10 June 2022

Erlaubt das Grundgesetz eine Übergewinnsteuer?

Die Freie Hansestadt Bremen hat mit einem Entschließungsantrag im Bundesrat die Einführung einer Übergewinnsteuer gefordert – der vorläufige Höhepunkt einer Diskussion, die schon während der Corona-Pandemie ins Rollen kam und im Zuge des Ukraine-Kriegs weiter Fahrt aufnimmt. Angesichts hoher verfassungsrechtlicher Hürden ist jedoch zweifelhaft, ob diese Maßnahme überhaupt verfassungskonform wäre.

Der Idee nach sollen krisenbedingte Gewinnzuwächse, die über ein gewisses Normalmaß hinausgehen, abgeschöpft werden, um den krisenbedingten finanziellen Mehrbedarf des Staates mitzufinanzieren. Einerseits hat der Finanzbedarf der öffentlichen Hand für die Ausstattung der Bundeswehr und für die Entlastung von Privathaushalten in den letzten Wochen und Monaten weiter zugenommen, andererseits profitieren einzelne Branchen übermäßig vom Kriegsgeschehen und dessen Folgen. Spätestens seit der Einführung eines Tankrabatts, in dessen Zuge der Verdacht aufkam, dass Mineralölkonzerne diesen nicht vollständig an die Verbraucher weitergeben, gilt eine Übergewinnsteuer als realistisches Szenario.

Kein Steuererfindungsrecht

Um die wesentlichen formellen und materiellen verfassungsrechtlichen Anforderungen für eine Abgabe auf Übergewinne zu identifizieren, ist zunächst danach zu fragen, ob es sich um eine Steuer oder eine nichtsteuerliche Abgabe handeln würde. Den Begriff der Steuer im Sinne des Grundgesetzes (GG) bildet § 3 I AO zutreffend ab. Danach sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Kennzeichnend für eine Steuer ist insbesondere, dass sie ohne individuelle Gegenleistung und unabhängig von einem bestimmten Zweck voraussetzungslos zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs erhoben wird. Selbst wenn eine Abgabe auf einen Übergewinn zur Finanzierung von bestimmten Entlastungsmaßnahmen erhoben werden sollte, stehen sich Einnahme und staatliche Leistung nicht in einem unmittelbaren Gegenleistungsverhältnis gegenüber. Sie sind daher Steuern im Sinne des GG. Allerdings kennt das GG kein freies Steuererfindungsrecht, vielmehr gibt es einen Numerus Clausus der Steuerarten. Das hat auch das BVerfG in seinem Beschluss zur Kernbrennstoffsteuer bestätigt (BVerfG v. 13.4.2017, 2 BvL 6/13; dazu Wernsmann, VerfBlog v. 7.6.2017). Die Einführung einer Übergewinnsteuer könnte daher nicht auf die Sachgesetzgebungskompetenzen, sondern nur auf die Art. 105, 106 GG gestützt werden.

Kein Sondertarif für Übergewinne

Einige Vorschläge sehen vor, eine Übergewinnsteuer in Form eines besonderen Steuersatzes in das bestehende Regime der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu integrieren. Ein solches Vorhaben ließe sich kompetenziell auf Art. 105 II 2, 106 III 1 GG stützen. Als Steuern auf den Hinzuerwerb belasten die Einkommen- und Körperschaftsteuer im Sinne des Art. 106 III 1 GG das Einkommen natürlicher bzw. juristischer Personen. Tatsächlich kann eine Übergewinnsteuer so ausgestaltet werden, dass sie an das Einkommen anknüpft. Die Kompetenznormen der Finanzverfassung würden ein solches Vorhaben decken.

Allerdings setzt der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Einkommen- und Körperschaftsteuer materielle Grenzen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG bindet der allgemeine Gleichheitssatz den Gesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Die Steuerbelastung ist demnach an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Das gilt insbesondere für das Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, das unmittelbar auf die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen angelegt ist. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit müssen Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden (horizontale Steuergerechtigkeit), während die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vertikale Steuergerechtigkeit).

Zwar lässt der allgemeine Gleichheitssatz dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG bei der Auswahl des Steuergegenstands einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung aber folgerichtig im Sinne einer Belastungsgleichheit erfolgen. Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstands getroffenen gesetzgeberischen Belastungsentscheidung (folgerichtigen Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag.

Bei der Bestimmung des Steuersatzes – im Falle der Einkommen- und Körperschaftsteuer bei der konkreten Ausgestaltung eines für alle Einkünfte geltenden Tarifs – hat der Gesetzgeber hingegen wieder einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Wie das BVerfG in seinem Beschluss zu unterschiedlichen Tarifen für Überschuss- und Gewinneinkunftsarten (BVerfG v. 8.12.2021, 2 BvL 1/13) betont hat, wird der Gesetzgeber an diese Tarifentscheidung wiederum durch das Folgerichtigkeitsgebot gebunden. Wählt er für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, muss diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein.

Unabhängig von der Frage, was genau als Übergewinn definiert werden sollte (branchenspezifisch? umsatzbezogen? beschränkte Abzugsfähigkeit bestimmter Aufwendungen?), kann sich der Steuergesetzgeber nicht auf einen weitreichenden Entscheidungsspielraum berufen, wenn er den Übergewinn einem besonderen Steuersatz unterwerfen will. Denn entweder handelt es sich um eine Ausnahme von der in der Wahl des Steuergegenstands zum Ausdruck kommenden Belastungsentscheidung (Übergewinn statt Einkünfte als Steuergegenstand), oder aber um eine Ausnahme vom generellen Einkommen- bzw. Körperschaftsteuertarif (besonderer Tarif für als Übergewinn definierte Einkünfte). Der Gesetzgeber müsste sich für die Ungleichbehandlung der Einkünfte daher auf einen besonderen sachlichen, die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß rechtfertigenden Grund berufen können. Als solche Rechtfertigungsgründe hat das BVerfG bisher Lenkungszwecke, Vereinfachungszwecke und den Zweck der Bekämpfung des Missbrauchs steuerlicher Vorschriften anerkannt. Der für eine Übergewinnsteuer angeführte Zweck der Finanzierung des erhöhten staatlichen Finanzbedarfs scheidet daher als Rechtfertigungsgrund von vornherein aus.

Den für die Einführung einer Übergewinnsteuer angeführten Argumenten liegt aber nicht nur der Gedanke der Staatsfinanzierung, sondern zugleich auch eine andere wesentliche Grundannahme zugrunde, nämlich dass Übergewinne einen Windfall-Profit, also einen leistungslosen Vermögenszuwachs, darstellen. Einen Rechtfertigungsgrund im Sinne eines Lenkungs-, Vereinfachungs- oder Missbrauchsvermeidungszwecks vermag diese Annahme jedoch nicht zu liefern: Zwar kann ein Windfall-Profit, wie ihn beispielsweise Mineralölkonzerne derzeit womöglich erzielen, moralisch unerwünscht und auf ein Marktversagen zurückzuführen sein. Eine Übergewinnsteuer wird aber keine verhaltenslenkende Wirkung dahingehend entfalten können, dass Mineralölkonzerne auf ihre – dann einer erhöhten Steuerlast unterliegenden – Übergewinne verzichteten. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Einführung einer Übergewinnsteuer die Mineralölkonzerne dazu veranlassen würde, den Tankrabatt – für sie gewinnmindernd – an die Verbraucher weiterzugeben. Wenngleich sich Steuervergünstigungen und Sonderbelastungen grundsätzlich mit dem Ziel der Beseitigung eines Marktversagens rechtfertigen lassen, ist eine besondere steuerliche Belastung von Übergewinnen anders als andere Sozialzwecksteuern (etwa Umweltsteuern) dazu ungeeignet, Marktversagen einzudämmen.

Dieses Ergebnis deckt sich mit dem allgemeinen Verständnis von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, für das bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer der Gewinn beziehungsweise Überschuss Indikator ist. Für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spielt es gerade keine Rolle, woraus sich ein Gewinn oder Überschuss ergibt. Vereinfacht gesagt: Die in einem Euro zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird nicht dadurch gesteigert, dass gerade dieser Euro besonders leicht zu erwirtschaften war. Einkommen- und Körperschaftsteuer sind generell blind dafür, wie Gewinne oder Überschüsse erwirtschaftet werden. Das Ertragsteuerrecht entzieht sich im Allgemeinen einer moralischen Bewertung der Mittelherkunft. Kommt im Ertragsteuerrecht ausnahmsweise auch eine moralische Bewertung der Mittelherkunft zum Ausdruck, wie etwa in § 3b EStG oder § 2a II 1 EStG, bedarf es grundsätzlich eines über die moralische Bewertung hinausgehenden Rechtfertigungsgrunds. Tragfähige Gründe dafür, bei Übergewinnen von der Grundentscheidung des deutschen Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts abzuweichen, sind bisher jedoch nicht in die Diskussion eingebracht worden.

Ein gesonderter Steuertarif für Übergewinne lässt sich mit den bisher vorgetragenen Argumenten nicht verfassungskonform in die Einkommen- und Körperschaftsteuer integrieren. Selbst wenn sich die Einführung eines besonderen Steuersatzes rechtfertigen ließe, müsste der Gesetzgeber bei ihrer konkreten Ausgestaltung sicherstellen, dass sie durch die über die Regelsteuersätze der Einkommen- und Körperschaftsteuer hinausgehende Belastung nicht zu einer unzulässigen Erdrosselungsteuer wird.

Grenzen alternativer Umsetzungsvorschläge

Wohl auch deshalb gehen einige Forderungen nach einer Übergewinnsteuer dahin, bestimmte (branchenspezifische) Umsätze einer zusätzlichen eigenen Steuer zu unterwerfen. Eine eigene Steuer für bestimmte Umsätze kommt kompetenziell allenfalls als Verbrauchsteuer (Art. 105 II 2, Art. 106 I Nr. 2 GG) in Betracht. Verbrauchsteuern müssen nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Kernbrennstoffsteuer allerdings als indirekte Steuern auf die Überwälzung auf den Endverbraucher angelegt sein. Sie sollen nach der Konzeption des GG die im Konsum zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verbrauchers und nicht Unternehmensgewinne erfassen. Genau das Gegenteil – die Belastung des Unternehmens und nicht des Verbrauchers – soll jedoch mit einer Übergewinn-Umsatzsteuer erreicht werden. Eine Übergewinnsteuer kann daher nicht verfassungskonform als Übergewinn-Umsatzsteuer eingeführt werden.

Es ließe sich letztlich noch überlegen, ob die Einführung einer Übergewinnsteuer als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer im Sinne des Art. 105 II 2, 106 I Nr. 6 GG verfassungskonform möglich wäre. Aus dem Begriff der Ergänzungsabgabe folgt, dass diese die Einkommen- und Körperschaftsteuer ergänzen, d.h. in einer gewissen Akzessorietät zu ihnen stehen soll. Das BVerfG hat in seiner bisher einzigen Senatsentscheidung zu Ergänzungsabgaben (BVerfG v. 9.2.1972, 1 BvL 16/69) die Einführung einer Ergänzungsabgabe ausschließlich für höhere Einkommen damit gerechtfertigt, dass dies im Ergebnis einer Tariferhöhung im Rahmen der Einkommensteuer gleichkomme, die ihrerseits angesichts des weiten Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers bei der Gestaltung des Steuertarifs zulässig wäre. Nachdem das BVerfG dem Spielraum bei der Gestaltung des Steuertarifs für die Einkommensteuer im Dezember 2021 jedoch engere Grenzen gezogen hat, wäre die Einführung eines (branchenspezifischen) Übergewinn-Steuertarifs in der Einkommensteuer schwer zu rechtfertigen (s.o.). Das gleiche muss daher für eine Ergänzungsabgabe gelten, die nicht an die Höhe des Einkommens, sondern an das Vorliegen bestimmter Einkünfte (Übergewinn) anknüpft. Es ist nur konsequent, dass der Gesetzgeber die Beschränkungen, die für die Ausgestaltung der Einkommensteuer gelten, nicht durch die Einführung einer Ergänzungsabgabe umgehen kann.

Fazit

Noch liegt kein konkreter Vorschlag für eine Übergewinnsteuer vor. Wollte der Gesetzgeber eine Übergewinnsteuer einführen, hätte er erhebliche verfassungsrechtliche Hürden zu überwinden, insbesondere müsste er die zusätzliche steuerliche Belastung von Übergewinnen mit einem besonderen sachlichen Grund rechtfertigen. Tragfähige Rechtfertigungsgründe sind in der bisherigen Diskussion aber nicht ersichtlich geworden. Zudem bliebe zu klären, wie überhaupt präzise und zugleich praktikabel zwischen normalen Gewinnsteigerungen und krisenbedingten Übergewinnen abgegrenzt werden soll.


SUGGESTED CITATION  Meickmann, Till Valentin: Erlaubt das Grundgesetz eine Übergewinnsteuer?, VerfBlog, 2022/6/10, https://verfassungsblog.de/erlaubt-das-grundgesetz-eine-ubergewinnsteuer/, DOI: 10.17176/20220611-032907-0.

2 Comments

  1. M.J.B Mon 13 Jun 2022 at 17:32 - Reply

    Ein sehr schöner Beitrag, nur sehr nah am medial angenehmen Begriff der “Übergewinnsteuer”. Wie würde es sich bspw. mit der Verfassungsmäßigkeit einer ähnlich den Jahresbeiträgen nach § 12 Abs. 2 RStruktFG gestalteten Sonderabgabe für bspw. Mineralölkonzerne verhalten? Die Argumente einer Übergewinnsteuer sind denen der Bankenabgabe nicht ganz unähnlich.

  2. The Austrian Fri 10 Mar 2023 at 17:31 - Reply

    Ich muss gestehen, dass ich als Österreicher kein Spezialist für deutsches (Verfassungs-)Recht bin, doch erscheinen mir die Argumente, die der Beitrag letztlich zu hohen Hürden für die Verfassungskonformität einer Übergewinnsteuer zusammensummiert, doch recht konstruiert. Letztlich scheint das Kernargument überhaupt jenes zu sein, dass das BVerfG bisher eine exakt solche Regelung nicht genehmigt hat – eine fragwürdige und sehr BVerfG-zentrierte Position.
    Und das, sicherlich zu Recht ins Spiel gebrachte, Gleichheitssatzthema wird mE ein bisschen gar schnell überspielt, indem der Autor meint, dass “tragfähige Gründe dafür, bei Übergewinnen von der Grundentscheidung des deutschen Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts abzuweichen, …. bisher jedoch nicht in die Diskussion eingebracht worden” seien. Das ist eine dem Autor zuzugestehende politische Wertung, aber sicher keine verfassungsrechtliche Analyse.

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