Schottland auf dem Weg in die EU – oder aus ihr heraus?
Ein unabhängiges Schottland als 29. EU Mitgliedsstaat im Jahr 2016. Schnell, unkompliziert, ohne Brüche. Das ist der Plan von Alex Salmond, dem Ministerpräsidenten Schottlands. Wie wahrscheinlich ist dieser Zeitplan? Eine Frage, die für die Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands am 18. September 2014 entscheidend ist und sich schwer juristisch lösen lässt. Antworten darauf liegen nicht in Edinburgh sondern in London, Brüssel und Madrid.
Referendum in Schottland
Verschiedene europäische Regierungen können mit ihrer Verhandlungsmacht Schottlands Weg in die EU nach einem erfolgreichen Referendum verzögern. Um zu verstehen, warum das so ist, hilft ein Blick auf die Diskussion in Schottland.
London hat seit 1999 immer mehr Macht nach Edinburgh verlagert. Warum das vielen Schotten nicht ausreicht, wurde an anderer Stelle in diesem Blog beschrieben. Sie fordern die völlige Unabhängigkeit, und auch London hat zugestimmt, die Schotten darüber in einem Referendum entscheiden zu lassen – und dann die Folgen zu tragen. Welche das sein werden, darüber gehen die Ansichten aber auseinander: Dür die Unabhängigkeit plädiert Bündnis „Yes Scotland“, dagegen die Kampagne „Better Together“. Die Befürworter sind die Scottish National Party sowie Sozialisten und Grüne, während alle in Westminster vertretenen Parteien – Tories, Labour, Liberal Democrats – das Referendum ablehnen. Die Umfragen des letzten Jahres tendierten eher zum „Nein“.
Ein sonniges Bild der Folgen der Unabhängigkeit zeichnet die schottische Regierung in ihrem 650 Seiten starken Weißbuch „Scotland’s Future“. In diesem Weißbuch vermischen sich Argumente für die Unabhängigkeit, ein Zeitplan für Verhandlungen nach dem Referendum und konkrete Politikvorstellungen, die nach der Unabhängigkeit sofort umgesetzt werden sollen. Besonders wichtig für die Abstimmung und den weiteren Verhandlungsverlauf ist die Frage, ob die EU-Mitgliedschaft Schottlands nach der Unabhängigkeit nahtlos fortgesetzt werden kann. Die Referendums-Gegner argumentieren, dass sich der Beitritt zur EU nach der Abstimmung verzögern wird. Obwohl die schottische Regierung sehr bemüht ist, sich als europhil von Westminster abzugrenzen, möchte sie Opt-Outs wie die verweigerte Schengen-Mitgliedschaft beibehalten. Diese Sonderwünsche könnten die Beitrittsverhandlungen verlängern. Schottlands Verhandlungsposition wird also dadurch geschwächt, dass es viel fordert, aber wenig bieten kann.
Die Stunde Null – Verhandlungen nach einem positiven Referendum
Wenn Schottland unabhängig wird, müsste die schottische Regierung ihre Sonderwünsche in parallelen Verhandlungen mit London und Brüssel vertreten. Das Weißbuch „Scotland’s Future“ stellt einen Zeitplan für die Wochen und Monate nach dem Referendum auf. Kurz nach der Abstimmung am 18. September 2014 soll die Regierung Verhandlungen mit der UK und EU beginnen. Im März 2016 sollen diese Verhandlungen abgeschlossen sein, so dass Schottland am 24. März 2016 – als EU Mitglied – unabhängig werden kann.
Alex Salmond muss sich an der Durchsetzbarkeit dieses Zeitplans messen lassen. Wie gut der EU-Beitritt funktionieren wird, ist deswegen für die Abstimmung besonders wichtig, weil die wirtschaftliche Zukunft Schottlands eng mit dem europäischen Binnenmarkt verknüpft ist. Laut den letzten Umfragen ist die Frage der wirtschaftlichen Vorteile ausschlaggebend für die Abstimmung.
Für die Verhandlungen mit der EU sind ebenfalls die Verhandlungen mit London wichtig. Die Regierung in Westminster muss ihre Zustimmung zu einem EU-Beitritt Schottlands geben und wird dies nicht tun, wenn schottisch-britische Fragen ungeklärt sind.
Kann es, wie geplant, innerhalb von 18 Monaten gelingen, diese vielschichtigen Verhandlungen zum Erfolg zu führen? Nick Barber sieht das zu Recht skeptisch: Erstes Problem: Im Mai 2015 finden Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich statt. Im Zeitraum zwischen der Unabhängigkeit im September 2014 und dem Tag der Wahl im Mai 2015 befindet sich die britische Verhandlungsseite im Wahlkampf. Unter diesen Bedingungen dürfte es den Koalitionspartner Tories und Liberal Democrats schwer fallen, ein harmonisches Verhandlungsteam zu bilden. Kein englischer Politiker würde den Schotten in dieser Zeit irgendwelche Zugeständnisse einräumen und damit eine Wahlniederlage riskieren.
Keine Lösung wäre es, die Wahlen um ein Jahr zu verschieben. Das ist zwar in Ausnahmesituationen möglich, aber der Maßstab dafür wäre der 1. und 2. Weltkrieg.
Barber weist auf ein weiteres Problem hin: Nach der Wahl im Mai 2015 säßen auf der Regierungsbank im Westminster-Parlament auch schottische Abgeordnete. Damit wäre Schottland auf beiden Seiten des Verhandlungstisches repräsentiert. Oder aber diese Abgeordneten müssten das Parlament verlassen, und die verhandelnde Regierung hätte keine Mehrheit mehr. Kann das ein attraktiver Ansporn sein, die Verhandlungen zu einem zügigen Ende zu bringen?
Die Beitrittsverhandlungen mit der EU müsste Schottland somit aus einer Position der Schwäche heraus führen. Dabei ist die Zahl der Hindernisse, mit der es Schottland zu tun bekommt, auch so schon groß genug.
Verhandlungen mit Brüssel – Widerstand vom Kontinent
Bis zum März 2016 will die schottische Regierung mit der EU über die Voraussetzungen einer EU-Mitgliedschaft verhandeln. Sie strebt an, die EU-Mitgliedschaft ab dem Tag der Unabhängigkeit möglichst nahtlos fortzusetzen. Rechtlich ist dafür in den europäischen Verträgen kein eindeutiges Verfahren vorgezeichnet.
Nach dem Weißbuch der SNP wäre nur eine unkomplizierte Vertragsänderung gemäß Artikel 48 EUV notwendig. Das Hauptargument der schottischen Regierung ist, dass sie schon seit 1973 als Teil des Vereinigten Königreiches Mitglied der EU sei. Diese Position könnte sogar aufgrund des Grundsatzes der Unionstreue nach Artikel 4 Abs. 3 EUV für die EU zwingend sein.
Im Gegensatz zur Position der schottischen Regierung, herrscht im Europäischen Rat nach einer Pressemitteilung von Herman Van Rompuy kein Konsens darüber, dass Schottland nach Artikel 48 EUV als europäische Region reibungslos in die Union aufgenommen wird. Auch Kommissionspräsident Barosso vertritt die Auffassung, dass Schottland im Moment der Unabhängigkeit im Verhältnis zur EU ein Drittstaat werden würde. In Frage kommt dann nur noch die normale Beitrittsprozedur nach Artikel 49 EUV, nach der sich Schottland genau wie die Türkei für eine Mitgliedschaft in der EU bewerben müsste.
Die Meinung der EU wurde von Madrid beeinflusst, da die spanische Regierung die Idee eines reibungslosen schottischen EU Übergangs konsequent ablehnt ist. Spanien hat mit Katalonien sein ganz eigenes Unabhängigkeitsproblem. (Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Architekt des 2004 fertig gestellten schottischen Parlamentsgebäudes, Enric Miralles, ein Katalane ist.) Spaniens Ministerpräsident Rajoy hat aus Angst um die eigene nationale Einheit klargestellt, dass es für europäische Regionen keine „unklaren Abenteuer in eine unklare Zukunft“ unter Artikel 48 EUV geben kann.
Katalonien ist nur die Spitze eines Eisberges der separatistischen Bewegungen in Europa. In Spanien selbst gibt es im Baskenland eine weitere starke Unabhängigkeitsbewegung. In Belgien schwelt der Streit zwischen Flamen und Wallonen weiter. Das dürfte der Belgier Herman Van Rompuy selbst in seiner Position als neutraler EU-Ratspräsident nicht vergessen haben. In Frankreich gibt es auf der Insel Korsika eine Unabhängigkeitsbewegung. In Italien will die Lega Nord den nördlichen Teil des Landes unter dem Namen Padanien abspalten.
Aufgrund der angespannten politischen Lage ist ein Beitrittsverfahren nach Artikel 48 EUV unwahrscheinlich. Eine besondere Ironie des schottischen Zeitplanes von zehn Monaten ist, dass selbst ein vereinfachtes und schnelles Verfahren nach Artikel 48 EUV die Ratifikation der Vertragsänderung in allen Ländern erfordert. Es kann gut sein, dass dieser Prozess länger als bis zum März 2016 dauern würde.
Fazit
Was bleibt also von Schottlands schnellem Weg in die Europäische Union? Ein Weißbuch, dessen Zeitplan wahrscheinlich nicht eingehalten werden kann, und ein EU-Beitrittsplan, der rechtlich auf wackeligen Beinen steht. Unklare Beitrittsaussichten bedeuten Unklarheiten zu Schottlands Stellung im europäischen Binnenmarkt. Schlechte wirtschaftliche Aussichten würden die schlechten Umfragewerte Salmonds festigen. Alex Salmond muss diese Befürchtungen bis zum September aus dem Weg räumen, damit ihm das Image als Pinoccio Edinburghs nicht den Weg in die Niederlage weist.
Eine Niederlage der SNP im Referendum 2014 könnte für die EU Mitgliedschaft Schottlands noch ganz andere Folgen haben. Falls sich die Bevölkerung des Vereinigten Königreichts in einem für 2017 geplanten Referendum für einen Austritt aus der EU entscheidet, kann sich die schottische Regierung nicht dagegen wehren.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Seminars “Einführung in das rechtswissenschaftliche Bloggen” an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Ein sehr interessanter Artikel, und schön dass auch die Interessen Madrids und Belgiens genannt werden.
Aber ein paar Sachen stimment so nicht. Zum Beispiel das “alle in Westminster vertretenen Parteien – Tories, Labour, Liberal Democrats – das Referendum ablehnen“. Zum einen sind ja auch die SNP, die walisischen und irischen Nationalisten und die Grünen in Westmintser vertreten, zum anderen kämpfen Tories, Labour und LibDems zwar für die Union aber sie lehnen die Volksabtimmung an sich nicht mehr ab. d.h. sie gestehen ein dass das schottische Parlament mit Mehrheit eine Abstimmung ansetzen darf.
Vor allem ist aber die Behauptung, dass die Frage ob ein unabhängiges Schottland ab 2016 EU-Mitgliedsstaat sein wird für die Abstimmung entscheidend ist, meiner Meinung nach nicht zutreffend. Dies liegt nicht daran dass die Frage einer EU-Mitgliedschaft nicht für die wirtschaftliche Entwicklung eines unabhängingen Schottlands sehr wichtig ist – es liegt eher daran alle Aussagen zu diesem Thema in der Debatte eigentlich nur als Indizien zur Antwort der entscheidenen Frage gewertet werden: Who do you trust?
Die entscheidende Frage ist doch ob ein unabhängiges Schottland wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Zwar versuchen Teile der Unabhängigkeitsgegner zu argumentieren dass, obwohl dies so ist, man zusammen noch viel besser dasteht. (Daher der offizielle Name „Better Together“). Aber im grossen und ganzen argumentieren die No-Kampagne negativ, d.h. es wird behauptet dass ein unabhängiges Schottland wirtschaftliche Probleme bekommen wird.
Und die zwei Hauptstreitpunkte sind hier wer denn wen bezuschusst – d.h. ist der Anteil der in Schottland anfallenden Steuern größer als der Anteil der Ausgaben dort – und welche Regierung ist kompetenter. Und laut Umfragen hat die Yes-Kampagne hier jeweils die Mehrheit hinter sich. Und wenn es den Befürwortern gelingt die Unentschiedenen die hier die Ansichten der Yes-Kampagne teilen in Ja-Stimmen umzumünzen, dann werden sie wohl die Abstimmung gewinnen. (Und wenn nicht, dann nicht.)
Kritische Stimmen was Probleme mit einer EU-Mitgliedschaft angeht werden da von der Salmond – der übrigens in Schottland keine schlechten sondern die allerbesten Umfragewerte aller britischen Politiker hat – als versuchte Irreführung abgetan. Was ganz gut zu gehen scheint solange diese entweder von der No-Kampagne kommen (welche ja sowieso als Täuscher bezeichnet werden), oder von Spaniern oder Belgiern mit ihren eigenen Motiven.
Die substanzielle Antwort der schottischen Regierung ist übrigens auch nicht ganz vollständig wiedergegeben. Ersten beruft man sich auf die Pflicht der britischen Regierung zu helfen, und zweitens auf das Demokratieprinzip – d.h. die EU kann sich nicht einer demokratischen Entscheidung entgegenstellen wenn es keine anderen gewichtigen Gründe gibt – welche es nicht geben kann da Schottland als jetziges Mitglied ja alle Verpflichtungen bereits erfüllt.
Die britische Regierung und die Labour-Partei behaupten auch dass ein unabhaengigiges Schottland nicht das Pfund behalten koenne. Laut Umfragen glauben nur 37% dass die Regierung und Labour nicht bluffen. Ich nehme halt an bei der EU-Mitgliedschaft wird die Sache aehnlich liegen.
Lieber Herr Schmidt,
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar!
Bezüglich Ihres ersten Punktes wollte ich schreiben, dass tories, labour und lib dems im schottischen Parlament auf der nein-seite stehen und nicht das ganze Referendum ablehnen. Danke für die Klarstellung.
Natürlich ist die Frage der EU-Mitgliedschaft nur ein Aspekt in der Debatte um die wirtschaftlichen Aussichten Schottlands nach einer Unabhängigkeit. Alles weitergehende hätte den Umfang des Artikels gesprengt. Schicken Sie ruhig einen Artikel an Herrn Steinbeis, wenn Sie Ihre Thesen belegen wollen.
Auf die Argumente der schottischen Regierung bin ich bewusst nicht eingegangen, weil Almut Peters dies in ihrem Artikel getan hat.
Welche Umfragen meinen Sie genau, wenn Sie sich auf die Mehrheit der schottischen Regierung beziehen?