Karlsruhe hilft erneut psychisch kranken Straftätern
Der Maßregelvollzug hört nicht auf, dem Bundesverfassungsgericht Anlass zum Einschreiten zu geben. Nach dem epochalen, vom EGMR maßgeblich angeschobenen Urteil zur Sicherungsverwahrung hat der Zweite Senat jetzt ein weiteres, ziemlich vereitertes Furunkel am Leib der deutschen Strafrechtspflege aufgestochen.
Es geht im heutigen Beschluss um die Konstellation, dass ein psychisch Kranker zuerst zu allerhand Freiheitsstrafen verurteilt und dann vor deren Verbüßung wegen einer anderen Tat in die forensische Psychiatrie eingewiesen wird.
In dieser Situation sieht die Strafprozessordnung vor, dass der Gefangene nach dem Maßregelvollzug seine Gefängnisstrafe antreten muss. Eine Anrechnung gibt es in diesem Fall nicht. Die wollte die Bundesregierung zwar in den 80er Jahren einführen, aber dank der Weisheit der bayerischen Rechtspolitik konnte dies über den Bundesrat verhindert werden.
Das heißt: Nicht nur werden die Betroffenen so womöglich für einen Zeitraum ihrer Freiheit beraubt, der in keinerlei Verhältnis mehr zu ihrer Schuld steht. Obendrein müssen sie genau dann, wenn ihre Therapie womöglich endlich Erfolg hatte und sie entlassen werden könnten, zu allererst in den Bau – eine Umgebung, deren Auswirkungen auf die seelische Gesundheit man sich ausmalen kann. So wird obendrein dafür gesorgt, dass die ganzen langen Jahre in der Psychiatrie am Ende auch noch für die Katz waren. Wahrhaftig ein Ergebnis, zu dem man der deutschen Strafrechtspflege gratulieren kann.
Das, so der Senat jetzt, verletzt das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 II GG des Betroffenen: In Härtefällen jedenfalls muss es eine Anrechnung geben können.
Dieses Urteil mitsamt den darin behandelten Grundrechtsverletzungen wäre schon insofern vermeidbar gewesen, als schon 1994 der Zweite Senat die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen beantwortet hatte. Damals ging es um eine ganz ähnliche Konstellation, und dem damaligen Ratschluss des Senats zufolge
müssen die Regelungen darauf Bedacht nehmen, daß bei der jeweils vorgesehenen Art der Kumulierung die Freiheitsentziehung insgesamt nicht übermäßig wird und Anrechnungsausschlüsse nicht ohne Beziehung zu Grund und Ziel der Unterbringungsmaßregel erfolgen.
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