Die CDU will die Leugnung des Existenzrechts Israels unter Strafe stellen. Ich habe, to state the obvious, keinerlei Sympathie mit Menschen, die Israel das Recht zu existieren absprechen. Und ich kann auch jeden verstehen, der Verdruss angesichts der Notwendigkeit empfindet, Gegendemos zu organisieren, auf dass die Leugner nicht unwidersprochen bleiben. Man wünschte, man könnte die Polizei rufen gegen sie. Aber das Grundgesetz schützt bekanntlich innerhalb der Schranken der "allgemeinen Gesetze" die Freiheit, auch die abscheulichste Meinung zu haben und zu äußern. Mittels allgemeiner Gesetze kann der Staat das Geeignete, Erforderliche und Verhältnismäßige tun, um die gefährlichen Auswirkungen von Meinungsäußerungen für bestimmte Rechtsgüter zu regulieren, wozu selbstverständlich auch und insbesondere die Sicherheit von Jüd*innen in Deutschland gehört – schrecklich genug, dass die wieder und immer noch so gefährdet ist. Aber was er nicht tun kann, ist ein "Sondergesetz" erlassen, das direkt das Haben und Äußern einer ganz bestimmten Meinung verbietet. Das ist ihm nach Art. 5 Grundgesetz verboten.
Der hessische Justizminister Roman Poseck, der diese neue Strafnorm auf die Tagesordnung der nächsten Justizministerkonferenz am 10. November gesetzt hat, steht einem Pressebericht zufolge auf dem Standpunkt, die Leugnung des Existenzrechts Israels sei gar keine Meinung, sondern eine falsche Tatsachenbehauptung: Das Völkerrecht garantiere Israels Existenzrecht, und wer das leugnet, behauptet eine falsche Tatsache. Wie er darauf kommt, ist nicht schwer zu erraten: Die Holocaust-Leugnung ist bekanntlich auch strafbar, und das ist in der Tat keine Meinung darüber, wie die Wirklichkeit sein sollte, sondern eine Behauptung, wie die Wirklichkeit bereits beschaffen ist, und zwar eine evident falsche (zur etwas komplizierteren Holocaust-Verharmlosung: hier). Dass sich das nicht auf die Leugnung des Existenzrechts Israels übertragen lässt, liegt auf der Hand. Was rechtlich gilt oder nicht, ist keine Tatsachenfrage, was eigentlich jeder, der eine juristische Ausbildung durchlaufen hat, im Schlaf wissen müsste.
Das Verbot von Sondergesetzen gilt nicht lückenlos, sondern seit einer spektakulären und hoch riskanten Intervention des Bundesverfassungsgerichts 2009 mit einer Ausnahme: Die Meinung, die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft sei zu billigen, zu verherrlichen oder zu rechtfertigen, durfte der Gesetzgeber in der Tat mittels eines Sondergesetzes (§ 130 IV StGB) verbieten, ohne gegen Art. 5 II GG zu verstoßen. Das nationalsozialistische Gewalt- und Willkürregime, so die Begründung, sei nicht irgendein Regime, zu dem man als Bundesdeutsche*r diese oder jene Meinung haben könne, sondern "für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland (von) gegenbildlich identitätsprägende(r) Bedeutung". Das Grundgesetz sei als "Gegenentwurf" zu diesem Regime entstanden und sei "von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen". Sich auf die Seite dieses Regimes zu schlagen, sei daher keine Meinung, deren Gefährlichkeit mittels allgemeiner Gesetze in den Griff zu bekommen ist, sondern als solches "ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potential".
Das, so das Gericht, gilt aber nur für die Verherrlichung des historischen NS-Regimes 1933-45. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus insgesamt müsse die Bundesrepublik ohne Sondergesetze hinbekommen. Das Grundgesetz kenne "kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip", so der Erste Senat in Abgrenzung zum Oberverwaltungsgericht Münster, mit dem er sich damals eine fortdauernde Fehde über die Verbietbarkeit von Nazi-Demonstrationen lieferte. "Das Grundgesetz gewährt Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung vielmehr grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit."
Es hat damals nicht an liberalen Stimmen gefehlt, die diese Ausnahme für gefährlich hielten. Wenn man mit den Ausnahmen mal anfängt, so hieß es, dann hört man so schnell nicht mehr auf damit. Mir hat das nicht eingeleuchtet. Das Verbot der Verherrlichung des NS-Regimes, so schien mir, ist die Ausnahme, die die liberale Regel kraftvoll bestätigt.
Ich bin da nicht mehr so sicher. Könnte man nicht die Leugnung des Existenzrechts Israels genauso als "Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potential" sehen? Warum sollte man dafür nicht eine weitere Ausnahme von der Regel zulassen? Und wenn man das tut, was macht das dann mit der für unsere Demokratie doch so "schlechthin konstitutiven" Regel?
Eine Ausnahme bestätigt die Regel. 25 Ausnahmen bestätigen die Nichtgeltung der Regel. Kann es sein, dass wir uns bereits irgendwo dazwischen befinden?
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