Ägypten: Geht alle Staatsgewalt vom Militär aus?
Vor lauter Ungarn bin ich kaum dazu gekommen, die kein bisschen weniger spannende Verfassungsgebung in Ägypten weiter zu verfolgen. Um so froher bin ich über Analysen wie die des Carnegie-Endowment (via).
Wobei, was heißt hier froh…
Egyptians were not even told who had drafted the declaration; it was presented as a sort of gift by a patriotic military leadership dedicated to protecting Egypt and the principles of the revolution. And when criticism of the closed procedure arose, SCAF (= oberster Militärrat, ms) members expressed frustration and wounded pride that they did not receive the gratitude they thought they deserved.
Mitte März gab es ein Referendum über acht besonders reformbedürftige Passagen der alten Verfassung von 1971. Danach hat es sich das Militär offenbar anders überlegt: Jetzt hat es eine ganz neue Übergangsverfassung verkündet. Die ist aber in vielen Teilen wortgleich mit der alten. Aber nicht in allen, jedenfalls sind viel mehr Stellen jetzt anders formuliert als nur die acht, über die im März abgestimmt wurde.
Mit einem Wort: Die unbeantwortete Frage, wer in Ägypten jetzt eigentlich die pouvoir constituant innehat, das Volk oder das Militär, droht die verfassungsrechtliche Legitimität des Nach-Mubarak-Systems jetzt schon zu vergiften.
Diese Entwicklung überrascht mich wenig, denn sie war zu erwarten. Es mag vielleicht noch kein konservatives Roll-Back gegeben haben, aber dass die Militärmachthaber von Mubaraks Gnaden die obersten Revolutionäre sein würden, war nicht zu erwarten.
Es ist doch bezeichnend, dass es inzwischen keine zivile Übergangsregierung gibt, die den Namen verdient. Dies lässt nichts Gutes für den Herbst erwarten.
Sehr interessant. Vielen Dank für diesen Bericht! Es würde mich sehr freuen, weiterhin über die Verfassungsentwicklungen in den nordarabischen Staaten in diesem Blog informiert zu werden.
“nordarabischen”
Wenn ich kurz klugscheißen darf: Wenn schon, besteht der Maghreb aus den west- bis mittelarabischen Staaten, wohingegen die arabische Halbinsel wohl der südostarabische Raum und “nord(ost)arabisch” noch am ehesten auf Syrien/Libanon/Irak/Jordanien zutrifft.
Entschuldigen Sie. Es muss natürlich nordafrikanisch heißen.
Ich finde die Frage gar nicht so unbeantwortet. Das Militär hat doch schon durch die frühe Anklage der alten Riege und die Verurteilung von Kritikern deutlich klargemacht, wer ab sofort die Antworten gibt.
Mit viel Glück wird es eine unendliche Geschichte wie in der Türkei*, mit weniger noch nicht mal das.
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*wobei ich Strukturen und nicht Inhalte vergleiche