Weder Leih- noch Mutter
Der Kommissionsbericht öffnet den Blick für neue Bilder der Leihmutterschaft
Nach einem Leak letzte Woche wurde der Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin gestern in seiner Gänze veröffentlicht.
Gegenwärtig ist jede Form von Leihmutterschaft verboten (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG; siehe auch §§ 13a, b, c, d AdVermiG). Die Kommission formuliert in ihrem Bericht die legislativen Handlungsoptionen nun so: Der Gesetzgeber kann aufgrund der Umgehungs- und Missbrauchsgefahren am bisherigen Verbot der Leihmutterschaft festhalten. Angesichts der Freiheitsrechte von Leihmüttern und intendierten Eltern kann er eine Form der altruistischen Leihmutterschaft unter engen Voraussetzungen aber auch zulassen. Verfassungsrechtlich ist das überzeugend.
Was ist (altruistische) Leihmutterschaft?
Altruistische Leihmutterschaft kann innerhalb einer schon bestehenden engen sozialen Beziehung praktiziert werden oder mit Hilfe einer für die intendierten Eltern bisher fremden Person: Dabei können Ei- bzw. Samenzellen von den intendierten Eltern, der Leihmutter oder spendenden Dritten stammen (Abschlussbericht, S. 431). Unter diese Definition lassen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle subsumieren.
Die intendierten Eltern wollen dauerhaft die soziale Verantwortung für das so geborene Kind übernehmen. Der Begriff „intendierte Eltern“ ist neutraler als „Bestelleltern“, wie es bisher im Adoptionsvermittlungsgesetz heißt. Die Kommission schlägt „Wunscheltern“ vor. In der Regel sind das zwei Personen, etwa ein verschiedengeschlechtliches oder gleichgeschlechtliches (Männer-)Paar. In manchen Rechtsordnungen ist es auch zulässig, dass eine alleinstehende Person, dann vor allem ein alleinstehender Mann, mithilfe einer Leihmutter ein Kind bekommen kann.
Die Leihmutter kann aus dem familiären oder sozialen Umfeld der intendierten Eltern kommen oder eine für diese zunächst fremde Person sein. Dabei sind die erforschten Motivationslagen der Leihmütter vielfältig: die einen verfolgen dabei den Wunsch, den intendierten Eltern zu helfen, andere verstehen die Tätigkeit als Erwerbsarbeit mit der Möglichkeit, sich gleichzeitig um die eigenen Kinder kümmern zu können. Für andere Leihmütter haben Kinder und Familie einen hohen Stellwert, zum Teil aus religiösen Gründen. Manche Leihmütter haben im eigenen Umfeld Infertilität erfahren. Als weitere Motivation gaben befragte Leihmütter an, gerne schwanger zu sein. Der Ausdruck „Leih-Mutter“, den der Gesetzgeber im Embryonenschutzgesetz gewählt hat, wird allerdings zu Recht immer wieder als missverständlich kritisiert. Denn die austragende und gebärende Frau verleiht erstens nicht ihre „Mutterschaft“, sondern durchlebt stattdessen Schwangerschaft und Geburt anstelle der intendierten Mutter. Zweitens „verleiht“ die Frau, die ein Kind für die intendierten Eltern austrägt, diesen auch nicht ihren Körper. Denn ein „Leihvertrag“ (§ 598 BGB) suggeriert, dass die Leihmutter verpflichtet werden könnte, den intendierten Eltern den Gebrauch einer Sache, also in dem Fall ihres Körpers, unentgeltlich zu gestatten. Deshalb trifft auch die in der jüngeren rechtspolitischen Debatte verwendete Bezeichnung „Leihschwangere“ das Phänomen nicht.
Was steht grundrechtlich auf dem Spiel?
Der Kommissionsbericht nimmt eine überzeugende freiheitsrechtliche Perspektive auf das Beziehungsgeflecht ein und weist zugleich auf zentrale staatliche Schutzpflichten hin. Die intendierten Eltern sind in ihrer Entscheidung, mit wem und auf welche Weise sie Kinder bekommen wollen, grundrechtlich geschützt. Unabhängig davon, ob die Freiheit, eine Familie mithilfe einer Leihmutter gründen zu wollen, als Teil der Familiengründungsfreiheit oder als Fortpflanzungsfreiheit in Art. 6 Abs. 1 GG oder als Recht auf reproduktive Selbstbestimmung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankert wird, ist im Ausgangspunkt jede Person in ihrem Kinderwunsch geschützt, und zwar unabhängig von einer Partnerschaft, der sexuellen Orientierung und davon, ob eigene Gameten verwendet werden (Abschlussbericht, S. 540-543; dazu Klein, Reproduktive Freiheiten, S. 291, 294, 303, 369 f., 373 f.).
Daneben ist auch die Entscheidung einer Frau, als Leihmutter tätig sein zu wollen, als Ausdruck deren reproduktiver Selbstbestimmung (Klein, Reproduktive Freiheiten, S. 296, 396 f.) bzw. als Teil deren allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder jedenfalls deren allgemeiner Handlungsfreiheit (offen gelassen Abschlussbericht, S. 544, 560) verfassungsrechtlich geschützt. Damit ist der Bericht richtigerweise nicht den Stimmen gefolgt, die in der Leihmutterschaft per se die Würde der Leihmutter verletzt sehen (Abschlussbericht, S. 560 f. mwN). Eine Neuregelung müsste aber sicherstellen, dass keine Leihmutter in Deutschland zur Herausgabe des Kindes gezwungen werden kann. Die Kommission schlägt vor, dies durch eine Bedenkzeit nach der Geburt zu lösen, in der die Leihmutter ihre Entscheidung widerrufen kann (Abschlussbericht, S. 568). Es müsste weiter die Selbstbestimmung der Leihmutter über alle ihren Körper betreffenden Aspekte vor und während der Schwangerschaft gewährleistet sein (Abschlussbericht, S. 569). Die intendierten Eltern dürften also keine spezifischen Untersuchungen während der Schwangerschaft verlangen oder die Geburtsmethode bestimmen. Sie hätten auch kein sonstiges Mitspracherecht über den Körper der Leihmutter, etwa bei einem Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Mehrlingsschwangerschaft oder bei einem auffälligen genetischen Befund.
Möglicherweise ist daneben – je nach Ansicht – das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder jedenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit einer involvierten Eizellspenderin oder eines Samenspenders zu berücksichtigen (vgl. Abschlussbericht, S. 544, zum Meinungsstand Klein, Reproduktive Freiheiten, S. 296).
Die verfassungsrechtliche Position der zu zeugenden Kinder ist nicht so einfach zu fassen. Ein zentrales Argument des Gesetzgebers für das geltende Verbot der Leihmutterschaft ist, eine „gespaltene Mutterschaft“, also das Auseinanderfallen von genetischer Mutter und Geburtsmutter, zu verhindern. Denn diese gespaltene Mutterschaft erschwere dem Kind, seine Identität zu finden. Die gesetzgeberische Begründung stammt allerdings aus dem Jahr 1989 und wurde von der Kommission aufgrund der heutigen Erkenntnislage zu Recht kritisiert (Abschlussbericht, S. 546 f., 553, 561 ff., 565). Denn die damaligen Befürchtungen bestätigten sich nicht.
Bei einer Neuregelung träfen den Gesetzgeber zum einen staatliche Schutzpflichten gegenüber der Leihmutter, zum anderen gegenüber den Kindern, die auf diese Weise gezeugt werden. Dabei ist der Gefahr einer Würdeverletzung des Kindes (Art. 1 Abs. 1 GG) besonders Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber hätte daher etwa die prozedurale Pflicht, Leihmutterschaft effektiv vom Kinderhandel abzugrenzen (Abschlussbericht, S. 565). Zudem muss jede Leihmutterschaftsvereinbarung den Eigenwert des Kindes achten (vgl. Abschlussbericht, S. 563). Daneben hat jeder Mensch ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), weshalb eine anonyme Leihmutterschaft verfassungswidrig wäre (Abschlussbericht, S. 565). Weiter wäre eine kindgerechte rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung zu gewährleisten (Abschlussbericht, S. 565 f.), was nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch eine Mehrelternschaft bedeuten kann.
Welches Bild der Leihmutter haben wir vor Augen?
Ob man am geltenden Verbot der Leihmutterschaft festhalten möchte oder nicht, hängt im Wesentlichen davon ab, wie man die Beziehungsverhältnisse der involvierten Personen bei einer Leihmutterschaft denkt. Es kommt also darauf an, welches Bild man von Leihmutterschaft bewusst oder unbewusst vor Augen hat. Im internationalen Vergleich gibt es sehr unterschiedliche Bilder der Leihmutter und ihrer Funktion. Rechtliche Konstruktionen hängen folglich stark davon ab, ob man eine Leihmutter als altruistische Helferin, als Reproduktionsdienstleisterin oder als instrumentalisierte Frau versteht. Erfreulicherweise greift der Bericht auch den Vorschlag einer dauerhaften persönlichen Beziehung zwischen intendierten Eltern, Leihmutter und Kind auf (vgl. Abschlussbericht, S. 591). Auch kulturell geprägte Vorannahmen über Mutterschaft und die Vorstellung von Familienmodellen spielen eine Rolle.
Ausbeutungsgefahren
Besonders erfrischend für die anstehende Debatte ist der Altruismusbegriff, der dem Kommissionsbegriff zugrunde liegt (Abschlussbericht, S. 591-601). Nimmt man diese Überlegungen nun zur Diskussionsgrundlage, sollten vor allem die drei Umstände, die für die Leihmutter eine Ausbeutungsgefahr begründen können, rechtspolitisch diskutiert werden (Abschlussbericht, S. 598). Danach bestehen Ausbeutungsgefahren insbesondere dann, wenn eine Frau schon die Entscheidung für eine Leihmutterschaft nicht frei treffen kann, weil sie sich aus wirtschaftlicher Not und mangels Alternativen dazu gezwungen sieht; wenn die Leihmutter für ihre Dienste keine angemessene Kompensation erhält oder wenn im Kontext des Gesamtgeschehens andere Akteure (medizinische Einrichtungen, Vermittlungsagenturen, gegebenenfalls Eizellbanken) einen wirtschaftlichen Gewinn aus der Leihmutterschaft generieren, an dem die Leihmutter nicht angemessen beteiligt wird. Eine angemessene Aufwandsentschädigung müsse dabei die tatsächlichen finanziellen Aufwendungen (gegebenenfalls auch für eine Krankenversicherung) und konkreten Erwerbseinbußen sowie die körperlichen und psychischen Belastungen berücksichtigen (Abschlussbericht, S. 605). Schwierig zu beantworten wird aber sein, welcher Betrag konkret als angemessene Aufwandsentschädigung gelten soll und kann und wer diesen festlegt.
Diskutiert werden müssen auch die Näheverhältnisse. Ist es sinnvoll, wenn von vornherein ein enges freundschaftliches oder verwandtschaftliches Verhältnis (analog der Lebendorganspende) zwischen den Beteiligten besteht? Oder sollte ein solches keine Voraussetzung einer rechtlichen Regelung sein soll, weil man sich etwa gerade in einer Nähebeziehung besonderen Erwartungen ausgesetzt sieht oder weil bei einer solchen begrenzten Zulassung ohnehin viele intendierte Eltern weiterhin ins Ausland gehen werden? Umgekehrt spricht für das Erfordernis einer Nähebeziehung aber, dass sich die Beteiligten dann eher als Gleiche begegnen und auch dauerhaft miteinander in Beziehung bleiben wollen.
Genetische Verbindungen
In den politischen Gestaltungsspielraum fällt auch die Frage, ob und welche genetischen Verbindungen zwischen den Beteiligten bestehen (sollen). Zur weiteren rechtspolitischen Diskussion stehen daher folgende Varianten: Das so gezeugte Kind kann zu beiden intendierten Eltern eine genetische Verbindung haben; zu einem Elternteil oder (jedenfalls theoretisch denkbar) zu keinem intendierten Elternteil. Die Eizelle kann von der Leihmutter, von der intendierten, späteren sozialen Mutter oder von einer Eizellspenderin kommen. Von den meisten Rechtsordnungen ausgeschlossen ist die Option, dass die Leihmutter zugleich ihre eigenen Eizellen zur Verfügung stellt. In diese Richtung geht nun aber mancher Diskussionsbeitrag mit dem Argument, dass ein Kind dann auch ohne ärztliche Assistenz mittels privater Becherspende gezeugt werden kann.
Respektvolle Debatte als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Der Kommissionsbericht nimmt die Grundrechtspositionen der Beteiligten ebenso ernst wie die Gefahren und Risiken der Leihmutterschaft. Zu Recht überlässt die Kommission die konkrete politische Gestaltung dem Gesetzgeber, der nun mit besseren Gründen am geltenden Verbot festhalten kann oder unter engen Voraussetzungen und mit rechtlichen Kontrollmechanismen eine Neuregelung diskutieren kann. Das komplexe Beziehungsgeflecht der Leihmutterschaft lädt uns als Gesellschaft ein, unseren eigenen Standpunkt zu Geschlechterrollen, Familienbildern und Kinderwünschen zu hinterfragen und zu begründen. Für die nun entfachende politische Debatte ist es daher wichtig, dass wir uns darüber klar werden, welche Bilder wir in unseren Köpfen haben, wenn wir an Leihmutterschaft denken. Leitend für eine versachlichende Diskussion kann dabei die Frage sein, warum wir an einem Verbot festhalten wollen oder aus welchen Gründen wir ein konkretes Regulierungsmodell favorisieren. Vielleicht lässt sich auf diese Weise auch ein Begriff finden, der das Beziehungsverhältnis der Beteiligten besser beschreibt als „Leihmutterschaft“.