Un autre coup d’État en Afrique
Zum Putsch in Niger und zur Demokratieschutzarchitektur der Afrikanischen Union
Am 26. Juli 2023 setzten Angehörige der nigrischen Präsidialgarde Präsident Mohamed Bazoum fest und verkündeten seine Absetzung. Gleichzeitig wurden die Landesgrenzen geschlossen, die Arbeit der staatlichen Institutionen ausgesetzt, eine Ausgangssperre verhängt und die Schaffung einer Militärjunta verkündet. Es war bereits der fünfte Militärputsch in dem Staat seit der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich im Jahr 1960. Niger war eines der letzten Länder der Sahelzone, das noch über eine demokratisch gewählte Regierung verfügte. Seit 2021 wurden in Staaten der Region wie in Guinea oder im Sudan die Zivilregierungen durch das Militär entmachtet. Mali und Burkina Faso erlebten allein in den Jahren 2021 und 2022 sogar jeweils zwei Putsche; in Guinea-Bissau und Niger wurden in diesem Zeitraum solche unverfassungsmäßigen Regierungsumstürze versucht. Diese Ereignisse führten dazu, dass die Region inzwischen auch als „coup belt“ bezeichnet wird. Diese Häufung von Staatsstreichen legt es nahe, dass die Demokratieschutzarchitektur der Afrikanischen Union (AU) für den Umgang mit solchen Ereignissen und zu deren Verhinderung nicht ausreichend ist. Ein solches Urteil wäre allerdings vorschnell, obwohl Veränderungen im System notwendig sind.
Reaktionen auf und Gründe für Staatsstreiche in Afrika
Der Putsch in Niger wurde – wie in solchen Fällen üblich – sogleich von politischen Akteuren der regionalen und der internationalen Gemeinschaft wie der AU, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), der Weltbank, den Vereinten Nationen (UN) und der Europäischen Union (EU) sowie von verschiedenen Staaten verurteilt. Die ECOWAS, deren Mitglied Niger ist, versuchte, durch eine diplomatische Mission die Putschisten zur Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen zu bewegen. Der Staatspräsident von Benin, Patrice Talon, unternahm im Namen der Organisation noch am Tag des Putsches eine Mediationsmission nach Niger, seine Schlichtungsbemühungen scheiterten jedoch.
Die Gründe für die Machtergreifung des Militärs sind vielfältig. Während der erst 2021 ins Amt gekommene Bazoum als wichtiger Verbündeter des Westens galt und Niger als Stabilitätsanker in der Sahelzone wahrgenommen wurde, war die Regierung in der Bevölkerung unbeliebt. Rund 40 Prozent der 26 Millionen Einwohner*innen des Landes leben in extremer Armut; Niger rangiert im Human Development Index der UN regelmäßig im untersten Bereich. Die Regierung von Bazoum konnte trotz dieser Situation das Steigen der Lebenshaltungskosten nicht aufhalten. Zudem wurden die Regierungskreise als inkompetent und korrupt wahrgenommen und immer wieder Vorwürfe der Selbstbereicherung erhoben. Ein weiterer Punkt der Besorgnis ist die fragile Sicherheitslage in dem afrikanischen Staat. Dort agieren islamistische Aufständische von Al-Qaida, dem Islamischen Staat und Boko Haram in weiten Landesteilen sehr offen, obwohl die nigrischen Sicherheitskräfte in der Vergangenheit Ausbildung und materielle Unterstützung durch die Vereinigten Staaten, Frankreich und die Türkei erhalten haben.
Diese und ähnliche Motive finden sich in Bezug auf die betreffenden Regierungen und Staaten ebenfalls im Kontext anderer militärischer Machtübernahmen in Staaten auf dem afrikanischen Kontinent wieder. Die Vielzahl solcher Palastrevolten steht allerdings dem allgemeinen politischen Klima dort diametral entgegen. So ergaben regelmäßige Umfragen des pan-afrikanischen Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer in den Jahren 2011 bis 2021 in 30 Staaten eine gleichbleibend gute Akzeptanz für demokratische Regierungsführung in den Bevölkerungen.
Diese Präferenz für demokratisches Regieren spiegelt sich aber wiederum nicht in Indizes von Nichtregierungsorganisationen hinsichtlich der tatsächlichen demokratischen Verhältnisse in den Staaten Afrikas wider. Im Democracy Index von The Economist für das Jahr 2022 weisen gute Werte lediglich Mauritius, Botswana, Kap Verde, Namibia, Ghana und Lesotho auf; der Senegal, der stets als Musterbeispiel für Demokratie in Afrika galt, rutschte in den letzten Jahren ab. Staaten wie Kamerun, Guinea, Burundi, Eritrea, Äquatorialguinea, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik finden sich auf den hintersten Rängen.
Der Weg zu einem Antiputschinstrumentarium für Afrika
Putsche gegen Regierungen, seien sie demokratisch gewählt oder selbst durch militärische Mittel an die Macht gekommen, sind in den Staaten Afrikas indes kein Phänomen der jüngeren Zeit. Seit der Dekolonisierung wurden in Afrika mehrere hundert Putsche und Putschversuche unternommen. Zwischen 1960 und 1990 waren Staatsstreiche sogar die vorherrschende Form des Regierungswechsels auf dem Kontinent. Die regionale Staatengemeinschaft behandelte solche Geschehnisse zunächst regelmäßig noch als innere Angelegenheiten der betroffenen Staaten. Putsche und Putschversuche wurden hauptsächlich dann von Seiten der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), der Vorgängerin der heutigen AU, verurteilt, wenn sie mit Hilfe von Söldnern durchgeführt (z.B. in Bezug auf die Seychellen 1982, dazu hier, S. 450 bis 459) oder wenn imperialistische Motive erkannt wurden. Dies begründete sich daraus, dass Antikolonialismus nach ihrer Charta ein tragender Zweck der OAU (Art. II Nr. 1 lit. [d]) war und Söldneraktionen und -interventionen sich in Afrika seit den Ereignissen um die Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonie Belgisch-Kongo1) im Jahr 1960 derart gehäuft hatten, dass im Jahr 1977 im Rahmen der OAU eine Konvention zur Beseitigung des Söldnertums verabschiedet wurde. Letztlich fehlte der OAU jedoch ein echtes Mandat, um Staatsstreichen zu begegnen.
Diese Betrachtungsweise von Putschen und anderen Formen des Regierungswechsels, die den Prinzipen des Verfassungsrechts der jeweiligen Staaten zuwiderlaufen, wandelte sich mit der globalen Demokratisierungswelle seit dem Ende des Kalten Krieges jedoch erheblich. Die negativen Folgen von Putschen für die soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Staaten und auch die damit einhergehende Unterminierung der Organisation selbst drängten die OAU zum Handeln. Der damalige Generalsekretär Salim Ahmed Salim sprach sich in dieser Zeit sehr klar dafür aus, dass sich die OAU stärker bei der Lösung von Konflikten in Afrika engagieren müsse. In der Folge wurden die Machtergreifungen des Militärs etwa in Burundi (1993 und 1996), in Lesotho (1994), auf den Komoren (1995), auf São Tomé e Príncipe (1995) sowie in Niger (1996) durch die Organisation verurteilt und Missionen entsandt, die auf diplomatischem Wege eine Wiederherstellung verfassungsgemäßer Verhältnisse erreichen sollten. Dieser Wandel in der Politik der OAU ließ keinen Zweifel mehr daran, dass Staatsstreiche inzwischen als schwerwiegende Bedrohung für die Demokratisierungsbemühungen in Afrika und als Besorgnis für den gesamten Kontinent galten.2)
Nach dem Staatsstreich auf den Komoren im Jahr 1995 – es war bereits der vierte Putsch gegen eine Regierung des Inselstaates in der Straße von Madagaskar seit Erlangung der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1975 – wurden durch die OAU dann auch Maßnahmen ergriffen, um eine Architektur für die Organisation gegen verfassungswidrige Machtergreifungen zu schaffen. Es wurde ein Unterausschuss eingesetzt, der vorschlug, dass in Fällen zukünftiger Staatsstreiche der OAU-Generalsekretär für die Organisation auf Grundlage vorbestimmter Kriterien und Verhaltenslinien Maßnahmen ergreifen sollte. Diese Empfehlung war der Grundstein für weitere Diskussionen in der Angelegenheit, die sich über die zweite Hälfte der 1990er Jahre hinziehen sollten. Auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der OAU-Mitglieder in Algier im Jahr 1999 wurde dann entschieden, dass Mitgliedstaaten, in denen nach dem Treffen des Ministerrates der OAU im Jahr 1997 in Harare Regierungen auf verfassungswidrigem Wege an die Macht gekommen waren, bis zum nächsten Treffen wieder verfassungsmäßige Zustände herstellen sollten. Dieser Zeitpunkt wurde gewählt, da der Ministerrat auf diesem Treffen die bis dahin stärkste Verurteilung eines Staatsstreiches ausgesprochen hatte, nämlich bezüglich der Entmachtung von Präsident Ahmad Tejan Kabbah in Sierra Leone. In der Entscheidung wurde nicht nur der Putsch verurteilt und zu einer sofortigen Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung aufgerufen, sondern es wurden auch alle afrikanischen Staaten und die internationale Gemeinschaft als Ganzes ermahnt, die neue Regierung des Landes weder anzuerkennen noch ihr Unterstützung zukommen zu lassen; zudem wurden die politischen Führungspersönlichkeiten der ECOWAS ersucht, der Bevölkerung von Sierra Leone bei der Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung im Land Hilfe zu leisten.3) Zudem wurde der Generalsekretär durch die Entscheidung von Algier mandatiert, in diesen Staaten die Entwicklungen aktiv zu verfolgen und bei Programmen unterstützend tätig zu werden, die darauf gerichtet seien, in den betreffenden Ländern wieder verfassungsmäßige und demokratische Regierungen zu etablieren. Die Entscheidung wurde allerdings von verschiedenen Seiten kritisiert. Auf der einen Seite standen die damaligen Präsidenten von Nigeria und Sambia, Olusegun Obasanjo und Frederick Chibula, die eine entschlossenere Haltung in Putschfragen forderten und allen verfassungswidrig an die Macht gekommenen Regierungen in Afrika rückwirkend die Anerkennung entziehen wollten. Auf der anderen Seite riet der Präsident Südafrikas Thabo Mbeki zu einem gemäßigteren Ansatz, der diese Regierungen auf dem Weg zurück in die Demokratie mit einbeziehen wollte.4)
Den großen Schritt hin zu einer Antiputscharchitektur tat die OAU dann im Jahr 2000 mit der Verabschiedung der Lomé-Erklärung über einen Rahmen für die Reaktion auf verfassungswidrige Regierungswechsel. Dieses Dokument, das von dem 1995 eingesetzten Unterausschuss erarbeitet worden war, legte vier Elemente für diese neue Architektur fest:
- Gemeinsame Werte und Prinzipien demokratischen Regierens: Hierin inbegriffen sind Bekenntnisse zur Verabschiedung demokratischer Verfassungen, Respekt für die Verfassung und für Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und unabhängige Gerichte, Förderung von politischem Pluralismus, anderen Formen partizipativer Demokratie und der Zivilgesellschaft, das Prinzip des demokratischen Machtwechsels und die Anerkennung der Rolle der Opposition, die Organisation von freien und regelmäßigen Wahlen sowie der Schutz und die Förderung der Grund- und Menschenrechte, insbesondere im politischen Prozess.
- Eine Definition verfassungswidriger Regierungswechsel: Hierunter fallen militärische Staatsstreiche, Regierungswechsel, die durch Söldnerinterventionen und bewaffnete Dissidenten oder Rebellen herbeigeführt werden und die Verweigerung der Machtübergabe durch Amtsinhaber*innen an Wahlsieger*innen nach freien und fairen Wahlen.
- Maßnahmen zur Reaktion auf verfassungswidrige Regierungswechsel: Hierzu zählen die Verurteilungen der definierten Machtergreifungen durch die politischen Organe der Organisation, die Gewährung einer sechsmonatigen Phase zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung unter Suspendierung des betreffenden Staates von den politischen Aktivitäten der Organisation sowie nach Ablauf des Zeitraums die Verhängung begrenzter und gezielter Sanktionen (z.B. Verweigerung von Visa gegenüber Beteiligten an einem verfassungswidrigen Regierungswechsel, Reduzierung von Regierungskontakten, Handelsbeschränkungen).
- Errichtung eines Unterausschusses zur Überwachung der Einhaltung von Maßnahmen, die die Organisation in Fällen verfassungswidriger Regierungswechsel trifft.
Recht und Politik der AU bei verfassungswidrigen Regierungswechseln
Der in Lomé erarbeitete Rahmen wurde völkervertraglich in die Architektur der AU, die 2002 die OAU als pan-afrikanische Organisation ablöste, überführt und teilweise modifiziert. Art. 4 lit. (p) ihres Gründungsaktes erhebt die Verurteilung und Zurückweisung von verfassungswidrigen Regierungswechseln zu einem Funktionsprinzip der Regionalorganisation. Nach Art. 30 des Gründungsakts darf es Regierungen, die durch verfassungswidrige Mittel an die Macht gekommen sind, nicht erlaubt werden, an den politischen Aktivitäten der AU teilzunehmen. Diese Regelungen werden durch Vorschriften in der Afrikanischen Charta über Demokratie, Wahlen und Regierungsführung flankiert. Nach Art. 25 Abs. 1 ist als Sanktion für einen verfassungswidrigen Regierungswechsel die Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte in der AU vorgesehen. Die Definition eines verfassungswidrigen Regierungswechsels aus der Lomé-Erklärung wurde in Art. 23 beibehalten, jedoch um eine weitere Modalität ergänzt, nämlich jede Verfassungs- oder Rechtsänderung, die dem Prinzip des demokratischen Regierungswechsels zuwiderläuft. Die Entscheidung über die Sanktionierung steht nach Art. 7 lit. (g) des Protokolls über seine Errichtung dem Friedens- und Sicherheitsrat der AU zu.
Eine Suspendierung von Niger nach den jüngsten Ereignissen steht noch aus. Der Militärjunta wurde eine