Tu, felix Austria, nube! Ehe für alle – jetzt auch in Österreich
In einem Erkenntnis vom 4. Dezember 2017 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) festgestellt, dass die Unterscheidung zwischen der Ehe als Rechtsinstitut für verschiedengeschlechtliche Paare und der eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare gegen das Diskriminierungsverbot des Gleichheitsgrundsatzes der österreichischen Bundesverfassung (Art. 7 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG) verstößt. Als erstes Verfassungsgericht Europas hat der VfGH daher die unterschiedlichen Regelungen für verschieden- und gleichgeschlechtliche Paare aufgehoben (in anderen europäischen Ländern erfolgte die Öffnung der Ehe durch die Gesetzgebung). Die Aufhebung tritt mit 31. Dezember 2018 in Kraft: Bleibt die Gesetzgebung bis dahin untätig, stehen ab dem 1. Januar 2019 sowohl verschiedengeschlechtlichen als auch gleichgeschlechtlichen Paaren zur Absicherung ihrer Beziehung beide Rechtsinstitute – Ehe und eingetragene Partnerschaft – offen.
Ehe auf österreichisch
Für die Geschichte Österreichs waren Eheschließungen schon immer von großer Bedeutung. Als besonders geschickt in Sachen Heiratspolitik galt Maximilian I. (1459-1519). Ihm wird häufig der Satz „Bella gerant alii, tu felix Austria nube! – Lass andere Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate!“ zugeschrieben, der zum identitätsstiftenden Motto des Hauses Habsburg wurde. Tatsächlich belegt ist der Ausspruch allerdings erst für das 17. Jahrhundert: Ein Jahrhundert später begann die Geschichte der staatlichen Ehegesetzgebung in Österreich. Es ist die Geschichte eines fast zweihundert Jahre dauernden Ringens zwischen dem Staat und der katholischen Kirche um die Regelungshoheit in Eheangelegenheiten. Und es ist die Geschichte eines Eherechts, das lange Zeit hindurch Personen aus unterschiedlichsten Gründen vom Eingehen einer Ehe ausschloss und sie dadurch diskriminierte.
Einen der langlebigsten Ausschlussgründe hat der VfGH nun beseitigt: § 44 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) behielt den Ehevertrag „zwey Personen verschiedenen Geschlechtes“ vor. Diese Bestimmung blieb bestehen, als 1938 das deutsche Ehegesetz (EheG) an die Stelle des Eheschließungsrechts des ABGB und des – nur für Katholik*innen geltenden – Konkordatseherechts trat. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges überdauerte § 44 ABGB die Überleitung des EheG in die österreichische Rechtsordnung (nach Beseitigung der typisch nationalsozialistischen Vorschriften) ebenso unverändert, wie tiefgreifende Novellierungen des Eherechts in den 1970er und 1990er Jahren. Gleichgeschlechtliche Paare blieben damit vom Eingehen einer Ehe ausgeschlossen.
Same same but different
Auch an einem eigenen Rechtsinstitut zur Absicherung gleichgeschlechtlicher Partner*innenschaften fehlte es lange Zeit. Zwar hatte die SPÖ bereits 1998 Bereitschaft signalisiert, die rechtliche Situation gleichgeschlechtlicher Paare zu verbessern: Die tatsächliche Umsetzung scheiterte jedoch am Koalitionspartner, der ÖVP. Während der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ in den Jahren 2000 und 2006 schien die Hoffnung auf eine rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften überhaupt in weite Ferne gerückt. Doch auch nach der Neuauflage der Großen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ ließ die Schaffung eines eigenen Rechtsinstituts für gleichgeschlechtliche Paare auf sich warten. Am 1. Januar 2010 trat schließlich das Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft (EPG) in Kraft. Es war ein hastig beschlossenes Gesetz, dem kein öffentliches Begutachtungsverfahren des Entwurfs und damit auch keine Möglichkeit der Stellungnahme durch die Öffentlichkeit vorausgegangen war. Getragen war das Gesetz von dem strategischen Ziel, eine mögliche Verurteilung Österreichs durch den EGMR zu verhindern, bei dem seit 2004 eine Beschwerde wegen des Ausschlusses gleichgeschlechtlicher Paare von der Eheschließung anhängig war. Eine Verurteilung schien nicht ausgeschlossen, bereits in Karner/Österreich hatte der Gerichtshof klargestellt, dass nur sehr gewichtige Gründe eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung rechtfertigen können. In der Sache sollte mit dem EPG zwar ein Rechtsinstitut für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften geschaffen werden – dieses sollte aber deutlich von der Ehe abgegrenzt sein.
Obwohl sich das EPG eherechtliche Bestimmungen teilweise fast wörtlich übernahm, bestanden zwischen einer Ehe und einer eingetragenen Partnerschaft zahlreiche Unterschiede (für eine detaillierte Auflistung siehe hier): So wurden etwa Ehen mit Trauungszeremonie und Trauzeugen am Standesamt geschlossen, eingetragene Partnerschaften dagegen bei der Bezirksverwaltungsbehörde – ohne Zeremonie und ohne Zeug*innen. Entschieden sich Ehepaare für einen Doppelnamen, war dieser mit Bindestrich zu bilden – bei eingetragenen Partner*innen erfolgte die Bildung ohne Bindestrich. Außerdem führten Eheleute einen „Familiennamen“, eingetragene Partner*innen einen „Nachnamen“ – wie denn überhaupt jeder Konnex zwischen eingetragener Partnerschaft und „Familie“ sorgfältig vermieden wurde. Dem entsprachen auch das nur für eingetragene Partner*innen bestehende Verbot der Stiefkind- und der gemeinsamen Fremdkindadoption sowie die Beschränkung medizinisch unterstützter Fortpflanzungsmaßnahmen auf Ehepartner*innen und verschiedengeschlechtliche Lebensgefährt*innen.
Damit schien vorgezeichnet, dass die Durchsetzung tatsächlicher Gleichstellung gleich- und verschiedengeschlechtlicher Paare in Österreich nicht im Wege der Gesetzgebung, sondern vornehmlich durch die Rechtsprechung erfolgen würde.
Nicht nur Privatleben, sondern auch Familie
Der EGMR hat Österreich wegen des Ausschlusses gleichgeschlechtlicher Paare von der Möglichkeit der Eheschließung schlussendlich nicht verurteilt. Trotzdem stellt das Urteil in Schalk und Kopf/Österreich eine Grundsatzentscheidung für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften dar. Erstmalig erachtete der Gerichtshof eine Beschwerde eines gleichgeschlechtlichen Paares wegen Verletzung des Rechts auf Eheschließung nach Art. 12 EMRK für zulässig. Eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, leitete der EGMR aus Art. 12 EMRK allerdings nicht ab. Außerdem betrachtete der Gerichtshof langfristige, stabile Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen zum ersten Mal nicht nur unter dem Aspekt des Privatlebens. Der EGMR stellte vielmehr fest, dass die Beziehungen zwischen Personen des gleichen Geschlechts auch unter den Begriff des „Familienlebens“ nach Art. 8 EMRK fallen. Damit war eine wichtige Grundlage für die schrittweise Annäherung der eingetragenen Partnerschaft an die Ehe geschaffen.
Schalk und Kopf bildete den Startschuss dafür, dass die Zahl der rechtlichen Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft in den Folgejahren erheblich reduziert wurde. Nach der Verurteilung Österreichs durch den EGMR wurde die Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Der VfGH hob unter anderem das Verbot der Fremdkindadoption wie auch den Ausschluss eingetragener Partner*innen von der medizinisch unterstützten Fortpflanzung als diskriminierend auf. Hinsichtlich des Fehlens von Trauungszeremonie, Trauzeug*innen und Bindestrich bei der Namensbildung hielt der VfGH fest, dass eine an Art. 7 Abs. 1 B-VG orientierte Auslegung die Gleichbehandlung von Ehe und eingetragener Partnerschaft verlange.
Dieses Zusammenspiel von EGMR und VfGH wurde durch den hohen Stellenwert der EMRK in Österreich ermöglicht: Die Konvention steht im Rang eines Bundesverfassungsgesetzes, die darin garantierten Rechte können vor dem VfGH unmittelbar als verfassungsgesetzlich gewährleistete subjektive Rechte geltend gemacht werden. Entsprechend hoch ist auch die Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR: Die Entscheidungen des VfGH lassen den Einfluss durch Straßburg deutlich erkennen. Zugleich ist die zunehmende Angleichung von Ehe und eingetragener Partnerschaft ein gelungenes Beispiel für strategische Prozessführung (siehe dazu hier). Ehe und eingetragene Partnerschaft wurden einander immer ähnlicher. Dies spielte für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare (bzw. der eingetragenen Partnerschaft für verschiedengeschlechtliche Paare) eine wichtige Rolle.
Das verflixte 7. Jahr
Das Gleichheitsverständnis des VfGH hat durch den EGMR wichtige Impulse erfahren. Geht es um die Gleichstellung verschieden- und gleichgeschlechtlicher Paare, geht der VfGH mittlerweile sogar über den EGMR hinaus: Dieser hatte in Ratzenböck und Seydl/Österreich im Ausschluss verschiedengeschlechtlicher Paare vom Rechtsinstitut der eingetragenen Partnerschaft keine Diskriminierung erkannt. Dagegen hat der VfGH sieben Jahre nach Inkrafttreten des EPG nicht nur die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, sondern auch die eingetragene Partnerschaft für verschiedengeschlechtliche Paare geöffnet. Der VfGH betonte, dass der Gleichheitsgrundsatz des Art. 7 Abs. 1 B-VG der Gesetzgebung unsachliche Ungleichbehandlungen verbiete. Knüpfe eine gesetzliche Ungleichbehandlung an diskriminierungsverdächtige Merkmale wie etwa Geschlecht oder sexuelle Orientierung an, müssen dafür besonders schwerwiegende Gründe vorliegen (Rz. 13). Durch die jüngere – vor allem auch vom VfGH angestoßene – Rechtsentwicklung sei die Rechtsstellung von Ehepartner*innen und eingetragenen Partner*innen in vielen Bereichen bereits gleich. Vor allem bestünde mittlerweile auch die Möglichkeit gemeinsamer Elternschaft für gleichgeschlechtliche Paare. Eine Differenzierung in zwei Rechtsinstitute lasse sich daher nicht weiter aufrechterhalten, ohne gleichgeschlechtliche Paare im Hinblick auf ihre sexuelle Orientierung zu diskriminieren (Rz. 15). Da bis in die jüngste Vergangenheit Menschen wegen ihrer gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung Diskriminierung erfahren haben, haben zwei unterschiedliche Rechtsinstitute für im Wesentlichen gleiche Beziehungen einen diskriminierenden Effekt: Der wesentlichste Inhalt des Art. 7 Abs. 1 2. Satz B-VG sei aber gerade ein Verbot diskriminierender Effekte (Rz. 16). Im Ergebnis hat der VfGH sowohl die Wortfolge „verschiedenen Geschlechtes“ in § 44 ABGB als auch die Wortfolgen „gleichgeschlechtlicher Paare“ in § 1 und „gleichen Geschlechts“ in § 2 und Ziffer 1 des § 5 Abs. 1 EPG aufgehoben.
Ehe für alle, eingetragene Partnerschaft für alle
Der VfGH hat der Gesetzgebung eine Frist bis zum 31. Dezember 2018 gesetzt, um tätig zu werden. Tut sie dies nicht, können verschiedengeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Paare ab 1. Januar 2019 wählen, ob sie zur Absicherung ihrer Beziehung eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingehen wollen. Die Gesetzgebung kann eine Neuregelung beschließen, die eine andere Rechtslage bringt: Ein neuerlicher Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der Möglichkeit der Eheschließung ist aufgrund des Erkenntnisses des VfGH allerdings nur in Form eines – mit Zweidrittelmehrheit zu beschließenden – Verfassungsgesetzes möglich. Damit ist angesichts der momentanen parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse nicht zu rechnen.
Die Aufhebung der diskriminierenden Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft hat einmal mehr die große Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit für die Wahrung von Minderheitenrechten gezeigt. Diese scheint umso wichtiger, als aktuelle Diskussionen um den Ausbau der direkten Demokratie in Österreich die Frage nach dem Schutz von Minderheitenrechten konsequent ausklammern. Der VfGH trägt mit der Öffnung der Ehe in einem wesentlichen Punkt zur Stärkung der Menschenrechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Menschen bei. Gleichzeitig hat der VfGH durch die Feststellung, dass Art. 7 Abs. 1 2. Satz B-VG vor allem gesetzliche Regelungen verbietet, die diskriminierende Effekte zeigen, eine wichtige Aussage zur Dimension des Gleichheitssatzes getroffen: Der VfGH macht damit deutlich, dass nicht nur gesetzliche Regelungen verboten sind, die unsachlich differenzieren, sondern auch solche, die sich „bloß“ diskriminierend auswirken. Welche Bedeutung dieser Entwicklungsschritt über den aktuellen Fall hinaus entfalten kann, wird noch weiter auszuloten sein.