11 January 2024

Warum Deutschland vor dem IGH dem von Südafrika gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermords entgegentreten sollte

Heute und morgen verhandelt der IGH im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über eine Klage Südafrikas, in der gegen Israel aufgrund seiner Reaktionen auf die Anschläge der Hamas vom 7. Oktober 2023 der besonders schwere Vorwurf des Völkermords an Palästinenserinnen und Palästinensern erhoben wird. Lässt man die Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes einmal beiseite, so stellen sich in dem Verfahren sehr grundsätzliche Fragen der Ermittlung und Zurechnung der „Absicht, […] eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“ (Art. II Völkermordkonvention). In einem von Gambia gegen Myanmar wegen des Völkermords an den Rohingya 2019 eingeleiteten Verfahren stellten sich ähnliche Fragen der Zurechnung und Beweisführung. Zu diesen Fragen hat Deutschland im November 2023 gemeinsam mit Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und Kanada im Wege einer Nebenintervention nach Art. 63 Abs. 2 IGH-Statut Stellung bezogen und die Position Gambias gestützt. Diese Verfahrensbeteiligung sowie weitere, nachfolgend zu erläuternde Gründe sprechen dafür, für das Hauptsacheverfahren zwischen Südafrika und Israel ebenfalls eine Nebenintervention zu erklären – hier allerdings mit dem Ziel, Israel beizustehen und der südafrikanischen Argumentation entgegenzutreten.

Prozessuale Besonderheiten der Nebenintervention vor dem IGH

Zunächst bedarf es einer kurzen Erläuterung zum Institut der Nebenintervention vor dem IGH. Das IGH-Statut sieht dieses in zwei unterschiedlichen Formen vor. Zum einen gibt es die Möglichkeit einer Nebenintervention, wenn ein Staat sich durch ein anhängiges Verfahren möglicherweise in einem eigenen rechtlichen Interesse berührt sieht (Art. 62 Abs. 1 IGH-Statut). Das dürfte für Deutschland im aktuellen Verfahren eher nicht in Frage kommen, auch nicht unter Berücksichtigung der besonderen historischen Verbindungen zwischen Deutschland, Israel und der Völkermordkonvention. Letztlich ist Deutschland nicht anders betroffen als alle anderen Vertragsparteien der Völkermordkonvention auch.

Hiervon abgesehen kommt eine Nebenintervention auch in Betracht, wenn es in einem anhängigen Verfahren um die Auslegung eines multilateralen Vertrags geht, dessen Vertragspartei auch der intervenierende Staat ist (Art. 63 Abs. 2 IGH-Statut). Dahinter steht die Überlegung, dass die Auslegung eines multilateralen Vertrags ungeachtet der nur bilateralen Bindungswirkung des Urteils zwischen den Streitparteien (Art. 59 IGH-Statut) eine hohe Präzedenzwirkung für alle anderen Vertragsparteien hat. Diesen soll deshalb die Möglichkeit der Beteiligung eröffnet werden, ohne dass sie dafür ein spezifisches eigenes rechtliches Interesse geltend machen müssen. Diese allgemeine Zwecksetzung einer Nebenintervention nach Art. 63 Abs. 2 IGH Statut kann trotz vieler offener sonstiger Fragen im Recht der Nebenintervention als weitgehend konsentiert angesehen werden. Sie bildete auch die Grundlage für die einleitend angesprochene Erklärung Deutschlands und seiner Partner im Verfahren Gambias gegen Myanmar. Die Zwecksetzung erklärt auch, warum – anders als in vielen Fällen des Verfahrensbeitritts im innerstaatlichen Prozessrecht – die Intervention nicht explizit zugunsten einer der beiden Streitparteien erfolgen muss. Im Vordergrund steht der Schutz des eigenen Interesses an einer bestimmten Auslegung des Vertrags, nicht die Unterstützung einer der beiden Streitparteien. Dessen ungeachtet hat die Entscheidung über eine Nebeninterventionserklärung aber selbstverständlich – wie vieles im Völkerrecht – auch eine erhebliche politische Dimension. Das wird in einer Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes zum Beitritt im Verfahren Gambia – Myanmar sehr deutlich, in der einerseits Grundfragen der Auslegung der Völkermordkonvention thematisiert werden, andererseits aber klar Position zugunsten Gambias und damit gegen Myanmar bezogen wird. Noch deutlicher ist die politische Positionierung in der Beitrittserklärung Deutschlands in einem dritten aktuellen Verfahren auf der Basis der Völkermordkonvention, nämlich demjenigen zwischen der Ukraine und Russland (siehe dazu beispielsweise die Analyse hier).

Warum sollte Deutschland die Nebenintervention im Verfahren zwischen Südafrika und Israel erklären?

Zunächst lässt sich ein Kontinuitätsargument anführen. Das Verfahren zwischen Südafrika und Israel ist das dritte, das innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit auf der Basis der Zuständigkeitsklausel in Art. IX Völkermordkonvention vor dem IGH angestrengt wird. Wie gerade angesprochen, hat Deutschland in den beiden vorherigen Verfahren eine Interventionserklärung abgegeben. Im Verfahren zwischen der Ukraine und Russland hat Deutschland seine Interventionserklärung darüber hinaus ausdrücklich mit der eigenen Geschichte begründet (Rn. 14). Es bedarf zwar, wie gesehen, im Rahmen der Intervention nach Art. 63 Abs. 2 IGH-Statut keiner Darlegung eines eigenen rechtlichen Interesses. Wenn die eigene Geschichte aber bei der damaligen Erklärung Teil der Motivation war, dann muss das erst recht in Bezug auf einen gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermords gelten. Damit ist nicht gemeint, dass Deutschland aus historischer Verantwortung einseitig und unbesehen israelische Positionen verteidigen muss. Wohl aber bedeutet diese historische Verantwortung, dass Deutschland nach Kräften auf eine sachgerechte Auslegung und Anwendung der Völkermordkonvention gerade im Nahen Osten hinwirkt.

Nebenintervenienten werden zwar nicht Streitpartei, erlangen aber eine eigene verfahrensrechtliche Position, die beispielsweise die Möglichkeit weiterer schriftlicher Stellungnahmen und eine Beteiligung an mündlichen Verhandlungen beinhaltet (Art. 86 Verfahrensordnung des IGH). Diese besonderen Mitwirkungsmöglichkeiten stellen ein wichtiges Instrument zur Wahrnehmung der Verantwortung für die Völkermordmordkonvention dar.

Vor allem aber gibt eine Nebenintervention Deutschland die Möglichkeit, die eigene Position aus der Interventionserklärung im Verfahren zwischen Gambia und Myanmar zu präzisieren und fortzuentwickeln. Dort wurde ein starker Akzent auf sexualisierte Gewalt, Gewalt gegen Frauen und Kinder, sowie auf die absichtliche Schaffung unerträglicher Lebensbedingungen gesetzt. Diese Aspekte spielen angesichts der furchtbaren humanitären Situation im Gaza-Streifen auch jetzt wieder eine wichtige Rolle. Der verfahrenseinleitende Schriftsatz Südafrikas argumentiert hier geschickt und materialreich mit einer umfangreichen Aufstellung von als „genocidal acts“ (Rn. 43 ff.) bezeichneten Handlungen, die eng mit der massiven militärischen Gewaltausübung Israels verbunden sind und die aktuelle Unerträglichkeit der Lebensbedingungen belegen. Allerdings muss – und darin unterscheidet sich die Situation im Gaza-Streifen grundlegend von derjenigen der Rohingya in Myanmar – der militärische Konflikt zwischen Israel und der Hamas berücksichtigt werden, wenn aus dem Ausmaß der militärischen Gewaltanwendung und dem Ausmaß der Zerstörung der zivilen Infrastruktur Rückschlüsse auf einen Völkermord gezogen werden sollen. Südafrika blendet hier die Selbstverteidigungssituation Israels praktisch vollständig aus. Damit soll nicht gesagt werden, dass sämtliche Maßnahmen Israels vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt und damit gerechtfertigt sind. Aber selbst eine exzessive Selbstverteidigung begründet eben noch nicht ohne Weiteres einen Völkermord, sondern zunächst einmal „nur“ einen Völkerrechtsverstoß. Dass es hier leicht zu einem Kurzschluss kommen kann, bringt ein gestern auf LTO erschienener Beitrag mit der falschen Alternative „Selbstverteidigung oder Völkermord?“ in der Überschrift unfreiwillig auf den Punkt. Gleiches gilt im Übrigen auch für etwaige Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht oder gegen menschenrechtliche Garantien. Auch sie begründen, selbst wenn sie vorliegen, nicht automatisch den Vorwurf des Völkermords.

Wie und ab wann aus einer Zusammenschau massiver militärischer Gewaltanwendung und (teilweise schwer erträglicher…) Äußerungen von politischem Führungspersonal und anderen Amtsträgern während einer anhaltenden militärischen Auseinandersetzung in einer Art Gesamtbetrachtung auf die vom Tatbestand des Völkermords verlangte „Absicht, […] eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“ geschlossen werden kann, wird eine der zentralen Rechtsfragen im laufenden Verfahren sein. Dabei dürfen plausible alternative Deutungen nicht einfach vollständig übergangen werden. Das hat der IGH im Zusammenhang mit dem Jugoslawien-Konflikt ausdrücklich entschieden: „[…] in order to infer the existence of dolus specialis from a pattern of conduct, it is necessary and sufficient that this is the only inference that could reasonably be drawn from the acts in question.“ (Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Croatia v. Serbia), Judgment, l.C.J. Reports 2015, p. 3, para. 148; Hervorhebung nur hier). Bei den von Israel ergriffenen Maßnahmen gibt es eine solche plausible alternative Deutung. Sie besteht darin, dass diese darauf abzielen, das Terrornetzwerk der Hamas zu zerstören, aber nicht die Absicht verfolgen, die palästinensische Bevölkerung zu vernichten. Auch wenn die hohe Zahl an Toten unter der Zivilbevölkerung und die enormen Sachschäden entsetzlich sind, so belegen sie dennoch nicht zwangsläufig die Absicht des Völkermords. Gegen eine solche Absicht sprechen beispielsweise die wiederholten Aufforderungen an die Zivilbevölkerung, bestimmte Teile des Gebiets zu verlassen, oder auch die Beachtung der Pflicht zur Warnung und Fristsetzung, bevor einem Zivilkrankenhaus der Schutz entzogen wird, weil es außerhalb seiner humanitären Bestimmung dazu verwendet wird, den Feind schädigende Handlungen zu begehen (Art. 19 IV. Genfer Konvention).

Unglückliche Konzentration auf den Vorwurf des Völkermords

Zum Schluss: Es ist im Grundsatz selbstverständlich sehr zu begrüßen, dass der emotional und politisch enorm aufgeladene Konflikt zwischen Israel und Palästina in die der rationalen Argumentation verpflichteten und gut strukturierten Bahnen des Rechts gelenkt werden soll. Auch ist der IGH als „Hauptrechtsprechungsorgan“ der Vereinten Nationen (Art. 92 UN-Charta) dafür an sich das richtige Forum. Man muss allerdings sehen, dass der Umfang der Zuständigkeit des IGH von einer vorherigen Zustimmung der Streitparteien abhängig ist. Für die Völkermordkonvention haben die Vertragsparteien schon 1948 ein entsprechendes Einverständnis erklärt. Für die meisten anderen Regeln, die auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina anwendbar sind (etwa diejenigen des humanitären Völkerrechts oder menschenrechtliche Garantien, und vor allem auch für die UN-Charta selbst und das dort sowie im Völkergewohnheitsrecht garantierte Selbstverteidigungsrecht), gilt das dagegen leider nicht. Deshalb fehlt es dem IGH insoweit an der Zuständigkeit. Das führt zu einer sehr unglücklichen Fokussierung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf den gerade Israel besonders schwer treffenden Vorwurf des Völkermords und es beschränkt zugleich auch die Entscheidungsoptionen des IGH. Ob diese Engführung im vorliegenden Verfahren eine eigene Dynamik auslösen wird und wenn ja, in welche Richtung diese dann weist, ist im Moment nicht vorhersehbar. Darin liegt ein weiterer Grund, sich am Verfahren zu beteiligen.


SUGGESTED CITATION  Walter, Christian: Warum Deutschland vor dem IGH dem von Südafrika gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermords entgegentreten sollte, VerfBlog, 2024/1/11, https://verfassungsblog.de/warum-deutschland-vor-dem-igh-dem-von-sudafrika-gegen-israel-erhobenen-vorwurf-des-volkermords-entgegentreten-sollte/, DOI: 10.59704/f0aacf09b66eda04.

30 Comments

  1. Ulrich Paetzold Fri 12 Jan 2024 at 12:15 - Reply

    Vielen Dank für diese klaren Erläuterungen und plausiblen rechtlichen Einschätzungen.

    Das berichtete höchst einseitige Vorbringen Südafrikas entspricht leider einer anscheinend weitverbreiteten Tendenz veröffentlichter Stellungnahmen in vielen Ländern.

    Um so wichtiger ist daher eine “klare Kante” Deutschlands, d.h. die auch von Prof. Walter geforderte Nebenintervention, und nicht wieder so eine höchst eloquent begründete Angsthasen-Haltung wie bei den UN-Resolutionen.

    Was spricht eigentlich dagegen, die Hamas als von den Palästinensern gewählte “Regierung” ihres staatsähnlichen Gebietes wegen des in ihrer Charta formulierten und ständig durch konkrete Taten konsequent umgesetzten Völkermordes beim IGH zu verklagen?

    • Vanessa Grether Sat 13 Jan 2024 at 07:51 - Reply

      Was dagegen spricht die Hamas zu verklagen? Ist die Frage ernst gemeint? Weil die Hamas kein Staat ist! So einfach!
      Ich würde behaupten wenn es bereits an diesem Grundverständnis fehlt sollte man evtl davon absehen sich zu äußern!

      Ich kann der Auslegung nur Wiedersprechen, auch hier wird wieder behauptet Israel hätte ein Recht auf Selbstverteidigung – dies ist nicht korrekt und es gibt hier eine klare Rechtssprechung des ICJ bezüglichdes Rechts auf Selbstverteidigung von Israel., dass Israel als unterdrückende Macht KEIN Recht auf Selbstverteidigung hat – weshalb dies auch keine Berücksichtigung in der Klage von Südafrika fand.

    • Silvia Heldmann Sat 13 Jan 2024 at 11:03 - Reply

      Im Krieg um Gaza kämpfen nicht zwei Staaten gegeneinander, vielmehr handelt es sich um die moderne Form eines klassischen Kolonialkonflikts.

      • Aya Tue 16 Jan 2024 at 16:56 - Reply

        Der wichtigste Grund, warum Deutschland sich auf die Seite Israels stellen sollte, ist die Notwendigkeit, sich durch Assoziation zu verteidigen. Durch die Unterstützung Israels und die Ausrüstung mit Waffen könnte Deutschland als Mittäter am Völkermord befunden werden, sollte Israel jemals eines solchen Verbrechens für schuldig befunden werden. Deutschland sollte daher mit aller Kraft für die israelische Seite kämpfen, damit es auf der Weltbühne nicht erneut zum Paria wird.

        • ronny Sun 25 Feb 2024 at 10:04 - Reply

          Oh yeah, we startet, we did wrong, we gonna Perpetuate, we will double our efforts in wrong Direktion. Go on…

    • Tom Basel Sat 13 Jan 2024 at 12:03 - Reply

      Ich würde an ihrer Stelle vertrauen, dass das ICJ sich als unabhängige Instanz ausreichend und eingehend mit den vorgebrachten Argument befasst. Ihr Wunsch, die Hamas als Regierung der Palästinenser vor dasselbe Gericht zu bringen, zeugt von mangelndem Verständnis der Verträge. Damit eine Partei vor dem IGH stehen kann, muss es im Allgemeinen von der internationalen Gemeinschaft als souveräner Staat anerkannt werden, da der IGH hauptsächlich mit Streitigkeiten zwischen Staaten befasst ist. Palästina gilt als besetztes Gebiet, wurde aber dennoch von der UN als Beobachterstaat ohne Mitgliedschaft designiert. Selbst wenn die besetzten Gebiete vor dem Gericht als Partei standhalten würden, dann ist es fraglich, inwiefern man Hamas als Regierung bezeichnen könnte: Das Konzept der “effektiven Kontrolle” ist ein entscheidendes Kriterium für die Legitimität einer Regierung. Dies bedeutet, tatsächliche, physische Kontrolle über ein Territorium und seine Bevölkerung zu haben, einschließlich der Fähigkeit, Gesetze durchzusetzen und unabhängig zu regieren. Im Fall des Gazastreifens übt die Hamas zwar administrative Kontrolle aus und stellt innerhalb des Gebiets eine Regierungsfunktion bereit, ihre Fähigkeit, vollständige Souveränität auszuüben, wird jedoch erheblich durch die israelische Besatzung eingeschränkt, die die Grenzen, den Luftraum und den maritimen Zugang der Region kontrolliert. Dazu kommt, dass ihre internationale Anerkennung durch ihre Einstufung als Terrororganisation durch einige Länder kompliziert wird. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland wird international als offizielle Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt. Aus der Formulierung ihrer Frage heraus, leite ich ab, dass sie die Argumente von Prof. Walter gar nicht richtig verstanden haben. Es geht keineswegs um “klare Kante” in Bezug auf politische Verbundenheit mit Israel, sondern vielmehr in Bezug auf eine differenzierte und tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht.

      • Ulrich Paetzold Tue 16 Jan 2024 at 17:26 - Reply

        @ Tom Basel
        Vielen Dank für die ausführlichen Erläuterungen auf meine Frage. Das erscheint mir alles sehr plausibel und überzeugend. Gleichwohl empfinde ich dieses Ergebnis als unbefriedigend.
        Mein Wunsch nach “klarer Kante” steht mE nicht im Widerspruch zu Prof. Walters Argumenten, im Gegenteil. Erst durch diese “klare Kante” ist Deutschland in einer Position, seine Argumente in das Verfahren einzuführen.

  2. Andrew Shamu Sat 13 Jan 2024 at 13:43 - Reply

    Vielen Dank für die Darstellung Ihrer Argumente.

    Sie lassen jedoch außer Acht, dass Israel absichtlich Wasser, Lebensmittel und Medikamente aus dem Gazastreifen zurückhält. Diese Maßnahme wurde zuvor unter anderem vom israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant angekündigt.

    Hilfskonvois werden absichtlich daran gehindert, den Norden des Gazastreifens zu erreichen [1].

    Als Folge dieser Praktiken sind aktuell 7.000 bis 8.000 Kinder im Gazastreifen so stark unterernährt, dass sie ohne sofortige Behandlung vom Tod bedroht sind. [2]

    Etwa vier von fünf Menschen weltweit die von einer Hungersnot oder einer katastrophalen Form des Hungers betroffen sind, befinden sich derzeit in Gaza. [3]

    Dies ist das Ergebnis einer absichtlichen Vorenthaltung von Lebensmitteln, die unter anderem von einem gerichtsrelevanten Vertreter des Landes Israel (in Kriegszeiten ist dies auch der Verteidigungsminister) angekündigt wurde.

    Bitte beachten Sie, dass ich mich hier ausdrücklich nicht auf die Kampfhandlungen, sondern auf die vorenthaltenen Hilfslieferungen beziehe.

    Quellenangaben:

    [1] https://news.un.org/en/story/2024/01/1145422

    [2] https://www.nytimes.com/2024/01/11/health/gaza-hunger-starvation.html

    [3] https://www.newyorker.com/news/q-and-a/gaza-is-starving

  3. Vanessa Möller Sun 14 Jan 2024 at 03:07 - Reply

    Eine sehr einseitige Berichterstattung, wie man sie leider in unseren Medien nicht anders kennt. „Hamas ist eine Ideologie. Eine Ideologie kann man nicht bekämpfen“ (Jürgen Todenhöfer) ich muss hierbei hinzufügen, dass Palästina bereits seit 76 Jahren von Israel unterdrückt, schikaniert und belästigt wird. Ich verstehe nicht, wieso wir unsere Geschichte wiederholen müssen und uns in jeden Krieg einmischen müssen? Der Ruf Israels ist bereits so negativ und unser geht mit einher. Irgendwann muss man auch die Augen öffnen und zugeben, dass die Menschen dort einem Völkermord unterliegen. Die IDF Soldaten tanzen und trinken gemütlich ihr Bier, während sie Gaza zerbomben und wissen, dass dort KINDER sterben. Ich versteh es nicht. Bin stolz auf Südafrika, für ihre Mut.

    • Kaffeesatzleser Sun 14 Jan 2024 at 16:44 - Reply

      Seit 76 Jahren schreiben Sie. Das sagt schon alles!

    • Tobias Mon 15 Jan 2024 at 12:00 - Reply

      Die Hamas ist seit 2007 – zumindest de facto – die Regierung des Gazastreifens. Von dort werden regelmäßig Raketen auf Israel abgefeuert. Der Angriff vom 07.10.2023 muss wohl nicht erneut beschrieben werden. Gegen diese Angriffe ist selbstverständlich Selbstverteidigung zulässig.
      Dass alle Parteien in dem Konflikt wenig Interesse an einer langfristigen, friedlichen Lösung gezeigt haben, steht auf einem anderen Blatt, und hat komplexe Gründe.

  4. daniel Sun 14 Jan 2024 at 16:32 - Reply

    Sehr geehrter Herr Christian Walter,

    sie haben es tatsächlich bei der Google-Suche ziemlich weit nach oben geschafft, weswegen ich auf ihren Blog gestoßen bin. Herzlichen Glückwunsch dafür. Wenn ich schon hier bin möchte ich doch noch ein paar Worte loswerden:

    Zunächst einmal sollten wir uns vor Augen führen was angeblich “kein Genozid” sein soll: 20000 Menschen umgebracht, darunter unzählige Kinder, Alte, Frauen, behinderte Menschen, abertausende sind durch die unzähligen Bomben Invailde, über 100 Journalist:innen ermordet, Krankenhäuser angegriffen, Ärzte und Schwestern umgebacht oder verletzt, 80% von Gaza unbewohnbar, das Kulturerbe pulverisiert , Bibliotheken bombadiert, Hunger als Kriegswaffe eingesetzt, Lebensmittel und Medikamente werden kaum reingelassen, Fischerboote werden zerstört und unzähliges mehr. Das Ausmaß dieser Zerstörung ist kaum zu fassen. Und alle diese Verbrechen sind akurat aufgezeichnet.

    Dass Sie diesen abschleulichen Krieg von Israel in ihrem “Fazit” lediglich als “emotional und politisch enorm aufgeladene Konflikt” bezeichnen zeigt für mich sehr wohl ihre Befangenheit. Es ist die klassische Haltung von liberalen Gelehrten das Leid von Menschen aus dem globalen Süden zu trivialisieren.
    Hier geht es nicht um einen emotionalen und theoretischen Diskurs, sondern um die systematische Vernichtung von der palästinensischen Bevölkerung.
    Südarfrika kommt seiner Verantwortung nach und hält Deutschland und anderen imprealistischen Staaten den Spiegel vors Gesicht. Ob und wie sich das höchste UN Gericht dem gegenüber verhält bleibt abzuwarten Aber die Tatsache dass Deutschland glaubt Israel in diesem wahnsinnigen Krieg militärisch und rechtlich unterstützen zu müssen zeigt wieder einmal, dass der Geist der Kolonial-Zeit weiter besteht.
    Hat Deutschland denn auch eine “besondere Verantwortung” gegenüber Nambia auf Grund des Genozid an den Nama und Herero?

    “Namibia rejects Germany’s Support of the Genocidal Intent of the Racist Israeli State against Innocent Civilians in Gaza” – Namibian Presidency

    Quelle:
    https://twitter.com/NamPresidency/status/1746259880871149956

    Wie kann sich Deutschland anmaßen darüber urteilen zu können was ein Genozid ist und was nicht. Deutschlands Geschichte ist durchtränkt von Gewalt.
    Vielleicht wäre es an der Zeit ausnahmsweise hinzuhören, anstatt wieder zur falschen Tat zu schreiten. Dieses Land sollte sich dafür schämen, dass es sich allen ernstes als “aufgeklärt” bezeichnet.

    • Philipp von Quistorp Mon 15 Jan 2024 at 15:43 - Reply

      Sehr geehrter daniel,

      sie interpretieren “nie wieder” wohl als “nie wieder einmischen”. Wenn Deutschland aber nicht über einen Genozid urteilen darf, geschweige denn sich an der Urteilsfindung beteiligen, wie könnte es dann Ihre Position vertreten und Israel verurteilen?

      Denn Sie urteilen ja sehr wohl, dass Israel eben solchen Genozid verübe, oder lese ich das nur in Ihre Aufzählung im zweiten Absatz hinein?

      Durch den Beitritt zum Verfahren scheint mir Deutschland auch besonders genau hinzuhören anstatt zur falschen Tat zu schreiten.

  5. Ulrich Thielemann Mon 15 Jan 2024 at 11:17 - Reply

    Die “eigene Geschichte” – gemeint ist offenbar die Shoah, auf die sich die Regierung dann ja auch einen Tag noch Ihrem Beitrag bezieht – ist eine denkbar schlechte Begründung für eine Intervention “mit dem Ziel, Israel beizustehen und der südafrikanischen Argumentation entgegenzutreten”. Da Südafrika eine Reihe starker (und nicht etwa bloß „geschickter“) Argumente dafür vorbringt, dass Israel im Begriff ist, einen Völkermord an der nicht-jüdischen Bevölkerung des von Israel kontrollierten Territoriums zu begehen, müsste Deutschland eher Südafrika beistehen oder sich mindestens neutral verhalten.

    Und so zeigt sich dann auch der Präsident Namibias „schockiert“ von der Intervention Deutschlands zugunsten Israels, die im Widerspruche stehe zu seiner deklarierten „Verbundenheit“ mit der Völkermordkonvention (https://twitter.com/NamPresidency/status/1746259880871149956).

    Das „Nie Wieder“ bezieht sich ja nicht allein auf den Holocaust, den im besonderem Maße monströsen Genozid an den Juden durch Nazideutschland, sondern auf Völkermorde überhaupt. Und nicht jener steht derzeit an, auch wenn das die Israel-Apologeten in einer abwegigen Schutzbehauptung erklären. Denn selbst wenn die Hamas dies wollte, ist sie dafür bei weitem zu schwach. Sie stellt, wie John J. Mearsheimer herausstellt (https://www.youtube.com/watch?v=XyAp0R_gh24), keine existentielle Bedrohung für den hochgerüsteten Staat Israel dar. Was derzeit ansteht ist vielmehr ein mindestens möglicher Völkermord an den Palästinensern.

    Was das zweifellos bestehende Selbstsverteidigungsrecht Israels anbelangt (für das Israel freilich nicht die UN-Charta bemühen kann, wie UN-Sonderberichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, herausstellt, da Israel das Territorium umfassend kontrolliert), so wundere ich mich, dass der Iron Dome unerwähnt bleibt, der ja auch hier und heute ein weitgehend effektives Schutzschild gegen die Raketen aus dem Gazastreifen zu leisten in der Lage ist.

    Unter Gesichtspunkten effektiver Gefahrenabwehr ist das Flächenbombardement des Gazastreifens überdies kontraproduktiv, was soeben auch der ehemalige Chef des israelischen Inlandgeheimdienstes, Ami Ayalon, herausgestellt hat. Denn dieses wird weitere „Märtyrer“ erzeugen. (Dem Vernehmen nach handelt es sich beim überwiegenden Teil der Hamaskämpfer um Waisen.) Sollte dies von den Protagonisten verstanden worden sein, so müssten der „Exzessivität“ des Vorgehens Israels andere Motive als die der „Selbstverteidigung“ zugrunde liegen. Andere als genozidale?

    Sollte Israel auf die vollständige Vernichtung des palästinensischen Volkes abzielen, so würden zwar keine weiteren Märtyrer erzeugt (es sei denn, andere arabische Gruppierungen träten an ihre Stelle). Das Vorliegen eines Völkermords wäre dann allerdings auch zweifelsfrei gegeben.

    • Kaffeesatzleser Mon 15 Jan 2024 at 15:45 - Reply

      Es ist frei erfunden, dass Israel die vollständige Vernichtung des palästinensischen Volkes anstrebt. Diese Projektion der deutschen Vergangenheit auf die israelische Gegenwart ist unanständig und beleidigend. Es handelt sich um ein ressentimentgeladenes Delirium. Erschütternd, dass so etwas in Deutschland geschrieben wird.

      • Ulrich Thielemann Mon 15 Jan 2024 at 17:08 - Reply

        Ich behaupte dies gar nicht, wie der Formulierung zweifelfrei zu entnehmen ist (Konjunktiv), sondern stelle diese hypothetische Möglichkeit in den Raum, nachdem ich behauptet habe, dass das Interesse an Gefahrenabwehr unter rein erfolgsstrategischen Gesichtspunkten das Flächenbombardament nicht zu begründen vermag (was man natürlich bestreiten könnte). Der zuletzt genannte Hinweis ist einerseits ein erfolgsstrategisch möglicher und vielleicht naheliegender Einwand, der aber andererseits zur völkerrechtlichen und moralischen Seite hin eindeutig ist – bzw. wäre!

        • Kaffeesatzleser Mon 15 Jan 2024 at 17:23 - Reply

          Jeder Mensch weiß, dass der Ausdruck “Sollte Israel auf die vollständige Vernichtung des palästinensischen Volkes abzielen” den Gedanken an die Shoah nahe legt. Dies in diesem Zusammenhang mal als Gedankenspiel in den Raum zu stellen ist einfach unanständig. Es gehört zu den “Klassikern” der “Israelkritik”, Israel mit NS Deutschland gleich zu setzen. Es handelt sich um eine verächtliche, ressentimentgeladene Sprechstrategie.

          • Ulrich Thielemann Mon 15 Jan 2024 at 18:06

            Mir scheint, Sie möchten von den zentralen Argumenten, die ich vortrage, ablenken, indem Sie auf Diffamierung setzen, was in diesem Forum um der Sachlichkeit der Diskussion willen eigentlich keinen Platz haben sollte.

            Wenn Sie sich allerdings auf diesen Punkt kaprizieren möchten, so empfehle ich die Lektüre der Klageschrift Südafrikas, S. 59 ff., die zeigt, dass es sich, wenn schon, nicht um eine “verächtliche, ressentimentgeladene Sprechstrategie” handelt.
            https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf

            Dies ist hier allerdings, wie gesagt, nicht mein Punkt, der sich um die von Prof. Walter vorgetragene Begründung der einen Tag später erfolgten Regierungserklärung dreht, weshalb ich mich dazu nicht weiter auslassen möchte.

          • Tobias Sat 17 Feb 2024 at 17:26

            Die Zitate israelischer Regierungsmitglieder, inklusive Präsident Herzog und Führungsmitglieder der Armee, die die Auslöschung des Gazastreifens fordern und die gesamte Bevölkerung – inklusive Frauen und Kinder – als legitime Ziele sehen, lassen sich in der Anklageschrift nachlesen. Sie werden auch fast täglich im israelischen Fernsehen wiederholt. Hier handelt es sich also nicht um eine “ressentimentgeladene Sprechstrategie”, sondern einfach um einen Tatsachenbericht.

    • cornelia gliem Mon 22 Jan 2024 at 14:26 - Reply

      “Was das zweifellos bestehende Selbstsverteidigungsrecht Israels anbelangt (für das Israel freilich nicht die UN-Charta bemühen kann, …, da Israel das Territorium umfassend kontrolliert)” – also entweder Palästina gehört nicht zu Israel, dann kann man von Selbstverteidigung reden oder es gehört zum israelischen Staat und dann handelt es sich um einen Bürgerkrieg.

      Ich entnehme der Diskussion “hier”, dass viele tatsächlich nicht die – formale – Unterscheidung von Genozid und Massen”mord” verstanden haben: die Tötung von 25.000 Menschen ist nicht automatisch Völkermord, wenn es nicht die Absicht ist, eine Ethnie komplett auszulöschen. So die Defintion!
      hier geht es im Gaza nicht um Völkermord, es geht um humanitäre Kriegsführung!

  6. Philipp von Quistorp Mon 15 Jan 2024 at 15:33 - Reply

    @ Prof. Walter:
    Vielen Dank für die Einordnung! Wie viele andere Vertragsstaaten machen von der Möglichkeit einer Nebenintervention Gebrauch? Beschränkt sich die Nebenintervention üblicherweise auf einige wenige Staaten oder treten regelmäßig mehrere Staaten bei?

    @ Community:
    Der hier gemachte Vorwurf “einseitiger Berichterstattung” findet sich in den Kommentaren leider spiegelbildlich wieder. Unter einem juristischen Beitrag, der den insofern schwersten Vorwurf eines Völkermordes eng umgrenzt und andere Völkerrechtsverstöße ausdrücklich nicht ausschließt, wird Israel trotzdem munter des ersteren wegen verurteilt.

    Dabei geht es hier nicht um mögliches Fehlverhalten Israels vor dem 7. Oktober, sondern um die kriegerischen Auseinandersetzungen, die die Hamas einseitig begonnen hat und gemeinsam mit Israel weiterführen. Beide Parteien führen kriegerische Handlungen, oder was ist mit den täglichen Raketen aus und verbleibenden zivilen Geiseln in Gaza? Unabhängig davon, ob der Gaza-Streifen (≠ Palästina) ein Staat ist oder nicht, und die Hamas eine gewählte Regierung oder nicht, muss sich Israel gegen Angriffe auf Zivilisten auf seinem Staatsgebiet – nach allen Karten seit 1948 – wehren dürfen.

    Es bleibt eine Schwäche des Völkerrechts, dass sich die Hamas als (Terror-)Organisation keiner internationalen Rechtsetzung und Gerichtsbarkeit unterwerfen zu müssen scheint, anders als der Rechtsstaat Israel. So bleiben die unter dem Schlachtruf zur Auslöschung Israels (#Völkermord) begangenen Verbrechen vom 7. Oktober juristisch ungesühnt. Und von den Kommentaren hier und andernorts bereitwillig ignoriert.

    • Christian Walter Tue 16 Jan 2024 at 09:06 - Reply

      Herzlichen Dank und in Reaktion auf die mir gestellte Frage: Das Institut der Nebenintervention ist in der Vergangenheit sehr selten genutzt worden. Das wird in dem oben verlinkten LTO-Beitrag von Fabian Eichberger sehr gut deutlich. Es sind im Grund genommen erst die Verfahren der letzten Jahre auf der Grundlage der Jurisdiktionsklausel in der Völkermordkonvention, die hier zu einer Änderung geführt haben. In dem Verfahren zwischen Gambia und Myanmar gibt es die von mir im Beitrag angesprochene gemeinsame Beitrittserklärung von sechs Staaten. Daneben sind auch die Malediven zum gleichen Zeitpunkt individuell beigetreten. Im Verfahren zwischen der Ukraine und Russland sind es über 30 Beitrittserklärungen, vornehmlich von europäischen Staaten und anderen Staaten des globalen Nordens.

      Wie die Staatenwelt sich im Verfahren zwischen Südafrika und Israel verhalten wird, muss man abwarten. Es erscheint mir nicht ausgeschlossen, dass wir auch hier eine größere Zahl an Beitritten erleben werden. Es stellen sich dann wichtige Anschlussfragen: Welche Bedeutung soll man Positionen zuerkennen, die in diesen Erklärungen eingenommen werden? Generell spielen die Staatenpraxis und von Staaten geäußerte Rechtsauffassungen ja auch im Bereich des Vertragsrechts eine nicht unerhebliche Rolle. Wie wird sich das auf das Verfahren und auf die Auslegung der Völkermordkonvention auswirken? An solche Folgefragen habe ich gedacht, als ich im letzten Absatz meines Beitrags den Punkt mit der derzeit nicht absehbaren künftigen Dynamik des Verfahrens gemacht habe.

  7. Brgitte Smolka-Bormann Mon 15 Jan 2024 at 19:01 - Reply

    Erstaunlich, dass es ein Land gibt, das mutig Stellung bezieht und blindwütige Zerstörung öffentlich an den Pranger stellt.
    Für die Zeit des 3. Reiches hätte man sich solchen Mut anderer Staaten gewünscht, dann hätte es sehr wahrscheinlich historische Exzesse, die immer noch das Totschlagargument zur Durchsetzung von Staatsräson sind, in Deutshland nicht gegeben. Die gewollten Kriege und das Stillschweigen der Lämmer – was derzeit aus völkerrechtlicher Sicht zu diesem Konflikt geschrieben wird, ist dehnbar wie ein Gummiband und ähnelt den Wissenschaften. Es wird von der individuellen Beurteilung der Richter abhängen, wie unabhängig sie entscheiden dürfen, können oder wollen.
    Selbst wenn der IGH eine umzusetzende Entscheidung treffen würde, darf immer noch bezweifelt werden, dass sich an der Art der Vernichtungsoperationen etwas ändern könnte, zählt Israel doch wie auch die USA und andere Staaten nicht zu der Staatengemeinschaft, die im IGH ein für sie legitimiertes Rechtsprechungsorgan anerkennen.

  8. Martina Lauer Tue 16 Jan 2024 at 18:13 - Reply

    Wenn Deutschland vor dem IGH steht, sieht die Welt ein Land, das einen entseztlichen Völkermord begangen hat, aber trotzdem Israel politisch und militärisch unterstützt, obwohl die Palästinenser seit Jahrzenten unter einer militärischen Besetzung und einem Apartheidregime leben. Deutschand hat keine neutral Haltung gegenüber Israel und folgt Washington in seiner Nahostpolitik. Deutschland ist zu opportunistisch, um sich einen Vorwurf des Antisemitismus von Israel einzuholen und wird deshalb automatisch von einer Vielzahl der Länder als feige und scheinheilig eingestuft. Sehr peinlich.

  9. Mr Paul Sat 20 Jan 2024 at 08:39 - Reply

    Deutschland unterstützt im Verfahren die Position Israels und hat die Anklage als “haltlos” bezeichnet.

    Eine Nebenintervention ergibt nur dann Sinn, wenn davon ausgegangen wird, dass auch die Gefahr einer Verurteilung besteht. Deutschland erreicht also durch diese – sicherlich auch politische – Einwirkung, dass für einen angenommen knappen Fall, eine rechtmäßige Aburteilung wegen Völkermord abgewendet werden kann.

    Andererseits bestünde dann sowieso die Notwendigkeit der Nebenintervention, da wir unsere Waffenexporte an Israel für das Vorgehen vervielfacht haben.

    Viele Grüße

  10. Mr joyjoejoe Sat 27 Jan 2024 at 17:18 - Reply

    Deutschland sollte sich keinesfalls auf Seiten Israels als Nebenintervenient beteiligen, denn das was Israel’s Regierung seit Jahren und besonders seit dem 7. Oktober 2023 mit der arabischen Bevölkerung macht, hat nichts mehr mit Selbstverteidigung zu tun.
    Von einer Regierung, die ultra”konservative” Religionsfanatiker und offen rassistische, teils vorbestrafte Politiker zu Ministern macht, nur um sich an der Macht zu halten, zeigt leider deutlich, dass man hier nicht mit einer verhältnismäßigen und vernunftgetriebenen Reaktion rechnen darf.
    Ich schäme mich für die Reaktion der Bundesregierung, derart unreflektiert und einseitig in diesem Konflikt zu reagieren. Die propagierte “historische” Verantwortung immer an der Seite eines Staates zu stehen, egal wie viele Zivilisten dieser auch tötet, oder wie ungleich er die Bevölkerung illegal besetzten Gebieten behandelt, ist absurd! Die marginalen Appelle zur Zurückhaltung deutscher Politiker werden überhaubt nicht ernst oder wahrgenommen in der israelischen Öffentlichkeit.
    Die explodierende Gewalt der israelischen Siedler, die unzähligen getöteten und verletzten Zivilisten und Kinder und die immer wieder verweigerte Perspektive eines wirklich unabhängigen Staates sind mit ein Grund, warum auch nach dem Ende des Israelischen Militäreinsatzes kein Frieden in der Region einkehren wird.
    Es hilft auch nicht, dass in der deutschen Öffentlichkeit (wie von korrupten Politikern wie Netanjahu ebenfalls propagiert) Kritik an der Politik Israels, immer wieder mit Antisemitismus gleichgestellt wird.

  11. Nekbin Dias Tue 20 Feb 2024 at 18:44 - Reply

    Ich würde mich sehr freuen, wenn sie mir einige Fragen bezüglich des Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser im Bezug zur UN-Resolution 181 aus dem Jahr 1947 beantworten könnten. Da diese Resolution 181 56 Prozent der Landesfläche einer hauptsächlich neu eingewanderte Bevölkerungsgruppe zusprach, interessiert mich die Rechtslage gemäß dem Selbstbestimmungsrechts der Völker. Laut britischem Zensus setzten sich die Bevölkerungsstrukturen im Jahr 1897 zu 6 Prozent aus alteingesessenen Menschen jüdischen Glaubens und zu 94 Prozent alteingesessenen Menschen muslimischen und christlichen Glaubens zusammen. Erst mit massiven Einwanderungsbewegungen in der ersten hälfte des 20. Jahrhunderts kam eine neu Gruppe aus europäischen Juden hinzu die 1947 27 Prozent der Bevölkerung stellten, jedoch 56 Prozent der Landesfläche zugesprochen bekamen. Die alteingesessene palästinensische Bevölkerung bekam trotz ihrer überwältigenden Mehrheit nur 42 Prozent der Landesfläche zugesprochen. Jerusalem und Bethlehem (2 Prozent) wurden zu internationalen Zonen erklärt. Insbesondere die Tatsache, das im neu entstandenen Teilstaat der Neuzugewanderten 50 Prozent der Bevölkerung aus Alteingesessenen Muslimen, Juden und Christen bestand, die kein Mitsprache Recht erhielten ob sie unter der Regierungsverwaltung der neu eingewanderten Gruppe leben will, müsste doch ein eklatanter Völkerrechtsbruch vorliegen.

    • Cem Özgönül Fri 12 Apr 2024 at 18:03 - Reply

      1897 gab es keinen britischen Zensus bezüglich dieser Region sondern einen osmanischen. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war das Gebiet über vierhundert Jahre Osmanisches Hoheitsgebiet.

      Dass der Teilungsplan aus palästinensischer Sicht ungerecht war, ist richtig. Dessen Verabschiedung durch die Vollversammlung war auch nicht rechtsverbindlich, und es war ein legitimes Recht, diesen abzulehnen.

  12. Elisabteh Strunk Sat 2 Mar 2024 at 12:27 - Reply

    @ Prof. Walter: Inwiefern sehen Sie denn das Selbstverteidigungsrecht von Israel als gegeben an? – Wenn Palästina nicht als Staat anerkannt ist, kann ja nicht gegen das Gewaltverbot verstoßen werden, oder?
    Geht man davon aus, dass Palästina ein Staat ist, inwiefern kann Israel sich dann auf Art. 51 UNCh gegen non state actors berufen?

    • Cem Özgönül Fri 12 Apr 2024 at 18:16 - Reply

      Art. 51 der Charta greift hier nicht. So oder so. Das hat nichts mit der Frage der palästinensischen Staatlichkeit zu tun, sondern mit dem Umstand, dass auch Gaza trotz der Räumung 2005 nach wie vor als besetztes Gebiet gilt. Nichtsdestotrotz ist die Bekämpfung der Hamas legitim. Konzediert man, dass in Gaza besatzungsrechtliche Normen des humanitären Völkerrechts gelten, gilt zum einen, dass bewaffneter Widerstand legitim ist – eine Besatzungsmacht hat keinen Anspruch auf unbedingte Friedenspflicht der Besetzten – zum anderen aber, dass auch die Besatzungsmacht das Recht hat, bewaffneten Widerstand zu bekämpfen.

      Will heißen: Israels Recht, gegen die Hamas vorzugehen, hat nichts mit dem 07. Oktober zu tun. Aus dem 07. Oktober leitet sich kein Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta ab. Eine Besatzungsmacht kann per Definition nicht in Selbstverteidigung in von ihr besetzten Gebieten agieren.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.




Explore posts related to this:
Genocide, Genozid, ICJ, Völkermord


Other posts about this region:
Israel und besetzte Gebiete, World