Warum das Flüchtlingsquoten-Referendum in Ungarn so eine erzfaule Sache ist
Wollen Sie, dass die Europäische Union die verpflichtende Übersiedlung von Nicht-Ungarn nach Ungarn gegen den Willen der Nationalversammlung anordnen kann?
Das ist die Frage, die am Sonntag den Ungarinnen und Ungarn zur “Volksabstimmung” vorgelegt wird. Warum auch nicht? Ob man das will oder nicht, das scheint doch auf den ersten Blick keine illegitime Frage zu sein. Vielleicht will sich die Regierung ja vergewissern, ob sie in ihrem Kampf gegen die europäischen Flüchtlingsquoten, den sie mit den Amtskollegen aus Warschau, Prag und Bratislava so erbittert führt, in der eigenen Bevölkerung hinreichend große Unterstützung findet. Kann man doch mal machen, oder?
Klar kann man das machen. Aber dann darf man es nicht Volksabstimmung nennen. Es doch zu tun, ist ein Etikettenschwindel, der verdeckt, dass dieses Verfahren nicht nur keine demokratische Legitimation erzeugt, sondern im Gegenteil welche kostet.
Es gibt eine Vielzahl guter Gründe, zu diesem Quoten-Referendum in Ungarn auf Distanz zu gehen. Politisch schon sowieso, allein schon wegen der gigantischen PR-Kampagne, mit der die Regierung der Bevölkerung einzubläuen trachtet, dass man sich Flüchtlingen nur mit gezücktem Pfefferspray nähern sollte. Und selbst wenn man gegen Flüchtlingsquoten ist, ist nicht leicht einzusehen, wieso das ungarische Volk berufen sein soll, über einen EU-Rechtsakt abzustimmen, ohne dass auch die Portugiesen, Finnen und Österreicher dazu gehört werden.
Auch rechtlich ist die Sache fragwürdig, verbietet doch Art. 8 Abs. 3d der ungarischen Verfassung Referenden über Verpflichtungen, die aus einem internationalen Abkommen erwachsen. Und schließlich fehlt es auch demokratietheoretisch nicht an Ansatzpunkten für Kritik, und zwar auch und gerade von Verfechtern direkt-demokratischer Verfahren zur kollektiven Willens- und Entscheidungsfindung.
Daniel Schily, von mir sehr geschätztes Vorstandsmitglied bei Democracy International, empört sich zu allererst über die Tatsache, dass hier nicht das ungarische Volk abstimmt, sondern die ungarische Regierung abstimmen lässt. Premierminister Viktor Orbán “nutzt das ungarische Wahlvolk, um seine Politik gegen die EU und gegen Flüchtlinge bestätigen zu lassen. Damit steht die Abstimmung konträr zur Idee der direkten Demokratie, die vorsieht, dass Bürger einen Gesetzesentwurf initiieren, um damit die Politik der Parlamentsmehrheit beeinflussen zu können.”
Mir scheint aber das Hauptproblem ein anderes zu sein.
Volksabstimmungen sind dazu da, Entscheidungen herbeizuführen, für die das ganze Volk die Verantwortung übernimmt. Soweit sie demokratische Legitimation erzeugen sollen, müssen sie auf Handlungen bezogen sein: Was sollen wir tun? Dies? Oder das? Entscheidet euch. Trefft eure Wahl als freie und gleiche Bürger, auf dass wir kollektiv verbindlich wissen, was getan werden soll.
Das ungarische Referendum führt aber keine Entscheidung herbei. Die Ungarinnen und Ungarn sind nicht aufgefordert, zwischen kollektiven Handlungsoptionen zu entscheiden. Sie werden nicht gefragt, was getan werden soll. Sie können ja, wie gesagt, gar nicht alleine entscheiden, was auf EU-Ebene getan werden soll und was nicht. Sie werden nicht gefragt, was sie getan werden soll, sondern was sie davon halten, was andere tun.
Was Orbán somit tut, ist gar keine Volksabstimmung. Das ist eine Art konstitutionell maskierte Meinungsumfrage. Handeln tut im Rahmen der EU-Flüchtlingspolitik weiterhin er selbst und sonst niemand. Aber diese Meinungsumfrage versetzt ihn in die Lage, auf sein Volk zeigen und sagen zu können: Seht her, nicht ich bin verantwortlich, wenn wir EU-Recht brechen. Das Volk ist es! Das Volk will es, und ich gehorche bloß! Er schiebt die Verantwortung für Entscheidungen, die er trifft und er zu verantworten hat, auf sein Volk, als dessen einzig legitime Regierung er sich seit jeher ohnehin allein sich selber vorstellen kann.
Verglichen damit war das Brexit-Referendum, so furchtbar seine Folgen sind, eine demokratische Sternstunde. Das war wenigstens tatsächlich eine echte Handlungsentscheidung, die da zur Abstimmung stand. (Oder, Moment mal… war es eine? Was meint noch mal Brexit genau? Was wird jetzt, wo geklärt ist, was zu tun ist, noch mal genau getan? Siehe zu dem Thema den heutigen Artikel von Cormac Mac Amhlaigh nebenan…)
Was Ungarn betrifft, so ist vor diesem Hintergrund schon klar, warum in der Opposition kaum jemand bereit ist, sich für ein “Ja” bei dieser Abstimmung ins Zeug zu werfen. Die Sozialisten und ihre verschiedenen Spaltprodukte werben dafür, sie zu boykottieren. Eine Satirepartei namens “Zweischwänziger-Hund-Partei” wirbt mit bemerkenswertem Einfallsreichtum dafür, sowohl Ja als auch Nein anzukreuzen und so den Stimmzettel ungültig zu machen. Ob das reicht, die Beteiligung unter die nötigen 50% zu drücken? Immerhin, in den Umfragen scheint es eine leichte Tendenz nach unten zu geben.
Am Sonntag werden wir es wissen.
Also besser nicht das Volk fragen und nur behaupten, man vertrete die angebliche Meinung des Volkes, wenn man in Brüssel dann nein sagt?
@Gulaschsuppe: Zitat oben: “Klar kann man das machen. Aber dann darf man es nicht Volksabstimmung nennen.”
@schorsch: Ok. Also nur terminologische Bedenken.
Haarspalterei auf hohem Niveau. Ergebnis: keine Volksabstimmung sondern Meinungsumfrage. Ok geschenkt. Als juristisches Gedankenspiel interessant, aber als Meinungsmache gegen Urbans Politik ungeeignet.
Ich glaube ja eher, mit solchen Artikeln wollen Sie sich nur für weitere Vorträge in ihrer gesellschaftlichen Blase empfehlen.
Leser ohne juristisches Staatsexamen für Verfassungsrecht zu begeistern, wie es mir vor vielen Jahren hier ergangen ist, gelingt ihnen mit ihreren idiologisch angehauchten Artikeln schon lange nicht mehr. Schade.
Grüss Gott miteinander,
also ich sehe es Herrn Steinbeis gerne nach, dass er sich beim Themenkreis Direkte Demokratie, gewissermassen auf einen Blindgang begibt.
Wenn Ihr in Deutschland über so etwas redet ist das halt schon eine Art Jungfrauenübung – und das tut manchmal halt schon etwas weh.
Fraglos hat Herr Steinbeis recht, dass es sich in Ungarn natürlich nicht um eine Volksinitiative handelt.
Es ist nämlich das höchst bewährte Instrument eines Referendums.
Offenbar eint die Herren Steinbeis und der zitierte Herr Schily ihre Ignoranz im Hinblick auf dieses Instrument.
Bei den Betroffenen wird im vorliegenden Fall einfach mal nachfragt, was Sie von unbegrenzt auf ihre Kosten zuziehenden neuen Nachbarn halten, die laut eurer bundesdeutscher Polizeistatistik nachweisbar um den Faktor 10 krimineller sind als die Wohnbevölkerung – vom Terrorismus ganz zu schweigen.
Das hat natürlich nichts mit einer Volksinitiative zu tun. Aber diesen Unterschied könnt Ihre gerne in der Schweizer Verfassung nachlesen.
Und es ist mir schon klar, dass die schlimmste Volksbefragung für die Freunde der EU immer die anstehende ist, die sie wieder mal verlieren werden.
Seinen Meister in Rechtbrüchen hat der gute Viktor übrigens ohnehin in eurer Kanzlerin gefunden:
1. Bruch von No-Bailout / Art. 125 AEU-Vertrag zu Lasten von Euch Steuerzahlern. 2010.
2. Bruch der gesetzlichen Vereinbarungen mit den Energiekonzernen. 2011.
3. Bruch des Dublin-Abkommens. September 2015.
4. Bruch eurer Verfassung in Sachen Asylim September 2015.
Höchste Zeit also, sich bei den Ungarn zu beschweren.
Kommt, hängt die Sache mit dem Orbán ein Stockwerk tiefer und freut euch, dass Ihr die Flüchtlinge alle für euch alleine haben könnt.
Einen schönen Abend wünscht
Murrhart Gfeller
@Gulaschsuppe: Rein terminologisch sind die Bedenken nicht. Es geht um das falsche Versprechen, die Entscheidung in die Hände des Volkes zu legen.
@Gfeller: Nichts davon stimmt. Die Statistiken stimmen nicht, die vermeintlichen Rechtsbrüche sind reiner Nonsens. Das No-Bailout: okay. Darüber kann man zweifelsohne streiten. Da waren aber schon ein paar mehr Staaten dran beteiligt. Dass Sie das mit der deutschen Verfassung (Ziffer 4) und dem Dublinsystem (Ziffer 3) nicht ausbuchstabiert bekommen, sei Ihnen verziehen: Jungfrauenübung.
Aber was eine “gesetzliche Vereinbarung” mit Energiekonzernen überhaupt sein soll, müssten Sie schon erklären. Das mit der Gesetzgebung können Sie im Grundgesetz nachlesen: von Vereinbarungen und Energiekonzernen ist da nicht die Rede. Gesetze geben Bundestag und Bundesrat, nicht Vattenfall und e.on (–> Demokratie).
@schorsch: Was denn nun? Das Volk entscheidet doch gar nicht, sondern wird nur nach seiner Meinung gefragt. Oder habe ich etwas falsch verstanden? Welche Entscheidung meinen Sie?
Natuerlich darf man darueber abstimmen. Nur muss man dann mit den Konsequenzen leben, und diese koennen ja Unexit lauten…
Dass das im Referendum so nicht drin steht ist ziemlich egel, in Grossbritannien wurde ja ueber was abgestimmt was ja ganz unklar war.
@Gulaschsuppe: Soll ich es Ihnen noch einmal vorlesen? Dem Volk wird VERSPROCHEN (“Volksentscheid”), es könne entscheiden.
@schorsch: Ihre knappen Hinweise in Ehren. Aber Ihnen gelingt es leider nicht, Ihre Bedenken in Worte zu fassen. Dem Volk wird versprochen, seine Meinung zu einer wichtigen politischen Frage äußern zu können.
Wenn Sie nicht klarer ausdrücken können, weshalb Sie dabei Bauchschmerzen haben, lassen wir es einfach dabei 😉
Mein lieber Schorsch,
jetzt musst Du Dich schon entscheiden, ob Du ehrlich mit mir umgehen willst.
Wenn Du sagst, dass “nichts von dem stimmt”, dann musst Du schon für eine Evidenz sorgen.
Ich liefere Dir jetzt mal die Evidenz für meine Aussage, dass die Migranten um den Faktor 10 krimineller sind als die Wohnbevoelkerung:
Eure Polizeistatistik 2014, veroeffentlich vom BKA am 23.05.2015, liefert die Tabelle 62 “Straftaten und Staatsangehoerigkeit nichtdeutscher Tatverdaechtiger – excel (xlsx, 718KB)”.
Mit Bezug auf die Bevoelkerungsanteile kann man ermitteln, dass
– Libanesen 28,75 mal haeufiger Tatverdaechtige eines Mordes sind als Deutsche.
– Algerier 39,4 mal haeufiger Tatverdaechtige eines Totschlags sind als Deutsche.
– Somalier 11,2 mal haeufiger Tatverdaechtige einer Koerperverletzung sind als Deutsche.
Gut, jetzt habe ich mit dem Faktor 10 etwas untertrieben, aber das kannst Du, ,glaube ich. glatt verschmerzen.
Jetzt warte ich halt mal auf Deine gegenlaeufige Evidenz hierzu. Kommt nichts, brauche ich Dich an diesem Punkt nicht mehr ernst zunehmen.
Zu Deinen zweiten Punkt, den Rechtsbruechen:
Wie soll ich deinen Satz hier
“Da waren aber schon ein paar mehr Staaten dran beteiligt.”
verstehen?
Gibt es bei Euch in der EU jetzt eine Art Mengenrabatt bei gemeinsamen Rechtsbruch? Wird’s dann billiger?
Da danke ich dann mal fuer’s Gestaendnis.
Und den besten Beweis liefert Eure Kanzlerin ja selbst, wenn sie wie kuerzlich mehr “legale Einwanderung” fordert.
Damit stellt sie doch fest, dass die Massenmigration der letzten 12 Monate illegal war. Eure Aufenthaltsgesetze werden laufend gebrochen und das belohnt Eure Regierung mit astronomischen Transfers. Ganz zu schweigen von den 400 000 abgelehnten Asylantraegern, die eure Regierung duldet.
Wie nennt man eine Regierung, die die eigenen Gesetze bricht? Chunta vielleicht?
Schorsch, Du bist am Ball.
Einen schoenen Sonntag noch
Murrhart Gfeller
Ach, duzen wir uns, mein lieber @Gfeller?
Dass Sie mir hier die Beweislast dafür auferlegen wollen, dass IHRE Behauptungen nicht stimmen, ist schon kühn. Auf diesem Blog sind die Debatten zur Eurorettung, zur sog. Flüchtlingskrise allesamt auf hohem Niveau geführt worden. Bevor Sie jetzt hier vorbeikommen, nicht unterfütterte Behauptungen aufstellen und Gegenbeweise fordern: Lesen Sie doch erst einmal die entsprechenden Beiträge und Diskussionen.
Ihrer Tabelle kann ich leider nur absolute Zahlen entnehmen (Bsp. Somalia: bei 6.604 Straftagen insgesamt, 4.814 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz). Ihre Relationen kann ich daraus also nicht ableiten. Übersehe ich etwas?
Das sind freilich ohnehin nicht die Zahlen zu den “neuen Nachbarn”. Da hat das BKA für das 1. Quartal 2016 einen Bericht “Kriminalitätsentwicklung im Kontext von Zuwanderung” vorgelegt. Nachrangig ist daher, dass Libanesen, Algerier und Somalier nicht gerade die größten Gruppen derer stellen, die zur Zeit nach Europa fliehen oder einwandern.
Zur Polizeistatistik selbst müssen Sie schon deren eigenen Disclaimer ernst nehmen: “Ein Vergleich der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung der nichtdeutschen Wohnbevölkerung mit der deutschen ist schon wegen des Dunkelfeldes der nicht ermittelten Täter in der Polizeilichen Kriminalstatis-tik nicht möglich. […] Die Kriminalitätsbelastung der Deutschen und Nichtdeutschen ist zudem aufgrund der unterschiedlichen strukturellen Zusammensetzung (Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur) nicht vergleichbar. Die sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind im Vergleich zur deutschen Bevölkerung im Durchschnitt jünger und häufiger männlichen Geschlechts. Sie leben eher in Großstädten, gehören zu einem größeren Anteil unteren Einkommens- und Bildungsschichten an und sind häufiger ar-beitslos. Dies alles führt zu einem höheren Risiko, als Tatverdächtige polizeiauffällig zu werden.” (BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik 2014, S. 139)
Sie können die Kriminalitätsraten bestimmter Milieus, die durch die soziale, nicht die ethnische Zusammensetzung geprägt werden, nicht mit Neuankömmlingen vergleichen.
Zudem entstehen gewisse Unschärfen zusätzlich durch höhere Anzeigequoten und abweichende Kontrollpraxen nichtdeutscher Bevölkerung (“Polizeieffekt”, vgl. Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, “Ausländerkriminalität”, 1993).
Sie tun gut daran, den Vorwurf des Verfassungsbruchs und des Dublin-Verstoßes gleich fallen gelassen zu haben. Was das Aufenthaltsgesetz angeht: Wogegen wurde denn verstoßen?
Dass so viele Flüchtlinge unerlaubt eingereist sind, liegt daran, dass man kein Visum bekommt, um Asyl zu beantragen oder wenn auch nur zu befürchten ist, dass man bleiben will. Ohne Visum keine legale Einreise.
Zwei Dinge sind aber wichtig:
1. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet es, Flüchtlinge für diese unerlaubte Einreise zu bestrafen. Die Verfahren müssen daher alle eingestellt werden. Der Grund, weshalb dennoch von unerlaubter Einreise gesprochen werden kann, ist allein den dogmatischen Feinheiten des Strafrechts geschuldet: 31 GFK i.V.m. § 95 Abs. 5 AufenthG ist lediglich ein Strafaufhebungsgrund, der die Erfüllung des Tatbestandes unberührt lässt.
2. Die Erfüllung des Tatbestandes “unerlaubte Einreise” bedeutet nicht, dass die Bundesrepublik nicht verpflichtet wäre, die Leute einreisen zu lassen. Etwa um ein Zuständigkeitsfeststellungsverfahren nach der Dublin-III-VO durchzuführen (zu der Debatte, ob diese Pflicht besteht, siehe die Beiträge von Anna Lübbe und Alexander Peukert et al auf diesem Blog). Von der Pflicht, die Einreise zu gestatten, ist wiederum zu unterscheiden, ob es der Bundesregierung erlaubt ist, das zu tun (a.A. jedenfalls für den Fall, dass eine Grenzkontrolle stattfindet: Peukert et al.), – etwa um ihre Selbsteintrittsrecht nach der Dublin auszuüben. Nächste Stufe: Dieses Selbsteintrittsrecht kann im unter Umständen aus menschenrechtlichen Gründen zu einer Selbsteintrittspflicht werden. Einige deutsche Gerichte sind gerade im Falle Ungarns davon ausgegangen, dass eine solche Pflicht bestehe, weil bei einer Rückschiebung die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung drohe (–> Rechtsverstoß Ungarn). Kurz und knapp: Ein Rückschluss vom (straflosen) Rechtsverstoß des Flüchtlings auf einen Rechtsverstoß der Bundesregierung verbietet sich.
Im Übrigen: Die abgelehnten, aber nicht abgeschobenen Asylbewerber haben zu 75% einen Aufenthaltstitel (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-09/fluechtlinge-asyl-ablehnung-aufenthaltsrecht-rueckweg-herkunftsland-abschiebungen). Und auch wo praktische Schwierigkeiten die Abschiebung verhindern (insb. Aufnahmebereitschaft des Herkunftslandes), begründet das keinen Rechtsverstoß der Bundesregierung.
@Gulaschsuppe: Das impliziert das Versprechen, es käme für die Entscheidung auf diese Meinung an. Es kommt aber auf europäische Entscheidungsverfahren und deren Legitimationssubjekt (-e in ihrer Gesamtheit) an.
Und selbst wenn man dieses implizite Versprechen leugnete: Eine folgenlose Meinungsumfrage qua Volksabstimmung. Das wäre ein demokratischer Legitimationsüberschuss, der demokratischen Verfahren mittelfristig nur schaden kann. Dieses Argument könnte Ihnen aus der Diskussion um eine Direktwahl des Bundespräsidenten bekannt vorkommen. Auch eine solche Volksentscheidung kann durch dessen Kompetenzlosigkeit des Gewählten nur frustriert werden.
@Schorch
hatte auch eine Antwort an Gfeller vorbereiten, aber da sind Sie mir zuvor gekommen.
Vielleicht noch eine kleine Ergänzung:
Bei den abgelehnten Asylbewerbern wurde idR ein verbot der Abschiebung angeordnet, weil im Zielland unmenschliche Behandlung droht. Dadurch landen die in D in der Duldung. Das Verbot der Abschiebung wird von einem Gericht (im Falle Ungarns auch dem BVG) angeordnet. Diese Menschen dann trotzdem Abzuschieben wäre ein richtiger Rechtsbruch und nicht nur ein eingebildeter.
@schorsch: Wo ist die Legitimation “überschüssig”? Herr Orban wird in Brüssel sein Nein nicht mehr damit begründen können, dass er den klaren Willen des Volkes vertritt – oder er wird es damit begründen können.
Grüss Gott Stephan,
“hatte auch eine Antwort an Gfeller vorbereiten, aber da sind Sie mir zuvor gekommen.”
wäre Ihre Antwort denn zumindest mit Argumenten versehen gewesen oder wäre es auch nur gut angewärmte Luft wie beim Schorsch?
Versuchsweise könnten Sie’s ja noch bringen? Vielleicht finden werden wir ja fündig.
Danke
Murrhart Gfeller
@Murrhart Gfeller
wenn Sie Schorchs Beitrag inhaltlich überhaupt nichts entgegensetzen können, sehe ich dazu keine Veranlassung.
Sie können ja mal versuchen, argumentativ darauf einzugehen, dann werden wir sicher fündig.
Aber wahrscheinlich ist es einfacher mit umbelegten Behauptungen und Halbwissen in Statistik um sich zu werfen…
@Gulaschsuppe: Die (vom Unionsrecht bereits beantwortete) Frage ist doch aber gerade, ob Ungarn überstimmt werden kann.
Herr Orbán ist Politiker. Ich bezweifele, dass er ein genuines Interesse an Art. 8 Abs. 3d der ungarischen Verfassung oder an der „Idee der direkten Demokratie“ (Daniel Schily) hat. Das dürfte für ihn ebenso nur instrumentellen Charakter haben, wie die „Volksabstimmung“ vom Sonntag. Wenn das im Editorial skizzierte Hauptproblem auch nur von subminimalistischer Relevanz für die ungarische Regierungspolitik sein sollte, habe ich von Politik nichts verstanden. Möglicherweise liegt gerade in der Inszenierung des Bruchs der Vorstellungen, die dem Editorial zugrunde liegt, der Charme für Herrn Orbán.
Einen guten Morgen!
Da hat der Orbán gestern aber bös eins abbekommen! Nur 98,5% der abgegebenen Stimmen waren gegen die EU Umsiedlungspolitik. 🙂
Ich kenne nun Orbáns Vorlieben nicht, aber es hätte doch seinen demokratischen Charme solche Abstimmungen in allen EU-Ländern durchzuführen bevor man ihnen die Umvolkung aufdrückt. Vielleicht würde man Politikern dann wieder einen etwas angenehmeren Empfang bereiten als gestern bei Eurer Einheitsfeier?
Das könnte dann vielleicht auch so viel “Legitimationsüberschuss” – das Wort muss ich mir merken! – erzeugen, dass die EU wenigstens etwas aus ihrem dem tiefen Demokratieloch herauskommt in dem sie seit Jahrzehnten sitzt.
Und ja, es ist schon klar, dass man in einem Land in dem hunderte sexuelle Übergriffe mit „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“ tituliert werden, natürlich bloß keine Kriminalitätsraten nennen oder gar noch vergleichen darf.
Schönen dank auch für die Info, dass Ihr zehntausende Abgelehnte im Land habt, die gar keinen Aufenthaltstitel haben.
Einen schönen Tag für Euch
Murrhart Gfeller
@schorsch: Jetzt verstehe ich, was Sie meinen! Natürlich geht es nicht um die Frage, ob Ungarn aus unionsrechtlicher Sicht überstimmt werden kann – es geht darum, dass Orban jetzt sagen wird, dass er die Kontingente nicht akzeptieren wird. Da setzt er jetzt einfach Pflöcke (und für die ist eine demokratische Befragung, die ihm 98% Zustimmung gebracht hat, allemal hilfreich).
@gulaschsuppe: Nein, ich glaube nicht, dass wir uns nun verstanden haben. Dass Ungarn bereits überstimmt ist, ist klar.
Mir ging es am Anfang mal darum, dass der Umstand, dass diese eigenartige Volksbefragung als Volksentscheid bezeichnet wurde, nicht einfach zur Frage der Terminologie heruntergespielt werden kann. Oder anders gesagt: Dass Terminologie wichtig ist. Weil sie ein Versprechen transportiert.
Mein letzter Einwand betraf nur ihre Sorglosigkeit Orbans Verhalten betreffend: Die Handlungen, die er mit dem Referendum begründen kann oder nicht kann, sind ihm verwehrt. Und zwar sowohl rechtlich als auch demokratisch (natürlich kein Zufall, dass das zusammenfällt): Es ist ein anderes Legitimationssubjekt zuständig (das Volk/die Völker der EU als Ganzes). Deswegen kann er gar nichts mit diesem Referendum begründen. Und Sie sollten ihn nicht damit davon kommen lassen.
Ein interessanter Test dafür, dass hier kein Volksentscheid vorliegt, ist übrigens der Ausgang des Referendums: Wenn es für die Pflöcke, die Orban Ihrer Erwartung nach nun einrammen wird, keinen Unterschied macht, ob das Referendum ohne Mindestquorum unwirksam ist, ist offenbar auch das rechtlich konstituierte Entscheidungsverfahren und mit ihm die Konstruktion des demokratischen Willens egal.
Am Rande: Die gestellte Frage betrifft ja nicht nur den Umgang mit Flüchtlingen, sondern sie setzt auch den entgegenstehenden Willen des Parlaments schon voraus. Damit stand die Kompetenzordnung der EU genauso zu Abstimmung wie die Sachfrage selbst. Die 98% sind nicht einfach eine Antwort auf letztere (ganz abgesehen von den vielen ungültig abgegebenen Stimmen).
@schorsch: Ist es Ihnen lieber, wenn das Bundesverfassungsgericht den Vollzug einer unionsrechtlichen Pflicht zur Überstellungen eines Amerikaners nach Italien unter Hinweis auf die Verfassungsidentität verweigert? Oder Herr Orban den Vollzug von Flüchtlingsquoten unter Hinweis auf den Willen von 98% aller (gültig) abstimmenden Wähler verweigert? Man sollte doch dankbar sein, wenn der Unionsrechtsbruch wenigstens auf solide demokratische Füße gestellt wird, oder?
@Gfeller
Mit dem Begriff der “Umvolkung” haben Sie nun also gezeigt, wes Geistes Kind Sie sind.
Mit statistischen Spielereien kann man übrigens vieles begründen. Zum Beispiel könnte man sich dafür aussprechen, aus Sicherheitsgründen keine Ungarn mehr nach Deutschland zu lassen, da dort die Mordrate über 60% höher ist (Quelle http://sicherheitspolitik.bpb.de/datentabellen&layer=m1_bpb_morde ) und das “obwohl” dort sehr viel weniger Ausländer wohnen.
Könnte man ja mal dem Volk zur Abstimmung vorlegen…
Ich habe den Herrn Gfeller gesperrt und seine letzten drei Kommentare gelöscht.
@gulaschsuppe: Wenn Sie ein wenig über Karlsruher Europarechtsprechung herziehen wollen: gerne! Nur scheint hier thematisch nicht der richtige Ort zu sein. Ganz anderes Thema.
Was die demokratisch soliden Füße angeht: Die gibt’s ja eben nicht!
1. Selbst den eigenen ungarischen Regeln genügt das Referendum nicht (Mindestquorum).
2. Die Frage ist ja gerade, auf welcher Ebene darüber rechtsverbindlich abgestimmt werden kann. Es gibt keinen logischen Vorrang der einen vor der anderen Ebene.
3. Verworrenene und tendenziöse Fragestellung.
Herr Steinbeis, was wollen Sie denn als nächstes zensieren? Die Bundestagswahlen?
@schorsch: Wieder ein Missverständnis. Ich will nicht über den Zweiten Senat herziehen. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die unionsrechtliche Position zu Rechtspflichten nicht die einzige in Europa ist 😉 Sie haben da eine sehr monistische Herangehensweise, die nicht alle Phänomene in pluralen Ordnungen vollständig erfasst.
(Es ist aber deutlich geworden, dass Sie sich nur für die unionsrechtlichen Fragen interessieren)
@Wagenblast: Herr Steinbeis kann auf seinem Blog zensieren, was ihm gefällt. Wenn Ihnen das nicht gefällt, machen Sie doch einfach Ihren eigenen Blog auf.
Wenn es sich um den privaten Blog von Herr Steinbeis handelt, auf dem er zensieren kann was ihm gefällt, dann sollten bitte schön öffentlich getragene Körperschaften wie das WZB und das WIKO ihre Logos vom Blog entfernen lassen. Danke.
@gulaschsuppe: Die zweifelhafte Verfassungsrechtsmäßigkeit nach ungarischem Recht können Sie ganz dualistisch oben nachlesen. Im Übrigen gehören dann unterschiedliche “Positionen zu Rechtspflichten in Europa”, sofern es sich hier tatsächlich um solche handeln sollte – da ist Karlsruhes Position dann doch zumindest etwas distinguierter -, tatsächlich vor Gerichte, nicht vor das Volk. Und niemand hat etwas dagegen, dass Ungarn vor dem EuGH gegen die Quoten klagt. Das ist aber etwas sehr anderes, als politische Entscheidungen der höheren und niedrigen Ebene in föderalen Systemen gegeneinander auszuspielen.
@wagenblast: Das mit den Logos geht die etwas an, denen die Logos gehören. Solange Herr Steinbeis kein Logo von Ihnen nutzt, können Sie ja beruhigt sein.
@schorsch: Also gegen ungarisches Recht hat die Abstimmung nicht verstoßen. Sie hat nur das Quorum verfehlt. Reden wir jetzt über Unionsrecht (so Sie bisher) oder über ungarisches Recht?
@gulaschsuppe: Sagen Sie. Art. 8 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 3 lit. d) der ungarischen Verfassung könnten das anders sehen. Zu Rechtsverletzungen während der Kampagne siehe den Post von Gábor Halmai.
“Das mit den Logos geht die etwas an, denen die Logos gehören.”
Richtig. Und wem “gehören” diese Logos?
@schorsch: Sorry, aber da ich (wie Herr Steinbeis) weder die ungarische Sprache beherrsche noch das ungarische Recht studiert habe, werde ich mich nicht von Außen einmischen. Ich habe nur so viel verstanden, dass ungarische Gerichte bislang keine Rechtsverstöße nach ungarischem Recht festgestellt haben, oder gibt es da News??
@gulaschsuppe: Daher “zweifelhaft” & Konjunktiv. Aber das ist ohnehin ein Nebenkriegsschauplatz.
@schorsch: Ja was denn nun? Zuerst haben Sie beteuert, Ihnen sei klar, dass es nicht nur die unionsrechtliche Rechtslage gibt. Und nun ist das ungarische Recht nur ein “Nebenkriegsschauplatz” für die Beurteilung einer ungarischen Abstimmung?!
@gulaschsuppe: Allein: Wenn Ihnen das europäische Recht egal ist und Sie sich zum ungarischen der Stimme enthalten – was darf ich dann überhaupt als Ihre Meinung festhalten?
@schorsch: Habe ich mich über Herrn Orban aufgeregt oder waren das andere?
@gulaschsuppe: Sie haben behauptet, ich würde die Komplexität einer “pluralen Ordnung” nicht begreifen und eine andere “Position zu Rechtspflichten” übersehen.
Welche denn nun? Erster Schritt: Was macht die Quotenregelung für Ungarn unverbindlich, obwohl die Verträge (für den Dualisten in Ihnen: i.V.m. der ungarischen Zustimmung zu selbigen) sie ermöglichen (bzw. unabhängig von der unionsrechtlichen Frage, ob sie das tun). Zweiter Schritt: Inwiefern hängt die Antwort darauf von einer Volksabstimmung ab?
Bevor ich irgendetwas “beteuere” müssten Sie mir diesen Ausgangspunkt erläutern. Und erst dann kommt es auf die Rechtmäßigkeit des konkreten Referendums an.
@schorsch: ich habe darauf hingewiesen, dass es in einer pluralen Ordnung unterkomplex ist, eine Abstimmung in einem Mitgliedstaat alleine deswegen zu kritisieren, weil das Unionsrecht dazu eine abweichende Meinung hat. Das bleibt auch unterkomplex, wenn wir uns alle hier nicht mit ungarischem Recht auskennen und deshalb nur die unionsrechtliche Perspektive einnehmen. Ok?
Mit Verlaub: Was für ein bullshit! Schon weil ich die Abstimmung nicht einfach wegen eines positiv-rechtlichen Befundes aus dem AEUV kritisiert habe. Ob die Flüchtlingsquote unionsrechtmäßig ist, wird der EuGH beurteilen. Und dass Art. 78 Abs. 3 AEUV tatsächlich zur Rechtsgrundlage taugt, scheint mir jedenfalls kein Selbstläufer. Mir geht es geht um die demokratischen Meriten eines Referendums, das dem Vorsatz, der demokratischen Entscheidung einer anderen Ebene die Gefolgschaft zu verweigern, direktdemokratisch Nachdruck verleihen soll. Dieses Grundproblem kann ich nicht nur ohne Kenntnisse des ungarischen, sondern auch ohne solche des Unionsrecht diskutieren.
Dass dem Referendum in irgendeiner Weise eine abweichende Perspektive der ungarischen Rechtsordnung zugrunde liegt, die – ähnlich der Karlsruher Rspr. – Grenzen zur unionsrechtlichen Rechtsbindung enthält, ist ein Gerücht, dass Sie gestreut, aber nie belegt haben.
Im Übrigen: Selbst wenn sich eine unionsrechtliche Teilnehmerperspektive und eine grundgesetzliche Teilnehmerperspektive auf den Vorrang des Unionsrechts in Randbereichen widersprechen, kann man mit dem Hinweis auf ihre vermeintliche Unterkomplexität jedenfalls keine von beiden erschüttern.
Ich würde trotzdem vorschlagen, dass wir es dabei belassen. Da Sie unsere Diskussion für methodisch unseriös halten und ihrem Ergebnis indifferent gegenüberstehen (“Habe ich mich über Herrn Orban aufgeregt oder waren das andere?”), verspreche ich mir keine weiteren Erkenntnisse.
@schorsch: Als “demokratische Meriten eines Referendums, das dem Vorsatz, der demokratischen Entscheidung einer anderen Ebene die Gefolgschaft zu verweigern, direktdemokratisch Nachdruck verleihen soll” kommt doch in Betracht, dass dies erträglicher ist als der status quo, der sich dadurch auszeichnet, dass der demokratischen Entscheidung einer anderen Ebene einfach nur so die Gefolgschaft verweigert wird, oder?
Um den letzten Bundeskanzler in seiner wahnsinnigsten Stunde frei zu zitieren: Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Orban auch nur einen einzigen Flüchtling aus einem europäischen Kontingent in Ungarn aufnehmen wird, solange er dort die Regierungsverantwortung hat?