Vorratsdatenspeicherung: Dunkle Worte aus Luxemburg
Wie schön: Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verletzt unser Grundrecht auf Privatsphäre, so der EuGH-Generalanwalt Pedro Cruz Villalón heute in seinen Schlussanträgen. Das ist sicher schon mal eine gute Nachricht – doch ob sie so gut ist, wie z.B. Heribert Prantl glaubt, da bin ich mir nicht so sicher.
Zunächst: Einen so dunklen Text wie diese Schlussanträge habe ich lange nicht mehr gelesen. Eine große Wolke von Fragezeichen schwebt über meinem brummenden Schädel.
Eins dieser Fragezeichen bezieht sich auf das Vertragsverletzungsverfahren, das derzeit gegen Deutschland vor dem EuGH anhängig ist, weil wir seit dem entsprechenden Urteil aus Karlsruhe 2010 keine Vorratsdatenspeicherung haben. Unterstellt, der EuGH folgt dem Generalanwalt – wird er uns verurteilen, weil wir eine Richtlinie nicht umgesetzt haben, die er selbst für rechtswidrig hält?
Mir scheint, das wird er. Denn der Generalanwalt schlägt vor, die Ungültigkeit der Richtlinie zu suspendieren, um der EU Gelegenheit zu geben, sie binnen “angemessener Frist” so zu überarbeiten, dass sie mit den grundrechtlichen Vorgaben übereinstimmt.
Das heißt, die Richtlinie bliebe erst mal gültig, und die Pflicht Deutschlands zur Umsetzung von dieser Entscheidung unberührt, oder nicht?
Obskur, das alles. Ich werde versuchen, morgen noch etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
das mit dem vvv hab ich auch gleich gedacht! und die bloße unvereinbarkeitserklärung ist europäisch auch irgendwie (noch) ekliger als national, weil es ja notorisch schlecht steht um die abänderbarkeit legislativer entscheidungen.
Der Vorschlag, die “Wirkungen der Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie 2006/24 auszusetzen” ist in der Tat obskur. Ich gehe daher nicht davon aus, dass der Gerichtshof diesem Teil der Schlußanträge folgen wird. Damit stellt sich die Folgefrage für die Umsetzungspflichten Deutschlands nicht.
Warum ist der Vorschlag obskur? Weil er eine Richtlinie betrifft. Diese richtet sich bekanntlich an die Mitgliedstaaten. Mit einer Ungültigkeit der Richtlinie erlöschen deren Pflichten zur Umsetzung. Unberührt bleiben dagegen die mitgliedstaatlichen Umsetzungsakte. Daher sehe ich keine “zwingende(n) Erwägungen der Rechtssicherheit” zur Aufrechterhaltung der Richtlinie. Wenig überraschend betreffen die beiden zur Aussetzungsbefugnis angeführten Urteile dann auch keine Richtlinien, sondern eine Verordnung und eine Entscheidung.
Unter dem Gesichtspunkt des sog. Verfassungsgerichtsverbunds sehr aufschlußreich fand ich die Nähe der Argumentation des Generalanwalts zu jener des Bundesverfassungsgerichts: Beide akzeptieren die Speicherung an sich, beanstanden aber die Verhältnismäßigkeit einer langen Speicherdauer wie auch der Modalitäten von Zugang und Auswertung.
@Maximilian Steinbeis: Begünstigte der EuGH mit Ausführungen im Vertragsverletzungsverfahren wegen der Vorratsdatenspeicherung-RiLi die Nichtumsetzung von Mitgleidstaaten unter Berufung auf Bedenken die GRC betreffend, könnte das ercht unangenehme Folge für eine fortschreitende rechtliche Integration haben. Was also wird er wohl tun? Vielleicht kann man solche Schwierigkeiten besser auf der Ebene der Sanktion lösen.
Was mich vor allem beunruhigt: In den Medien wird recht pauschal davon gesprochen, dass der Generalanwalt die VDS für rechtswidrig hält. Was meistens verschwiegen wird ist aber, dass er ja nur konkretere Regeln für die Ausgestaltung fordert. Die VDS als solche wird, so habe ich das verstanden, durchaus für zulässig gehalten. Jedenfalls dann, wenn Zeitraum und Anlass klar eingegrenzt werden und die Datensicherheit geregelt wird.
So oder so wird Deutschland also nicht um die VDS herumkommen, oder? Zumal ja Leutheusser-Schnarrenberger nun auch weg ist.
@claire: So ist es. Ich darf aber zur Erläuterung kurz darauf hinweisen, dass derzeit in Deutschland auch eine echte Lücke besteht. Ein kleines Beispiel: Wir haben mehrere Tötungsdelikte mit sehr ähnlichem Tatmuster in verschiedenen Sendezonen der Handy-Netze. Hier kann ein kurzer Abgleich der Verbindungsdaten u.U. weiterhelfen, und zwar sowohl hinsichtlich Strafverfolgung als auch zwecks Gefahrenabwehr. Derzeit gelingt das oft schon deshalb nicht, weil die Anbieter die Daten gan verschieden lang und teilweise allzu kurz vorhalten. So speichert etwa die Telekom nach meinen Indformationen nur für zwei Tage Verbindungsdaten. Selbst wenn man also die Vorratsdatenspeicherung auf einen sehr kurzen Zeitraum, konkrete Gefahren und einige wenige schwerwiegende Delikte beschränkt wissen will, wenn man außerdem die Abfrage und den Abgleich unter Richtervorbehalt stellen sowie effektiven Rechtsschutz ermöglichen möchte, ist der aktuelle Zustand unhaltbar. Was soll man von einer Politik halten, die zwar erklärtermaßen und mit guten Gründen Bedenken gegen eine RiLi hegt, deren Rechtmäßigkeit aber keiner Klärung zuführen mag, sondern lieber einen unhaltbaren Zustand über Jahre hinweg hinnimmt oder gar herbeiführt? Muss man da nicht über ein Personalwechsel froh sein?
Interessant ist neben anderem, dass die aus Art. 51 Abs. 1 GrCh geforderte “Qualität” der gesetzlichen Regelung hier die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie nicht unbeträchtlich schmälert. Grundrechtsskonformität durch Anforderungen an die Dichte der Ausgestaltung zu Lasten der selbstbestimmten Grundrechtssicherung der Mitgliedstaaten?
@Johann: Eine Verfahrensautonomie, die nach Ansicht des Gerneralanwalts unionsrechtlich nicht in der Weite besteht, die die RiLi zu eröffnen scheint. Im Extremfall, der hier sicher nicht vorliegt, kann es sogar dazu kommen, dass die GRC die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten nach “oben” hin und das Ziel der RiLi dieselben nach “unten” hin so begrenzt, dass den Mitgliedstaaten vernünftigerweise nur noch eine Umsetzungsmöglichkeit verbleibt. Materiell verringerte sich dann der Unterschied zur Vollharmonisierung deutlich. Allerdings dürften solche Extremfälle eben auch extrem selten sein und bei derart anspruchsvollen RiLi (Voraussetzungen hinsichtlich Anlasstat, Verdachtsgrad, Richtervorbehalt, Verfahren, Umfang, Dauer, Sicherung und Rechtsschutz), wie hier eine streitgegenständlich ist, kaum denkbar sein.
Zur Verfahrensautonomie ist anzumerken, dass sie nur von einem Teil der vom Generalanwalt geforderten Konkretisierungen betroffen ist. Nicht betroffen ist sie insbesondere hinsichtlich der Forderung nach einer Präzisierung des Begriffs „schwere Straftaten“.
Der Sündenfall ist und bleibt die Wahl der Rechtsgrundlage. Hätte man all das geregelt, was der Generalanwalt geregelt wissen will, hätte noch ein Blinder gesehen, dass es nicht um den Binnenmarkt geht.
[…] dem so ist, verbleibt eine Frage: Muss der Bundestag eine Richtlinie umsetzen, die der EuGH gegebenenfalls für unvereinbar mit dem […]
[…] aber bitte nicht so doll und mit ein paar mehr Vorsichtsmaßnamen hier und da. Die auch keine Übergangsfrist für nötig halten, während der erst mal alles so bleiben darf, wie es […]