Auch Führerscheintouristen haben ein Recht auf den gesetzlichen (Europa-)Richter
Das Bundesverfassungsgericht ist mal wieder einem OLG in die Hacken gestiegen, das sich seiner Pflicht entziehen wollte, einen Fall dem EuGH vorzulegen.
Diesmal handelte es sich um das OLG Nürnberg. In dem Fall war ein Mann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er wiederholt ohne Führerschein gefahren war. Wobei er einen tschechischen Führerschein besaß. Den erkannten die Nürnberger Gerichte aber nicht an, weil eine Sperre für den Erwerb eines Führerscheins gegen ihn verhängt worden war. Die war zwar abgelaufen, aber zum Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins noch eingetragen. Und solange sie eingetragen ist, könne sich der Mann seinen tschechischen Führerschein an den Hut stecken.
So sehr man die Anstrengungen der bayerischen Justiz, den Straßenverkehr vor besoffenen Führerscheintouristen zu schützen, würdigen muss – dass die Position, auf die Tilgungs- und nicht auf die Sperrfrist abzustellen, in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den europäischen Grundfreiheiten und der 3. Führerscheinrichtlinie steht, hätte dem OLG schon auffallen können. Stattdessen stützte es sich auf einen Beschluss des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der diese Auslegung für europarechtlich total okay befunden hatte.
Beide müssen sich jetzt vom der 2. Kammer des Zweiten Senats auf das Schärfste belehren lassen: Die Kammer dekliniert den bayerischen Gerichten schonungslos vor, dass seine Schlussfolgerungen europarechtlich nicht nur zweifelhaft, sondern unvertretbar sind. Fast könnte man den Eindruck bekommen, als seien hier Teile der Verwaltungs- und Strafjustiz bei dem Versuch ertappt worden, das Führerscheinwesen von verkehrs- und rechtspolitisch unerwünschten Auswirkungen des Europarechts dadurch freizuhalten, dass man einfach dafür sorgt, dass die Konstellation gar nicht erst zum EuGH gelangt.
Dass das BVerfG dem jetzt mittels des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter vorbeugt, ist ein schöner Beleg für das Funktionieren des europäischen Verfassungsgerichtsverbunds. Wenn es sich jetzt noch dazu entschließen könnte, die Kriterien für Grundrechtsverletzungen durch verweigerter Vorlage ein bisschen schärfer zu konturieren, dann wäre ich restlos glücklich.
Der Beschluss ist auch deshalb interessant, weil er den Befund bestätigt und vertieft, dass es innerhalb der Senate des BVerfG anscheinend einen Dissens über den Prüfungsmaßstab im Rahmen des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter gibt: Der Erste Senat stellt (m.E. zu Recht) auf die Frage ab, ob die prozessuale Vorlagepflicht des Art. 267 AEUV unvertretbar gehandhabt wurde. Der Zweite Senat untersucht hingegen, ob die materiell streitentscheidende Norm des Unionsrechts unvertretbar ausgelegt wurde. Diesen Unterschied unterstreicht hier Abs.-Nr. 14, wo ausdrücklich auf die “Rechtsprechung des Zweiten Senats” verwiesen wird.