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03 May 2022

Zurück zur Präsenz

Durch die Pandemie fanden – gezwungenermaßen – rein digitale Parteitage statt, nachdem rechtliche Hürden in einzelnen Bereichen überwunden, aber auch nicht final gelöst wurden. Vor allem die anschließende Bestätigung von Wahlen durch ein zusätzliches Briefwahlverfahren ist eine eher unbefriedigende Lösung. Allerdings gibt es derzeit keine Anzeichen, dass bei den Akteuren ein gesteigertes und dringendes Bedürfnis besteht, Verfahrenserschwernisse zu beseitigen. Die im Bundestag vertretenen Parteien zeigen kein Interesse bei Bundesparteitagen digitalen Formaten eine Zukunft zu geben. Zu stark sind die Beeinträchtigungen der interpersonalen und emotionalen Dynamik von Parteitagen, wenn sie nur im Digitalen stattfinden.

Digitalisierung und Reichweite

Obwohl Parteitage1) eine erhebliche mediale Resonanz haben und auf allen Gliederungsebenen von Parteien die höchsten Entscheidungsgremien innerhalb der innerparteilichen Partizipation bilden, ist das politikwissenschaftliche Interesse in Deutschland eher verhalten. Seit der Dissertation von Jürgen Dittberner2) aus dem Jahr 1969 ist keine Monographie über Parteitage mehr entstanden. Sieht man von dem Band von Korte und Treibel3)) ab, findet sich eine Typologie der spezifischen auch informellen Kulturen von Parteitagen bei Deniz Anan4) für die Grünen und die FDP.

Zwei Veränderungen zeigen sich bei der Durchführung von Parteitagen. Die pandemiebedingte Verlagerung ins Hybrid-Digitale und die Erweiterung der medialen Reichweite durch die Ausstrahlung bei Phoenix und die Streamingangebote der Parteien.

Mittlerweile dürften viele Bürger zumindest zeitweise entweder in einer Liveübertragung im Fernsehen oder auf digitalen Kanälen Bundesparteitage in Echtzeit verfolgt haben und konnten sich so einen direkten Einblick in den nicht immer mit Spannung geladenen Ablauf des wesentlichen Bausteins der innerparteilichen Demokratie verschaffen. Die Zulassung der Öffentlichkeit ist dabei nicht selbstverständlich. Seit ihrer Gründung hatte die AfD immer mal wieder journalistische Berichterstattung ihrer Parteitage eingeschränkt oder verhindert, auch andere Parteien wie z.B. die NPD halten von Einblicken in ihr Parteileben wenig.

Bekanntermaßen wirken Parteitage durch die sogenannte „Werbefunktion“ (Dittberner 1969: 43) besonders in die Öffentlichkeit hinein. Beobachtet man Parteitage im Zeitverlauf, hat die mediale Berichterstattung stark zugenommen. Die Delegierten werden quasi ununterbrochen von Journalisten und Kameras beobachtet. Doch scheint  Dauerbeobachtung keine Auswirkung auf den Ablauf von Parteitagen zu haben, was die deutschen Parteitage dabei vor allem von den Parteitagen in den Vereinigten Staaten unterscheidet, bei denen die mediengerechte Inszenierung im Vordergrund steht. Die durch die Satzungen und Rechenschaftspflichten vorgegebenen Abläufe sind beibehalten worden. Ein Einfluss auf die Parteitagsregie ist auch nicht auszumachen. Lediglich die Anwesenheit eines Teams der „heute Show“ scheint gelegentlich Fluchtreflexe bei den Delegierten auszulösen. So können die Bürger einen unverfälschten Einblick in die Arbeit von Parteien erhalten. Und von dieser Möglichkeit scheint auch rege Gebrauch gemacht zu werden.5)

Die Bundesparteitage der im Bundestag vertretenen Parteien ähneln sich mittlerweile in ihrer professionellen und optischen Durchführung stark, was nicht zuletzt an ähnlichen Formulierungen in den Satzungen liegt, auch wenn zum Beispiel Auswahlverfahren der Delegierten, Redezeiten oder Antragsrechte unterschiedlich gestaltet sind. In der Vergangenheit wichen Parteitage auch in ihrer „Performanz“ erheblich voneinander ab. Dies zeigte sich immer wieder auch in den Bereichen, die nicht in Satzungen festgeschrieben sind, wie der Einbeziehung von Künstlern oder anderer Repräsentanten der Zivilgesellschaft, dem gemeinsamen Singen von Liedern, geselligen Delegiertenabenden oder dem Abhalten von Gottesdiensten. Hier gibt es immer noch erhebliche traditionelle Unterschiede. Trotz kultureller Differenz sind die Ähnlichkeiten in den letzten Jahrzehnten aber größer geworden. Die Ähnlichkeit lässt sich auf Anpassungen der Satzungen von Bündnis 90/Die Grünen und jüngst bei der AfD zurückführen, die basisdemokratische Elemente zugunsten einer stärkeren Strukturierung eingeschränkt haben. Auf den anderen regionalen Ebenen treten die Unterschiede zwischen den Parteien z. B. in der Frage der Delegierten- oder Mitgliederversammlung stärker zu Tage. Redebedürfnis, Streitkultur, Antragswesen, Rituale,  aber auch die Repräsentanz von Lobbyisten (mit und ohne eigene Stände) weisen ebenfalls Distinktionsmerkmale auf. Hier wäre es sicher lohnend, würde sich auch die Wissenschaft mit den vernachlässigten kultursoziologischen Aspekten von Parteien intensiver beschäftigen.

Infolge der Kontaktbeschränkungen der Corona Pandemie wurden Parteitage digital/hybrid durchgeführt. Den ersten digitalen Parteitag hielten die Grünen im November 2020 ab. Beim CDU-Parteitag im Januar 2021 mit der Wahl des neuen Vorsitzenden war das Verfahren komplexer, da zunächst digital abgestimmt wurde und dann eine schriftliche und verbindliche Abstimmung erfolgte.

Dem vorausgegangen war die Klärung juristischer Fragen, die vor allem um die Frage der Gültigkeit von Abstimmungen kreisten.6) Am Ende waren digitale Abstimmungen zulässig, Wahlen und Satzungsfragen mussten hingegen schriftlich per Briefwahl durchgeführt werden. „Die elektronische Durchführung der Schlussabstimmung ist bei innerparteilichen Wahlen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.“7) Dies führte dazu, dass nach Wahlen eine schriftliche Bestätigung erfolgen musste. Das Problem, dass das Abstimmungsergebnis auf dem digitalen Parteitag und der anschließend erfolgenden schriftlichen Abstimmung auseinanderfallen können, bleibt dabei unlösbar.8) Doch würde dies eine politische und keine juristische Klärung erforderlich machen, wie sie auch eintreten würde, wenn ein Parteitag dem Ergebnis einer Mitgliederbefragung nicht folgen würde.9) Auch hier kann kein dem Mitgliedervotum folgendes Abstimmungsverhalten der Delegierten erzwungen werden. Würden tatsächlich Ergebnisse von Mitgliederbefragungen und Parteitag drastisch auseinanderfallen, könnten Parteien in eine schwere innerparteiliche Krise fallen. Allerdings scheinen Mitgliederbefragungen zur Personalauswahl von Parteien eher sporadisch genutzt zu werden. Mitgliederbefragungen zu diesem Zweck nutzte die SPD 1993 und 2019, die CDU auf Bundesebene 202110) und die Grünen 2012 und 2017. Sie scheinen vor allem dann ins Spiel zu kommen, wenn es kein klares Machtzentrum gibt, dem die Entscheidungskompetenz mehr oder minder widerspruchslos zugesprochen wird. Diese Machtzentren sind auch nicht in den Satzungen festgelegt. Sie entstehen aus der ihnen zugestandenen „Richtlinienkompetenz“ und dem informell gebilligten Führungsanspruch. Gerade bei der für den Erfolg bei Wahlen so wichtigen Auswahl der Spitzenkandidaten schweigen Satzungen über die Verfahren; und vermutlich werden Parteien keine Anstrengungen unternehmen, dies zu ändern.

Die Zukunft ist präsent

Jenseits der technischen – durchaus zufriedenstellenden – Möglichkeiten der hybriden/digitalen Parteitage scheint diesen Formaten abseits von Pandemien jedoch keine Zukunft beschert zu sein. Zukünftige Durchführungen von Parteitagen in Präsenz dürften also wieder zur Regel werden. In allen Parteien (die AfD hat auf digitale Parteitage sowieso verzichtet) scheint nach den digitalen Erfahrungen kein größeres Interesse zu bestehen, auch digitale Abstimmungen verfassungsrechtlich wasserfest zu machen.11) Auch wenn der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung eine Klärung in Aussicht stellt.

Parteitage sind weit mehr als nur eine Notwendigkeit des Parteiengesetzes zur Sicherstellung innerparteilicher Demokratie. Sie leben von den Teilnehmern und den vielfältigen sozialen Interaktionen. Gerade die Netzwerkbildung, informelle Absprachen bei Wahlen und Abstimmungen, die Suche nach und die Organisation von Mehrheiten oder die Orchestrierung von Debatten sind Prozesse, die hochgradig von persönlicher, oft auch vertraulicher Kommunikation vor Ort bestimmt werden. Auch das Fehlen des Publikums bei Reden und Aussprachen verhindert Dynamiken und Emotionen, die nur „im Saal“ greifbar werden. Immer wieder werden auf Parteitagen Reden gehalten, von denen gesagt wird, dass sie die Stimmung im Saal drehten. Auch Rededuelle profitieren von der Möglichkeit der direkten persönlichen Auseinandersetzung. Solche atmosphärischen Dynamiken können sich nur vor Ort entfalten. Gerade bei den Höhepunkten von Parteitagen sind solche Momente mit Händen greifbar. Medien, Gäste und Delegierte füllen dann den Raum und Emotionen werden greifbar. Natürlich kann man Parteitage wie Konzerte auf Bildschirmen verfolgen, aber unbestreitbar ist das nicht das Gleiche.

Daher ist es mehr als fraglich, ob in Zukunft digitale Parteitage stattfinden werden.12)

References

References
1 Der Beitrag bezieht sich dabei grundsätzlich auf Bundesparteitage der im Bundestag vertretenen Parteien (über Fünf-Prozent sowie die Linke).
2 Jürgen Dittberner, 1969, Die Bundesparteitage der Christlich Demokratischen Union und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1946 bis 1968. Eine Untersuchung der Funktionen von Parteitagen, Augsburg.
3 Vgl. Karl-Rudolf Korte, Jan Treibel, 2012, Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland, Baden-Baden (Zeitschrift für Politikwissenschaft, Sonderband 2012
4 Deniz Anan, 2021, Repräsentations- und Entscheidungskulturen im Vergleich: Die Parteitage von FDP und Grünen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, S. 816-830.
5 https://www.dwdl.de/zahlenzentrale/81123/cduparteitag_beschert_phoenix_und_ntv_starke_quoten/
6 https://www.bundestag.de/resource/blob/803404/ee6a567c0691869d8101a558cb6fe468/WD-3-249-20-pdf-data.pdf; https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/rechtliche_aenderungen_der_parteiarbeit_in_zeiten_von_covid-19_0.pdf?file=1; https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/594-20.pdf?__blob=publicationFile&v=2.
7 Zit. nach Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Elektronische Abstimmungen bei parteiinternen Wahlen per De-Mail, WD 3 – 3000 – 254/20, S. 3.
8 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Online Parteitage mit elektronischer Abstimmung und anschließender Briefwahl, WD 3 – 3000 – 278/20, S. 1.
9 Sophie Schönenberger hat auf diese Ambivalenzen hingewiesen: https://www.swp.de/politik/kritik-an-wahlverfahren-bei-der-cdu-ist-die-merz-wahl-fragwuerdig_-expertin_-_man-bedient-sich-eines-tricks_-62144903.html, Abruf, 25.2.2022.
10 Auf Landesebene gab es bei der CDU 2004 (Baden-Württemberg) und 2010 (Nordrhein-Westfalen) Mitgliederbefragungen.
11 Alexander Hobusch, Digitaler Fortschritt, parteienrechtlicher Rückschritt. Online-Parteitage in der Pandemie als Problem der innerparteilichen Demokratie, VerfBlog, 2021/5/20, https://verfassungsblog.de/digitaler-fortschritt-parteienrechtlicher-ruckschritt/.
12 Es fanden bereits vor der Pandemie vereinzelt digitale Parteitage statt (ohne Wahlen).

SUGGESTED CITATION  Neu, Viola: Zurück zur Präsenz, VerfBlog, 2022/5/03, https://verfassungsblog.de/zuruck-zur-prasenz/, DOI: 10.17176/20220504-062237-0.

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