Russisches Eingreifen in Syrien: Eine Frage der Anerkennung
In Syrien geht es immer mehr ans Eingemachte. Die ersten russischen Luftangriffe wurden bereits geflogen, der dortige Krieg ist somit nun auch formell um eine Konfliktpartei reicher. Obendrein richteten sich diese laut den USA nicht gegen den Islamischen Staat, sondern von der CIA ausgebildete Gruppen – der Frieden scheint ferner denn je. Doch zunächst zum Rechtlichen.
Intervention auf Einladung
Völkerrechtliche Grundlage des russischen Vorgehens ist die ausdrückliche Einladung der Regierung Assads. Dadurch handelt es sich grundsätzlich um keinen Verstoß gegen das in Artikel 2(4) UN Charter festgelegte Gewaltverbot, das nur bei militärischen Maßnahmen greift, die gegen den Willen des betroffenen Staates ergehen. Allerdings bestehen rund um diese Rechtsgrundlage zwei zentrale Problemkreise: Zum einen die Frage, ob und inwiefern andere Staaten in einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt überhaupt eingreifen beziehungsweise Partei ergreifen dürfen; diese Frage stellte sich bereits im Zusammenhang mit den Luftangriffen gegen die im Irak gelegenen Stellungen des Islamischen Staats (siehe etwa hier) – in aller Kürze: Militärschläge gegen als terroristische Organisationen eingestufte Konfliktparteien wie die al-Nusra Front oder den Islamischen Staat sind im Rahmen einer Intervention auf Einladung jedenfalls unproblematisch.
Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht?
Allerdings wird die Rechtmäßigkeit einer Intervention auf Einladung in bewaffneten Konflikten von der einem großen Teil der Lehre stark eingeschränkt (siehe dazu insbesondere die dahingehende Resolution des Institut de Droit International aus dem Jahr 1975). Schließlich kann der Waffengang als ultima ratio erforderlich sein, um sich gegen eine Staatsgewalt zu erheben, die ihre Macht nicht durch das Einverständnis des Volks, sondern über die systematische Anwendung von Gewalt und Unterdrückung absichert. Der Erfolg einer derartigen Revolution soll nicht durch ein Eingreifen von außen verhindert werden.
Sofern die von Russland angegriffenen Gruppierungen sich nicht als Terroristen qualifizieren lassen, sondern als legitime Vertreter des syrischen Volks (oder zumindest von einzelnen Volksgruppen), könnte somit eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts vorliegen. Eine detaillierte dahingehende Analyse ist angesichts der fehlenden Bestimmtheit des Selbstbestimmungsrechts und seiner willkürlich bis wenig konsequenten Anwendung allerdings leider nicht möglich. Insbesondere lässt sich die Frage, welche Parteien als „Freiheitskämpfer“ gelten können– abgesehen von der Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte (dazu sogleich mehr) oder den Kurden in Rojava – oftmals nur schwer sagen.
Wer regiert in Syrien?
Das zweite große Problem besteht in der Feststellung, welche Entität als syrische Regierung anzusehen ist und somit die alleinige Befugnis zu einer solchen Autorisierung innehat. Diese Eigenschaft dürfte rein formalrechtlich immer noch der Regierung Assads zuzukommen. Zu bedenken ist freilich, dass diesem von Seiten vieler Staaten vor Längerem (so etwa durch Frankreich im Rahmen der Sicherheitsrats-Sitzung vom 4. Oktober 2011) aufgrund des brutalen Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung die Legitimität abgesprochen wurde. In diesem Lichte ist auch die klar negativ behaftete Charakterisierung als „Regime“ zu verstehen. Obendrein wurde die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte von über 100 Staaten, darunter die USA, die Türkei, Frankreich oder Großbritannien) sowie der EU und der Arabischen Liga in unterschiedlicher Weise als legitime Repräsentanten des syrischen Volks bezeichnet.
Allerdings handelt es sich hier, wie auch zumindest anfangs in Bezug auf Gaddafi (siehe dazu allgemein die hervorragenden Beiträge von Stefan Talmon, zu Libyen im Speziellen etwa hier), in der Regel um eine Form der politischen Anerkennung. Die Koalition gilt daher allgemein nicht als syrische (Exil-)Regierung (eine Ausnahme ist etwa Katar, das durch die Übertragung der syrischen Botschaft und das Akzeptieren der Ernennung eines Vertreters der Koalition als Botschafter diese implizit als Regierung anerkannt haben dürfte). Ebenso wurde die Regierung Assads nicht offiziell und ausdrücklich die Anerkennung entzogen.
Die Frage der Kontrolle
Auch der Verlust weiter Teile des syrischen Staatsgebiets, durch den Assads Truppen faktisch gesehen keine dominante militärische Stellung im Syrienkonflikt einnimmt, ändert nichts an diesem Status; so lange ein gewisser Teil der etablierten Regierung steht, kann sie problemlos weiterhin anerkannt werden. Bei entsprechendem politischem Willen könnte sie theoretisch sogar ohne physische Präsenz vor Ort sogar als Exilregierung weiterhin anerkannt werden.
Mit Hersch Lauterpacht (siehe dazu seinen Klassiker Recognition in International Law aus dem Jahr 1947) kann die Übertragung der Regierungseigenschaft auf eine andere Konfliktpartei sogar völkerrechtswidrig sein. Ihm zufolge besteht in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten grundsätzlich eine Annahme zu Gunsten des status quo. Die vor Ausbruch des Konflikts bestehende Regierung gilt es so lange weiterhin anzuerkennen, bis die gegnerische(n) Konfliktpartei(en) das gesamte Staatsgebiet oder zumindest einen Großteil erobert haben (wobei es freilich schwierig ist, diesen genau festzulegen; als entscheidendes Merkmal kann hierbei die Kontrolle über die Hauptstadt angesehen werden). So lange die bestehende Regierung Widerstand leistet, der nicht klar von Anfang an aussichtslos erscheint oder nur ein äußerst geringes Ausmaß erreicht, wäre die Anerkennung einer anderen Entität als Regierung verfrüht („premature“) und somit ein Verstoß gegen das Interventionsverbot. Wie bereits gesagt, ist es dazu in Syrien – im Gegensatz zu Libyen –allgemein ohnehin (noch) nicht gekommen.
Recht im Wandel
Aus Sicht des klassischen Völkerrechts, das sich insbesondere in der Nicaragua-Entscheidung des IGH aus dem Jahr 1986 findet, dürfen Staaten mit Einverständnis oder auf Bitte der bestehenden Regierung in bewaffneten Konflikten eingreifen. Dies gilt jedoch aufgrund des Selbstbestimmungsrechts nicht in genuinen Freiheitskämpfen gegen unterdrückerische Regime.
Der hochkomplexe Krieg in Syrien lässt sich allerdings nicht eindeutig und klar kategorisieren, vielmehr zeigt er Elemente unterschiedlicher Konflikttypen auf (weswegen die Bezeichnung als Bürgerkrieg aus politologischer Sicht unangebracht erscheint). Russland kann somit zwar im Rahmen des Völkerrechts gegen terroristische Gruppen wie den Islamischen Staat und auch die al-Nusra Front vorgehen. Die rechtliche Grundlage für eine pauschale militärische Unterstützung Assads gegen sämtliche seiner Kontrahenten ist allerdings wesentlich fragiler.