Praxis und Probleme der Sperrgebietsverordnungen
Als maßgebliche Rechtsquellen der Sexarbeit sind nicht nur die speziellen, die Sexarbeit regelnden Gesetze, das Prostitutionsgesetz von 2007 und das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 von Bedeutung, sondern auch allgemeinere, verwaltungsrechtliche Instrumente. Maßgebliches legislatives Ziel vieler dieser Instrumente stellt insbesondere seit Inkrafttreten des ProstG und des ProstSchG der Schutz der Sexarbeiter*innen dar. In der Praxis sind Sperrgebietsverordnungen besonders relevant. Diese verbieten als Rechtsverordnungen die Ausübung der Sexarbeit in bestimmten Gemeindegebieten oder auch in ganzen Gemeinden vollständig oder zeitlich bzw. örtlich begrenzt. Die derzeitige praktische Umsetzung verletzt die Berufsfreiheit der Sexarbeiter*innen und steht im Widerspruch zum Regulierungskonzept des ProstG und des ProstSchG.
Überblick über das Instrumentarium der Sperrgebietsverordnung
Die nach Art. 80 Abs. 1 GG für Rechtsverordnungen notwendige formell-gesetzliche Grundlage findet sich für den Erlass von Sperrgebietsverordnungen in Art. 297 EGStGB. Dieser ermächtigt Landesregierungen, durch Rechtsverordnungen zu verbieten, der Prostitution nachzugehen. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf oberste Landesbehörden oder andere Behörden übertragen, Art. 297 Abs. 2 EGStGB. Prostitution meint dabei eine sexuelle Handlung mindestens einer Person an oder vor mindestens einer anderen unmittelbar anwesenden Person gegen Entgelt oder das Zulassen einer sexuellen Handlung an oder vor der eigenen Person gegen Entgelt (vgl. § 2 Abs. 1 ProstSchG). Das Merkmal Nachgehen umfasst nicht nur die Ausübung der sexuellen Handlungen, sondern auch Anbahnungs- und Vorbereitungshandlungen.
An die Sperrgebietsverordnungen stellt Art. 297 EGStGB verschiedene Anforderungen: Art. 297 Abs. 1 EGStGB knüpft die spezifische Ausgestaltung der Verordnung an die Größe der betreffenden Gemeinde: Bei Gemeinden bis zu 50.000 Einwohner*innen kann der Verordnungsgeber die Sexarbeit im gesamten Gemeindegebiet verbieten (Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB). Bei Gemeinden ab 20.000 Einwohner*innen oder gemeindefreien Gebieten kann die Sexarbeit für Teile der Gemeinde bzw. des gemeindefreien Gebiets verboten werden (Nr. 2). Unabhängig von der Anzahl der Einwohner*innen erlaubt es Art. 297 Abs. 1 Nr. 3 EGStGB, die Sexarbeit für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden können, im ganzen Gemeindegebiet oder in Teilen des Gebiets bzw. eines gemeindefreien Gebiets zu verbieten. Damit wird eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Ausübungsformen der Sexarbeit – in Bordellen oder Wohnungen einerseits und auf der Straße andererseits – deutlich.
Der Verstoß gegen eine Sperrgebietsverordnung wird nicht direkt nach Art. 297 EGStGB sanktioniert, sondern vielmehr nach § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße und bei einem beharrlichen Verstoß nach § 184f StGB als Vergehen mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe geahndet.
Schutzzwecke des Art. 297 Abs. 1 EGStGB
Sperrgebietsverordnungen kann der Verordnungsgeber nach Art. 297 Abs. 1 EGStGB nur zum Zwecke des Schutzes des öffentlichen Anstands oder der Jugend erlassen. In die aktuelle Gesetzeslage fügt sich die Verordnungsermächtigung nicht ohne Weiteres ein, denn primär wird nicht der Schutz der Sexarbeiter*innen oder auch der Kund*innen in den Vordergrund gerückt, sondern ein öffentliches Interesse. Vor dem Hintergrund, dass die Regelung noch aus einer Zeit stammt, in der die Sexarbeit einhellig als sittenwidrig anerkannt war, und sie seitdem keine inhaltlichen Änderungen erfahren hat, vermag dies kaum zu überraschen. In die Regelung fließt weiterhin der Grundgedanke ein, Sexarbeit sei als potenziell anstößiges und störendes Phänomen etwas, vor dem die Gesellschaft geschützt werden muss.
Das Vorliegen einer abstrakten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 297 EGStGB genügt, eine konkrete Gefährdung oder Belästigung im Einzelfall ist nicht nötig (BVerwG GewA 2016, 258 (259)). In den Vordergrund werden bei der Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe die sog. milieubedingten typischen Begleitumstände gestellt (BVerfG NVwZ 2009, 905 (906); OVG Münster GewA 2015, 511). Im Rahmen des Schutzes des öffentlichen Anstandes soll es nicht mehr bloß um die Wahrung der allgemeinen Sittlichkeit gehen, sondern vielmehr um den Schutz der Allgemeinheit und einzelner Personen vor den mit der Ausübung einer nach außen in Erscheinung tretenden Sexarbeit typischerweise verbundenen Belästigungen oder Gefährdungen (BVerfG NVwZ 2009, 905 (906)). Der öffentliche Anstand sei somit gerade nicht mehr mit geltenden Moralvorstellungen und dem Begriff der Sittenwidrigkeit gleichzusetzen, sondern weiter zu verstehen. Das Ziel des öffentlichen Anstandes soll die Sexarbeit von Gebieten, die „eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität“ aufweisen, bspw. bei Schulen, Kindergärten, Kirchen und bei hohem Wohnanteil, fernhalten (BVerwG GewA 2016, 383).
Ebenso sollen Kinder und Jugendliche im Rahmen der zweiten Zielvorgabe des Art. 297 EGStGB, dem Schutz der Jugend, vor Belästigungen durch Sexarbeiter*innen oder Kund*innen geschützt werden. Dabei wird insbesondere auf das „Interesse einer ungestörten insbesondere psychosexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“ (VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 18.07.2011 – 16 L 529/11; vgl. BVerwG GewA 2016, 383) rekurriert.
Entwicklung der Praxis der Sperrgebietsverordnungen
Von der Möglichkeit, Sperrgebietsverordnungen zu erlassen, haben die Landesregierungen bzw. nach Subdelegation bspw. die Polizeidirektionen (in Niedersachsen), die Regierungspräsidien (in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen) oder die Bezirksregierungen (in Sachsen-Anhalt) umfassend Gebrauch gemacht.
So wurde in Baden-Württemberg die Sexarbeit durch Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Prostitution vom 3. März 1976 für Gemeinden bis zu 35.000 Einwohner*innen komplett verboten (§ 1 der Verordnung). Damit bleiben nur noch 49 von 1101 Gemeinden, in denen, sofern dort keine weitere Sperrgebietsverordnung erlassen wird, der Sexarbeit nachgegangen werden darf. Aber auch in Gemeinden mit mehr als 35.000 Einwohner*innen kann in Baden-Württemberg auf Antrag der Gemeinde die Sexarbeit für das ganze Gebiet oder für bestimmte Bereiche der Gemeinde durch das zuständige Regierungspräsidium untersagt werden.
Gerade in den letzten Jahrzehnten war der Trend erkennbar, Sperrgebietsverordnungen auszuweiten und ihre Durchsetzung in den Fokus zu rücken. So haben auch viele Städte mit mehr als 50.000 Einwohner*innen derart weitreichende Sperrgebietsverordnungen erlassen, dass die Ausübung der Sexarbeit nur noch auf wenige sog. Toleranzzonen beschränkt ist. Beispielhaft ist die Rechtsverordnung der Regierung von Oberbayern über das Verbot der Prostitution zum Schutze des öffentlichen Anstandes und der Jugend in München anzuführen, die für München 27 Sperrbezirke festlegt (§ 1 der Verordnung) und in § 2 die Straßenprostitution abgesehen von wenigen „Anbahnungszonen“ vollständig verbietet.
Von der Möglichkeit, Sperrgebietsverordnungen zu erlassen, wurde extensiv Gebrauch gemacht. Lediglich Berlin und Rostock als Großstädte haben keine Sperrgebietsverordnung erlassen. In allen anderen Städten über 100.000 Einwohner*innen ist die Ausübung der Sexarbeit in bestimmten Gemeindegebieten oder zu bestimmten Tageszeiten untersagt bzw. die sog. Straßenprostitution auch komplett verboten.
Verfassungsrechtliche Bewertung
Ob Sperrgebietsverordnungen und auch Art. 297 EGStGB mit dem geltenden Recht und insbesondere Verfassungsrecht vereinbar sind, wurde v.a. kurz nach Inkrafttreten des ProstG diskutiert. Auch wenn einfaches Recht das Verfassungsrecht nicht determinieren kann, besteht seit Inkrafttreten des ProstG 2002 das legislative Anerkenntnis, dass Sexarbeit nicht mehr sittenwidrig ist. Einigkeit herrscht heute dahingehend, dass Sexarbeit einen Beruf i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG darstellt und somit den grundrechtlichen Schutz u.a. der Berufsfreiheit genießt. Damit sind Sperrgebietsverordnungen als Eingriffe in die Berufsfreiheit zu qualifizieren, da sie den räumlichen und/oder zeitlichen Bereich, in dem Sexarbeiter*innen ihrem Beruf nachgehen dürfen, regulieren. Die Sperrgebietsverordnungen müssten somit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.
Wenn die Landesregierung bzw. andere Behörden extensiv von der Verordnungsermächtigung des Art. 297 EGStGB Gebrauch machen, ist es den Sexarbeiter*innen insbesondere in ländlicheren Regionen unmöglich, ihren Beruf auszuüben. Gerade hinsichtlich der Straßenprostitution kann die Praxis der Sperrgebietsverordnungen in ihrer Wirkung sogar einer Berufswahlregelung gleichkommen, da diese Form theoretisch im ganzen Bundesgebiet untersagt werden könnte. Zusätzlich wirkt sich aus, dass eine Absprache zwischen den einzelnen Kommunen nicht erfolgen muss, Sperrgebietsverordnungen somit ohne Rücksicht auf etwaige angrenzende Sperrgebiete in benachbarten Kommunen erlassen werden können.
Kritisch ist insbesondere die extensive Auslegung des Begriffs des öffentlichen Anstandes zu beleuchten. Es ist bereits fraglich, ob das primäre Rekurrieren auf die Begleitumstände der Sexarbeit genügen kann. Aber auch mit Blick auf die Ausübung der Sexarbeit in Wohnungen, die in den letzten Jahren und gerade seit der Corona-Pandemie vermehrt an Bedeutung gewinnt, wird durch Umsetzung des Art. 297 EGStGB in den Gemeinden unangemessen in die Berufsfreiheit der Sexarbeiter*innen eingegriffen. Gerade bei dieser Form der Ausübung von Sexarbeit, die in der Regel eine diskretere Form darstellt, wird es vielen Kund*innen eher daran gelegen sein, kein Aufsehen zu erregen, womit eine milieubedingte Unruhe weniger zu erwarten wäre. Als zentraler Punkt ist zudem anzuführen, dass die großflächige Nutzung von Sperrgebietsverordnungen das – gerade mit Blick auf das ProstSchG – eigentliche legislative Ziel des Schutzes von Sexarbeiter*innen ad absurdum führt. Die Sexarbeiter*innen werden in Toleranzzonen, nicht selten abgelegene und verkehrstechnisch schlecht angebundene Randbezirke, verbannt, in denen häufig nicht nur Hygieneeinrichtungen fehlen, sondern auch eine schlechtere Erreichbarkeit in Notfällen besteht oder Angebote durch Beratungsstellen und eine generelle auf Sexarbeiter*innen ausgelegte Infrastruktur schwieriger zu etablieren sind.
Trotz Einführung des ProstG und des ProstSchG bleibt die Ausübung der Sexarbeit auf Landesebene davon abhängig, was die jeweilige Regierung (bzw. bei Subdelegation die jeweilige Behörde) unter den Begriff des öffentlichen Anstandes subsumiert und wie sie die Sperrgebietsverordnungen ausformt. Für die Sexarbeiter*innen bleibt diese Handhabung häufig undurchsichtig und auch die Erlangung von Informationen über das Vorliegen von Sperrgebietsverordnungen gestaltet sich meist als schwierig. Umso wichtiger bleibt damit ein gut zugängliches Angebot der Beratungsstellen.
Bewertung und Reformpotenziale
Es bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass die extensive Praxis der Sperrgebietsverordnungen unangemessen in die Berufsfreiheit der Sexarbeiter*innen eingreift und das legislative Ziel des Schutzes von Sexarbeiter*innen eher behindert als fördert sowie stereotype Vorurteile manifestiert. Begegnet werden könnte dem bereits, indem die zuständigen Behörden verstärkt auf interkommunale Absprachen setzen und von der Verordnungsermächtigung weniger extensiv Gebrauch machen. Legislativ könnte aber auch eine Anpassung der Schutzzwecke des Art. 297 EGStGB Abhilfe schaffen.