„Bekannt aus Funk und Fernsehen, hier aber privat.“
Der WDR plant eine „Dienstanweisung zum Umgang mit sozialen Medien“. Sie soll sich in geleakter Fassung nicht nur auf die dienstlichen Accounts der Rundfunkanstalt, sondern auch auf die privaten Accounts ihrer Mitarbeitenden erstrecken, deren Agieren in den sozialen Netzwerken weitgehend regulieren und Verstöße empfindlich sanktionieren. Diese Pläne scheinen nun vom Tisch zu sein, rechtlich haltbar sind sie jedenfalls nicht. Sollte der Entwurf doch noch in dieser Form verabschiedet werden, kann den Betroffenen vollauf geraten werden, die Gerichte zu konsultieren.
Verschwimmende Grenzen zwischen Person und Funktion als Ausgangspunkt
Der von Leonhard Dobusch auf netzpolitik.org veröffentliche Dienstanweisungsentwurf des WDR ist von der Sorge getrieben, jeder Like, jedes Abonnement und jeder Follow seiner Mitarbeitenden werde in den sozialen Netzwerken auch im Falle rein privat genutzter Accounts von den Rezipienten gedanklich mit dem WDR verknüpft und könne sich daher negativ auf die redaktionelle Arbeit und die Glaubwürdigkeit der Rundfunkanstalt auswirken (vgl. vor allem Entwurf § 2 (3)). Er ist gewillt, zu scharfen Schwertern zu greifen:
„Ihnen steht als Staatsbürger:innen das Recht der freien Meinungsäußerung zu. Die Grenze bildet aber die aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Pflicht zur Loyalität, mit der die Meinungsfreiheit in Ausgleich zu bringen ist. Überzogene Kritik am WDR, den Ruf des WDR schädigende Äußerungen wie etwa Schmähungen oder Äußerungen, die zur Befangenheit in dienstlichen Angelegenheiten führen, können daher im Einzelfall eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellen.
Wenn durch private Äußerungen in sozialen Medien insbesondere von redaktionell Mitarbeitenden in der Öffentlichkeit der Eindruck der Voreingenommenheit oder Parteilichkeit entsteht und dies Themenbereiche tangiert, in denen die oder der Mitarbeitende dienstlich tätig ist, behält sich der WDR vor, ihnen im Rahmen seines Weisungsrechts andere Aufgaben zuzuweisen.“ (Entwurf § 5 (3))
Tatsächlich können gewisse Rückwirkungen auf die Rundfunkanstalt nicht von vornherein als abwegig abgetan werden. Empirische Untersuchungen aus den USA deuten darauf hin, dass rege Social Media-Aktivitäten von Journalistinnen und Journalisten dazu führen können, dass diese zwar als persönlich sympathischer, gleichzeitig aber auch als weniger professionell wahrgenommen werden – wobei sich diese Wahrnehmung auch auf die journalistischen Medien zu erstrecken scheint, für die die Journalistinnen und Journalisten tätig sind. Das dialogische Format der sozialen Medien, bei dem keine wohldurchdachten und abgerundeten Beiträge one-to-many veröffentlicht werden, sondern kurze, pointiert und schnell verfasste Statements Gegenrede hervorrufen, könnte hierbei entzaubernd wirken. Journalistinnen und Journalisten verlieren ihren Sonderstatus, bleiben bestenfalls primi inter pares.
Eigenartiges Arbeits- und Grundrechtsverhältnis
Die Erwägungen vermögen aber nicht die zitierten Dienstanweisungsbestandteile zu rechtfertigen. Zunächst sollte man sich der eigenartigen Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Rundfunkanstalten und ihren Mitarbeitenden klar werden: Rundfunkanstalten gehören nicht zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die „dienstherrenfähig“ (§ 121 BRRG), also dazu berechtigt sind, Beamtinnen und Beamte zu haben. Mit ihren Mitarbeitenden schließen sie privatrechtliche Arbeitsverträge, es sind im Ausgangspunkt die privatrechtlichen Normen des Arbeitsrechts anwendbar. Damit sind die Besonderheiten des Verhältnisses aber noch nicht vollumfänglich erfasst. Da die Rundfunkanstalten in öffentlich-rechtlicher Organisation öffentliche Aufgaben mit öffentlichen Mitteln erfüllen, ist hoch umstritten, ob die Rundfunkangestellten ungeachtet des in Privatrechtsform erfolgenden Vertragsschlusses in einem öffentlichen Dienst stehen. Auf einer Linie hiermit ist etwa die Gewerkschaft „Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden“ (VRFF) Mitglied des Deutschen Beamtenbundes.
In den Grundrechtsverhältnissen führt sich diese Unklarheit fort. Die Rundfunkanstalten sind zwar partiell grundrechtsberechtigt (BVerfGE 31, 314 (321 f.)), sie sind nach herrschender Ansicht in ihren Maßnahmen gegenüber Rundfunkmitarbeitenden aber auch grundrechtsgebunden.1) Entscheidend soll sein, dass hiermit öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden, demgegenüber tut die privatrechtliche Handlungsform keinen Abbruch (vgl. BVerfG, 2 BvR 470/08, Rn. 26, 29).
Lehnt man dagegen eine dichotome Grundrechtsadressierung der Rundfunkanstalten ab, muss man die Grundrechte der Mitarbeitenden jedenfalls mittelbar bei der Auslegung der ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe berücksichtigen. Vorliegend geht es dann um die vertragliche Nebenpflicht der Mitarbeitenden zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Rundfunkanstalt (§ 241 Abs. 2 BGB) und das allgemeine Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die von den Mitarbeitenden fordern, alles zu unterlassen, was den berechtigten Interessen der Rundfunkanstalt zuwiderläuft. Am Ergebnis der Rechtswidrigkeit, das im Folgenden erläutert wird, ändert dies aber nichts, zumal die zu dieser Rechtsfigur entwickelten Fallgruppen private Tätigkeiten weitgehend aussparen. Lediglich die im Entwurf vorgesehenen Verschwiegenheitspflichten und Schmähverbote lassen sich ihr ohne weiteres zuordnen.
Schwere Meinungsfreiheitseinbußen
Eine arbeitsrechtlich ähnlich schlagkräftige Schrankenregelung, wie die Meinungsäußerungsfreiheit noch in Art. 118 Abs. 1 S. 2 WRV genoss („An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht.“), hält Art. 5 GG nicht bereit. Die Vorgaben, wie sich Rundfunkmitarbeitende in sozialen Medien zu äußern haben, greifen dennoch in das Grundrecht ein, wobei die Eingriffsintensität hoch ist. Dass sich die Neutralitätsvorgaben auf die Thematiken beschränken, zu denen die Mitarbeitenden im Rundfunkprogramm in Erscheinung treten, schwächt die Intensität nicht ab. Im Gegenteil werden starke Äußerungsrestriktionen genau für solche Sachverhalte verhängt, für die sich die Medienschaffenden aufgrund ihrer professionellen Spezialisierung am stärksten interessieren und zu denen sie besonders fundierte Einschätzungen abgeben könnten. Die politisch interessierte Privatperson, die in vielen Medienschaffenden steckt, soll neutralisiert werden.
Gewisse Verhältnismäßigkeitsaspekte enthält der Entwurf zwar, indem er das Niveau der Rücksichtnahmepflichten mit einer dem Arbeitsrecht nicht unbekannten Je-Desto-Formel an der Position und Prominenz der Mitarbeitenden auszurichten sucht (Entwurf § 2 (2) und (3), § 4 (11) Nr. 2). Dass es aber etwa einer Talkshowmoderatorin kaum rechtssicher möglich sein wird, das in ihrem Fall anstaltsseitig gerade noch zu tolerierende Maß an Meinung ex ante zu prognostizieren, liegt auf der Hand. Wer mag schon mit Gewissheit voraussehen, ob die anstaltsinternen Entscheidungsträger etwa den „Retweets ≠ endorsements“-Hinweis richtig deuten werden; ob sie verstehen werden, dass mit dem Like eines pikanten Berichts keine Befürwortung des thematisierten Phänomens, sondern der Berichterstattung über sie ausgedrückt werden sollte? Der Eingriff erfolgt bei alldem durch die generelle Androhung negativer rechtlicher Folgen. Die abschreckende Wirkung, die sich als „Schere im Kopf“ bemerkbar macht und auf die Leonhard Dobusch hauptsächlich abstellt, mag noch hinzutreten. Sollte die Dienstanweisung in der aktuellen Fassung erfolgen, dürften nach meiner Prognose die meisten WDR-Mitarbeitenden ihre privaten Konten in sozialen Netzwerken aber gänzlich schließen oder fortan unter Pseudonym auftreten.
Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht etwa durch Einwilligungen oder Grundrechtsverzichte der Mitarbeitenden. Erteilt die Anstalt Social Media-Vorgaben erst während der Anstellung, bleibt mangels der zu fordernden Freiwilligkeit und Ausdrücklichkeit für solche kein Raum. Ohnehin sollen nach dem Entwurf auch neu anzustellende Personen auf das Regelwerk erst „bei der Einarbeitung von Ihren Führungskräften aktiv hingewiesen werden“ (Entwurf § 1).
Binnenpluralität statt genereller Neutralität
Nun könnte erwogen werden, ob Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit der Redakteurinnen und Redakteure durch innerdienstliche Weisungen in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufgrund deren Verpflichtungen auf Objektivität bzw. Überparteilichkeit und Pluralismus (vgl. § 26 MStV, § 4 Abs. 2 WDR-G, § 5 ZDF-StV) in größerem Umfang hinzunehmen sind, als bei ihren Kolleginnen und Kollegen in privaten Pressebetrieben und Rundfunkveranstaltern. Auf der Hand liegt das aber nicht. Umgekehrt könnten auch Tendenzen, die man den im privaten Sektor verorteten Betrieben zubilligt und die man erst durch einen Außenpluralismus des gesamten Mediensystems auszugleichen hofft, für größere Freiräume der öffentlich-rechtlich angestellten Journalistinnen und Journalisten sprechen.
Entscheidend erscheint mir das Verständnis von Vielfalt, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten abverlangt wird. Es war ironischerweise der WDR, der im Jahr 1982 vor dem Bundesverfassungsgericht arbeitsrechtliche Sonderbefugnisse bei der Beschäftigung von freien Mitarbeitenden aufgrund seiner Programmfreiheit erstritt. Die damals gefeierten gerichtlichen Ausführungen würden ihm wohl nunmehr auf die Füße fallen, denn das Bundesverfassungsgericht verstand die angestrebte Programmvielfalt als Personen- und Meinungsvielfalt: Es ging von einer „Verpflichtung der Rundfunkanstalten, die personellen Voraussetzungen eines vielfältigen Programms zu schaffen und zu erhalten“ aus und hatte dabei die Mitarbeitenden im Blick, die „typischerweise ihre eigene Auffassung zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen, ihre Fachkenntnisse und Informationen, ihre individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in die Sendungen einbringen“ (BVerfGE 59, 231 (260)).
In der Realität erreicht man publizistische Vielfalt nicht dadurch, dass man ein Heer absolut neutraler Journalistinnen und Journalisten zusammenstellt, die sodann möglichst gleichmäßig die unterschiedlichen Standpunkte aufzeigen. Das hat man auch im Hinblick auf die Strukturierung der Kollegialorgane der Rundfunkanstalten erkannt, „bei welcher der Einfluss der in Betracht kommenden Kräfte unter maßgeblicher Einbeziehung der Zivilgesellschaft“ vermittelt werden soll (BVerfGE 136, 9 (30)). Auf einer Linie hiermit strahlen öffentlich-rechtliche Sender schließlich nach wie vor persönliche Kommentare und Meinungsbeiträge aus und setzen damit politische Positionierungen einzelner Mitarbeitender gerade voraus.
Wegen alldem sind die „[a]uf den ersten Blick rein private[n] Äußerungen“ (Entwurf § 2 (3)) der Mitarbeitenden trotz etwaiger WDR-Assoziationen beim Publikum auch auf den zweiten Blick rein privat. Interessanterweise scheint das der WDR auch zu erkennen, wenn es um die eigenen Loyalitätspflichten gegenüber seinen Mitarbeitenden geht. Befinden sich letztere im Auge des Shitstorms, sollten sie nicht mit Hilfe ihrer Anstalt rechnen:
„Wenn Mitarbeiter:innen in den sozialen Netzen Kritik ausgesetzt sind, die sie mit ihrem Verhalten oder einer Veröffentlichung mit dem Absender ihres privaten Accounts ausgelöst haben, so ist dies zunächst Privatsache. Der WDR behält es sich vor zu entscheiden, wie er sich dazu verhält.“ (Entwurf § 6 (2) Nr. 2)
Vergleichender Blick in den staatlichen Bereich
Bekräftigt wird dies durch einen vergleichenden Blick in den staatlichen Bereich. Hier werden Äußerungen von Personen, die in einem Beamtenverhältnis stehen, nach formalen Kriterien der staatlichen oder der zivilgesellschaftlichen Sphäre zugeordnet, was im ersten Falle zu rechtstaatlicher Gebundenheit (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG), im zweiten Falle zu grundrechtlicher Freiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) führt. Zwar wird Beamten, die nach Art. 33 Abs. 4 GG in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, über § 33 Abs. 2 BeamtStG, § 60 Abs. 2 BBG auch für ihre politische Betätigung außerhalb des Dienstes eine Mäßigungspflicht auferlegt. Diese betrifft aber zuvörderst die Form der Betätigung. Niemand würde auf die Idee kommen, einem in einem Rathaus oder Ministerium eingesetzten Beamten während seiner Freizeit die Wahlkampfhilfe für eine Partei innerhalb des verfassungskonformen Spektrums mit den Argumenten zu untersagen, dass dies den bösen Schein parteiischer Amtstätigkeit hervorrufe oder dass die unterstützte Partei nicht diejenige des Bürgermeisters oder der Ministerin sei. Für Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst, die den Rundfunkangestellten näherstehen als Beamtinnen und Beamte, fallen die Rücksichtnahmepflichten noch einmal geringer aus.
Fazit
Die grundrechtlich komplexe Konstellation, in der sich der WDR wiederfindet, darf nicht die Sicht auf die erheblichen Freiheitseinbußen verstellen, die er seinen Mitarbeitenden zuzumuten gedenkt. In weniger bedenklichen Gefilden bewegen sich Vorgaben, die es Mitarbeitenden untersagen, im Zuge ihrer politischen Aktivität ausdrücklich auf ihre Anstellung zu verweisen oder ihre Rundfunkanstalt öffentlich überzogen zu kritisieren. Für die vorliegenden Bedenken, dass Parteilichkeitsvermutungen auf die Rundfunkanstalt ausstrahlen könnten, sollte man es dabei belassen, den Mitarbeitenden zu untersagen, Logos der Rundfunkanstalten im privaten Bereich zu nutzen und diese dazu anzuhalten, weitere Maßnahmen zu treffen, die den Rezipienten die gedankliche Sphärenzuordnung erleichtern.
References
↑1 | vgl. etwa Hoffmann-Riem, Redaktionsstatue im Rundfunk, 1972, S. 97 ff.; Müller/Pieroth, Politische Freiheitsrechte der Rundfunkmitarbeiter, 1976, S. 28 ff. |
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Vielen Dank für Ihren sehr interessanten Beitrag. In der Tat scheint ein “chilling effect” unvermeidlich, wenn man bei jeder privaten (wenngleich in der Öffentlichkeit) getätigten Meinungsäußerung um seinen Job fürchten muss. Insbesondere spannend finde ich aber den Umstand, dass die Rundfunkanstalten anscheinend sowohl grundrechtsberechtigt als auch grundrechtsgebunden sind. Für mich scheint dies mit dem Konfusionsargument unvereinbar zu sein. Würden Sie dem zustimmen?