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04 December 2025

Frauen ausgenommen

Wen schützt das Grundgesetz vor dem verpflichtenden Wehrdienst?

Die Stimmen in der Politik, die fordern, Frauen in den Wehrdienst einzubeziehen, werden immer lauter. Zuerst bestand Verteidigungsminister Boris Pistorius Anfang Oktober auf eine „offene“ Debatte über die Rückkehr zur Wehrpflicht. Er hatte im März 2024 noch Wehrdienstmodelle in Betracht gezogen, die auch Frauen miterfasst hätten. Nun hat sich auch die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, Maria-Agnes Strack-Zimmermann, für die Musterung von Frauen zum Wehrdienst ausgesprochen.

Der verpflichtende Wehrdienst für Frauen ist indes nur mit einer Grundgesetzänderung möglich. Solange diese nicht beschlossen ist, bestimmt Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG, dass Frauen „auf keinen Fall“ zum Waffendienst verpflichtet werden dürfen. Dabei ist allerdings unklar, wer überhaupt als „Frau“ im Sinne des Art. 12a Abs. 4 GG gilt. Es muss eine kohärente Auslegung des Frauenbegriffs in Art. 12a Abs. 4 GG gefunden werden, die auch die Rechte von trans* Frauen schützt und stärkt. Aus dieser Konzeption folgt dann, dass auch trans* Frauen als schutzbedürftige Personen nicht wehrpflichtig gestellt werden dürfen. Nach der aktuellen Regelung zur Wehrpflicht im neuen Selbstbestimmungsgesetz werden jedoch – um Missbrauch vorzubeugen – im Spannungs- oder Verteidigungsfall unter bestimmten Umständen weibliche Geschlechtsidentitäten nicht anerkannt. Zwar darf das Gebot der Wehrgleichheit nicht dadurch verletzt werden, dass Menschen ungerechtfertigt von der Wehrpflicht ausgenommen werden, weswegen die dafür vorgesehene Ausnahme im Selbstbestimmungsgesetz notwendig ist; jedoch laufen gerade trans* Frauen Gefahr, zum Wehrdienst herangezogen zu werden, obwohl sie Frauen sind. Dies ist nicht mit unserem Verständnis von Art. 12a Abs. 4 GG vereinbar.

Schwierigkeiten bei der verfassungsrechtlichen Bestimmung

Den Frauenbegriff des Art. 12a Abs. 4 GG zu bestimmen, ist alles andere als einfach.

Historisch war Frauen der Dienst in der Bundeswehr lange verwehrt – selbst auf freiwilliger Basis. Sie galten, wie etwa Elisabeth Schwarzhaupt 1956 formulierte, von ihrer „Natur“ und „Bestimmung“ her als unfähig für den Dienst in den Streitkräften. Diese Argumentation wurde Anfang der 2000er Jahre – zunächst durch den EuGH – als gleichheitsrechtswidrig widerlegt.

Auch auf die soziale Rolle der Frau abzustellen, zementiert vor allem überkommene Geschlechterrollen. So argumentierte etwa 2006 das BVerwG: Frauen würden traditionell als Mütter sowie Haus- und Ehefrauen gesehen und würden auch heute noch ein Vielfaches mehr an unbezahlter Sorgearbeit als Männer übernehmen. Aus dieser Perspektive erscheint es unbillig, Frauen, die ohnehin schon zusätzliche gesellschaftliche Aufgaben tragen, durch die Wehrpflicht weiter zu belasten. Außerdem würde diese unbezahlte Arbeit der Gesellschaft fehlen, wenn Frauen Wehrdienst leisten müssten. Diese Auslegung ist jedoch zu grobmaschig, um den Anforderungen der Wehrgleichheit zu genügen. Denn sie privilegiert Frauen, die keine Sorgearbeit leisten, und benachteiligt zu Unrecht Personen, die keine Frauen sind, aber Sorgearbeit leisten. Wenn man sich aber zur Umgehung dieser Ungleichbehandlung strikt nach der tatsächlich geleisteten Sorgearbeit richten würde, müsste z.B. ein Mann, der seine Kinder in Vollzeit betreut, wehrverfassungsrechtlich als „Frau“ gelten – das jedoch überstrapaziert den Wortlaut offensichtlich.

Ebenfalls wenig überzeugend ist es, „Frau“ biologistisch zu definieren – und damit trans* Frauen häufig aus dem Schutz vor der Wehrpflicht auszunehmen. Diese Interpretation scheint sich zunächst historisch gut verankern zu lassen: Denn jedenfalls bei Einführung der Wehrpflicht in den 1950ern war das gesellschaftliche Geschlechterbild stark von biologischen Zuschreibungen geprägt. Frausein wurde historisch überwiegend mit bestimmten körperlichen Merkmalen wie Vulva oder Gebärmutter gleichgesetzt. Trotzdem spricht vieles gegen diese biologistische Auslegung:

Erstens sind diese Merkmale schon an sich mit Unschärfen belegt: Es existieren verschiedene körperliche Merkmale, die verwendet werden, um Personen einem Geschlecht zuzuordnen (etwa genetische Grundlagen, primäre, sekundäre und tertiäre Merkmale). Diese können sich zum Teil im Lauf des Lebens verändern und ihr Vorkommen und ihre Ausprägungen variieren von Körper zu Körper.

Zweitens wusste der Verfassungsgeber in den 1950ern sehr wohl, dass eine rein körperliche Einordnung nicht alle Menschen erfasst – man denke etwa an die Regelung zu inter* Kindern im preußischen Allgemeinen Landrecht oder an den sog. „Transvestitenschein“, der in der Weimarer Republik u. a. trans* Personen vor polizeilicher Verfolgung schützen sollte.

Drittens gibt es schließlich keinerlei Hinweise darauf, dass der historische Gesetzgeber den Wehrdienst an bestimmte Geschlechtsmerkmale knüpfen wollte. Entscheidend war das soziale Rollenverständnis, nicht die Biologie. Schon aus dieser Perspektive überzeugt eine biologistische Interpretation kaum.

Hinzu kommt ein vierter, verfassungsrechtlicher Einwand: das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht über den Frauenbegriff des Art. 12a Abs. 4 GG entschieden, doch zur Geschlechtszugehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes liegt gefestigte Rechtsprechung vor: „Die Menschenwürde und das Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung gebieten […], den Personenstand des Menschen dem Geschlecht zuzuordnen, dem er nach seiner psychischen und physischen Konstitution zugehört“ (BVerfGE 49, 286, Rn. 50). Maßgeblich ist dabei zunächst die psychische Konstitution; die physische kann ihr – „im Rahmen des medizinisch Erreichbaren“ – nachfolgen (Rn. 49).

Diese „psychische Konstitution“, also die Geschlechtsidentität einer Person, muss nicht mit der biologischen Typisierung übereinstimmen, die aufgrund bestimmter Geschlechtsmerkmale vorgenommen wird. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Anerkennung der Geschlechtsidentität unabhängig von einer biologischen Zuordnung. Damit schützt es vor allem die Rechte von trans* Frauen. Eine biologistische Interpretation des Art. 12a Abs. 4 GG stünde diesem verfassungsrechtlichen Verständnis entgegen.

Vorschlag einer persönlichkeitsrechtlich orientierten Definition von „Frau“

Wir schlagen daher vor, Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG basierend auf dieser persönlichkeitsrechtlichen Konzeption des Geschlechts auszulegen. Danach ist als Frau jede Person anzusehen, deren Geschlechtsidentität weiblich ist – und zwar unabhängig davon, ob eine Frau cis* oder trans* ist, und welche gesellschaftliche Rolle oder körperlichen Merkmale sie hat.

Eine solche Auslegung hat gleich mehrere Vorzüge. Erstens schließt sie die bestehende Lücke, die durch die fehlende Rechtsprechung zur Interpretation des Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG entsteht. Auf diese Weise kann auf die gefestigte Judikatur zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden. Darüber hinaus wird so das Prinzip der Einheit der Verfassung gewahrt, wenn der Begriff der „Frau“ in beiden Kontexten – im Persönlichkeitsrecht wie im Wehrrecht – einheitlich verstanden wird. Die seltsame Friktion, die eine biologistische Auslegung erzeugen würde, wird damit beseitigt: Die Interpretation einer Verfassungsnorm (Art. 12a Abs. 4 GG) würde nicht mehr eine andere (das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen.

Umgang mit der Missbrauchsgefahr

Freilich eröffnet dieser Ansatz eine gewisse Möglichkeit des Missbrauchs, der der Gesetzgeber begegnen sollte. Personen, die keine Frauen sind, könnten versuchen, sich personenstandrechtlich als solche erfassen zu lassen, um der Wehrpflicht und den damit verbundenen Grundrechtseingriffen zu entgehen. Diese Gefahr hat der Gesetzgeber erkannt und im Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) ausdrücklich geregelt: Nach § 9 SBGG werden trans* Frauen zwar personenstandsrechtlich als Frauen behandelt, wehrrechtlich jedoch wie Männer, wenn sie ihren Geschlechtseintrag erst während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem angleichen wollen.

In seiner jetzigen Fassung verstößt § 9 SBGG allerdings gegen die identitätsbezogene und verfassungseinheitliche Auslegung des Frauenbegriffs und ist damit verfassungswidrig.

Denn stellen wir uns die Lage einer Betroffenen im Konfliktfall vor: Nach geltendem Recht wird eine Frau, die bei der Geburt als Junge identifiziert wurde, zum Wehrdienst herangezogen, wenn sie ihren Geschlechtseintrag nicht rechtzeitig vor Konfliktbeginn geändert hat. Unabhängig davon, dass sie ihrer Geschlechtsidentität nach eine Frau ist, kann sie das in Bezug auf die Wehrpflicht nicht geltend machen. Damit wird sie, entgegen Art. 12a Abs. 4 GG, zu einem verpflichtenden Wehrdienst herangezogen und damit schweren Grundrechtseingriffen ausgesetzt.

Zwar ließe sich einwenden, die Betroffene hätte ihren Geschlechtseintrag rechtzeitig anpassen können, doch greift das angesichts der sozialen Praxis zu kurz: Ein Coming-out als trans* Person ist häufig mit erheblichen Hürden und Diskriminierungsrisiken verbunden. Es ist daher realitätsfern anzunehmen, eine Person erkenne ihre Geschlechtsidentität stets frühzeitig oder könne sie ohne weiteres amtlich anpassen. Dass viele Betroffene zögern, bevor sie den formalen Schritt der Eintragung wagen, entspricht der – änderungsbedürftigen – gesellschaftlichen Realität in Deutschland.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf

Eine verfassungskonforme Lösung lässt sich gleichwohl finden. Wer seinen Geschlechtseintrag in oder kurz vor einem Krieg auf „weiblich“ ändern möchte, muss eben plausibel machen, tatsächlich eine Frau zu sein. Bei Zweifeln müsste eine fachliche Begutachtung die Geschlechtsidentität feststellen. Zwar hat eine solche Begutachtung (wie sie bis November 2024 unter dem „Transsexuellengesetz“ erforderlich war) als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zurecht viel Kritik erfahren. Allerdings würde die von uns vorgeschlagene Begutachtung nur im Kriegsfall oder im unmittelbaren Zusammenhang damit stattfinden und könnte an höhere Schutzstandards geknüpft werden als unter dem TSG, etwa indem die Beurteilenden besonders geschult und bestimmte Fragen ausgeschlossen werden und indem die Perspektive von trans* Menschen bei der Ausarbeitung der Beurteilungskriterien maßgeblich einbezogen wird. Außerdem ist die Möglichkeit, sich begutachten zu lassen, jedenfalls ein milderes Mittel und ein geringerer Grundrechtseingriff, als Frauen entgegen Art. 12a Abs. 4 GG den (gerade im Kriegsfall) enormen Gefahren und Grundrechtseingriffen eines verpflichtenden Wehrdienstes auszusetzen.

Eine vollständig befriedigende Lösung ist auch dieser Vorschlag nicht. Eine konsequente Alternative bestünde darin, Art. 12a Abs. 4 GG gänzlich zu streichen oder die Wehrpflicht selbst abzuschaffen. Beide Optionen werfen jedoch eigene verfassungsrechtliche und politische Probleme auf. Wenn der Verteidigungsminister sich einen „offenen Diskurs“ über die Wehrpflicht wünscht, ist dem jedenfalls insoweit zuzustimmen, als ein solcher Diskurs in diesem Kontext notwendig ist. Er sollte auch nicht-binäre Personen einschließen – denn der hier vorgeschlagene identitätsbezogene Ansatz sagt nur, dass auch eine nicht-binäre Geschlechtsidentität verfassungsrechtlich zu berücksichtigen ist; wie jedoch wehrrechtlich mit nicht-binären Personen umzugehen ist, ist gesondert zu klären. Insgesamt sollte eine Auseinandersetzung mit dem Thema darauf abzielen, die Regelungen zu Frauen und Wehrpflicht aus ihrem überholten Verständnis zu lösen und in den Verfassungsstaat unserer Zeit zu überführen.

Zur aktuellen Rechtslage ist festzuhalten, dass § 9 SBGG in seiner jetzigen Fassung gegen Art. 12a Abs. 4 GG verstößt, weil er trans* Frauen trotz geschlechtsidentitätsbezogener Schutzwürdigkeit wehrpflichtig stellt. Eine verfassungskonforme Anpassung ist dringend geboten.


SUGGESTED CITATION  Böhm, Paulina; Stummvoll, Antonia: Frauen ausgenommen: Wen schützt das Grundgesetz vor dem verpflichtenden Wehrdienst?, VerfBlog, 2025/12/04, https://verfassungsblog.de/wehrpflicht-frauen-selbstbestimmung/.

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