Rätsel des Fiskalpakts
Die Bundesregierung vertritt zwei Ansichten zum Fiskalpakt. Mir scheint, dass sie sich widerspechen: Zum einen bedürfe dieser der Zustimmung einer verfassungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit. Zum anderen gelte dieser auf ewig und sei unkündbar. Einmal offen lassend, ob letzteres stimmt (es erscheint zweifelhaft und wir reden auch sonst bei völkerrechtlichen Verträgen nicht von “Ewigkeit”), es könnte doch nur richtig sein, wenn ersteres falsch wäre. Denn das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit kann sich, soweit ich sehe, nur aus Art. 23 Abs. 1 S. 3, 2. Alt. GG ergeben. Um dessen Anwendbarkeit zu rechtfertigen, müssen wir das zwischen Völkerrecht und Europarecht stehende Gebilde des Fiskalpaktes auf der Seite des Europarechts einordnen. Dafür sprechen gute Gründe. In diesem Fall können wir aber umgekehrt nicht einfach rein völkerrechtliche Austrittsregelungen auf den Fiskalpakt anwenden. Für den Austritt aus dem Pakt gelten dann vielmehr die Bedingungen, unter denen wir aus der EU austreten können, zumindest aber können wir ihn verlassen, indem wir austräten: Art. 50 Abs. 1 EU gibt der Bundesrepublik dazu das materiell unbeschränkte Recht.
Ja, so sehe ich das auch.
Die von der Regierung angenommene Erforderlichkeit einer Zwei-Drittel-Mehrheit kann nur aus Art. 23 GG folgen und dessen Anwendbarkeit erfordert die Zuordnung des Fiskalpakts zum Recht der Europäischen Union. Dann aber haben deren Grundsätze auch im Übrigen zu gelten und schließt dies die rechtliche Option eines Austritt ein.
Das politische Streben nach größtmöglicher Verbindlichkeit des Pakts stößt hier an seine Grenzen.
1. Daraus folgt dann aber nicht die Möglichkeit eines isolierten Austritts. Denn die Zuordnung zur Europäischen Union spricht ja gerade gegen eine Teilbarkeit der beiden Bereiche
2. Und die Vorstellung, dass man aus der EU austreten könne, als würde man ein Zeitungsabo kündigen, ist ja ohnehin absurd. Sollte jemals ein Mitgliedstaat aus der EU austreten, müssten umfangreiche Vereinbarungen zur Abwicklung getroffen werden. Dass bei der Größe der Verhandlungsmasse ausgerechnet ein Austritt aus dem Fiskalpakt am Kündigungsrecht scheitern würde: eher unwahrscheinlich.
3. Und zum Ausgangspunkt: Ob nicht auch aus Art. 59 II GG eine Zweidrittelmehrheit folgt? Hätte doch eine gewisse Plausibilität…
4. All das ändert freilich nichts daran, dass die plötzliche Überraschung darüber, dass man völkerrechtliche Verträge nicht einseitig aufkündigen kann, überaus verwunderlich ist. Ich sehe ja ein, dass völkerrechtliche Verpflichtungen in einer gewissen Spannung zur Abänderlichkeit demokratischer Entscheidungen stehen. Aber fällt das Degenhart, Murswiek und dem Dritten (wie hieß der?)erst jetzt auffällt, ist doch überraschend. Und wenn das BVerfG den Fiskalpakt daran scheitern lässt, dass die Abänderlichkeit demokratischer Entscheidungen nicht mehr gewährleistet wird, und diese Erwägung ausgerechnet auf die zuvor selbst aufgeblasene Ewigkeitsklausel stützt – dann müsste ich weinen vor Glück.