Die Euro-Verfassung und die Ewigkeitsklausel in Karlsruhe, Teil II: Stabilisierungsmechanismus
Leider hat es etwas länger mit Teil II gedauert. In der Zwischenzeit ist der Autor, gemeinsam mit Martin Nettesheim aus Tübingen, zum Prozessvertreter des Deutschen Bundestages im Verfahren bestellt worden. Er muss sich also um Objektivität bemühen, die Leser seien in jedem Fall zu besonders misstrauischem Lesen ermuntert.
Der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) dürfte den Befürchtungen des Zweiten Senats aus zwei Gründen zumindest näher kommen als der Fiskalvertrag: zum Ersten, weil es in ihm um die Verteilung immenser Mittel geht, welche die Handlungsfähigkeit des Bundes wesentlich einschränken könnte – eben nicht wie im Fiskalvertrag um deren Einsparung, die zumindest langfristig neue Handungspielräume ermöglichen mag. Zum Zweiten, weil diese Verteilung von einer veritablen neuen internationalen Organisation vorgenommen wird, die eigene Entscheidungsspielräume erhält. Der Vertrag ist kompliziert, an dieser Stelle muss stark vereinfacht werden. Dass er einen verbotenen Haftungsautomatismus vorsieht, durch den der Bundesrepublik allein auf Grundlage der Entscheidung anderer Staaten undefinierte Zahlungsverpflichtungen erwachsen könnten, ist kaum zu erkennen. Dass das System aber im Ganzen einer politischen Logik folgt, die für die Bundesrepublik allein schwer zu beherrschen ist, erscheint gleichfalls schwer zu bezweifeln. Bei einer Folgenabwägung wird aber auch zu bedenken sein, was ein Ausstieg aus diesem System bedeuten würde und ob dessen Folgen besser zu überschauen sind.
Konkreter sind es wohl drei Grundsätze, denen die Organisation des ganzen Mechanismus aus der Sicht des Zweiten Senats wird folgen müssen: Zum Ersten müssen die zu verteilenden Mittel begrenzt sein. Das heisst, die für den ESM konstitutiven Regeln haben einen Betrag zu nennen, bei dem die Haftung endet. Zum Zweiten müssen alle relevanten Entscheidungen des Mechanismus mit Zustimmung der Bundesrepublik ergehen oder umgekehrt: diese muss ein Veto-Recht haben. Zum Dritten muss der Bundestag wichtigen haushaltsrelevanten Entscheidungen zustimmen.
Hinsichtlich des ersten Punktes scheint der ESM-Vertrag jedenfalls der Papierform nach keine Probleme zu bereiten. Er formuliert eine absolute Haftungsgrenze, die “unter allen Umständen” gilt. Ob sich eine solche Regelung umgehen lässt, erscheint zweifelhaft. Solche Szenarien spielen allerdings im Verfahren eine gewisse Rolle. Könnte sich aus Nachschusspflichten, aus der Ausgabe von Kapital abweichend vom Nennwert oder aus Abmachungen der anderen Parteien nicht doch eine höhere Haftung ergeben? Auch wenn solche Szenarien konstruiert wirken, verdienen sie eine genaue Kontrolle durch das Gericht. Schließlich haben andere Vertragsstaaten nicht notwendig dieselben Interessen wie die Bundesrepublik.
Auch der zweite Punkt scheint im ESM vergleichsweise solide abgesichert zu sein. In den Gremien des ESM werden alle wesentlichen Entscheidungen entweder einstimmig oder mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen. Für letztere verfügt die Bundesrepublik dank ihres Kapitalanteils über eine Veto-Position. Dies könnte wohl nur durch einen Beitritt Großbritanniens geändert werden, dem der Bund seinerseits zustimmen müsste – keine besonders wahrscheinliche Variante, zudem eine, die die Bundesrepublik finanziell entlasten würde. Auch hier bedarf es einer gewissen Phantasie, um ein Problem zu sehen: Was passiert etwa, wenn der deutsche Vertreter nicht anwesend ist oder nicht die Interessen vertritt, die der Bundestag definiert hat? Wiederum könnte das Bundesverfassungsgericht nach der Möglichkeit härterer Sicherungsmechanismen suchen. Auch die Frage, wer von der Bundesrepublik in das eigentlich operative Gremium, das Direktorium, geschickt wird, mag eine Rolle spielt. Die Bundesregierung will einen Staatssekretär, also einen weisungsabhängigen Beamten entsenden. Verfassungsrechtlich schwieriger sähe es aus, wenn eine Privatperson allein aufgrund ihrer wirtschaftlichen Kompetenz im Gremium säße.
Für den dritten Punkt stellt sich die Frage, was denn nun relevante Entscheidungen sind, die der Bundestag selbst zu treffen hat. Immerhin liegt zu dieser Frage bereits eine Entscheidung des Senats zum EFSF vom 7. September 2011 vor. Diese spielte bei der Ausarbeitung des Begleitgesetzes eine wichtige Rolle. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich einige Entscheidungskomplexe benennen: die Entscheidung über die Höhe der eingesetzten Mittel, die Frage, für wen sie eingesetzt werden, welchen Finanzierungsinstrumente anzuwenden sind und unter welchen Bedingungen dies geschieht. Tatsächlich hat der Bundestag in all den genannten Fragen ein Entscheidungsrecht, er muss auch den Bedingungen zustimmen, unter denen Mittel an einen notleidenden Staat vergeben werden. Aber auch hier sind Szenarien denkbar, in denen der Bundestag außen vor bliebe. Etwa wenn der Bund für Verluste aufkommen muss, die der ESM in seinen Anlagen erleidet. Schließlich bleibt die Frage, inwieweit es eine verfassungsrechtliche Pflicht geben könnte, die im Vertrag vorgesehene Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Bundestag und der demokratischen Öffentlichkeit zu beschränken.
Für die Abgeordneten bleibt in jedem Fall viel, vielleicht mitunter sogar zu viel zu entscheiden. Vergessen wir zweierlich nicht, was in der Diskussion im Moment zu sehr in den Hintergrund gerät: In einer parlamentarischen Demokratie handelt die Regierung stets unter der Bedingung des politischen Vertrauens der parlamentarischen Mehrheit. Das Parlament steht nicht einfach gegen die Regierung. Und: In einem gewaltengegliederten System ist es gerade kein verfassungsrechtlicher Idealzustand, wenn jede Entscheidung vom Parlament gefasst wird. Weil es sich um so große Summen handelt, erscheint es angemessen, die parlamentarische Beteiligung zu intensivieren. Es ist richtig, dass der Bundestag letzte Woche über die Spanienhilfe entscheiden musste. Aber auch diese Beteiligung stößt an Grenzen organisierbarer Arbeitsteilung.
Am 12. September wissen wir mehr.
Das Problem sind nicht die (teils) verfassungswidrigen Verträge. Das eigentlich Problem sind unsere Politiker, die einfach immer alles durchwinken. Die parlamentarische Demokratie sollte aufgrund der Diskrepanz zwischen Wählerwillen und Politik Realität hier zur Debatte stehen.
Solange der Art. 125 l AEUV Gültigkeit hat, muß der ESM-Vertrag (auch) hinsichtlich des ersten Punktes auch der “Papierform nach” erheblichste Probleme bereiten, der Rechtsbruch wäre unweigerlich da!
„die Leser seien in jedem Fall zu besonders misstrauischem Lesen ermuntert.“
Herr Möllers, ich hätte beinahe gesagt: Mit dieser Ermunterung tragen Sie Eulen nach Athen. Aber momentan scheint mir dieses Sprichwort zu gewagt.
„Der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) dürfte den Befürchtungen des Zweiten Senats aus zwei Gründen zumindest näher kommen als der Fiskalvertrag: …“
OK, das überzeugt mich: Die Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Bundestages durch die Schuldenbremse ist das kleinere Übel gegenüber der totalen Handlungsunfähigkeit, die am Ende einer grenzenlosen Verschuldung drohen kann.
„Zum Zweiten, weil diese Verteilung von einer veritablen neuen internationalen Organisation vorgenommen wird, die eigene Entscheidungsspielräume erhält.“
Ja, ich weiß schon: Das BVerfG wird sich mit der Zustimmung zu Art. 136 III AEUV nicht auseinandersetzen, weil es nicht dafür zuständig ist, sekundäre Unionsrechtsakte am Maßstab der Verträge zu messen. Die ESM-Konstruktion muss man sich dennoch auf der Zunge zergehen lassen. Mitgliedstaatsregierungen schließen einen völkerrechtlichen Vertrag, mit dem sie das Fehlen der durch Art. 125 AEUV ganz klar ausgeschlossenen Bailout-Kompetenz zu umgehen suchen. Unter Unionstreue stelle zumindest ich mir was anderes vor. Aber noch komischer wird das alles ja, wenn man über den Art. 136 III AEUV sinniert: Da diese neue Norm im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 VI EUV beschlossen wurde, geht der Europäische Rat also offenbar davon aus, dass durch die ESM-Ermächtigung die Kompetenzen der Union nicht ausgedehnt werden. Hat man deshalb im besagten Abs. 3 jede Erwähnung der Union vermieden? Aber wenn das sozusagen eine Sache der Mitgliedstaaten unter sich ist, warum muss man es dann in den AEUV aufnehmen? Um dem Art. 125 I AEUV materiell zu derogieren und damit die Unionsrechtswidrigkeit des ESM zu sanieren? Aber was macht man, wenn der ESM doch noch vor dem Art. 136 III AEUV in Kraft tritt? Ist er dann ein paar Wochen oder Monate lang vertragswidrig? Und wenn das alles also nur eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist und keine Unionskompetenzen begründet, was haben dann die Kommission und die EZB im ESM-Vertrag verloren?
„Dass das System aber im Ganzen einer politischen Logik folgt, die für die Bundesrepublik allein schwer zu beherrschen ist, erscheint gleichfalls schwer zu bezweifeln.“
Seien wir doch deutlicher: Die Haftungsobergrenze wird nicht das Papier wert sein, auf dem sie steht, wenn man mit dem derzeit bewilligten Kapital nicht das Auslangen findet. Und die strengen Auflagen werden auch bald bröckeln, spätestens dann, wenn die Madame Non (zugegebenermaßen auch aufgrund der Arroganz der deutschen Außenpolitik) wieder einmal allein als böse, unsolidarische Bremserin dasteht.
„Bei einer Folgenabwägung wird aber auch zu bedenken sein, was ein Ausstieg aus diesem System bedeuten würde und ob dessen Folgen besser zu überschauen sind.“
Griechenland wird seit ca. 2 Jahren „gerettet“, mit immer mehr Geld. Aber dem Patienten geht es noch nicht besser. Man schiebt den großen Knall nur hinaus und wirft dem schlechten Geld gutes nach. Der ESM kauft nur Zeit, eine Lösung bringt er nicht.
„Er formuliert eine absolute Haftungsgrenze, die “unter allen Umständen” gilt. Ob sich eine solche Regelung umgehen lässt, erscheint zweifelhaft.”
Dass sich eine so klare Regelung wie Art. 125 AEUV umgehen lässt, erschien auch zweifelhaft. Und dass man die Insolvenz, in die ein Staat sehenden Auges gelaufen ist, als außergewöhnliches Ereignis, das sich seiner Kontrolle entzieht, betrachten könnte, ebenfalls.
„Schließlich haben andere Vertragsstaaten nicht notwendig dieselben Interessen wie die Bundesrepublik.“
Das ist freundlich ausgedrückt. Der Krug wird so lange zum Brunnen gehen, bis er bricht oder der Brunnen leer ist.
„Schließlich bleibt die Frage, inwieweit es eine verfassungsrechtliche Pflicht geben könnte, die im Vertrag vorgesehene Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Bundestag und der demokratischen Öffentlichkeit zu beschränken.“
Transparenz, nach der ansonsten auch so mancher kleine Abgeordnete schreit, der dem ESM ganz ohne Kladderadatsch zugestimmt hat, diese Transparenz ist halt doch nur ein wohlfeiles Blendwerk, um dem politischen Gegner eins auszuwischen, in den Medien einen guten Stand zu haben und bei der Klientel zu punkten. Es ist grotesk: Die Kommissare müssen jedes Geschenk mit einem Wert von mehr als EUR 150 publizieren, dank dessen weiß ich, dass Oettinger letztens ein paar (hoffentlich verzollte!) Orientteppiche und eine Bronzestatue für lau bekommen hat, aber was mit den ESM-Milliarden passiert, das darf ich nicht wissen.
„In einem gewaltengegliederten System ist es gerade kein verfassungsrechtlicher Idealzustand, wenn jede Entscheidung vom Parlament gefasst wird.“
Wenn ein Gericht Gesetze erlassen darf, dann sollte man das mit der Gewaltenteilung wohl nicht so eng sehen. Durch die Parlamentsbeteiligung wird vielmehr das institutionelle Gleichgewicht wiederhergestellt. Und wenn sich schon die Machtverhältnisse verschieben, dann bitte zu demjenigen Gremium, hinsichtlich dessen Besetzung ich alle 4 Jahre mitbestimmen kann.
„Am 12. September wissen wir mehr.“
Ich glaube nicht, dass das BVerfG den ESM kippt und sich damit das Sündenbockfell für einen etwaigen sofortigen Kollaps des Eurosystems anzieht. Das ist auch durchaus nachvollziehbar menschlich verständlich. Wahrscheinlich werden ein paar kosmetische Änderungen angemahnt und das war’s und dann haben wir sie endlich, die Schuldenunion.
Zitat meines Vorposters :”Ich glaube nicht, dass das BVerfG den ESM kippt und sich damit das Sündenbockfell für einen etwaigen sofortigen Kollaps des Eurosystems anzieht. Das ist auch durchaus nachvollziehbar menschlich verständlich. Wahrscheinlich werden ein paar kosmetische Änderungen angemahnt und das war’s und dann haben wir sie endlich, die Schuldenunion.”
Wie kommen eigentlich viele darauf, dass sofort alles zusammenbricht? Meinen sie nicht, der Bankensektor, Versicherungssektor usw. hat den Fall nicht schon kalkuliert, teils sowieso schon abgeschrieben ?
Viele dieser Herren haben ja auch die Ansicht vertreten, der Euro sei das beste und wussten um die Probleme, wenn man verschieden starke Wirtschaften unter eine Währung stellt. Heute sprechen sie wenigstens vom Geburtsfehler des Euros. Verhindert werden sollte dies durch bestimmte Regelungen, wie Verschuldungsrate usw. . Diese wurden ja aufgeweicht, wer sagt uns, dass das nicht auch durch den ESM passiert? Auch wenn es nur theoretische Beispiele sind, so besteht die Gefahr doch. Wie ist eine der Kernthesen aus dem Buch “Die Physiker”: “Was einmal Gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.” Die NoBailout Klausel, sollte auch verhindern, dass sowas passiert, defacto ist es aber passiert. Auch wenn es ein freiwilliger Akt war, womit das Bundesverfassungsgericht recht hatte, aber wieder keine Verantwortung gezeigt hat, aus meiner Sicht.
Das Bundesverfassungsgericht, muss auch mal Farbe bekennen, so wie es immoment aussieht, besteht die Gefahr, dass der ESM ein Loch ohne Boden wird. Auch das Bundesverfassungsgericht hat eine Verantwortung ggü. zukünftigen Generationen. Aber wie ich es sehe, winkt das Verfassungsgericht den ESM durch den “schmalen Grad der Verfassung” und ist wieder fein raus 😉 Zum Thema Gewaltenteilung kann sich das Gericht ja auch mal damit befassen, ob es richtig ist, dass Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates die Verfassungsrichter wählen und nicht das Volk, für eine echte Gewaltenteilung(Vorraussetzungen für die Eignung zum Richteramt, kann sogar gern die Legislative festlegen).
Das Volk wird langsam politisch reif und braucht keine Bevormundung mehr.
MfG ein besorgter Bürger
Zu klären ist doch eigentlich nur ob das Volk als Souverän unseres Staates eine solche Regelung aus eigenem freiem Willen will oder nicht?
Und das ist doch eigentlich recht einfach zu beantworten!
Wann ist der Mensch „Frei“, wann ist er der Souverän über sich selbst?
1. Wenn er den inneren festen Willen hat letztendlich selber zu entscheiden was er machen und was er lassen will. Und
2. wenn er keine Angst hat mit seiner eigene Entscheidung zu leben und sie auch zu verteidigen. Gegen Alles und Jeden.
Kann einem Menschen also die Souveränität genommen, geschenkt oder verliehen werden? Nein! Die Souveränität hat er von Gott oder auf Grund seiner Natur, denn er hat einen eigen freien Willen!
Wenn eine Gruppen von freien Menschen beschließt zukünftig aus eigenem freien Willen miteinander zum gegenseitigen Nutzen zu leben, dann werden sie sich Regel geben an die sie sich halten wollen. Gesetze die allen bekannt machen, dass hier ein Volk sich einem Staat verfasst hat, also sich eine Verfassung gegeben.
Insofern kann der einzelne Mensch also einen Teil seiner Souveränität in eine andere übertragen, dessen ungeachtet bleibt dieser Teil aber sein eigen und zwar genauso lange wie er es will. Wenn es so ist wird der Mensch, das Volk mit den Folgen seines eigenen Willens gerne leben, ja leben wollen!
Und das sollte doch letztlich der alleinige Maßstab sein nach dem ein Verfassungsgericht zu urteilen hat. Entspricht die Regelung dem freien eigenem Willen des Volkes als Souverän des Staates oder nicht! Und kann er eine solche Regelung auf Grund seines eigen freien Willens jederzeit auch wieder ändern?
Ehrlicher weise kenne ich die Antwort nicht. Warum fragen wir Ihn den dann nicht? Und zwar den Souverän selber und nicht seine Vertreter.