Verfassungsrichterposten als Celebrity-Ehrung
Ich liebe Andreas Dresen. Es gibt wenige, die bessere Filme machen, und zwar nicht zuletzt auch darüber, wie die Demokratie in diesem Land funktioniert.
Ich habe durchaus auch Sympathie dafür, wenn Außenseiter und Nicht-Profis sich um politische Ämter bewerben: Jón Gnarr, Kabarettist und Punkrocker, ist nicht nur ein toller Typ, sondern auch ein außerordentlich erfolgreicher Bürgermeister von Reykjavik geworden.
Aber dass der brandenburgische Landtag Andreas Dresen zum Verfassungsrichter wählen will, und zwar mit den Stimmen aller Fraktionen, das halte ich doch bei allem Respekt für eine totale Schnapsidee.
Verfassungsgerichte haben zwar politische Macht, das liegt auf der Hand. Aber was sie machen, ist keine Politik. Darf keine Politik sein. Dazu sind sie nicht legitimiert noch befähigt. Ihre Autorität hängt davon ab, dass sie in erster Linie Recht sprechen und nur in zweiter Linie gestalten, in erster Linie Fälle entscheiden und nur in zweiter Linie politische Grundsatzfragen, anhand von statutes and precedents und nicht politischer Überzeugungen oder gar Interessen. Ihre Autorität hängt davon ab, dass sie als Juristen wahrgenommen werden und nicht als Politiker, wie der US-Supreme Court gerade am eigenen Leibe erfährt. Und von ihrer Autorität wiederum hängt ihre Macht ab. Ein Urteil eines Gerichts, das niemand respektiert, befolgt auch niemand.
Recht sprechen, Fälle entscheiden, Gesetze auslegen, Rechtsprechung konsistent halten – warum in aller Welt sollte ein noch so toller Filmemacher für diesen Job geeignet sein?
Es nehmen ja gewöhnlich nicht viele davon Notiz, was das brandenburgische Verfassungsgericht so macht. Ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber schauen wir doch mal. Am 19. Oktober beispielsweise. Da hatte das Gericht über Beschlüsse des VG Frankfurt/Oder und des OVG Berlin-Brandenburg zu urteilen, in einem kommunalverfassungsrechtlichen Fall. Ein Stadtratsmitglied hatte in seiner Eigenschaft als Anwalt für eine Mandantin einen Rechtsstreit gegen die Stadt geführt. Herr Dresen, Sie wollten etwas sagen? Nein? Gut, dann ergeht im Namen des Volkes folgendes Urteil…
Die brandenburgische Politik tut weder dem Gericht noch Andreas Dresen einen Gefallen, wenn sie ihn zum Verfassungsrichter macht. Dem Gericht nicht, weil es sich den Zynismus bieten lassen muss, dass die Politik auf seine Kosten Celebrity Credits für sich generiert. Und Dresen nicht, weil er sich schon bald sehr langweilen wird hinter der Richterbank, an der er schlechterdings gar nichts zu melden haben wird.
Aber ich hätte da eine Idee.
Ein Landtagsmandat für Dresen. Das wäre was.
Oder sogar ein Ministerium.
Da wäre ich sofort dafür.
Ich habe auch erst gestutzt. Aber so schlecht finde ich das Konzept gar nicht. In der Strafjustiz gibt es Schöffen, in der Ziviljustiz Handelsrichter und in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit ehrenamtliche Richter, dort sogar bis hinauf zu BAG und BSG, wo reine Rechtsfragen entschieden werden.
Warum sollte nicht auch in der Verfassungsgerichtsbarkeit eine bewußte Injektion von Laienrichtern sinnvoll sein? Keine Rechtsausbildung zu haben, muß kein Nachteil sein. Die Laienrichter bekommen die zu beurteilenden Rechtsfragen durch die Berufsrichter und die Mitglieder mit der Befähigung zum Richteramt oder Diplomjuristen (die in der Mehrheit sind, § 2 VerfGGBbg, http://www.verfassungsgericht.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.176839.de), vermittelt. Ja, gerade dieser Akt der Vermittlung setzt letzere unter einen justizinternen Druck der Rechtfertigung und damit auch der Selbstvergewisserung. Die Anwesenheit von Laienrichtern ist dann ein vitalisierendes Element, das eine Verkrustung im Systemdenken und einer Verirrung in einer Welt der Dogmatik entgegenwirkt. Und wenn es dann engagierte Laienrichter sind (im Unterschied zu vielen Schöffen, die Wachs in den Händen der Berufsrichter sind), um so besser.
Insofern ist die Person Dresens im brandenburgischen System der Laienrichter, das § 2 VerfGGBbg zwingend vorgibt, eher ein Glücksfall. Wenn etwas an dem System schlecht sein sollte, dann sicherlicht nicht wegen der Prominenz des Betreffenden.
Stimmt, viele Gerichtsbarkeiten haben Laienrichter, allerdings kann man die in den Oberlandesgerichten und den Bundesgerichten lange suchen. Es gibt also hinter den Laieninstanzen immer noch mindestens eine Berufsinstanz. Das hätte man beim Landesverfassungsgericht nicht
Über die einzelne Person mag man immer streiten; insgesamt finde ich die Regelung, dass bei VERFASSUNGSgerichten auch “Laien” Richter werden können, sinnvoll. Es geht dort ja, anders als bei Revisionsgerichten, in der Hauptsache nicht um rechtstechnische Details, sondern um Grundfragen unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Insofern ist es eher befremdlich, dass allein Volljuristen als befähigt erachtet werden. In den ersten zwei Jahrzehnten galt im BVerfGG §3 immerhin noch die Regel, dass die zu wählenden Persönlichkeiten über „Erfahrung im öffentlichen Leben” verfügen sollten.
Gerade in den ersten Generationen am BVerfG gab es – nicht zuletzt bei den unter den Emigranten und Widerständlern verbreiteten Umwegbiografien – einige Volljuristen, die über Erfahrungen völlig anderer Lebensbereiche verfügten. Dies ist jedenfalls im Normfall entfallen: die Karriere eines Profi-Richters – evtl. mit Ausflügen als Hiwi ans BVerfG oder mit zeitweiliger Abordnung an ein Justizministerium – oder des Verfassungsrechtslehrers sind auch in der Praxis zur Norm geworden – ich halte dies für problematisch; dies ist auch immer wieder – nicht zuletzt aus dem BVerfG selbst – kritisiert worden. Für die Qualität und die Akzeptanz der Entscheidungen könnte es zweifellos eine Bereicherung sein, juristisch bewanderte “Laien” (schon dieser Ausdruck ist im Grunde absurd) an Verfassungsgerichte zu wählen.
Der unvermeidbare Einwand, wie diese Richter ohne formale Befähigung zum Richteramt den Alltag in einem Dezernat, der doch stark von der Masse der zu bearbeitenden Verfassungsbeschwerden geprägt ist, bewältigen sollen, gilt zum einen auch für einen Teil der aus der Wissenschaft stammenden Richter, zum anderen ist ohnehin die Frage, ob sich die Verfassungsgerichte sich auf einen guten Teil der Superrevisionsrechtsprechung verzichten sollten. In anderen Ländern ist übrigens die Befähigung zum Richteramt auch nicht überall Voraussetzung für die Nominierung zum Verfassungsgericht.
Schließlich, um zum konkreten Fall zurück zu kehren: Die Landesverfassungsgerichte sind immer noch überwiegend nebenamtlich arbeitende Gerichte – da gilt ein Teil der gemachten Einwände sowieso nicht.
Es ist egal, wer auf dem Richterstuhl sitzt, wenn die RA und Politik sich einig sind an diesem System des Verrates am Bürger festzuhalten.
Einzelne Personen sind da keine Gefahr, daß Urteile hieran etwas ändern könnten. Freuen können sich aber die Brandenburger, dass sie ein Verfassungsgericht haben, welches den Art. 19 Abs. 2 GG in Bezug auf die Prüfung des Wesensgehaltes von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG – dies ist wohl die Entsprechung im GG zur Landesverfassung verstanden hat.
Kein Richter kann jemals an diesem Wortlaut des GG etwas ändern, auch wenn dutzende es schon mit ziemlichem Erfolg im Ergebnis geschafft haben, obwohl der Text im GG noch vorhanden ist.