Rauswurf aus der Zweitwohnung
Warum ein Nutzungsverbot vom Infektionsschutzrecht nicht gedeckt und unverhältnismäßig ist
Auch wenn sich die Bundesländer mittlerweile auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt haben, finden sich im Kampf gegen das Coronavirus weiterhin regionale und kommunale Sonderregelungen. Das ist keineswegs per se zu kritisieren, wird vielmehr der auch dem Grundgesetz zugrunde liegenden föderalen Idee gerecht und ermöglicht es, die Maßnahmen auf die konkrete Situation vor Ort anzupassen. Insofern zeigt auch die medial vielfach verbreitete Kritik am „föderalen Flickenteppich“ vor allem eines: ein wenig ausgeprägtes Verständnis bundesstaatlicher Strukturen.
Gleichwohl bedeutet das natürlich nicht, dass sämtliche der ergriffenen Maßnahmen damit auch per se rechtmäßig wären. Selbstverständlich gelten die Vorgaben der Verfassung auch im Krisenfall und auf ihre Einhaltung gerade in solchen Zeiten zu pochen ist keine lässliche (oder gar nervige) Haarspalterei, sondern eine unbedingte Notwendigkeit. Schon weil die Exekutive hier über weitreichende Befugnisse verfügt, ist eine rechtswissenschaftliche Begleitung, die aber die Rationalitäten des Krisenfalls berücksichtigt und angemessen verarbeitet, von besonderer Bedeutung. Anders gewendet: Not kennt sehr wohl ein Gebot und auch wenn es rückblickend immer wieder verklärt wird – der starke Mann (oder die starke Frau), der (die) im Katastrophenfall alles an sich reißt, einfach mal handelt, Gesetz hin der her – man denke an Helmut Schmidt in der Flutkatastrophe – , ist vor allem eines: eine Katastrophe für den demokratischen Rechtsstaat.
Betrachtet man das bisherige Vorgehen der Behörden besteht bisher allerdings kein grundsätzlicher Kritikbedarf. Sowohl die Bundes- als auch vor allem die Landesregierungen, die hier primär zuständig sind, haben bisher großen Wert vor allem auf Transparenz und Erläuterung ihres Vorgehens gelegt. Dass man sich an der einen oder anderen Stelle etwas mehr oder eine Form gewünscht hätte, sei dahingestellt. Demgegenüber werfen aber einige Maßnahmen auf kommunaler Ebene durchaus normative Fragen auf, denen es sich bereits im Krisenfall und nicht erst in dessen Anschluss zu widmen lohnt.
Denn der Staat ist für die Wirksamkeit und Effektivität seiner Maßnahmen darauf angewiesen, dass diese im Regelfall freiwillig befolgt werden. Das aber setzt das Verständnis der Bevölkerung für die ergriffenen Maßnahmen voraus. Wo dieses fehlt, die Maßnahmen nicht mehr nachvollziehbar erscheinen und der Staat sie nicht ansprechend erklären kann, riskiert der Staat seine Legitimität; er ist dann möglicherweise zukünftig nicht mehr in der Lage, auch an sich gut begründete Entscheidungen effektiv zu vollziehen. Wenn entsprechende Entscheidungen von der Rechtswissenschaft ermittelt, analysiert und letztlich kritisiert werden, ist das also alles andere als ein ungehöriger Eingriff in die Funktionsfähigkeit der zuständigen Behörden. Im Gegenteil: Die Kritik ist es, die diese Funktionsfähigkeit mittelfristig aufrechterhält. Wo Legitimität verloren ist, wird sie so schnell nicht wiederkehren.
Verbot der Nutzung von Zweitwohnungen
Vor diesem Hintergrund wirft die Allgemeinverfügung des Landkreises Aurich vom 21.3.2020 Fragen auf. Darin untersagt dieser ab sofort und bis zum 18.4.2020 die Nutzung von Nebenwohnungen (sog. Zweitwohnungen) im Sinne des Bundesmeldegesetzes. Hiervon ausgenommen sind lediglich die Nutzungen aus zwingenden beruflichen sowie aus ehe-, sorge- und betreuungsrechtlichen Gründen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Personen, die sich bereits in einer Nebenwohnung im Gebiet des Landkreises Aurich befinden, haben daher ihre Rückreise unverzüglich, spätestens bis einschließlich 22.03.2020, vorzunehmen.
Diese Regelung stellt ohne Zweifel einen erheblichen Eingriff in verschiedene Grundrechte dar. Zu nennen ist Art. 11 Abs. 1 (Freizügigkeit) aber auch Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) ist zumindest mittelbar betroffen. Hinzu kommen mittelbare Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht – etwa wenn dadurch der Kontakt zu Familienmitgliedern erschwert wird und Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Normativ stellen sich damit zwei zentrale Fragen: die nach der Rechtsgrundlage und die nach der Verhältnismäßigkeit.
Zunächst zur Frage nach der Rechtsgrundlage, die bei einem solch gravierenden Eingriff alles andere als nebensächlich ist. Der Landkreis Aurich hat sich ausdrücklich auf § 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) berufen. Dabei handelt es sich um eine im mit „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ überschriebenen 5. Abschnitt des IfSG befindliche Regelung, nach der die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen treffen kann, „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.“
Im Anschluss an diese Generalklausel listet der folgende § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG einige konkrete Maßnahmen auf, die unter diesen Voraussetzungen erlassen werden können. Die zuständige Behörde kann danach Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Zahl von Menschen beschränken oder verbieten sowie Badeanstalten oder Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Zudem hat sie die Möglichkeit, Personen zu verpflichten, den Ort an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. Die Möglichkeit, Personen aus ihrer Zweitwohnung zu verweisen, nennt dieser Satz explizit nicht.
Keine Rechtsgrundlage
Damit aber stellt sich die Frage, ob für eine solch weitreichende Maßnahme der Rückgriff auf die Generalklausel des Satzes 1 überhaupt noch möglich ist. Die Frage so zu stellen, heißt sie letztlich zu verneinen. Das folgt letztlich aus dem generellen Verhältnis von Generalklauseln zu Standardmaßnahmen und den sich daraus ergebenden Bestimmtheitsanforderungen.
Hier gilt insoweit, dass die Nutzung der Generalklausel grundsätzlich nur für solche Maßnahmen in Betracht kommt, deren Eingriffsintensität unterhalb derjenigen liegt, für die der Gesetzgeber eine explizite Standardmaßnahme für nötig hielt. Dahinter steht vor allem der Aspekt der Vorhersehbarkeit: Die BürgerInnen sollen vorhersehen können, was ihnen in Zukunft möglicherweise blüht, um sich darauf in ihrem Verhalten frühzeitig einstellen zu können. Gerade das wird man hier aber nicht sagen können: Die Differenzierung zwischen Haupt- und Zweitwohnung ist im Gesetz nicht angelegt und ist auch sonst keine typische Maßnahme, mit der irgendjemand hätte rechnen können. Jemand, der sich bereits seit einigen Wochen darauf einstellt, sein Leben – aus welchen Gründen auch immer – in der Zweitwohnung zu verbringen, ist nun gezwungen, seine gesamte Planung rückgängig zu machen. Hinzu kommt: Es ist keineswegs zwingend, dass davon allein der Inhaber bzw. Mieter der Zweitwohnung betroffen ist. Eventuell finden sich hier noch weitere Personen, die plötzlich – und ohne jede Vorwarnung – gehalten sind, innerhalb von gerade einmal zwei Tagen irgendwo anders unterzukommen.
Nun ist es zutreffend, dass die Rechtsprechung bisweilen für einen gewissen Zeitraum gestattet, auch eingriffsintensivere Maßnahmen auf eine Generalklausel zu stützen, sofern es sich um neuartige Gefahren handelt, um auf diese Weise die Handlungsfähigkeit der Behörden aufrecht zu erhalten. Dabei ist allerdings unumstritten, dass diese Rechtsprechung nicht extensiv interpretiert werden darf – sie würde das Zusammenspiel von Generalklausel und Standardmaßnahme andernfalls völlig aushöhlen. Man wird daher zumindest verlangen müssen, dass entsprechende Maßnahmen zumindest für einen gewissen Zeitraum bereits in der Öffentlichkeit diskutiert werden, damit wenigstens auf diesem Wege die Möglichkeit eröffnet wird, sich als mögliche(r) Betroffene(r) darauf einzustellen. Exakt so verhielt es sich etwa mit den Ausgangsbeschränkungen, die dann nach einigen Tagen erst erlassen wurden (deren Rechtmäßigkeit allerdings gleichwohl umstritten ist und nach meiner Ansicht jedenfalls von § 28 Abs. 1 IfSG nicht gedeckt waren). Eine Debatte über die mögliche Begrenzung der Nebenwohnungsnutzung hat – soweit ersichtlich – aber überhaupt nicht stattgefunden. Die Überraschung war denn auch, so scheint es zumindest, bei den betroffenen Personen vergleichsweise groß.
Im Ergebnis kommt daher nach meiner Ansicht jedenfalls § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG als Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Inwieweit eine andere griffe – etwa aus dem Katastrophenschutzrecht – soll an dieser Stelle nicht vertieft werden; die Behörde hat das ja selbst nicht in Erwägung gezogen. Vieles spricht aber dafür, dass eine derartige Maßnahme auch unter diesem Rechtsregime nicht möglich wäre. Die Ausrufung des Katastrophenfalls würde also vermutlich (normativ) nichts ändern.
Unverhältnismäßig
Selbst wenn man aber anderer Ansicht sein sollte, änderte dies freilich nichts am Erfordernis der Verhältnismäßigkeit. Hier gelten vor dem Hintergrund der betroffenen Grundrechte strenge Maßstäbe. Sowohl Art. 11 Abs. 2 GG als auch Art. 13 Abs. 7 GG nennen als mögliche Gründe für eine Begrenzung insofern zwar ausdrücklich auch die Bekämpfung von Seuchengefahr, erlauben gleichwohl nicht jede Maßnahme, die in irgendeiner Form (auch) diesem Ziel dient. Gerade weil in diesen Fällen so bedeutende Rechtsgüter im Raum stehen – es geht letztlich um Lebensschutz – besteht die Gefahr, hier allzu schnell allzu viel zu gestatten. Normativ gilt es insoweit die Entscheidung des Verfassungsgebers ernst zu nehmen, der Eingriffe in diese Grundrechte nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich machen wollte. Das aber heißt nicht zuletzt: Die Begründungsanforderungen für den Staat, der einschränkt steigen an und die konkreten Erwägungen unterliegen einer strengen externen (gerichtlichen) Kontrolle.
Um verhältnismäßig zu sein, müsste die Nutzungsuntersagung damit einen legitimen Zweck mit einem legitimen Mittel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Form zu erreichen suchen. Die Probleme beginnen dabei schon – und das ist durchaus ungewöhnlich – beim legitimen Zweck. Die vom Landkreis gelieferte Begründung ist hier außerordentlich spärlich, um nicht zu sagen völlig unzureichend. Immerhin lassen sich mit etwas Wohlwollen zwei Zwecke entdecken.
Zunächst scheint es dem Landkreis um die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zu gehen. Insoweit dürfte wohl die Sicherstellung einer ausreichenden Kapazität der Intensivmedizin in Aurich gemeint sein. Das ist zweifellos ein berechtigtes Anliegen des Landkreises. Inwieweit allerdings ein Zusammenhang zwischen der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und der Nutzung von Nebenwohnungen besteht, ist nicht umgehend ersichtlich und wird vom Landkreis auch nicht näher ausgeführt. (Fair wäre es im Übrigen gewesen, zumindest zugleich alle Bewohner mit Erstwohnsitz in Aurich aufzufordern zurückzukehren – oder sollen jetzt andere Landkreise die ganze Last einschließlich der Erstwohninhaber Aurichs tragen?). Aber dieses etwas seltsame Verständnis der kommunalen Lastenteilung sei hier nicht weiter vertieft. Normativ ist vielmehr überaus fraglich, ob ein solcher Zweck eigentlich gerade von § 28 IfSG gedeckt ist, der ja – wie alle Normen dieses Abschnitts – der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen soll. Das aber wird auf diesem Weg jedenfalls nicht unmittelbar erreicht. Tatsächlich erweist sie sich dafür sogar als kontraproduktiv, wie gleich zu zeigen ist.
Immerhin der zweite Zweck, nämlich die Verzögerung der Ausbreitungsdynamik und der Unterbrechung von Infektionsketten ist eindeutig vom Zweck des § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Allerdings stellt sich hier dann doch die Frage, wie ausgerechnet die plötzliche Ortsverlagerung einer großen Zahl von Personen diesem Ziel dienen soll. Und in der Tat: Es wird hier unvermeidlich zu Kontakten mit Personen kommen, die ansonsten vermutlich unterblieben wären. Das Ganze soll zwar bis zum 22.3.2020 schnell abgeschlossen sein. Aber genau das ist ja das Problem: Es werden alle gleichzeitig die Ortsveränderung wahrnehmen, wodurch sich unerkannt Infizierte in ganz Deutschland verteilen – und mit ihnen das Virus. Spätestens bei der Erforderlichkeit aber stellt sich die Frage: Warum sollte es für die Ausbreitung nicht ausreichend sein, wenn die Personen sich an die für alle gültigen Beschränkungen halten? Sind Nebenwohnungsinhaber besonders infektiös oder verhalten diese sich generell weniger vernünftig?
Damit bleibt letztlich nur der (vermutlich ohnehin unzulässige) Zweck der Funktionsfähigkeit des Auricher Gesundheitssystems, um den es wohl auch primär gegangen sein dürfte. Um das damit einhergehende beachtliche und vor allem zusätzliche Infektionsrisiko einzugehen (man denke an die Notwendigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen oder das Auto zu tanken) hätte der Landkreis die konkreten Gefahren zumindest deutlich und umfassend darlegen müssen: Inwiefern droht bereits eine Überlastung? Um wieviele Personen geht es eigentlich? Und warum ließe sich das Problem nicht durch eine Verlegung von Patienten lösen, sofern diese tatsächlich erkranken sollten? Wäre es nicht sinnvoller, zur Verhinderung möglicher Infektionsrisiken mit den anderen Kommunen zu vereinbaren, dass alle Personen am Ort bleiben (egal ob Erst- oder Nebenwohnung), um wahrlich irrsinnige Nachahmereffekte anderer Kommunen zu verhindern?
Damit aber hilft letztlich auch der Versuch wenig, über die Ausnahmebestimmungen die Angemessenheit der Allgemeinverfügung zu sichern – zumal hier erneut Fragen aufgeworfen werden. So sind etwa Lebenspartnerschaften nicht genannt, was einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, 3 GG begründen dürfte. Und wie ist es mit nichtverheirateten Paaren, die teils am Nebenwohnsitz und teils am Hauptwohnsitz gemeinsam leben?
Insgesamt bleiben damit erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Allgemeinverfügung. Gleichwohl hat ein Verwaltungsgericht in Schleswig-Holstein heute einen Eilantrag bzgl. einer ähnlichen Verfügung aus Schleswig-Holstein abgewiesen: Das Gericht konnte insoweit „weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Verfügungen“ feststellen und entschied daher nach einer allgemeinen Interessenabwägung zugunsten der Behörde. Hier könnte sich aber vielleicht eher ein allgemeines Rechtsschutzdefizit in Krisensituationen offenbart haben: Gerichte schrecken (durchaus nachvollziehbar) davor zurück, sich vermeintlich bedeutenden Entscheidungen in den Weg zu stellen, um die Verantwortung für eine gescheiterte Krisenbewältigung nicht (partiell) übernehmen zu müssen. Umso wichtiger wäre dann aber die kritische Begleitung durch die Rechtswissenschaft.
Soweit ich das aus einem Nachbarlandkreis beurteilen kann, geht es in erster Linie um die Nordseeinseln, die tatsächlich sehr begrenzte medizinische Kapazitäten haben und auf denen Urlauber aus was weiß ich für Gründen oft einen Zweitwohnsitz in ihrer Eigentumsferienwohnung haben. Durch Urlauber werden auf den Inseln gerne mal die Einwohnerzahlen, gerade vor Ostern, um ein Vielfaches erhöht.
Ich bin leider Eigentümer eines Hause in Nidersachsen. Da in dem Haus auch von der Gemeinde bestimmte Zweitwohnung ist, habe ich Post vom Amt erhalten, das ich dir Zweitwohnung nicht betreten darf. Der langjährige Mieter des Hauses hat gekündigt und ist ausgezogen. Der Mietvertrag läuft zum 30.04.2020 aus. Es ist mir untersagt im Rahmen der Zweitwohnungsverordnung eine Wohnungsabnahme mit Schlüsselübergabe zu machen. Eine Neuvermietung an einen Dauermieter ist ebenso verboten worden. Abgaben müssen trotzdem bezahlt werden. Wann die Enteigung aufgehoben wird steht in den Sternen. Der Termin zum 06.05 kann jederzeit willkürlich verlängert werden.
Vielen Dank für den Beitrag!
So manche dieser mit „heißer Nadel gestrickter“ Maßnahmen lässt mich im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz in den letzten Tagen erschaudern.
Ich bin schon seit einiger Zeit in der Justiz tätig und bin zunehmend darüber erstaunt, dass bei den zuständigen Gerichten nicht in hohem Maße Anträge auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz eingehen. Bisher scheint dies nur sehr vereinzelt der Fall zu sein.
Gerade Maßnahmen wie die von Ihnen erwähnte Allgemeinverfügung des Landkreises Aurich vom 21.3.2020 (die mir vor der Lektüre Ihres Beitrages unbekannt war), lassen mich allmählich an unserem Rechtsstaat zweifeln.
Unstreitig dienen die Maßnahmen einem legitimen Zweck. Dass aber teilweise durch einige dieser meiner Meinung nach eindeutig unverhältnismäßigen Maßnahmen unser rechtsstaatlichster Pfeiler, unser Grundgesetz, unterlaufen wird, halte ich nicht nur für gefährlich, es erschüttert gerade meinen Glauben in den Rechtsstaat.
Und leider muss ich Ihnen zustimmen, ich befürchte auch, dass einige oder gar viele Kollegen an den Gerichten davor zurückschrecken, „sich vermeintlich bedeutenden Entscheidungen in den Weg zu stellen, um die Verantwortung für eine gescheiterte Krisenbewältigung nicht (partiell) übernehmen zu müssen.“
Gerade dieser Gedanke trägt wesentlich zur Erschütterung meines Glaubens an den Rechtsstaat bei.
Ich denke, ich werde am Ende dieser „Krise“ meinen Beruf und das, was ihn für mich ausgemacht hat, mit anderen Augen sehen. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass unter Geltung des Grundgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland derartige Maßnahmen von heute auf morgen beschlossen werden; ohne größeren (medialen) Aufschrei. Und dies vor allem im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und insbesondere der infolge des „Ermächtigungsgesetzes“ erfolgten Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Umso mehr danke ich Ihnen für Ihren Artikel und die für den Rechtsstaat so wertvolle Arbeit und Aufklärung. Dies gibt in diesen auch für das Grundgesetz schweren Zeiten Hoffnung und zeigt, dass der Rechtsstaat noch verteidigt wird.
Ich würde mir von vielen Bürgern wünschen, die sich durch unverhältnismäßige Maßnahmen (wie die von Dr. Thiele in dem Beitrag erwähnte) in ihren Grundrechten – oft zu recht – beeinträchtigt fühlen, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, auch durch den Instanzenzug. Vor den Verwaltungsgerichten besteht in der ersten Instanz kein Anwaltszwang.
Vielleicht würden sich dann die Richterkollegen in größerem Maße darauf besinnen, wie elementar und unsagbar wichtig das Grundgesetz und die Unabhängigkeit der Justiz für unseren Rechtsstaat sind und sich „trauen“, sich im Sinne des Grundgesetzes den vermeintlich bedeutenden Entscheidungen und den damit leider vermehrt einhergehenden unverhältnismäßigen Maßnahmen in den Weg zu stellen.
Gut zu beobachten, dass sich ebenso in diesem Block kritische Stimmen im Hinblick auf rechtstaatliche Bedenken mehren und nicht nur völlig widerstands-, und kritiklos eine vorgegebene, vermeintliche Alternativlosigkeit im Ausnahmezustand hingenommen scheint.
Das muß auch nicht nicht von Vornherein völlig unvorantwortlich unmoralische, juristisch haarspalterische, rein theoretische Spinnerei sein.
Zu ahnen ist, dass ein Virus und Virologen keine Juristen zu sein scheinen, wie sinnvoll manches rein epidemologisch medizinisch betrachtet auch wirken mag.
Frage bleibt, ob sich in solcher Situation zwingend klar vorbehaltlos alles rein epidemologischen Betrachtungsweisen unterordnen muss.
Unter Umstädenen sollten trotzdem Alternatimöglichkeiten stets mit bedacht im Auge behalten bleiben.
Mögliche Alternativen sollten dabei nur ebenso nicht allein rein streng alternativlos aus rein juristischer Sicht zu betrachten sein.
Eine Frage, welche Virologen, Mediziner, Epidimelogen etc. eventuell besser beurteilen könnten, wäre etwa eine solche mögliche Handlungsalternative nach einer zu beginnenden, mehr oder weniger „kontrollierten, gesellschaftlichen Durchimmunisierung durch Infizierung“.
Dies im Rahmen bestehender Behandlungskapazitäten, auf freiwillioger Basis, beginnnend bei gesellschaftlichen Gruppen mit geringerem Risiko.
Das Risiko bei „Corona“ soll um so geringer sein, je gesünder und jünger Personen sind o.ä.
Man könnte dabei insgesamt eine weitere Annäherung an eine gesellschaftliche „Herdenimmunität“ anstreben, welche eventuell ein geringeres gesellschaftliches Ansteckungs-, und Riskopotential bewirken könnte.
Sonstige weitreichende rechtliche Beschränkungen könnten dabei vielleicht zunehmend eher zurücknehmen sein.
Je größer eine Risikogruppe, desto strenger könnten Beschränkungen zum Schutz bleiben.
Alles bis möglichereise mal ein Impfstoff zur breiten Anwendung kommen kann.
Solche Erwägungen mit anzudenken, könnte vielleicht längerfristig einen Ansatz für eine Krisenbewältigung geben, und zwar vielleicht mit geringerem absoluten Horrorpotential, was etwa vorausgesagte Todeszahlen betrifft.
Ob entsprechendes vertretbar verantwortbar sinnvoll und günstig wirken kann, müsste mit medizinisch zu beurteilen bleiben, mit abhängig von einer nur individuellen Risikoprognose o.ä.
Wenn man gar nichts unternimmt, soll epidemologisch nur erwartbar sein, dass sich Großteile der Bevölkerung ohnehin erwartbar infizieren werden. Die Frage soll dabei eher nur „wann“ sein und in welchem maße dies dann noch mehr oder weniger medizinisch kontrollierbar sein kann o.ä.
Beim Ilm-Kreis geht es gerade weiter.
Alle stehen unter Quarantäne.
Eine Begründung sucht man vergeblich – diese hänge im Landratsamt (das man nicht betreten kann/darf) aus:
https://www.ilm-kreis.de/media/custom/2778_957_1.PDF?1584905811
Es wird leider nicht angesprochen, dass § 28 Abs. 1 IfSG den Art. 11 GG nicht zitiert (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG) und damit schon mangels Einhaltung des Zitiergebots (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) keine Rechtsgrundlage für einen – hier wohl zu Recht bejahten – Eingriff in den Schutzbereich der Freizügigkeit iSd Art. 11 Abs. 1 GG sein kann.
Das OVG Schleswig hat sich ebenfalls noch am 22.3. mit der Allgemeinverfügung befasst. Offenbar auf Hinweis des Senats hat der Landrat dann in jenem Einzelfall eine Ausnahmegenehmigung erteilt und eine Entscheidung verhindert.
Gibt es dazu ein Aktenzeichen?
Als Besitzer einer Immobilie in der Krummhörn, Landkreis Aurich, bin ich von der Allgemeinverfügung zum Verbot der Nutzung von Zweitwohnungen direkt betroffen. Ich wurde durch diese Verfügung gestern zusammen mit meiner Frau aus unserem ausschließlich privat selbst genutzten Haus vertrieben. Heute haben wir vom Bürgermeister der Gemeinde Krummhörn folgende Informationen erhalten (Zitat): „nach Rücksprache mit dem Krisenstab des Landkreises Aurich ist eine Umwandlung von Nebenwohnung in Hauptwohnung momentan untersagt“.
Heftiges Zurückrudern:
https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/politik/regierung-lockert-corona-regelung-bewohner-duerfen-an-zweitwohnsitzen-bleiben-id27797622.html
Vielen Dank für den Beitrag! Die Frage, ob eine öffentliche Debatte zu einem Thema stattgefunden hat, scheint mir allerdings ein schwieriges Abgrenzungskriterium dafür zu sein, ob die Generalklausel greift. Dass über Zweitwohnsitze weniger diskutiert wird als über Ausgangssperren, liegt ja schon deshalb auf der Hand, weil davon weniger Menschen betroffen sind. Das würde dann aber bedeuten, dass (die Verhältnismäßigkeit außen vor) in Zeiten wie diesen Ausgangssperren auf die Generalklausel gestützt werden könnten, Verbote zur Nutzung von Zweitwohnungen aber nicht.
Vielen Dank für diesen Beitrag!
Wir sind als Zweitwohnungsbesitzer im Landkreis Nordfriesland von der folgenden Regelung betroffen, die der beschriebenen Regelung im Landkreis Aurich sehr ähnlich ist.
https://www.nordfriesland.de/PDF/Amtsblatt_Kreis_Nordfriesland_2020_Nr_24.PDF?ObjSvrID=2271&ObjID=3748&ObjLa=1&Ext=PDF&WTR=1&_ts=1584997006
Ich war von Anfang an der Ansicht, dass eine derartige Einschränkung des Eigentumsrechts nicht verfassungskonform ist, konnte aber die Argumentation nicht so wunderbar in Worte fassen wie in diesem Artikel.
Eine Frage an den Autor/ in die Runde:
Wie kann ich am besten vorgehen um gegen diese Verfügung vorzugehen? Brief an den Landrat? Oder besser gleich eine Klage? Wenn ja, an wen? Direkt an das OVG?
Meine persönliche Einschränkung wäre natürlich am unbürokratischsten mit einer Ausnahmeregelung beseitigt, doch meinem allgemeinen Rechtsempfinden würde das grundsätzlich keine Besserung verschaffen. Ich möchte mir auch keine andere Begründung für eine Ausnahmeregelung ausdenken als die einzig sinnvolle: „Die Verfügung ist verfassungswidrig und durch das Infektionsschutzgesetzt auch nicht abgedeckt!“
Wie kann ich am Besten vorgehen?
Vielen Dank für Antworten und Tip!
Viele Grüße
Und hier noch die Stellungnahme auf Länderebene Schleswig-Holstein:
https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/I/_startseite/Artikel2020/I/200323_appell_zweitwohnungen.html
Was ist das nur für eine seltsame Argumentation …
Das OG in Schleswig hat wohl erste Klagen bereits abgewiesen und verweist nun auf das OVG als nächste Instanz:
https://www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/OVG/Presse/PI_VG/22032020_Eilverfahren_Corona.html
„Wegen der Eilbedürftigkeit hat die Kammer die Entscheidung auf eine weitergehende Interessenabwägung gestützt. Dabei haben die Richter der im öffentlichen Interesse stehenden Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der medizinischen, insbesondere krankenhausärztlicher (Intensiv‑) Versorgung für die Bevölkerung ein überragendes Gewicht beigemessen. Das private Interesse der Antragsteller, in der Nebenwohnung zu verbleiben, überwiege das überragende öffentliche Interesse nicht. Insbesondere seien von den Antragstellern keine individuellen Umstände vorgetragen worden, die eine Nutzung ihrer Hauptwohnung im Einzelfall als unzumutbar erscheinen ließe.“
Nun frage ich mich natürlich, warum man überhaupt besondere, private Gründe angeben muss, wenn doch die Grundlage im GG und im IfSG nicht gegeben ist.
Das scheint höchst ernüchternd. Was kann man jetzt noch tun wenn man einfach seine Zweitwohnung nutzen möchte … und sich dabei natürlich am Zweitwohnsitz (wie am Erstwohnsitz auch) an alle Regeln des Kontaktverbots hält?
Beste Grüße
Ok, ich dachte bisher, die Absurdität dieses Falles sei nicht zu überbieten. Hier noch ein weiterer Nachtrag, der das Gegenteil beweist:
Am 20.03. (3 Tage vor dem oben diskutierten Erlass) wurde eine Allgemeinverfügung erlassen, die alle Zweitwohnungsbesitzer zur Abreise bis spätestens 23.03., 24:00 Uhr aufruft, wohlgemerkt unter Androhung von 25.000 Euro Strafe.
https://www.nordfriesland.de/PDF/Amtsblatt_Kreis_Nordfriesland_2020_Nr_21.PDF?ObjSvrID=2271&ObjID=3727&ObjLa=1&Ext=PDF&WTR=1&_ts=1584723782
Pünktlich am 24.03. kommt dann eine neue Verfügung, die den nicht abgereisten Zweitwohnungsbesitzern erlaubt zu bleiben, wohingehen eine Wiederanreise nun als Straftat geandet werden soll.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wer sich der (ohnehin aus meiner Sicht nicht rechtskräftigen) ersten Anordnung widersetzt hat, darf nun die Zweitwohnung weiterhin nutzen, wer der Anordnung gefolgt ist nicht.
Damit ist mein Rechtsverständnis nun vollends zerstört.
Hat jemand Kommentare dazu?
Meine Frage bleibt: Was tun?
Viele Grüße
Interessant. Scheinbar hört für viele Deutsche bei der verwehrten Nutzung von Zweitwohnungen für viele Deutsche der Spaß dann doch auf.
Warum gibt es inzwischen nicht zigtausende von Widersprüchen, Klagen und Verfassungsbeschwerden gegen die wesentlich härteren Ausgangs- und Kontaktverbote? Die verwehrte Nutzung einer Zweitwohnung ist angesichts der Qualität der anderen Grundrechtseingriffe jetzt nicht gerade das drängendste Problem eines Durchschnittsbürgers.
Nein, ganz sicher nicht das dringendste Problem, aber die Maßnahme ist mir zumindest in dieser Undifferenziertheit unverständlich. Da die Bevölkerungsdichte am Zweitwohnsitz in Ostfriesland sicher geringer ist als bei den meisten Menschen am Erstwohnsitz, würde ein längerfristiger Aufenthalt am Zweitwohnsitz das Gesamtrisiko für die Bevölkerung sogar senken, immer vorausgesetzt, dass man auch dort die Kontakt-Regeln beachtet. Was der Landkreis Aurich und andere Kreise jetzt gerade machen, ist schlicht und ergreifend das St.-Florian-Prinzip, auf sehr zweifelhafter Rechtsgrundlage.
Nun ja, wenn aber der Zweitwohnsitz eigentlich Hauptwohnsitz ist und nur Zweitwohsitz ist, weil ein Bebauungsplan es nicht gestattet, dass man dauerhaft dort wohnt, dass ist es existentiell. In dem Fall den ich meine, währen die Personen zwar nicht Obdachlos, aber es kommt dem sehr nahe. Außerdem währe der selbe Kreis betroffen, sodass das selbe Gesundheitssystem, die selben Krankenhäuser, etc. von der Versorgung betroffen wären. Somit ist dieser Eingriff schon an diesem Einzelfall problematisch. Zumal ist es unverhältnismäßig Mensch der Risikogruppe nicht an Ort und Stelle zu lassen, sondern dem Risiko auszusetzen sich wegzubewegen. Das passt überhaupt nicht zu den Maßnahmen und der Zielsetzung Menschen zu schützen. Insofern ist es zutiefst unsolidarisch, wenn man auf Einzelfälle nicht eingeht.
Wieviele bewohnte Zweitwohnungen kommen denn auf eine Hauptwohnung in den betroffenen Orten. Das scheint mir doch das Kriterium zu sein, an dem man eine Überlastung des Ortes festmachen könnte.
Dass aber ein Ferienort keine Lust hat, dass jetzt alle möglichen Leute aus ganz Deutschland in ihre Zweitwohnung im Ort zum großen Virentausch kommen, halte ich schon für verständlich.
Wir wohnen 50 km von unserem 2 Wohnsitz und nutzen diesen selbst zur Erhaltung unserer Gesundheit.Wir flüchten jedes Wochenende aus Schuby Schleswig.Im Winter wegen der Holzöfen im Sommer wegen der Grillexesse. Das Amt Arendsharde ist es auch völlig egal das eine Strassenlaterne direkt ins Schlafzimmer scheint. (Hecke)Natürlich haben wir versucht teilweise mit einem Anwalt unsere Situation zu verbessern.Daher eben die Zweitwohnung die wir zur ebengesagten Gesunderhaltung nutzen. Wir würden so oder so nach Husum ins Krankenhaus fahren da unsere Oma dort im Krankheitsfall dort eingeliefert wird.
Die Frage, die sich mir in dem Zusammenhang stellt, ist, ob die Erhebung der inzwischen weithin üblichen Zweitwohnungssteuer für den Zeitraum der behördlich angeordneten Nutzungssperre noch rechtens ist und ob sich nicht ein Erstattungsanspruch hierfür ergibt. Die Zweitwohnungssteuer wird per Definition als Abgeltung für kommunale Aufwendungen bei all jenen Zweitwohnungsbesitzern erhoben, die steuerlich nicht am Sitz der Nebenwohnung veranlagt sind. Wenn jedoch eine Nutzung, ob durch Vermietung oder Eigennutzung, durch behördlich Anordnung untersagt wird, erscheint die Erhebung der genannten Steuer zumindest fragwürdig. Die pure Existenz und der Besitz der Immobilie wird durch die Erhebung der Grundsteuer hinreichend abgegolten.
Meinhard Böhnke vom Fachbereich Finanzen der Stadt Cuxhaven dazu:
„Bisher sind noch keine Bescheide über Zweitwohnungssteuer für das Jahr 2020 versandt worden, sodass auch noch keine Zweitwohnungssteuer zu entrichten war. Die Zweitwohnungssteuer ist als Jahressteuer ausgerichtet. Bei der Entscheidung über eine Ermäßigung müssen wir uns an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und nachgeordneter Gerichte orientieren. Hiernach ist die volle Jahressteuer zu zahlen, wenn eine Zweitwohnung an mehr als zwei Monaten im Jahr genutzt werden kann. Es genügt hier allein die Möglichkeit einer Nutzung. Dementsprechend enthält §4 Absatz 4 der Zweitwohnungsteuersatzung der Stadt Cuxhaven auch Regelungen zu Nutzungsfaktoren.
Ich habe einen Zweitwohnsitz in MV, abseits der Küste. Seit Wochen verlange ich die Erstattung der Zweitwohnungssteuer für den Aussperrungszeitraum. Alles stur abgelehnt unter Hinweis auf die Allgemeinverfügung des Landes. Prozesskosten will ich mir nicht aufhalsen. Es gobt ein Beispiel eines früheren Hamburger Senators, der sofort nach der Ausweisung seine Steuer entsprechend gekürzt hat. Ob er damit durchkam ist unbekannt.
Den Beitrag von Alexander Thiele habe ich mit Interesse gelesen. Die vorgetragenen rechtlichen Zweifel an der Behördenpraxis sind nur allzu berechtigt. Die konkret besprochene Allgemeinverfügung des Landkreises Aurich deckt sich mit etlichen anderen fast wortgleichen. In Niedersachsen, in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind Zweitwohnungsbesitzer vielerorts in Corona-Zeiten nicht mehr wohlgelitten. Die jeweiligen Allgemeinverfügungen sind aus juristischer Sicht ebenso befremdlich wie der mancherorts gepflegte ordnungspolizeiliche Umsetzungsstil.
Ob es allerdings aktuell opportun ist, sich mit Eilanträgen an die Verwaltungsgerichte zu wenden, mag man unterschiedlich sehen. Ich habe da (obwohl selbst Rechtsanwalt) meine Zweifel. Das der Verwaltung durch die Corona-Epedemie allerorten abverlangte Krisenmanagement ist enorm herausfordernd und lässt – da kann man nur um Verstädnis werben – keine zeitlichen Spielräume, um in Grenzfragen vor dem Ergreifen von Maßnahmen zunächst einmal die Erstellung von Rechtsgutachten abzuwarten. Immerhin sind die Verfügungen zeitlich befristet (bis zum 20. März). Vor einer Verlängerung wäre es der Verwaltung insoweit dringlich anzuempfehlen, ihre Gedanken noch einmal neu zu sortieren. Dabei kommt es nicht nur auf eine Beobachtung und Bewertung der Infektionsverläufe an, sondern auch auf eine Reflektion der rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Vorgegebenheiten. Die Grundrechtseingriffe sind massiv. Die hierfür von den Landkreisen bislang publizierten und eher formelhaft skizzierten Rechtfertigungen werden dem viel zu wenig gerecht.
So hat sich etwa der Landkreis Goslar dem Beispiel anderer Landkreise folgend mit Verfügung vom 20. März kurzerhand seiner Zweitwohnungsbesitzer entledigt. Die mitgelieferte und publizierte Begründung der Allgemeinverfügung lässt mehr Fragen offen als sie beantwortet und erläutert bzw. rechtfertigt den massiven grundrechtlichen Eingriffsvorgang mit einer doch irritierenden Leichtfertigkeit.
Argumentiert wird – zunächst durchaus noch einleuchtend – mit der Notwendigkeit einer Unterbrechung von Infektionsketten. Insbesondere weil – so heißt es dann – „im Kreisgebiet besonders viele Nebenwohnungen vorhanden“ seien, müsse die „Nutzung untersagt“ werden. Die touristische Nutzung der Zweitwohnungen erhöhe das Infektionsrisiko. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ergebe sich – so die Begründung der Verfügung – aus dem „Ziel der Aufrechterhaltung der Gesundheitsvorsorge für die Gesamtbevölkerung“.
Zu überzeugen vermag all das in concreto nicht. Dem proklamierten Ziel der Infektionsbegrenzung erweist die Verfügung bei Licht besehen eher einen Bärendienst. Sie ist in vielen Anwendungsfällen kontraindiziert, als Maßnahme schwerlich angemessen und damit am Ende nicht verhältnismäßig.
Schon vor Erlass der Verfügung waren die betroffenen Harzortschaften im Vergleich zu früheren Blütezeiten weitgehend menschenleer. Das beklagen die Kommunalpolitiker nicht zu Unrecht seit Jahren. Auch die Zweitwohnungen weisen hohe Nutzungsleerstände auf, stehen bei den Maklern in hoher Zahl zum Verkauf und stoßen dabei auf eine überschaubare Nachfrage. Von touristischer Überfrequentierung waren und sind die Orte also (noch) weit entfernt. Im Rahmen der Allgemeinverfügung mit dem hohen Zweitwohnungsbestand der Zahl nach zu argumentieren, geht somit in der Sache fehl. Mehr noch: die ganz überwiegende Zahl der sporadisch noch in Nutzung befindlichen Zweitwohnungen im Landkreis Goslar befindet sich nicht in Goslar selbst, sondern in den äußerst schwach besiedelten Ortschaften des Kreises, wie etwa in Hahnenklee/Bockwiese, Schulenberg oder z.B. Altenau und so gut wie gar nicht im Ortskern von Goslar selbst. Wer also jetzt auf Kontaktvermeidung und Reduzierung des Infektionsrisikos Wert legt, ist in den genannten Ortschaften und Ortsteilen des Harzkreises besonders gut aufgehoben.
Die nunmehr versperrten Nebenwohnungen sind in einer nicht unbeträchtlichen Zahl eigentlich als Refugium norddeutscher Großstädter gedacht, etwa aus Hamburg, Bremen oder Hannover. Die randgelegenen Ortschaften im Kreis Goslar, in denen sich die Zweitwohnungen befinden, sind gerade im Vergleich zu den städtischen Lagen so schwach bevölkert, dass Infektionsrisiken wesentlich leichter aus dem Weg zu gehen ist als in den städtischen Regionen, in denen viele der Zweitwohnungsinhaber ihren Erstwohnsitz unterhalten. Die Infektionsstatistiken belegen diesen Zusammenhang täglich neu.
Es liegt auf der Hand, dass manche Großstadtfamilien in angespannter Lage nach Möglichkeiten suchen, ihre aktuell beengten Wohnverhältnisse zu entzerren, innerfamiliäre Ansteckungsrisiken zu reduzieren und Ausweichquartiere etwa für diejenigen zu nutzen, die am beruflichen Außenleben aktuell nicht teilnehmen müssen. Zweitwohnungen bieten sich hier an. Dass solchen Optionen mit der allzu rabiaten Regelungspraxis einiger Landkreise ein Riegel vorgeschoben wird, ist schwerlich plausibel zu erklären. Dem Normzweck des Infektionsschutzgesetzes tragen die Allgemeinverfügungen mit ihrem apodiktischen Ansatz zu wenig Rechnung. Angesichts des massiv grundrechtsverkürzenden Eingriffscharakters verbleiben am Ende durchgreifende rechtliche Bedenken.
Sehr wohltuend zu registrieren war, dass sich jüngst der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, nach Intervention durch den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Peter Tschentscher, in seinem Zuständigkeitsbereich für mehr Augenmaß in der Umsetzungspraxis eingesetzt hat. Davon bräuchte man jetzt mehr.
Bundespräsident Steinmeier hat angesichts der Corona-Krise zu Recht darauf hingewiesen, dass Solidarität jetzt besonders wichtig sei. Dazu passt kaum, dass sich einige Landkreise in der aktuellen Krise hier so „zurückhaltend“ und wenig hilfsbereit zeigen.
Sie sprechen mir aus dem Herzen, Herr Steinbeis!
Wir sind unmittelbar betroffen, denn wir haben eine Zweitwohnung in Nordfriesland. Wir haben uns bereits vor der Corona-Krise dort aufgehalten und sollten die Wohnung über Nacht verlassen. Es gleicht einer Enteignung.
Der Behörde in Nordfriesland habe ich zT die gleichen Fragen gestellt wie Sie in Ihrem grandiosen Aufsatz. Ich wurde ignoriert und es hieß lediglich: es bleibt beim gleichen Ergebnis: Sie müssen sofort die Zweitwohnung verlassen.
In Nordfriesland wird gegen Zweitwohnbesitzer eine Hetzjagd gemacht. Wir wurden auf offener Straße von den Einheimischen beschimpft und waren dauernd mahnenden Blicken ausgesetzt. Eine Ausnahme ist allerdings zu erwähnen: die Minderheit der Einheimischen sehen den Sinn dieses Verbotes ebenso wenig wie wir und haben sich für uns eingesetzt.
Wir werden aus unserer Zweitwohnung rausgeworfen, aber sollen weiterhin brav die Zweitwohnsteuer und Kurabgaben zahlen?
Ich bedanke mich für diesen ehrlichen Aufsatz!
Auch mir hat der Beitrag von dem Rechtsanwalt Stefan S. (Steinbeis heißt er wohl nicht) mit seiner abgewogenen Argumentation gut getan und gut gefallen. Vielen Dank dafür! Zu wünschen wäre den Ausführungen, dass sie auch den einen oder anderen Landrat erreich