einen setzt das Verfassungsgericht in seinem Beschluss zur Durchführung der Volksabstimmung die Zulässigkeit des Entzugs der Konzessionen voraus (Rn. 82 ff.). Zum anderen hatte es vor einigen Jahren im Fall Chevron judiziert, es gebe kein geschütztes Recht auf Umweltverschmutzung (S. 112), Rechte, wie etwa Bergbaugenehmigungen, müssten also im Zweifelsfall umweltschützenden Regelungen weichen (hierzu Gutmann). Jedenfalls unter Berufung auf die im Yasuní bereits eingetretenen Umweltweltprobleme, dürfte der Entzug also problemlos möglich sein. Schwerer zu prognostizieren sind die Erfolgsaussichten investitionsschutzrechtlicher Rechtsbehelfe. Hier werden ebenfalls Erinnerungen an den Fall Chevron wach, in dem ein internationales Schiedsgericht die zuvor vom ecuadorianischen Verfassungsgericht bestätigte Verurteilung Chevrons zu Schadensersatz wegen gravierender Ölverschmutzungen für undurchsetzbar erklärt hatte. Die nach nationalem Rohstoffverwaltungsrecht erteilten Rechtspositionen genießen also teilweise internationalen Schutz. Da das ecuadorianische Plebiszit allerdings bindend ist, kann sich die Regierung nicht unter Berufung auf internationales Recht seiner Umsetzung entziehen.