Der Weg zu Equal Pay ist viel zu steinig
Was das Verfahren von Birte Meier vor dem Bundesverfassungsgericht über die Durchsetzung des Rechts auf Entgeltgleichheit lehrt
Birte Meiers Weg zur Entgeltgleichheit und (Geschlechter-)Gerechtigkeit gleicht einer Odyssee. Er führte sie nach Berlin, über Erfurt, nach Karlsruhe und zurück. Ob ein Streckenabschnitt nicht auch nach Luxemburg hätte führen müssen – zum europäischen Gerichtshof (EuGH) – diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss nun verneint. Die Beschwerde der Klägerin darüber, dass die nationalen Gerichte die entscheidenden Fragen nicht dem EuGH vorgelegt hatten, wurde in Karlsruhe nicht zur Entscheidung angenommen. Wolfgang Janisch sieht in diesem Zwischenergebnis allerdings zu Recht einen „halben Sieg“ der kämpferischen Journalistin. Doch die seit 2015 (!) geführten Verfahren, die noch immer nicht abgeschlossen sind, zeigen auch deutlich: Der Anspruch auf Entgeltgleichheit ist nur unter großen Schwierigkeiten durchsetzbar. Der Weg ist zu steinig, zu wenige können ihn gehen, zu mühsam sind die Erfolge, die Einzelne erringen. Insofern ist auch dieses Urteil ein weiteres Argument für gesetzliche Reformen, die in Sachen Equal Pay erfreulicherweise angestoßen werden. Und zwar, wieder einmal, von der Europäischen Union.
Deutlicher Wink an die Arbeitsgerichte
Das Recht von Frauen und Männern auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gehört zu den Grundprinzipien der Europäischen Union. Und dies bereits seit den Römischen Verträgen aus dem Jahr 1957 – lange bevor Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG Einzug ins Grundgesetz hielt.1) Die Verpflichtung, das gleiche Entgelt zu gewährleisten, ist in Artikel 157 AEUV und in der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen festgelegt, der Beschluss des BVerfG zitiert wichtig Grundsatzurteile des EuGH. Deswegen überrascht es nicht, dass der Weg nach Luxemburg für Birte Meier chancenreich erschien. Doch das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an: Da das Bundesarbeitsgericht mittlerweile klargestellt habe, dass ein die eigene Vergütung übersteigendes Vergleichs-Entgelt (Median-Entgelt) die Vermutung im Sinne des § 22 AGG begründe, dass eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt sei, lägen die Voraussetzungen einer Beweislastumkehr vor, deren fehlende Annahme durch das Landesarbeitsgericht die Beschwerde rügte. „Die Zahlungsklage könnte daher Erfolg haben. Dass dem andere Gründe entgegenstünden, ist jedenfalls aus den Darlegungen nicht erkennbar,“ heißt es im Beschluss des BVerfG. Nora Markard, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Klägerin unterstützte, sieht darin völlig zu Recht einen „deutlichen Wink an die Arbeitsgerichte“.
Entgelttransparenzgesetz zeigt wenig Wirkung
Mit ihrem Gang durch die Instanzen hat die Klägerin bereits wichtige Erfolge für die Entgeltgleichheit erstritten, weit über ihren Fall hinaus. Die Schwierigkeiten der Beweisführung, gegen die sie vor dem Hintergrund intransparenter Gehaltsstrukturen und dem Informationsgefälle zwischen Arbeitgebenden und Beschäftigten ankämpfen muss, sind dabei kein Einzelfall, sondern symptomatisch. Gerade dieses Symptom sollte das seit 2017 geltende Entgelttransparenzgesetz eigentlich bekämpfen. Es sieht als Hauptinstrument in Betrieben und Dienststellen mit mehr als 200 Beschäftigten einen individuellen Auskunftsanspruch vor. Den machte auch Birte Meier geltend. Weiter enthält das Gesetz eine „Aufforderung“ an private Arbeitgebende mit mehr als 500 Beschäftigten, betriebliche Prüfverfahren durchzuführen. Zudem sind Berichtspflichten für lageberichtspflichtige Arbeitgebende mit mehr als 500 Beschäftigten geregelt. Doch die Evaluation des Gesetzes aus dem Jahr 2019 machte deutlich: Nur zwei Prozent aller befragten Beschäftigten, die ihren Auskunftsanspruch kennen, machten diesen auch geltend. Weniger als die Hälfte der durch das Gesetz dazu aufgeforderten Unternehmen haben ihre Entgeltstrukturen auf Diskriminierungen überprüft. Und bei denen, die tätig geworden sind, bleiben die angewandten Kriterien und Verfahren der Prüfung offen. Die letzte Bundesregierung sah nach dieser Evaluation immerhin „die Notwendigkeit, die Bekanntheit des Entgelttransparenzgesetzes und seiner Instrumente weiter zu erhöhen“. Notwendig wäre vor allem aber, wirksame Instrumente zu schaffen und Hürden der Rechtsdurchsetzung abzubauen.
Wichtig war in Sachen Beweislast zwar die jüngste Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2021, auf die auch das BVerfG in seinem Beschluss verweist – erstritten von einer anderen mutigen Klägerin. Aber die Hürden zur Durchsetzung von Equal Pay bleiben hoch, wie gerade auch dieser zweite Präzedenzfall zeigt. Denn die Klägerin war mit ihrer Rechtsfrage zur Beweislastverteilung vor dem Bundesarbeitsgericht zwar erfolgreich, aber nach vier Jahren Rechtsstreit ist sie immer noch nicht am Ziel: Nach wie vor verdient sie monatlich gut 1000 Euro brutto weniger als der vergleichbare Kollege.
Strukturelle Veränderungen sind wirksamer
Neben der schwierigen Beweisführung ist für das Antidiskriminierungsrecht und seine Durchsetzung in der Praxis außerdem symptomatisch, dass einzelne Betroffene selten die Gerichte anrufen. Zuletzt hat eine Untersuchung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Diskriminierungen von Sorgeleistenden im Job wieder ergeben: Abhängig Beschäftigte wehren sich nicht gegen Diskriminierungen, weil sie sich aus Angst vor Maßregelungen nicht trauen, Konflikte mit ihren Arbeitgebenden vor Gericht zu eskalieren. Auch erhoffen sie sich wenig Abhilfe durch einen Rechtsstreit. Dies entspricht auch den Ergebnissen der Evaluation des Entgelttransparenzgesetzes – und zwar schon in Bezug auf die bloße Geltendmachung des Auskunftsanspruchs, der ja niedrigschwelliger sein soll als eine Klage auf Equal Pay. Gründe von Beschäftigten, diesen Anspruch nicht geltend zu machen, waren laut der Befragung u.a. geringe Aussicht auf Veränderung und Furcht vor negativen Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis. Das Evaluationsgutachten kam deshalb zu der vorsichtigen Einschätzung, „dass ein individuell geltend zu machendes Recht zur Durchsetzung von Entgeltgleichheit nicht optimal geeignet ist“ (S. 124 des Evaluationsberichts). Das deckt sich mit der Einschätzung von Deutschem Gewerkschafts- sowie Juristinnenbund. Beide hatten schon im Gesetzgebungsverfahren kollektive Handlungsmöglichkeiten, u.a. ein Verbandsklagerecht gefordert.2)
Schon lange wird in der wissenschaftlichen Debatte zur Wirkmacht des Antidiskriminierungsrechts (etwa von Eva Kocher) darauf verwiesen, dass diskriminierende Strukturen nur unzureichend durch die individuelle Rechtsdurchsetzung einzelner, sondern durch strukturelle Veränderungen, durch positive Maßnahmen und Einbindung kollektiver Akteure erreicht werden müssen. Im Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung ist immerhin eine Prozessstandschaft angedacht, das Entgelttransparenzgesetz solle „weiterentwickelt werden“. Einen proaktiven, wesentlich über ein funktionstüchtiges Entgelttransparenzgesetz hinausgehenden Vorschlag dafür, was getan werden könnte, um Gleichstellung in der Privatwirtschaft durchzusetzen, hat derweil der Juristinnenbund unterbreitet.
Schließt die EU die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen?
Der jahrelange Prozess von Birte Meier ist nach alledem kein Einzelfall, sondern ein Beispiel für Strukturen der Lohndiskriminierung und für die Schwierigkeiten ihrer Bekämpfung, die aus den genannten Gründen selten an die Öffentlichkeit gelangen. Dafür, dass dies so bleibt, gibt es eine Lobby. Denn Lohndiskriminierung spart Unternehmen viel Geld: Bei Birte Meier geht es um einen Gehaltsunterschied von monatlich 800 Euro im Median. Diese Differenz will sie nun – mit einer weiteren, bereits eingereichten Klage – erstreiten.
Doch Transparenzpflichten zur Offenlegung von Lohnstrukturen, die diesen Weg abgekürzt hätten, werden nach wie vor als Bürokratie verschrien; dass es Diskriminierung beim Entgelt gäbe, wird bestritten. Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen – in Deutschland betrug sie zuletzt 18 % – sei auf die Berufswahl von Frauen und häufige Erwerbsunterbrechung zurückzuführen.3)
Umso wichtiger ist deshalb, dass die Europäische Union eine explizit andere Haltung hat und die Durchsetzung des Rechts auf gleichen Lohn vorantreibt. Eine Richtlinie ist im Gesetzgebungsverfahren, die die Vorschriften zur Entgelttransparenz in Deutschland deutlich verschärfen könnte. Das Parlament hat im März 2022 mehrheitlich dafür gestimmt, dass Betriebe mit mindestens 50 Mitarbeitenden umfangreich über ihre Bezahlsysteme berichten müssen. Das erfasst zwar immer noch zu viele Betriebe nicht – die EU-Kommission hatte jedoch in ihrem Aufschlag aus 2021 lediglich eine Schwelle von 250 Beschäftigten vorgesehen, das Entgelttransparenzgesetz nimmt gar nur Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten in die Pflicht. Dadurch profitieren riesige Teile der Beschäftigten nicht vom Gesetz. Frauen arbeiten überwiegend in kleineren Betrieben, in denen seltener Tarifverträge und Mitbestimmungsrechte gelten, die Lohndiskriminierung eindämmen können. Wenn die zu erstellenden Entgeltberichte ein Lohngefälle zwischen Frauen und Männern von mindestens 2,5 % ergeben (die EU-Kommission hatte 5 % vorgeschlagen), müssen die Mitgliedstaaten gemäß dem Richtlinienentwurf sicherstellen, dass Arbeitgebende in Zusammenarbeit mit ihren Arbeitnehmervertretungen eine gemeinsame Lohn- und Gehaltsbewertung durchführen und einen Aktionsplan für die Gleichstellung entwickeln. Und ein Aktionsplan unter Einbindung kollektiver Akteure – Gewerkschaften und Betriebsräte – bietet ein deutlich größeres Potential zur Veränderung diskriminierender Entgeltsysteme als jahrelange, zermürbende Klagen Einzelner.
Kämpfe um das Recht durch strategische Prozessführung voranzutreiben, ist unerlässlich – auch bei Gesetzen, die ambitionierter sind als das Entgelttransparenzgesetz bei der Umsetzung von Verfassungsaufträgen. Wenn Birte Meier – wie das BVerfG es erfreulicherweise ausdrücklich für möglich hält – erfolgreich sein wird beim Einklagen der Lohndifferenz, dann wird das eine abschreckende Wirkung haben und über den konkreten Fall hinaus Wirkung entfalten. Auch die in den bisher erstrittenen Urteilen erreichten Klarstellungen helfen anderen Klägerinnen und machen es für Unternehmen risikoreicher, Diskriminierungen aktiv zu betreiben oder jedenfalls nicht gezielt durch strukturierte Überprüfung ihrer Entgeltpolitik zu beenden.
Aber nicht alle, die Lohndiskriminierungen weiterhin ausgesetzt sind, haben Ressourcen wie Sprachkenntnisse, Netzwerke und Geld. Und damit fehlen wichtige Voraussetzungen zur Durchsetzung von Recht im Wege der Individualklage. Auch haben nicht alle den Mut von Birte Meier, deren Name nun in der Öffentlichkeit mit Widerstand in Verbindung gebracht wird. Ihr viel zu beschwerlicher Weg durch die Instanzen ist deshalb eine weitere Mahnung an den Gesetzgeber: Dem Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, ist mit dem Entgelttransparenzgesetz in seiner derzeitigen Form keine Rechnung getragen. Womöglich wird es – wenn auch zunächst nicht durch den EuGH im Fall Birte Meier – eben doch die Europäische Union sein, die einen entscheidenden Beitrag zu mehr Lohngleichheit in der Bundesrepublik leistet. Dass die Ampel die uneindeutige, aber offene Positionierung im Koalitionsvertrag jedenfalls im Windschatten einer neuen europäischen Richtlinie nutzt, um tatsächliche Gleichstellung voranzubringen, bleibt zu hoffen. Entgeltgleichheit durchzusetzen, darf keine Odyssee sein.