Zuverlässig rechtsextrem
Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof erschwert die Entwaffnung Rechtsextremer
In der Diskussion um die Konsequenzen aus der Reichsbürger*innenverschwörung werden die Stimmen derjenigen lauter, die für eine Verschärfung des Waffenrechts eintreten. Politiker*innen der FDP, darunter Bundesjustizminister Marco Buschmann, sind dem unter Hinweis darauf entgegengetreten, dass die derzeitige Rechtslage ausreiche, um Waffenverbote gegenüber Rechtsextremen durchzusetzen.
Rechtsextreme und Waffen
Waffen in den Händen von Reichbürger*innen, Prepper*innen, Unterstützenden der AfD oder Sympathisierenden der NPD sind eine Gefahr für die Demokratie. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums gibt es im Jahr 2022 mehr als 1500 rechtsextreme Waffenbesitzende. Das sind 30 Prozent mehr als noch als 2020 – ganz zu schweigen von den Besitzenden illegaler Waffen, von denen in Europa bis zu 35 Millionen im Umlauf sein sollen.
Durch zahlreiche Gesetzesänderungen hat die Politik in den letzten Jahren versucht, zumindest im Bereich des legalen Waffenbesitzes gegenzusteuern. Dass die Entwaffnung Rechtsextremer dennoch nur schleppend vorangeht, liegt nicht allein an unterausgestatteten Behörden, sondern auch am geltenden Recht und dessen Auslegung durch die Justiz. Beispiel hierfür ist ein Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs in Baden-Württemberg aus dem Juli 2022, der im Eilverfahren behördliche Waffenverbote gegen einen vom Landesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem geführten Waffenbesitzer aufhob. Der Rechtsextreme sei waffenrechtlich zuverlässig, weshalb das Verbot aufzuheben sei.
Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit als Dreh- und Angelpunkt
Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit ist in Paragraf 5 des Waffengesetzes geregelt. Nur Personen, die zuverlässig sind, dürfen Waffen führen. Waffenbesitzende müssen also die Gewähr dafür bieten, dass sie Waffen nicht missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, dass sie die Waffen ordnungsgemäß verwahren und sie Nichtberechtigten nicht überlassen. Ohne die nötige Zuverlässigkeit darf es keine Waffenerlaubnis geben. Ohne die nötige Zuverlässigkeit kann nach Paragraf 41 des Waffengesetzes auch der Besitz und Erwerb erlaubnisfreier Waffen verboten werden. Ohne die nötige Zuverlässigkeit – so regelt es Paragraf 13 des Waffengesetzes – dürfen selbst Jäger*innen keine Schusswaffen besitzen. Ohne die nötige Zuverlässigkeit ist nach Paragraf 17 des Bundesjagdgesetzes auch ein Jagdschein zu versagen.
Über eine Regulierung der Zuverlässigkeitsvoraussetzung und einen engmaschigen Informationsfluss zwischen den Behörden – die Waffenbehörden müssen von den rechten Verstrickungen Kenntnis erlangen – kann also gewährleistet werden, dass Rechtsextreme keine Waffen besitzen oder erwerben dürfen. Rechtspolitisch wurde denn auch an dieser Schraube gedreht. In der Waffenrechtsnovelle 2020 wurde insbesondere Paragraf 5 Absatz 2 Ziffer 3 des Waffengesetzes noch einmal verschärft. Dort ist vorgesehen, dass Personen, die Vereinigungen unterstützen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Bestrebungen verfolgen, in aller Regel die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzen. Seit 2020 gilt das nicht nur für Mitglieder, sondern auch für externe Unterstützende.
„Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ sind hierbei solche, die sich gegen die Grundsätze der Verfassung richten, die das Menschenwürdeprinzip aus Artikel 1 des Grundgesetzes, das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit umfassen. Antisemitische und rassistische Diskriminierung sind mit diesen Grundsätzen unvereinbar. Dementsprechend konsequent hat beispielsweise die Dritte Kammer des Verwaltungsgerichts in Schwerin, die in einer Vielzahl von Entscheidungen mit den waffenrechtlichen Fragen des Nordkreuz-Komplexes befasst war (und ist), im Januar 2022 entschieden, dass die Verbreitung rassistischer, antisemitischer oder den Nationalsozialismus verherrlichender Inhalte in sozialen Netzwerken zum Entzug eines Waffenscheins führen kann.
Baden-Württembergs Verwaltungsgerichtshof schränkt Verbotsgründe ein
Wie groß die rechtlichen Lücken bei der Frage der Unzuverlässigkeit aber trotzdem noch sind, zeigt nun der Fall aus Baden-Württemberg. In der behördlichen Begründung des Waffenverbots wurde ausgeführt, dass der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem geführte Waffenbesitzer bis ins Jahr 2019 mehrfach an Veranstaltungen der rechtsextremen Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) und an Stammtischen Rechtsextremer teilgenommen habe. Die DLVH werde von Funktionär*innen der NPD beherrscht und verfolge selbst verfassungsfeindliche Ziele. Es fehle daher nach Paragraf 5 des Waffengesetzes an der erforderlichen waffenrechtlichen Zuverlässigkeit.
Hatte das Verwaltungsgericht in Freiburg diese Auffassung im Eilverfahren noch bestätigt, stellt sich der 6. Senat des Mannheimer Verwaltungsgerichtshof in der nächsten Instanz im Juli 2022 auf die Seite des Rechtsextremen. Laut Gericht lägen zwar hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass der Waffenbesitzer dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen sei. Dafür spräche seine Einbeziehung in Kontexte der DLVH. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch keine substanziellen Zweifel daran, dass die unter anderem von hochrangigen Funktionsträgern der NPD 1991 gegründete DLVH nach ihren Zielen die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt.
Dass der Waffenbesitzer Sympathisant und Anhänger einer solchen Vereinigung ist, bedeutet aber für die Richter*innen nicht automatisch, dass er im Hinblick auf das Führen einer Waffe als unzuverlässig einzustufen sei. Denn die rechtsextreme Szene sei heterogen. Nur ein Teil der in Baden-Württemberg verzeichneten Rechtsextremen sei gewaltbereit. Laut Verfassungsschutzbericht setze sich das Spektrum der gewaltorientierten Rechtsextremisten dort im Wesentlichen aus subkulturell geprägten Rechtsextremen (ca. 350) und nicht parteigebundenen Neonazis (ca. 410) zusammen. Zwar sei auch in anderen rechtsextremistischen Teilsegmenten (z.B. im Parteienbereich) eine gewisse Anzahl gewaltorientierter Personen anzunehmen, doch wiesen rechtsextreme Parteien oder Vereine nicht generell Strukturmerkmale auf, die ohne weitere Anhaltspunkte den Schluss erlaubten, Mitglieder, Unterstützende oder Sympathisierende einer solchen Partei oder eines solchen Vereins würden im Sinne des Paragrafen 5 des Waffengesetzes ihre Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden oder Nichtberechtigten überlassen.
Damit belässt es der Mannheimer Gerichtshof nicht dabei, die potenzielle Gewaltbereitschaft des rechten Waffenbesitzers in Frage zu stellen, sondern verneint daneben auch den Unzuverlässigkeitsgrund der „Unterstützung“ einer rechtsextremen Vereinigung. Zwar sei die DLVH durchaus eine Vereinigung, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Der Waffenbesitzer habe sie aber eben nicht im Rechtssinne „unterstützt“. Ein bloßes Sympathisieren mit einer Vereinigung sei vom Gesetz nicht erfasst. Zudem sei es fraglich, ob die Teilnahme an Veranstaltungen der Vereinigung für sich genommen schon eine Unterstützung darstelle – wie es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem anderen Fall entschieden hatte – oder ob über die Teilnahme hinaus ein aktives Tun erforderlich ist, aus dem konkret abgeleitet werden könne, dass die Teilnehmenden gerade die verfassungsfeindlichen Ziele der Vereinigung befürworten. Letzteres, so der Gerichtshof, sei jedenfalls im Fall des Waffenbesitzers nicht nachgewiesen. Und im Hinblick auf die Veranstaltungsteilnahme sei es, so deuten die Mannheimer Richter*innen die bayerische Entscheidung (um), mindestens erforderlich, dass es sich um die Teilnahme an einer Veranstaltung mit Außenwirkung handele. Diese Außenwirkung sei aber für die Veranstaltungen, an denen der Waffenbesitzer teilgenommen hatte, nicht belegt. Soweit er eine Teilnahme an einem vom geschäftsführenden Vorsitzenden der DLVH organisierten Stammtisch eingeräumt habe, lägen keine Erkenntnisse vor, ob es sich bei diesem Stammtisch um eine interne oder um eine Veranstaltung mit Außenwirkung handelt.
Das ist im Ergebnis und in der Begründung skandalös und falsch. Ein „Stammtisch“ ist schon begriffsnotwendig eine öffentliche Veranstaltung und hat als solcher die nötige Außenwirkung. Selbst wenn ein außenwirkungsloser, nichtöffentlicher Stammtisch denkbar wäre, dann findet eine Unterstützung regelmäßig auch durch eine Teilnahme an einer nichtöffentlichen Veranstaltung statt. So hatte beispielsweise das Verwaltungsgericht Bayreuth in anderer Sache entschieden, dass eine Unterstützung auch durch die Teilnahme an nichtöffentlichen Treffen erfolgt, wenn diese Zusammenkünfte „zur programmatischen Zielverfolgung oder zumindest zur Festigung der innerparteilichen Strukturen beitragen bzw. dem persönlichen Zusammenhalt von Mitgliedern und Sympathisanten dienen“.
Gescheiterte Novelle des Waffenrechts
Die Mannheimer Entscheidung dokumentiert das Scheitern der 2020er Novellierung des Waffengesetzes. Dessen Verschärfung hatte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des Anschlags von Hanau damit begründet, dass die bisherigen Erfahrungen mit Paragraf 5 des Waffengesetzes zeigten, dass dringender Handlungsbedarf bestehe. Schon die Reform von 2020 ging dem Bundesrat nicht weit genug. „Angesichts der enormen und zunehmenden Gefahren, die von einem legalen Waffenbesitz, insbesondere von Rechtsextremisten, ausgehen, bedarf es“, so die Länderkammer in ihrer Stellungnahme zum damaligen Gesetzentwurf, „dringend der Regelung, dass eine Speicherung als Extremist bei einer Verfassungsschutzbehörde des Bundes oder der Länder zur Tatbestandserfüllung der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit ausreicht“ (BT-Drs. 19/13839, S. 130). Eine solche Regelung wurde nicht ins Gesetz aufgenommen, auch weil die Bundesregierung wiederum darauf hingewiesen hatte, dass die Speicherung von Daten bei den Verfassungsschutzämtern nicht selbst Unzulässigkeitsgrund sein müsse, weil ja das Gesetz am Sachverhalt, der die Speicherung begründet habe, ansetze und so die Inkompatibilität von Rechtsextremismus und waffenrechtlicher Zuverlässigkeit gewährleistet sei (BT-Drs. 19/13839, S. 141). Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ist nun der Auffassung, dass die gegenwärtige Rechtslage diese Wertung gerade nicht hergibt. Er meint, ein vom Verfassungsschutz als rechtsextrem geführter Waffenbesitzer, der Veranstaltungen einer rechtsextremen Vereinigung besucht, sei waffenrechtlich zuverlässig. Der vom Gericht formulierte Leitsatz löst dies vom Einzelfall und stemmt sich gegen das gesetzgeberische Anliegen: „Allein die Einstufung als Rechtsextremist durch das Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigt nicht die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit.“
Dringender Handlungsbedarf
Im Koalitionsvertrag haben sich die Koalitionspartner darauf verständigt, die Waffenrechtsänderungen der vergangenen Jahre zu evaluieren und die bestehenden Kontrollmöglichkeiten gemeinsam mit den Schützen- und Jagdverbänden sowie mit den Ländern effektiver auszugestalten (Koalitionsvertrag, S. 86). Bei dieser Evaluation sollte man sich die Mannheimer Entscheidung sehr genau ansehen. Denn in ihr offenbart sich dringender Handlungsbedarf. Sehr zu Recht nennt denn auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser als einen von zehn Punkten in ihrem im März 2022 vorgelegten Aktionsplan gegen den Rechtsextremismus die Entwaffnung von Rechtsextremen.
Und wenn der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle im Juli 2022 mit der Äußerung zitiert wird, dass ein den Koalitionsvertrag umsetzender Gesetzentwurf der Ministerin zu früh komme, weil es noch an der im Koalitionsvertrag verabredeten Evaluation der Waffenrechtsnovelle fehle, seien ihm – er ist ja wie der Bundesjustizminister auch Jurist – Lektüre und Evaluation des Mannheimer Beschlusses nahegelegt. Da steht es schwarz auf weiß gleich im ersten Leitsatz: Rechtsextrem und waffenrechtlich zuverlässig zu sein, ist für deutsche Richter*innen in Ausdeutung des aktuell geltenden Waffengesetzes derzeit leider kein Widerspruch.
Eine geringfügig modifizierte Version dieses Textes erscheint am 25. Januar 2023 in Nele Austermann u.a. (Hrg.), Recht gegen rechts: Report 2023; © 2023 S. Fischer Verlag GmbH
Eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch geführte Person, die nach den eigenen Feststellungen des Gerichts auch regelmäßig an Veranstaltungen einer unstreitig rechtsextremistischen Vereinigung teilnimmt, und einem OVG fällt nichts besseres ein als sich in argumentativen Kapriolen und feingliedrigen Differenzierungen zu ergehen, warum Waffen in den Händen einer solchen Person nicht unbedingt eine schlechte Idee sein müssen?
Und ich dachte, wir wären uns einig, bei Rechtsextremisten künftig genauer hinschauen zu wollen, und nicht bei den Gesetzen, die rechtsextremistische Gewalt verhindern sollen. Die Richter*innen scheinen hier offenbar irgendwas verwechselt zu haben.
Im Text sind einige inhaltliche Fehler:
– Sie meinen “Waffenbesitzkarten”, wenn Sie von “Waffenscheinen” schreiben
– Waffenbesitzkarten berechtigen nicht zum Führen von Waffen
Zusätzlich eine Anmerkung:
Bei den 1500 bewaffneten Rechtsextremen handelt es sich i.d.R. nur um Personen mit kleinem Waffenschein. Diese Personen dürfen keine scharfen Waffen besitzen.
Der Anteil der Straftaten mit legalen Waffen an allen Straftaten betrug in Deutschland 2014 0,00008%. Der Text suggeriert eine Bedrohung, die es nicht gibt.
Der geschilderte Fall ist natürlich krass, dem Mann sollten sofort seine waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen werden.