Totgesagte leben länger
Warum die Thüringer Minister noch immer geschäftsführend im Amt sind
Das Staatsorganisationsrecht der Länder führt in der Regel ein Schattendasein und steht nur selten im Rampenlicht der öffentlichen Wahrnehmung. Ausnahmen bilden unter anderem Landtagswahlen mit unklaren Mehrheitsverhältnissen und dementsprechend komplizierter Regierungsbildung. Sowohl vor der Thüringer Landtagswahl 2014 als auch vor der Wahl im vergangenen Jahr haben die absehbar prekären Mehrheitsverhältnisse und die hieraus folgenden juristische Fallstricke die Praxis und Staatsrechtswissenschaft beschäftigt. Auch die unerwartete Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen wirft nicht nur politische, sondern auch (staats-)rechtliche Folgefragen auf. Eine davon betrifft das Schicksal der Minister des bisherigen rot-rot-grünen Kabinetts. Den Medien ließ sich einen Tag nach Kemmerichs Wahl weitgehend unisono die Meldung entnehmen, die bisherigen Minister seien mit der Neuwahl des neuen Ministerpräsidenten nicht weiter geschäftsführend im Amt. Bei genauerer Betrachtung ist diese Folge allerdings keinesfalls selbstverständlich.
Die geschäftsführende Landesregierung
Die Thüringer Verfassung (ThürV) regelt das Schicksal der Mitglieder ihrer Staatsregierung in Art. 75 Abs. 2: „Das Amt der Mitglieder der Landesregierung endet mit dem Zusammentritt eines neuen Landtags, dem Rücktritt der Landesregierung oder nachdem der Landtag einen Vertrauensantrag des Ministerpräsidenten abgelehnt hat. Das Amt eines Ministers endet auch mit dem Rücktritt oder jeder anderen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten.“ Wie auch das Grundgesetz (Art. 69 Abs. 3 GG) und im Wesentlichen die übrigen Landesverfassungen sieht aber die Thüringer Verfassung eine Fortführung der Geschäfte durch den bisherigen Ministerpräsidenten und gegebenenfalls die bisherigen Minister vor. Der insofern einschlägige Art. 75 Abs. 3 ThürV bestimmt: „Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen.“
Das Institut der geschäftsführenden Regierung soll eine regierungslose Zeit im Interregnum zwischen Beendigung der früheren und Amtsantritt der neuen Regierung verhindern. Es liegt dabei unweigerlich in einem Spannungsfeld zum sogenannten Periodizitätsgrundsatz: Denn grundsätzlich kann die Wahl des Ministerpräsidenten durch den Landtag nur so lange als Legitimationsgrundlage für die Regierung dienen, bis die Legislaturperiode endet. Die Bedeutung der Funktionsfähigkeit der Regierung rechtfertigt es aber dennoch, dass die bisherige Regierung geschäftsführend im Amt bleibt.
Chronologie der Ereignisse in Erfurt
Diesen Pfad schlug auch die Regierung Ramelow ein: Nach der Thüringer Landtagswahl vom 27.10.2019 trat der Landtag am 26.11.2019 erstmals zusammen, so dass gemäß Art. 75 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 ThürV die Amtszeit der Regierung endete. Am gleichen Tag ersuchte Ramelow seine Ministerinnen und Minister, ihre Amtsgeschäfte „bis zum Beginn des Amtsverhältnisses ihrer Nachfolger fortzuführen“. Diese Fortführung scheint nach dem Verständnis der meisten Beteiligten mit der überraschenden Wahl von Thomas Kemmerich ein Ende gefunden zu haben. Nach Aussage eines Sprechers der FDP-Fraktion habe es demnach „ein Schreiben von Herrn Kemmerich an die Staatssekretäre [gegeben], die Geschäfte bis auf Weiteres weiter zu führen“.
Auch die Minister räumen bereits ihre Büros und die Ministerien gehen dazu über, die bisherigen Ressortchefs von ihren Webauftritten zu entfernen. Telefonische Rückfragen bei mehreren Landesministerien ergaben, dass wohl eine förmliche Entlassung oder ein Widerruf des Geschäftsführungsersuchens von Ramelow nicht erfolgt sei, man aber trotzdem von einer Beendigung der Geschäftsführung ausgehe.
Totgesagte leben länger…
Dabei ist dieser Schluss keinesfalls zwingend. Im Gegenteil legt der Normbefund eher ein anderes Ergebnis nahe: Art. 75 Abs. 3 ThürV spricht nämlich explizit von einer Fortführung der Amtsgeschäfte „bis zum Amtsantritt“ der Nachfolger der Regierungsmitglieder und nicht etwa nur bis zur Neuwahl eines Ministerpräsidenten. Auch Art. 75 Abs. 2 Satz 2 ThürV lässt sich nur scheinbar für eine automatische Beendigung der geschäftsführenden Tätigkeit fruchtbar machen: Zwar endet hiernach das Amt eines Ministers bei „jeder anderen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten“. Alle der in Art. 75 Abs. 2 Satz 1 und 2 ThürV genannten Varianten betreffen aber ausweislich des Wortlauts und der systematischen Stellung neben Abs. 3 nur die Beendigung der „regulären“ Amtszeit der Minister, die aber ohnehin bereits mit Zusammentritt des Landtages am 26.11.2019 endete. Über die Beendigung der Geschäftsführung trifft Art. 75 Abs. 2 ThürV hingegen keine Aussage. Insofern bleibt es allein bei der Regelung des Abs. 3, wonach die Geschäftsführung grundsätzlich erst mit Amtsantritt ihrer Nachfolger endet.
Allenfalls könnte also eine analoge Anwendung des Art. 75 Abs. 2 ThürV auf die geschäftsführenden Minister zur automatischen Erledigung ihrer Stellung mit Wahl eines neuen Ministerpräsidenten führen. Dafür ließe sich vordergründig der in Art. 75 Abs. 2 ThürV angelegte Akzessorietätsgrundsatz ins Feld führen, nach dem die Amtszeit der Minister grundsätzlich an diejenige des Ministerpräsidenten gekoppelt ist. In der Tat stellt dieses sowohl im Grundgesetz als auch in den meisten Landesverfassungen niedergelegte Prinzip eine bewusste Abkehr von der Einzelverantwortlichkeit jedes einzelnen Ministers gegenüber dem Parlament dar, wie sie noch in der Weimarer Republik anzutreffen war (vgl. Art. 54 der Weimarer Reichsverfassung).
Eine solche Betrachtung verkennt aber zwei Dinge: Zum einen begrenzt Art. 75 Abs. 2 ThürV die Verquickung der Amtszeit der Minister mit derjenigen des Ministerpräsidenten auf die „ordentliche“ Amtszeit. Vor allem aber stünde eine solche Ausdehnung des Akzessorietätsgrundsatzes auf die geschäftsführende Regierung im Widerspruch zu deren maßgeblichem Zweck, die Handlungsfähigkeit der Regierung kontinuierlich abzusichern. Weil nämlich als geschäftsführende Minister nur die bisherigen Amtsinhaber in Betracht kommen (sogenannter Versteinerungsgrundsatz), bestünde andernfalls keine Möglichkeit, zwischen Wahl eines neuen Ministerpräsidenten und Amtsantritt der neuen Ministerriege geschäftsführende Minister zu bestellen.
Zur Parallelregelung des Art. 69 Abs. 3 GG führt Wolf-Rüdiger Schenke dementsprechend im Bonner Kommentar aus: „Die Beendigung des Amtes des geschäftsführenden Bundeskanzlers führt allein noch nicht zur Beendigung des Amtes des geschäftsführenden Bundesministers. […] [Der] Akzessorietätsgrundsatz findet auf die geschäftsführende Bundesregierung keine Anwendung“ (Rn. 81 der Kommentierung). Im Übrigen lässt sich der Kommentarliteratur zur Thüringer Verfassung für diesen speziellen Sonderfall soweit ersichtlich – entgegen teilweise anderslautender Interpretation in der Presse – keine Aussage entnehmen.
Folgerichtige, wenn auch pikante Konsequenz: Neben dem gewählten Ministerpräsidenten Kemmerich sind die rot-rot-grünen Minister der Regierung Ramelow weiterhin geschäftsführend im Amt.
Auswege aus der Bredouille
Muss Ministerpräsident Kemmerich also bis auf Weiteres mit einem rot-rot-grünen Kabinett leben? Dem kann er auf zwei Arten entgehen. Eine Option wäre es, gemäß Art. 70 Abs. 4 Satz 1 ThürV neue Minister ins Amt zu befördern und damit den „Amtsantritt der Nachfolger“ gemäß Art. 75 Abs. 3 ThürV herbeizuführen. Aber auch Art. 75 Abs. 3 ThürV selbst bietet einen Ausweg: Hiernach ist die Fortführung der Ministerämter nämlich von einem entsprechenden „Ersuchen“ des Ministerpräsidenten abhängig. Zwar ist das Geschäftsführungsersuchen selbst ein einmaliger Akt zu Beginn der geschäftsführenden Tätigkeit. In der Formulierung des Abs. 3 kommt aber zum Ausdruck, dass der Ministerpräsident nicht „auf Gedeih und Verderb“ an seine Minister gekettet ist, sondern sich – wie auch während der „regulären“ Amtszeit – einzelner Minister entledigen kann.
Aus diesem Grund kommt neben der Ernennung neuer Minister auch ein Widerruf des seinerzeit von Bodo Ramelow ausgesprochenen Ersuchens in Betracht. Damit könnte Kemmerich seinen ursprünglichen Wunsch Realität werden lassen, die Leitung der Ministerien den jeweiligen Staatssekretären zu überantworten. Ein gesondertes Ersuchen an die Staatssekretäre, wie offenbar zwischenzeitlich von Kemmerich formuliert, bedarf es dafür nicht: Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 des Thüringer Beamtengesetzes (ThürBG) könnte er die Staatssekretäre zwar in den einstweiligen Ruhestand versetzen, ein automatisches Ausscheiden mit Wahl eines neuen Ministerpräsidenten sieht das ThürBG aber gerade nicht vor.
Ausblick
Thomas Kemmerich hat schon am Tag nach seiner Wahl die Rolle rückwärts vollzogen, seinen Rücktritt angekündigt und Neuwahlen in Aussicht gestellt. Außerdem hat der frisch gebackene Ministerpräsident erklärt, seine FDP-Fraktion habe „beschlossen, die Auflösung des Thüringer Landtages zu beantragen“. Schon für diesen Antrag wird er sich aber Verbündete außerhalb seiner Fraktion suchen müssen. Denn gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ThürV erfordert ein solches Begehren die Unterstützung eines Drittels der Mitglieder des Landtages. Dem entspricht nunmehr auch eine aktuelle Presseerklärung der Landes-FDP. Allerdings ist inzwischen, insbesondere nach den abschlägigen Äußerungen aus der Landes-CDU, mehr als fraglich, ob die für die Selbstauflösung des Landtags erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit überhaupt zustande kommen wird. Andernfalls will Kemmerich nach eigenem Bekunden Neuwahlen über die in Art 74 ThürV verankerte und in Art. 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ThürV erwähnte Vertrauensfrage erwirken.
In der CDU scheinen sich hingegeben inzwischen die Stimmen zu mehren, die Neuwahlen verhindern und Bodo Ramelow doch noch ins Amt verhelfen wollen. Hierfür gäbe es drei Szenarien: Den Rücktritt Kemmerichs bzw. eine erfolglose Vertrauensfrage (Art. 74, 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ThürV) des aktuellen Regierungschefs mit anschließender Wahl Ramelows oder ein konstruktives Misstrauensvotum (Art. 73 ThürV). Allerdings: Zumindest beim konstruktiven Misstrauensvotum ist eine absolute Mehrheit erforderlich. Hier müssten also CDU-Abgeordnete aktiv für Ramelow stimmen, um ihm ins Amt zu verhelfen. Für die Neuwahl des Regierungschefs nach erfolgloser Vertrauensfrage und Rücktritt enthält die Verfassung keine expliziten Regelungen zum Wahlgang. Jedenfalls nach einem Rücktritt Kemmerichs dürfte die allgemeine Regelung in Art. 70 Abs. 3 ThürV zum Tragen kommen. Damit könnte Ramelow in einem dritten Wahlgang mit relativer Mehrheit gewählt werden (Art. 70 Abs. 3 Satz 3 ThürV). Unwägbarkeiten gibt es hingegen nach erfolgloser Vertrauensfrage: Matthias Friehe argumentiert hier mit dem Ziel stabiler Mehrheitsverhältnisse und hält auch insofern, wie beim konstruktiven Misstrauensvotum, eine absolute Mehrheit für erforderlich. Das hat einiges für sich. Denn andernfalls bliebe die grundsätzlich vorgesehene „Auflösungsautomatik“ nach der Vertrauensfrage praktisch ohne Anwendungsbereich: Eine relative Mehrheit für irgendeinen Kandidaten dürfte nämlich auch nach erfolgloser Vertrauensfrage letztlich immer zustande kommen.
Festzuhalten bleibt also: Nur wenn Kemmerich freiwillig zurücktritt, kann die CDU Ramelow mit bloßen Enthaltungen den Weg zurück in die Staatskanzlei ebnen.
Sollte es anders kommen und Ramelow nicht durch den aktuellen Landtag wiedergewählt werden, dürfte Kemmerich sein Amt im Übrigen noch eine Weile erhalten bleiben. Denn auch für ihn greift nach einem Rücktritt oder anderweitiger Beendigung des Amtes die in Art. 75 Abs. 3 ThürV vorgesehene Verpflichtung, bis zur Wahl eines Nachfolgers geschäftsführend im Amt zu bleiben. Bis zur Neuwahl könnten nach Auflösung oder erfolgloser Vertrauensfrage gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 3 ThürV immerhin noch bis zu 70 Tage vergehen. Zu allem Überfluss könnte sich auch ein allzu schneller Rücktritt als Bumerang erweisen: Die Vertrauensfrage kann Kemmerich nämlich nach verbreiteter Meinung als bloß geschäftsführender Ministerpräsident nicht mehr stellen. Auch die Ernennung neuer Minister wäre ihm dann im Umkehrschluss zu Art. 75 Abs. 3 ThürV verbaut.
Nicht ohne Ironie ist zuletzt die Konstellation um das Budget einer möglicherweise fortdauernden Regierung Kemmerich: Denn noch 2019 hatte die damalige rot-rot-grüne Landtagsmehrheit – wohl in Vorahnung einer möglicherweise drohenden Minderheitsregierung – vor der Wahl einen Haushalt beschlossen, der auch über die Legislaturperiode des 7. Thüringer Landtags hinaus Geltung beansprucht. Das Vorgehen war seinerzeit verfassungsrechtlich hoch umstritten und wurde auch von den damaligen Oppositionsparteien heftig attackiert. Ob Kemmerich nun unter umgekehrten Vorzeichen diese Mittel dankbar annehmen wird, bleibt abzuwarten.
„Lieber nicht regieren…“
Noch im November 2017 hat Christian Lindner sein inzwischen berühmtes Bonmot „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren“ geprägt. Die unerwartete Wahl des FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen hat sowohl politisch wie auch verfassungsrechtlich viele offene Fragen hinterlassen. Nicht nur in der FDP dürfte sich inzwischen mancher wünschen, dass Kemmerich sich die Maxime seines Parteivorsitzenden frühzeitig zu Herzen genommen hätte. Ob es ihm ein Trost ist, dass er als Ministerpräsident nach wie vor auf die Unterstützung einer Riege von rot-rot-grünen geschäftsführenden Ministern zurückgreifen kann, darf in jedem Fall bezweifelt werden.
Update 11. Februar 2020:
Inzwischen hat Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten des Kabinetts Ramelow, unter anderem in Reaktion auf unseren Beitrag den genauen Wortlaut des Schreibens veröffentlicht, das Thomas Kemmerich nach seinem Amtsantritt an die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre verteilen ließ. Darin heißt es unter anderem: „Mit der Wahl zum Ministerpräsidenten endet die Zeit der geschäftsführenden Landesregierung. Die Ministerinnen und Minister sind damit nicht länger geschäftsführend im Amt. Ihr Amtsverhältnis als Staatssekretärin bleibt davon bis auf weiteres unberührt.“
Damit geht das Schreiben ebenfalls von der Prämisse aus, die Geschäftsführung durch die Landesminister des Kabinetts Ramelow habe automatisch mit der Wahl Kemmerichs geendet. Im Gegenteil streiten aber – wie im Beitrag ausgeführt – Wortlaut sowie Sinn und Zweck von Art. 75 Abs. 2, 3 ThürV dafür, dass die Minister ungeachtet der Wahl von Thomas Kemmerich weiter geschäftsführend im Amt sind.
Eine Entlassung der geschäftsführenden Minister könnte nur „durch den Widerruf des Ersuchens um die Weiterführung der Geschäfte“ erfolgen, wie Wolf-Rüdiger Schenke in Rn. 82 seiner oben zitierten Kommentierung zur Parallelvorschrift im Grundgesetz ausführt. Dem genügt das Schreiben Kemmerichs nicht. Zum einen ist es nicht ausreichend, dass man ihm den fehlenden Willen zur weiteren Zusammenarbeit mit den rot-rot-grünen Ministern nur „zwischen den Zeilen“ entnehmen kann. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit kommt eine Umdeutung der „Feststellung“ des von Kemmerich angenommenen angeblichen Amtszeitendes in einen (aktiven) Widerruf nicht in Betracht. Vor allem aber hätte der Widerruf gegenüber den Ministern erklärt werden müssen und nicht gegenüber den Staatssekretären.
Aus diesen Gründen sind Hoff und seine Kabinettskollegen auch unter Zugrundelegung des oben zitierten Schreibens weiterhin geschäftsführend im Amt.
Interessant. In Ihren Überlegungen fehlt m.E. jedoch ein Punkt: Der frühere Ministerpräsident hat seine Minister um geschäftsführende Fortführung ihrer Ämter gebeten, der aktuelle jedoch nicht. Daraus wird nun eben allgemein geschlussfolgert, dass mit der Verteidigung des neuen Regierungschefs auch die bisherigen Minister nicht mehr im Amt sind. Was meinen Sie dazu?
Ergibt sich doch aber nicht aus der Norm. Die geschäftsführenden Minister bleiben bis zur Ernennung ihrer Nachfolger im Amt. Das Ersuchen des ex MP wird ja nicht durch die Ernennung des neuen MP verdrängt, sondern mit Ernennung der neuen Minister.
Die Auflösungsautomatik nach verlorener Vertrauensfrage hat doch auf jeden Fall einen Anwendungsbereich, wenn der Landtag einfach keine neue Wahl vornimmt. Selbst wenn man eine Verpflichtung dazu innerhalb der kurzen Zeit postuliert, kann es ja ohne Weiteres sein, dass es keine Kandidaten gibt bzw. niemand die Wahl annimmt, abgesehn von einem Patt.
Entgegen der Auffassung der Autoren kann der Ministerpräsident die Staatssekretäre nicht ohne weiteres in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 ThürBG kann er dies nur “mit Zustimmung der Landesregierung”. Diese besteht aber nicht allein aus dem Ministerpräsidenten, wie Herr Kemmerich gestern meinte, sondern nach Art. 75 Abs. 2 Satz 1 ThürVerf “aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern”. Eine Landesregierung gibt es also nur, wenn zumindest zwei der “alten” Minister des Kabinetts Ramelow noch geschäftsführend im Amt sind. Vertritt man die Auffassung, der neue Ministerpräsident habe das an die Minister gerichtete Ersuchen des alten Ministerpräsidenten, die Geschäfte weiterzuführen, wirksam widerrufen, gibt es derzeit keine Landesregierung, die Beschlüsse fassen könnte. Das gilt übrigens nicht nur für Personalentscheidungen. Die Annahme, die Landesverfassung habe einen regierungslosen Zustand ermöglichen wollen, fällt jedoch schwer. Es spricht deshalb alles dafür, dass Herr Kemmerich mit den “alten” Ministern wird regieren müssen, solange er keine neuen Minister ernennen will oder kann.
Spannend finde ich vor allem die Frage, ob die Verpflichtung der Minister nach 75 III ThürV durch die Ablehnung, also das “rauswerfen”, erlischt? ‘Müsste nicht die staatsmännische Aufgabe aus der ThürV im Fall der Krise, ein dauerhafte Pflicht zulassen, so dass ich Kemmerich Umentscheiden könnte?
Welche Rechte hat der geschäftsführende Minister? Kann er neue Minister ernennen?
Der Auffassung der Autoren, dass die früheren Regierungsmitglieder des Kabinetts Ramelow weiter geschäftsführend im Amt sind, kann nicht beigetreten werden. In Art. 75 Abs. 2 Satz 2 LV kommt der Grundsatz zum Ausdruck, dass das Amt der Minister/innen an das Amt des / der Ministerpräsident/in gekoppelt ist. Es ist nicht ersichtlich, dass davon für die geschäftsführende LaReg abgewichen werden sollte, zumal hierfür auch kein Bedürfnis besteht: Vielmehr wird von der Verfassung vorausgesetzt und erwartet, dass ein/e neue Ministerpräsident/in ein Kabinett bildet; das wäre auch Herrn Kemmerich möglich gewesen.
4 Phasen:
A Ramelow als MP
B Ramelow geschäftsführend
C Kemmerich als MP
D Kemmerich geschäftsführend
Wir sind in Phase D.
Die Minister waren in Phase A im Amt.Das erledigte sich nach Art 75(2) durch Übergang zu Phase B.
In Phase B ersuchte Ramelow nach 75(3). Die Minister waren gf im Amt. Erneute Erledigung nach 75(2) durch Wahl Kemmerichs.
In Phase C hat Kemmerich meines Wissens die StS ersucht, nicht die Minister. Diese sind nun draußen. Der Übergang zu Phase D ändert daran nichts mehr.
Der entscheidende Punkt ist die erneute Erledigung gemäß Artikel 75(2) zwischen Phasen B und C. Es bedarf daher eines erneuten Gesuches. Dieses ist nicht.
Die Frage ist halt (abgesehn von der entgegenstehenden Regelung in Absatz 3), ob sich was erledigen kann, was bereits erledigt ist. Hessen hat zwar keine analoge Regelung, aber hätte sich etwa das Amt Kochs nach der Neuwahl 2009 erneut erledigt? Oder das Kemmerichs, falls es zu einer Neuwahl kommt?
Für mich ist Artikel 75 (2) entscheidend!
Hier steht:
„Artikel 75 (2) Das Amt der Mitglieder der Landesregierung endet mit dem Zusammentritt eines neuen Landtags, dem Rücktritt der Landesregierung oder nachdem der Landtag einen Vertrauensantrag des Ministerpräsidenten abgelehnt hat. Das Amt eines Ministers endet auch mit dem Rücktritt oder jeder anderen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten.“
Der neue Landtag ist zusammengetreten und damit waren alle Mitglieder der alten Landesregierung und somit auch deren Minister nicht mehr im Amt!
Das ist ja nicht strittig. Ramelow war aber qua Verfassung und die Minister auf sein Ersuchen hin verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt der jeweiligen Nachfolger fortzuführen.
Was ist mit Artikel 71(1), man kann das so lesen, dass der Ministerpräsident nur zusammen mit den Ministern das Amt übernehmen kann. Dann löst sich der Konflikt mit den geschäftsführenden Ministern aus 75(2) und 75(3) von selbst.
Was den 3. Wahlgang betrifft, wo steht, dass auf den Wahlzetteln Ja/Nein stehen muss. Analog zu den Wahlzetteln mit mehr als einem Kandidaten, kann der Kandidat und Enthaltung draufstehen.
Die Thüringer Minister sind nicht mehr geschäftsführend im Amt. Denn Art. 75 Abs. 3 ThürV koppelt ihre geschäftsführende Tätigkeit an ein “Ersuchen” eines – ebenfalls geschäftsführend amtierenden – Ministerpräsidenten. An einem solchen Ersuchen seitens des derzeit geschäftsführenden Ministerpräsidenten Kemmerich fehlt es jedoch. An dieser Stelle zeigen sich Unterschiede zwischen den Landesverfassungen und auch im Verhältnis zum Grundgesetz: Wie in Brandenburg (Art. 85 Abs. 2 BbgVerf), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 50 Abs. 4 MecklVerf) oder Sachsen-Anhalt (Art. 71 Abs. 2 SAVerf) hängt es in Thüringen vom Willen des jeweils amtierenden Ministerpräsidenten ab, ob ein Minister nach Art. 75 Abs. 3 ThürV geschäftsführend tätig wird. Demgegenüber besteht die Verpflichtung der Mitglieder der Landesregierung zur Geschäftsfortführung nach anderen Landesverfassungen auch ohne Ersuchen des Ministerpräsidenten (vgl. etwa Art. 55 Abs. 3 BWVerf, Art. 68 Abs. 3 SächsVerf). Art. 69 Abs. 3 GG, auf das in diesem Beitrag Bezug genommen wird, unterscheidet sich von Art. 70 Abs. 3 ThürV insofern, als dort alternativ zum Ersuchen des Regierungschefs auch ein Ersuchen des Bundespräsidenten in Betracht kommt. Die Verbindung zwischen dem Amt des geschäftsführenden Ministers und demjenigen des geschäftsführenden Ministerpräsidenten ist im Grundgesetz demnach lockerer als in der Thüringer Verfassung. Kommentierungen zu Art. 69 Abs. 3 GG lassen sich also nicht ohne weiteres auf die Thüringer Rechtslage übertragen. Das den Staatssekretären verteilte Schreiben ist m.E. damit korrekt.
Dem Kommentar von Frau Leisner-Egensperger kann ich nur beipflichten. Aus dem Ersuchen i. S. v. Art. 75 Abs. 3 ThürVerf entsteht eine Ersuchensbeziehung zwischen dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten und dem geschäftsführenden Minister (vgl. Schemmel, NVwZ 2018, 105 [109, Fn. 72]). Dies ist die Einbruchstelle für den Akzessorietätsgrundsatz, so dass durch die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten die geschäftsführenden Minister nach Maßgabe von Art. 75 Abs. 2 S. 2 ThürVerf ohne Weiteres aus ihrem Amt ausscheiden. Sie sind damit ipso iure nicht mehr im Amt. Ansonsten käme es zu der von den Autoren beschriebenen absurden Situation, dass die bisherigen Minister (der R2G-Koalition) wegen des Grundsatzes der Handlungsfähigkeit der Regierung an den neuen Ministerpräsidenten (der FDP) „auf Gedeih und Verderb“ gekettet wären. Im Allgemeinen sowie im Besonderen in der aktuellen politischen Lage wäre der eigentliche Zweck der Handlungsfähigkeit derart konterkariert, dass er wohl in sein Gegenteil verkehrt würde. Die geschäftsführenden Minister sind daher nicht mehr im Amt.
Selbst unter Annahme der von den Autoren vertretenen Ansicht ergäbe sich für die Minister ein Ausweg: Sie können ihre Bereitschaft zur Geschäftsführung widerrufen, wenn ihm diese mittlerweile unzumutbar geworden ist. Dies ist nach Roman Herzog anzunehmen, wenn der Ersuchte „¬– etwa im Zusammenhang mit einem Sturz der bisherigen Regierung – aus der Mitte der Regierung oder auch aus der Mitte des Parlaments besonders intrigant oder ehrenrührig behandelt worden ist.“ (Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 69 GG, Rn. 66 unter Verweis auf Rn. 55). Die Vorgänge in Thüringen dürften jedenfalls eine vergleichbare Qualität erreicht haben, so dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit – als Grundlage einer handlungsfähigen Regierung –zwischen dem neuen Ministerpräsidenten und den geschäftsführenden Ministern nicht gegeben sein kann. Sie können dementsprechend ihre Bereitschaft zur Geschäftsführung widerrufen bzw. haben den Widerruf möglicherweise bereits durch verschiedene Statements oder konkludent durch den Auszug aus den Ministerien vollzogen.
Sehr geehrte Frau Professorin Leisner-Egensperger,
vielen Dank für Ihre Erwiderung auf unseren Beitrag. Wir würden gleichwohl aus folgenden Gründen an unserer Auffassung festhalten wollen:
Bereits der Wortlaut von Art. 75 Abs. 3 ThürV enthält keine einschränkende Formulierung, nach der das Ersuchen seine Wirkung mit Ablösung des Ministerpräsidenten verlieren würde. Stattdessen findet aber explizit Erwähnung, dass die Minister im Grundsatz „bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger“ geschäftsführend tätig sind. Das Ersuchen selbst ist eine punktuelle Erklärung, die ihre Wirkung – wie grundsätzlich auch die übrigen Amtshandlungen des geschäftsführenden Ministerpräsidenten – mit dessen Ausscheiden nicht verliert. Dass sich dieses Ersuchen, wie Herr Deger meint, zu einer wie auch immer gearteten „Ersuchensbeziehung“, zumal mit der individuellen Person des alten Ministerpräsidenten, ausweitet, findet nach unserer Meinung im Verfassungstext keine Stütze.
In systematischer Hinsicht lassen die in anderen Landesverfassungen fehlenden Ersuchensvorbehalte aus unserer Sicht keinen Umkehrschluss zu, nach dem die Geschäftsführung im Thüringer Fall nicht fortbestünde. Zudem ist nach verbreiteter Ansicht zu Art. 69 Abs. 3 GG das Ersuchensrecht des Bundeskanzlers vorrangig gegenüber dem des Bundespräsidenten (vgl. bspw. Epping, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 69 Rn. 30; Hermes, in: Dreier, Art. 69 Rn. 21). Schon aus diesem Grund sind die Regelungen in Art. 69 Abs. 3 GG und Art. 75 Abs. 3 ThürV nach unserem Dafürhalten durchaus vergleichbar.
Auch teleologische Gründe sprechen nach unserer Auffassung nach wie vor gegen eine unvermittelte Beendigung der geschäftsführenden Tätigkeit mit der Wahl von Thomas Kemmerich: Wie in anderen Landesverfassungen und dem Grundgesetz ist Leitgedanke der Geschäftsführungsregelung der ThürV die Kontinuität der Regierungstätigkeit, die durch ein automatisches Ausscheiden der Minister konterkariert würde. Dies verdeutlicht auch folgende Kontrollüberlegung: Im Fall einer Amtsunfähigkeit von Herrn Kemmerich würde die Gubernative gänzlich ohne politisch gewählte Vertreter dastehen – ein Ergebnis, das nach Art. 75 Abs. 3 ThürV offensichtlich vermieden werden soll.
Dass die Kabinettsbildungskompetenz von Thomas Kemmerich durch unsere Ansicht unzulässig verkürzt würde, können wir ebenfalls nicht erkennen. Es bleibt schließlich, wie im Beitrag ausgeführt, auch nach unserer Auffassung dem neuen Ministerpräsidenten Kemmerich grundsätzlich unbenommen, die geschäftsführende Tätigkeit der Minister durch Widerruf des Geschäftsführungsersuchens zu beenden. Ohnehin ist die Kabinettsbildungskompetenz in der jetzigen Situation der bloß noch geschäftsführenden Tätigkeit von Herrn Kemmerich nach h.M. durch den Versteinerungsgrundsatz erheblich beschränkt. Zuvor hätte er sein Wunschkabinett ohne Weiteres durch Ernennung neuer Minister bilden können. Ob er mit Blick auf die Wertung des Art. 70 Abs. 2 ThürV – mangels eigener Möglichkeit zur Berufung neuer Minister – nunmehr zumindest einzelne rot-rot-grüne Minister im Amt belassen müsste, scheint uns im Übrigen durchaus erwägenswert zu sein.
Für die jetzige Situation gibt es übrigens durchaus Vorbilder in der Staatspraxis: So haben im Jahr 1982 nach der Wahl Helmut Kohls die SPD-Minister des letzten Kabinetts Schmidt ihre Tätigkeit noch einige Tage geschäftsführend fortgeführt (Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 69 Rn. 25). Die ThürV hält – ebenso wie das Grundgesetz – mit den Grundprinzipien der Richtlinienkompetenz sowie des Kollegial- und Ressortprinzips (vgl. dazu Ruffert, in: Linck/Baldus/Lindner/Poppenhäger/Ruffert, Art. 76 Rn. 4 ff.) auch das notwendige Rüstzeug für eine Bewältigung der jetzigen Situation bereit.
Zuletzt: Entgegen der Ansicht von Herrn Deger haben die rot-rot-grünen Minister aus unserer Sicht nach der momentanen Sachlage nicht das Recht, sich einseitig der in Art. 75 Abs. 3 ThürV statuierten, immerhin verfassungsrechtlich verankerten Pflicht zur Geschäftsführung zu entziehen. Hierfür können nach unserer Überzeugung nur gravierende Gründe wie etwa eine schwere Krankheit ausreichen (Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 69 Rn. 24, 22), nicht aber bloße persönliche Abneigungen.
Aus diesen Gründen bleiben wir bei unserer Auffassung, dass die rot-rot-grünen Minister weiterhin geschäftsführend im Amt sind.
Mit freundlichen Grüßen
Robert Wille, Michael Meier
Stichwort Legitimationszusammenhang. Dieser besteht nur zwischen dem Ministerpräsidenten und seinen Ministern, auch über das Ende der Amtszeit in einer geschäftsführenden Phase hinaus. Die Geschäftsführung des MP Ramelow endete durch die Wahl des MP Kemmerich. Damit wurde ein Nachfolger legitimiert, das Amt des Ministerpräsidenten auszuüben. Es war die verfassungsrechtliche Pflicht des neuen MP, Minister zu ernennen und vereidigen zu lassen, um eine handlungsfähige Landesregierung zu kreieren. Dieser ist er nicht nachgekommen, sondern hat sich mit seinem Rücktritt selbst versteinert. Daraus den Schluss zu ziehen, die Minister seien noch geschäftsführend im Amt, überzeugt nicht. MP Kemmerich blickt (e) auf eine eigene Legitimationsgrundlage.
Ist schon “ein bisschen” her, das ich mich mit solchen Fragen beschäftigt habe, so ein paar Jahrzehnte, aber mir kommt die Argumentation in dem Artikel sehr gekünstelt vor.
Ich habe natürlich gleich mal die Verfassung angeschaut, klar, als Jurist macht man das, nachdem Kemmerich gewählt wurde. Für mich geht die Verfassung davon aus, dass durch die Wahl eines neuen MP die Amtszeit der geschäftsführenden Regierung endet; der neue MP hat daher auch die Pflicht, neue Minister zu ernennen. Des weiteren geht die Verfassung davon aus, dass sich der MP auch an die Verfassung hält, kurzum, genau das macht, den Fall, das es einer nicht macht, hat es noch nie gegeben, und den hat daher auch kein Verfassungsgeber geregelt, nämlich den Fall, dass es mal einen MP geben könnte, der entgegen seiner verfassungsmäßigen Pflichten keine Minister ernennt. Das war, sagen wir es mal so klar, bis zu Kemmerich schlicht undenkbar.
Und genau deshalb halte ich die Argumentation oben für künstlich, die Verfassungsbestimmungen überdehnend, denn wenn der historische Gesetzgeber einen Fall nicht vorhergesehen hat, hat er ihn auch nicht geregelt. Und dann kann man nach meiner Meinung nicht zwecks Problemlösung dazu übergehen, Bestimmungen, die einen ganz anderen Fall regeln sollen, heranzuziehen; wenn man es doch macht, muss man es n.m.M. analog machen, aber direkt aus den Bestimmungen ergibt sich das Ergebnis nicht.
Wie gesagt, bei mir lange her, bin nicht drin im Staatsorganisationsrecht, aber wenn, dann würde ich allenfalls überlegen, ob aufgrund der analogen Anwendung der Verfassungsbestimmungen die Minister noch geschäftsführend im Amt sind, bis tatsächlich neue Minister ernannt wurden. Aber insoweit sehe ich den Knackpunkt darin, dass so etwas jetzt nicht so ungewöhnlich ist, also neuer MP, braucht etwas, bis er alle neue Minister ernannt hat, und da ist zu fragen, ob die den Fall überhaupt regeln wollten, dass ein Ministerium mal max. 1 bis 2 Tage ohne Minister ist und dem neuen MP sozusagend den Minister der früheren Regierung einer anderen Partei als geschäftsführenden Minister auf das Auge drücken wollten. Für wenige Tage braucht es genau genommen keine geschäftsführende Minister, und das kann man auch als die Begründung sehen, dass sie für diesen Fall absichtlich nichts dahingehend geregelt haben, dass die Minister der früheren Regierung geschäftsführend im Amt bleiben.
Zudem, was wäre, wenn die Minister nicht geschäftsführend wären, sondern ordentlich. Kemmerich hätte mit den Stimmen der AfD ein Misstrauensvotum gewonnen, der Rest, wie gehabt. Sind die dann auch auf einmal alle geschäftsführend? Nein, der Trick funktioniert nur, wenn sie schon vorher geschäftsführend waren. Auch das spricht m.E. gegen eine solche Auslegung, notfalls auch im Wege der Analogie. Wieso sollte es im Hinblick auf die Minister einen Unterschied machen, ob der MP im Rahmen einer “normalen” MP-Wahl oder im Rahmen eines konstruktiven Misstrauensvotums ins Amt gekommen ist? Oder ob sie vorher ordentlich bestellt oder nur noch geschäftsführend waren?
Nein, ich sehe es ganz einfach: Ein Kemmerich ist in der Verfassung nicht vorgesehen, genauer gesagt, ein MP der so handelt wie er. Und so sehr man natürlich dem Land ein Lösung des Problems wünscht, aber das gibt die Verfassung nicht her. Vielleicht sollten alle Landesverfassungsgeber mal Gedanken machen, ob sie für die Zukunft nicht doch lieber durch eine Verfassungsänderung gegen die Kemmerichs Vorsorge treffen, obwohl ich nicht wirklich damit rechne, dass so etwas noch einmal passieren wird, aber man weiß ja nie.
Die Verfassung geht doch offensichtlich davon aus, dass ein Ministerpräsident auch überraschend ins Amt kommen kann und deshalb die Regierungsbildung samt Koalitionsverhandlungen u.U. erst nach seiner Wahl stattfindet. Thüringen hat auch den Dualismus zwischen Regierungsmehrheit und Opposition in der Verfassung und erwartet also zumindest grundsätzlich, dass sich ein mit Minderheit gewählter Ministerpräsident trotzdem eine dauerhafte Mehrheit sucht. Selbst wenn es nur 1–2 Tage wären, sinkt der Bedarf für eine Geschäftsführung bloß in dem Maß, wie sich auch die dadurch verursachte Eingriffsintensität reduziert.
Beim Misstrauensantrag seh ich den Unterscheid nur darin, dass da der Erfolg eher eingeplant sein wird und dass im Bedarfsfall natürlich ein Ersuchen erfolgen müsste, da die Geschäftsführung normalerweise noch nicht besteht. Es ist aber auch nicht so abwegig, dass im Vorfeld bereits Minister zurückgetreten sind und in dem Fall ihre möglicherweise schon bestehende Geschäftsführung fortsetzen müssen.
Thüringens Ex-Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) hat Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) vorgeworfen, mit unternehmerischen Tätigkeiten gegen das Ministergesetz zu verstoßen. Konkret gehe es um die Funktion als Vorstandschef der Friseur Masson AG und Geschäftsführer der Uhrenwerk Weimar GmbH, schrieb Hoff am Freitag auf Twitter. Im Gesetz heißt es: „Die Mitglieder der Landesregierung dürfen neben ihrem Amt kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben.“
Nach Auskunft des Landtags darf der Ministerpräsident laut Verfassung „ohne Zustimmung des Landtags weder der Leitung noch dem Aufsichtsgremium eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören“. Demnach ist eine solche Tätigkeit nicht prinzipiell verboten, die Genehmigung aber notwendig. „Ein Zustimmungsersuchen des Ministerpräsidenten liegt hier allerdings bisher nicht vor“, sagte ein Sprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. ….und ob er im Landtag für seine Nebentätigkeiten eine Mehrheit bekommt, ist fraglich.
Wenn die Überlegungen hier richtig sind, dann müsste mindestens einer der ex-Minister jetzt hingehen und vor dem Thüringer Verfassungsgericht sein Amt einklagen?
Und wie (mit wem) werden aktuell Kabinettssitzungen einberufen, gab es welche in den drei Tagen, wo Kemmerich Ministerpräsident war, bzw. seit seinem Rücktritt?