24 March 2025

Sturm auf den Verwaltungsstaat

Demokratieargumente und Verwaltungsabbau in den USA

Die erste Amtszeit Donald Trumps endete mit dem Sturm auf das Kapitol, die zweite Amtszeit begann mit dem Sturm auf den Administrative State. Ist nur ersteres oder beides ein Angriff auf die demokratische Ordnung? Ist auch der Abbau des Verwaltungsapparats demokratiefeindlich? Wie Verwaltungsstaat und Demokratie aufeinander bezogen sind, oder wie politisch Verwaltungstätigkeit sein darf, ist eine für akademische Zwecke kaum zu beantwortende Frage. Sie bezieht unklare Begrifflichkeiten (Demokratie und Verwaltung, Verwaltung und Politik) in einer unklaren Weise aufeinander. Die Antwort fällt unterschiedlich aus, je nachdem, was wir für demokratisch halten, was wir für politisch halten, wie wir Kompetenzen von Verwaltungsbehörden verstehen, und von welcher Art Verwaltungsbehörden wir sprechen. Gerade wegen dieser Unschärfe sind die Fragen nach der Demokratietauglichkeit des Verwaltungsapparats für politische Zwecke aber auch reizvoll. Denn sie lassen sich einfach instrumentalisieren.

Der Abbau des US-amerikanischen Administrative State

Für den US-amerikanischen Abbau des Administrative State, also den Verwaltungsapparat auf Bundesebene, ist das von großer Bedeutung. In den letzten Jahren wurde an diesen gleich mehrfach die Axt gelegt. Große Aufmerksamkeit erlangten die Hiebe, die Elon Musk nun dem Administrative State versetzte, als Kopf seiner Behörde zum Abbau von Behörden. Dieser Angriff hat eine in der deutschen Öffentlichkeit weniger bekannte Vorgeschichte. In Seila Law v. CFPB (2020) erlaubte der Supreme Court dem Präsidenten, die Leitung einer unabhängigen Behörde (independent agency) grundlos auszutauschen – und lieferte Anhängern der Unitary Executive Theory Auftrieb, die von einer weitgehenden präsidentiellen Organisationsgewalt über Bundesbehörden ausgeht.

Ein weiterer Hieb traf den Administrative State noch letztes Jahr durch die Entscheidung des U.S. Supreme Court gegen die Anerkennung administrativer Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe in Aufhebung der Chevron-Doktrin (in Raimondo v. Loper). Eine abweichende Meinung zum Rechtsstreit Gundy v. United States (2019) deutete zudem Unterstützung für die sog. non-delegation doctrine an, nach der der Kongress nur begrenzt Rechtsetzungsmacht an die Bundesexekutive delegieren darf. In eine ähnliche Kerbe schlug die Entscheidung in West Virginia v. EPA (2022), nach der der Kongress „major questions“ selbst entscheiden müsse, bestehende umweltschutzrechtliche Ermächtigungsgrundlagen deshalb restriktiv zu interpretieren seien und als Grundlage für ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen nicht zur Verfügung stünden.

Aus deutscher Perspektive mag man darin eine begrüßenswerte Stärkung der Legislative gegenüber der Exekutive erblicken und sich etwa an die „Wesentlichkeitslehre“ erinnert fühlen, die für die Entwicklung des parlamentarischen Regierungssystems so bedeutsam war. In den USA gefährden solche Entscheidungen aber die Arbeitsfähigkeit der Bundesverwaltung und führen zu einer Deregulierung. Der Kongress ist – selbst wenn eine Partei sowohl das Präsidentenamt innehat als auch den Kongress kontrolliert – seit einigen Jahrzehnten strukturell blockiert und zur Schaffung hinreichend bestimmter Ermächtigungsgrundlagen kaum in der Lage. Die Anerkennung administrativer Gestaltungsspielräume kompensierte insofern den Ausfall der legislativen Gewalt und ermöglichte Verwaltungstätigkeit auch ohne handlungsfähigen Kongress. Verlangt der Supreme Court in dieser Situation nun eine detailliertere Bundesgesetzgebung, ist zu erwarten, dass Bundesbehörden auf lange Sicht die Ermächtigungsgrundlagen fehlen.

Die Angriffe gegen den Administrative State bereitete das conservative legal movement – insbesondere in Gestalt der Federalist Society – über Jahrzehnte in akademischen Debatten über die Legitimation des Administrative State vor. Das Effizienzgeraune Elon Musks und Donald Trumps, das bloß das Aus-dem-Weg-Räumen politischer Gegner und gesellschaftlich Benachteiligter verbrämen dürfte, kann sich insofern auf akademische Steigbügelhalter stützen. Die Gegner der US-amerikanischen Bundesverwaltung rechtfertigen ihren Angriff unter anderem als demokratische Befreiung von exekutiver Fremdbestimmung. Sehr stark vereinfacht könnte man diese Angriffe so formulieren: Der Abbau des Administrative State sei demokratisch, weil er Ausdruck der Entscheidungsgewalt des gewählten Präsidenten sei (Unitary Executive Theory). Die Bundesexekutive sei undemokratisch, weil sie dessen Entscheidungen durch expertokratische Regulierung unabhängiger Behörden auf dünner parlamentsgesetzlicher Grundlage ersetze. Dazu kommt ein föderalistisches Argument: Die Bundesexekutive verschiebe durch Regulierungen Freiheiten der states auf eine zentralisierte Bundesebene. Diese Argumente gewinnen an Suggestionskraft nicht nur deshalb, weil in den USA die Verwaltung auf Bundesebene jünger ist als die Verfassung, sondern auch, weil das verfassungsrechtliche Demokratieverständnis (und soweit die Gegner des Verwaltungsapparats nicht rechtlich argumentieren: auch das Demokratieverständnis im Allgemeinen) sich nicht zwingend auf die Verwaltung ausrichtet. Ein voradministratives Demokratieverständnis, das bürokratische Strukturen ausblendet, eignet sich dazu, diese bürokratischen Strukturen zu sprengen.

Inwiefern diese akademischen Debatten für die gegenwärtige Demontage des Verwaltungsapparats Pate stehen, hängt von dem Maße ab, in dem der Trumpismus (noch) auf dem orthodoxen Konservatismus der Federalist Society beruht. Für eine Politik der Feindschaft, wie sie Trump und Musk verfolgen, sind verfassungstheoretische Rechtfertigungen nützliches Beiwerk, aber nicht notwendige Bedingung. Nicht umsonst richtet sich der Kampf gegen den Administrative State ja auch nicht gegen die gesamte Bundesverwaltung, zum Beispiel nicht gegen die Abschiebebehörde (Immigration and Customs Enforcement). Die lange Vorbereitung des Behördenabbaus durch die US-amerikanische Rechtswissenschaft dürfte dessen Vermittlung in die konservative Wählerschaft aber erleichtern und jedenfalls großen Einfluss auf den U.S. Supreme Court und konservative Juristen wie J.D. Vance ausüben. Die Trump’schen Abbaumaßnahmen dürften jedoch besonders eklatant verfassungswidrig sein; es bleibt abzuwarten, ob der Supreme Court die völlige Umgehung des Kongresses durch executive orders billigen wird.

Die Bewahrung des deutschen Verwaltungsstaats

Gibt es ähnliche Bestrebungen in Deutschland? Die US-amerikanischen Diskurse um den Verwaltungsapparat scheinen in Deutschland fremd. Doch auch hier ist die Frage nach der Demokratietauglichkeit der Verwaltung keine bloße Gedankenspielerei. Sie stellt sich freilich unter umgekehrten Vorzeichen. In Deutschland ist das verfassungsrechtliche Verständnis von Demokratie mit der Verwaltungsorganisation kompatibel. Die Legitimationskettendogmatik ist dem Modell hierarchischer Bundesverwaltung wie auf den Leib geschnitten. Das Bundesverfassungsgericht handhabt sie aber auch hinreichend flexibel, um auch historisch gewachsene Strukturen – etwa in der Entscheidung zur Emschergenossenschaft über funktionale Selbstverwaltung – zu legitimieren. Dass das grundgesetzliche Verständnis von Demokratie in vielerlei Hinsicht auf überkommene Verwaltungsstrukturen passt, ist auch deshalb plausibel, weil die historische Situation umgekehrt zu der US-amerikanischen liegt: Der Verwaltungsapparat ging der demokratischen Verfassung voraus, nicht die demokratische Verfassung dem Verwaltungsapparat. Dogmatische Konstruktionen zum Demokratieprinzip dienten zur Beurteilung – und Bewahrung – bereits älterer Verwaltungsstrukturen. Sofern es überzeugt, verfassungsrechtliche Demokratieanforderungen bereits begrifflich als mit Verwaltungsstrukturen kompatibel zu verstehen, wäre es gar nicht vorstellbar, einen Verwaltungsapparat im Namen der Demokratie zu entkernen.

Aber die Probleme sehen manche gerade hierin. Jüngst rekonstruierte Florian Meinel das Verfassungsrecht als abstrahiertes Verwaltungsrecht und stellte die These auf, das in Deutschland – namentlich im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts – herrschende Verständnis von Politik lasse sich auf verwaltungsrechtliche Kategorien reduzieren. Politik werde als Ermessensausübung oder als Ausfüllen von Beurteilungsspielräumen verstanden. Diese Beschreibung ist eine Form einer häufigen Kritik, die eine übertriebene Verrechtlichung des deutschen Verfassungsdenkens zulasten politischer Spielräume befürchtet. Solche Kritik entzündet sich an Folgerichtigkeitsvorgaben und anderen prozeduralen Maßgaben für Gesetzgebung ebenso wie an der großen Bedeutung verfassungsgerichtlicher Maßstäbe für die Interpretation der Verfassung, die Interpretationsspielräume anderer Gewalten verengen. Auch diese Kritik verweist auf das Demokratieprinzip und demokratische Gestaltungsspielräume. Hier stellt sich also nicht die Frage nach der Demokratietauglichkeit der Verwaltung, sondern nach der Demokratietauglichkeit der Verrechtlichung politischer Freiräume.

Paradigmatisch sind Debatten um die Reform der Schuldenbremse Auch sie unterwirft politische Entscheidungen Grenzen, die für Behörden selbstverständlich, gegenüber der parlamentarischen Budgethoheit jedoch demokratietheoretisch angreifbar sind. Der öffentliche Umgang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds zeigt, dass ein stark verrechtlichtes Verständnis demokratischer Entscheidungsspielräume recht hohe Akzeptanz genießt. Es wurde öffentlich kaum kritisiert, dass das Gericht die Schuldenregeln eng gerichtlich kontrollierte. Obwohl solch strikte judicial review in anderen Bereichen alles andere als selbstverständlich ist (Sozialstaatsprinzip, positive Rechte, Staatszielbestimmungen), galt eine dichte Kontrolle hier als unproblematisch. Und auch in der Sache stießen die strengen gerichtlichen Prüfkategorien – etwa zum Veranlassungszusammenhang, zur Jährigkeit und Jährlichkeit oder zum Begriff der Notsituation – auf wenig fachlichen Widerspruch. Diese Vermeidung öffentlicher institutioneller Kritik dürfte freilich auch das hohe Ansehen des Bundesverfassungsgerichts reflektieren. Statt einer institutionellen Debatte rankte sich die Diskussion um die Sache: Die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse als ökonomische und als verfassungsrechtliche Regel wurde kontrovers diskutiert, ihre Justizialisierung durch das Bundesverfassungsgericht weniger.

Debatten unter umgekehrten Vorzeichen

Wir beobachten also Debatten über ähnliche Themen mit unterschiedlichen Zielrichtungen. Auf der einen Seite des Atlantiks wurde lange diskutiert, ob der Verwaltungsapparat auf Bundesebene demokratischen Formen genügt, auf der anderen Seite, ob politische Freiheiten übermäßig in verwaltungsrechtsähnliche Formen gezwängt sind. Die deutschen und die US-amerikanischen Auffassungen über die Reform des Verwaltungsapparats und über das Verhältnis von Verwaltung und politischer Gestaltung lassen sich nur eingeschränkt gewinnbringend vergleichen. Ihr Vergleich erlaubt aber eine methodische Beobachtung, anhand welcher Kriterien wir uns verständigen können, wenn wir über den richtigen Grad der Verrechtlichung nachdenken:

Die unterschiedlichen Hintergründe der US-amerikanischen und deutschen Debatten verdeutlichen zunächst, wie viel Vorsicht geboten ist, über das Verhältnis von Verwaltung, Verwaltungsrecht und Politik auf begrifflicher Ebene, nämlich mit voraussetzungsreichen Kategorien wie „Politik“, „Recht“, „Demokratie“, „Staat“ oder auch überhaupt „Verwaltung“ zu sprechen. Hinter den abstrakten Begriffen stehen andere politische Ziele und andere historische Kontexte. Auf der einen Seite steht ein trumpistisches Amalgam aus Autoritarismus und Libertarismus, auf der anderen Seite stehen unterschiedliche politische Interessen, die sich aber gerade auch auf größere sozial- und steuerpolitische Freiheiten für den Gesetzgeber richten. Sodann prägt die jeweilige Geschichte der Begriffe Demokratie und Verwaltung deren Verwendung. Einmal verwendet man ein historisch vorbürokratisches Demokratieverständnis, das bürokratischen Strukturen unverbunden gegenübersteht, einmal gebraucht man ein Demokratieprinzip, das historisch vordemokratische Verwaltungsstrukturen in sich aufnimmt. Drittens unterscheiden sich die institutionellen Rahmenbedingungen. Die Rechtsprechung des Supreme Court gleicht sich nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, wenn beide wesentliche Fragen dem Parlament überlassen wollen – denn im einen Fall demontiert das die Verwaltungsbehörden, die von einem blockierten Kongress keine Vorgaben erwarten können; im anderen Fall verschiebt es Kompetenzen, lässt aber institutionelle Strukturen intakt.

Kosten des Bürokratieabbaus

Woran lässt sich der Abbau von Verwaltungstätigkeit oder die Bürokratisierung politischer Spielräume dann messen, wenn es schwierig ist, eine geteilte Perspektive auf Begriffe wie Demokratie, Politik oder Verwaltung zu entwickeln? Der Blick auf den US-amerikanischen Abbau des Administrative State führt uns jedenfalls auf ein pragmatistisches Kriterium: Welche praktischen Konsequenzen zeitigen unterschiedliche Auffassungen von Verwaltungstätigkeit? Betrachten wir hiesige Bestrebungen zum „Bürokratieabbau“ oder „für einen handlungsfähigen Staat“, wäre näher über deren praktische Ziele nachzudenken: Dienen sie lediglich dazu, Wirtschaftsakteuren Erfüllungsaufwand zu ersparen? Oder dienen sie weitergehend dazu, Verwaltungsabläufe effizienter zu gestalten, dabei aber adäquate Komplexität zu bewahren? Dienen sie, mit anderen Worten, der Deregulierung oder der effektiveren Regulierung ohne inneradministrativen Effizienzverlust?

Blicken wir in die USA, fällt das Urteil weniger schwer: Der Abbau der Bundesverwaltung, bislang unterstützt durch die Rechtsprechungslinien des U.S. Supreme Court, bedeuten den Kahlschlag sozialstaatlicher, inklusionsfördernder und umwelt- und klimaschützender Programme. Wer eine Regelung des blockierten Kongresses einfordert und ansonsten den Einzelstaaten die Regelung überlässt, kalkuliert, dass beide dazu weder willens noch in der Lage sind. Wer von dieser Verwaltungstätigkeit bislang profitierte, wird durch den Abbau des Administrative State benachteiligt; wer die finanziellen Mittel hat, ohne staatliche Unterstützung auszukommen, oder wer den Draht zum Präsidenten hat, um seine Unterstützung informell zu erlangen, profitiert. Von begrifflichen Dauerwerbesendungen à la der Abbau des Administrative State diene Demokratie und Föderalismus und Musks Department of Government Efficiency fördere Effizienz darf man sich nicht täuschen lassen. Der Abbau des Administrative State dient unmittelbar nur einer Form von Effizienz – Bürgerinnen, die die Verwaltung brauchen, effizient alleine zu lassen.

Dieser Text knüpft an ausführlichere Überlegungen in Texten gemeinsam mit Jonas Plebuch an: Verwaltungsstaat als Demokratieideal – Administrative State als Demokratiegefahr?, Der Staat 61 (2022), 167-203; Congress shall make no law – zu den institutionellen Folgen der US-amerikanischen Gesetzgebungskrise, Verfassungsblog v. 4.7.2022. Ich danke Jonas Plebuch für die Diskussion der aktuelleren Entwicklungen.


SUGGESTED CITATION  Pielhoff, Simon: Sturm auf den Verwaltungsstaat: Demokratieargumente und Verwaltungsabbau in den USA, VerfBlog, 2025/3/24, https://verfassungsblog.de/usa-verwaltungsabbau-demokratie/, DOI: 10.59704/4bf3279c546c868d.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.




Explore posts related to this:
Bürokratieabbau, Demokratie, Demokratiepolitik, Demokratietheorie, USA, Unitary executive theory, Verwaltung


Other posts about this region:
Deutschland