13 September 2022

Klimaschutz geht durch den Magen

Die Schweizer Massentierhaltungsinitiative und ihre klimapolitische Bedeutung

Am 25. September 2022 stimmt die Schweiz über die eidgenössische Volksinitiative „Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)“ ab. Die Initiative fordert das Ende der industriellen Tierproduktion bzw. die Abkehr von der Massentierhaltung und den Aufbruch hin zu einer zukunftsfähigen, tierfreundlich(er)en und ressourcenschonenden Landwirtschaft. Obschon die Initiative primär ein tierschutzpolitisches Anliegen verfolgt, ist sie insbesondere für die Klimapolitik von grösster Bedeutung. Denn klar ist: ein Abbau – oder gar Ausstieg aus – der industriellen Massentierproduktion ist nicht bloss aus tierethischen, sondern ebenso aus gesundheits- und umweltpolitischen Gründen dringend geboten. Die Massentierhaltungsinitiative spricht damit ein vordringliches, politisch indes vernachlässigtes Thema an: die notwendige Transformation hin zu gesunden und nachhaltigen Ernährungssystemen. Eine solche Ernährungswende erfordert im Kern auch die Befassung mit der bis anhin tabuisierten „Fleischfrage“: kann und soll der Staat den Klimakiller Fleisch stärker regulieren?

Tierschutzpolitische Anliegen der Massentierhaltungsinitiative

Die Initiative schlägt einen neuen Verfassungsartikel zur landwirtschaftlichen Tierhaltung vor (Art. 80a Schweizerische Bundesverfassung (BV)). Gemäss Initiativtext soll die (bereits in Art. 120 Abs. 2 BV und Art. 1 des schweizerischen TSchG allgemein anerkannte) Würde des Tieres spezifisch auch in der Landwirtschaft geschützt werden, was namentlich einen Anspruch der Tiere umfasst, nicht in Massentierhaltung zu leben (Abs. 1). „Massentierhaltung“ wird dabei beschrieben als „industrielle Tierproduktion zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird“ (Abs. 2). Um die Abkehr von der Massentierhaltung zu verwirklichen, obliegt es dem schweizerischen Bundesgesetzgeber, Kriterien für die tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die maximale Gruppengrösse pro Stall sowie für die Schlachtung festzulegen (Abs. 3). Diese Anforderungen müssen dabei mindestens jenen der Bio-Suisse Richtlinien entsprechen. Letztlich sieht die Initiative auch eine Importklausel vor, welche einer Problemverlagerung durch Einfuhr von im Ausland erzeugten Massentierhaltungsprodukten vorbeugen soll (Abs. 4).

Bemerkenswert ist, dass sich die politische Debatte rundum die Initiative nicht so sehr mit der Frage befasst, ob die Schweiz Massentierhaltung zugestehen will oder nicht (kaum jemand wird das moralisch schwer zu rechtfertigende Phänomen der Massentierhaltungsfabriken ausdrücklich befürworten). Die Streitfrage scheint vielmehr zu sein, ob Massentierhaltung in der Schweiz überhaupt existiert, was die Initiativ-GegnerInnen verneinen. Richtig ist, dass die Tierbestände in der Schweiz – im Vergleich zum europäischen Ausland – deutlich kleiner sind. Dennoch erlaubt sie derzeit pro Betrieb Höchstbestände von 27‘000 Masthühnern, 18‘000 Legehennen, 1‘500 Mastschweinen und 300 Mastkälbern. Auch die Lebensrealität der Schweizer Nutztiere stellt sich in der Regel weit minder idyllisch dar, als es die Beschreibungen der Agrarlobby und die vom Bund schöngerechneten Zahlen suggerieren. Die grosse Mehrheit der landwirtschaftlichen Nutztiere verbringt ihr kurzes Leben in dreckigen, beengten, monotonen Ställen ohne Auslauf. In der Schweiz werden jährlich über 80 Millionen Landwirbeltiere geschlachtet – und damit das Zehnfache ihrer menschlichen Bevölkerung. In Deutschland sind es jährlich über 750 Millionen, global gar über 70 Milliarden Landwirtbeltiere.

Gesundheits-, umwelt- und klimapolitische Beilagen

Die Massentierhaltungsinitiative verfolgt zwar in erster Linie tierschutzpolitische Ziele, unterstreicht aber zugleich die gesundheitlichen und ökologischen Co-Benefits einer Abschaffung der industriellen Tierproduktion. Tatsächlich sind die verheerenden Auswirkungen eines exzessiven Tierkonsums auf die öffentliche Gesundheit und Umwelt reichlich dokumentiert. So etwa leistet die Nutztierhaltung der Entstehung von zoonotischen Krankheiten und Antibiotikaresistenzen Vorschub. Das in Industriegesellschaften dominierende, übermässig tierbasierte Ernährungsmuster ist überdies ungesund. Die daraus resultierenden hohen Übergewichtsraten sowie andere Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten tragen stark zu den steigenden Gesundheitskosten bei. Schlimmer noch sind die umweltschädigenden Externalitäten der Nutztierhaltung. Die industrielle Tierproduktion ist einer der Haupttreiber der sich aktuell zuspitzenden globalen ökologischen Krisen: Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Regenwaldabholzung. Die Tierlandwirtschaft ist für etwa 80% aller landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen und bis zu 18% der totalen globalen Emissionen verantwortlich. Die Treibhausgasemissionen von Tierprodukten sind doppelt so hoch wie jene von pflanzlichen Nahrungsmitteln. Ins Gewicht fallen insbesondere der Methanausstoss durch Wiederkäufer sowie der ineffiziente Ressourcenverbrauch für Nutztierhaltung und Futtermittelanbau.

In Anbetracht der massiven gesundheits- und umweltschädigenden Folgen der Tierindustrie sprechen folglich gewichtige Gründe dafür, die Produktion und den Konsum tierlicher Nahrungsmittel signifikant zu reduzieren. Tatsächlich liegt in der Umstellung hin zu überwiegend pflanzlicher Ernährung das grösste landwirtschaftliche Treibhausgasreduktionspotenzial (mit einer Emissions-Reduktion von bis zu 56%) und ist eine solche gesellschaftliche Entwicklung ferner unerlässlich, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Fleischpolitik is(s)t Klimapolitik

Die zur Erreichung der Klimaziele erforderliche Ernährungswende gilt es politisch und rechtlich einzurahmen und zu fördern. Die wissenschaftlich belegte Notwendigkeit eines Übergangs zu gesunden und nachhaltigen Ernährungssystemen dringt allmählich auch in die Politik vor. So zielt etwa die EU Farm to Fork Strategy – ein Herzstück des European Green Deal – auf eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ab und unterstreicht die Bedeutung einer mehrheitlich pflanzlichen Ernährung für Gesundheit und Nachhaltigkeit. Auch in der Schweiz wird, wenngleich etwas verhaltener, die Transformation hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen als notwendig erachtet und auf die besondere Rolle des (selbstverantwortlichen) nachhaltigen Konsums verwiesen.

Von solcherart Absichtserklärungen abgesehen sind die derzeitigen Trends indes noch gegenläufig. Im Vergleich zu anderen Sektoren bleibt die Tierindustrie hinsichtlich ihrer ökologischen Externalitäten weitgehend unreguliert. Zugleich ist sie neben der Ölindustrie die grösste Leistungsempfängerin von umweltschädlichen Subventionen. In der Schweiz entfallen 82% der Steuergelder für die Nahrungsmittelproduktion auf die Tierproduktion (was sich auf über 2 Milliarden CHF jährlich beläuft). In Deutschland reichen die Schätzungen der umweltschädlichen Subventionen für die Tierindustrie von 5 Milliarden Euro (allein durch Mehrwertsteuerbegünstigung für Tierprodukte) bis 13 Milliarden Euro pro Jahr. Die FAO beziffert die globalen jährlichen umweltschädlichen Agrarsubventionen auf über 500 Milliarden USD, deren Grossteil auf emissionsintensive Produkte wie Fleisch und Milch entfällt. Angesichts ihrer beträchtlichen sozialen, ökologischen und Tierwohl-Externalitäten mutet es geradezu unerträglich an, dass die Tierindustrie auch heute noch solcherlei Unterstützungsbeiträge aus öffentlicher Hand aufgetischt bekommt. Entsprechend lauter werden an die Politik gerichtete Forderungen nach einem Abbau umweltschädlicher Agrarsubventionen, zumal diese die Klimaziele konterkarieren, und nach Umweltabgaben wie etwa einer Fleisch-Steuer.

Vor diesem Hintergrund steht die Schweizer Massentierhaltungsinitiative exemplarisch für die zunehmende Politisierung von Fleisch: Ernährung ist politisch. Die Idee einer Fleisch-Regulierung mag auf den ersten Blick zwar politisch unbekömmlich sein und auch gesellschaftlich nicht goutieren (man denke etwa an die Veggie-Day-Kontroverse). Diese politische Toxizität gilt es nun schleunigst zu überwinden, die Fleischfrage zu enttabuisieren und Fleischpolitik in die Klimapolitik zu integrieren. Dies drängt sich umso mehr auf, als sich die Dezimierung (langfristig gar ein weitgehender Ausstieg aus) der industriellen Tierproduktion als eine der wirksamsten Klimastrategien erweist. Wenn es uns also ernst ist mit dem Ziel der Klimaneutralität, dann muss Klimaschutz (auch) durch den Magen gehen. Der in der Schweiz dank jahrelanger (und staatlich finanzierter) Werbung allbekannte Spruch „Fleisch – alles andere ist Beilage“ gilt demnach erst recht für die Klimapolitik: diese muss sich mit der Fleischfrage befassen – alles andere ist Beilage.


SUGGESTED CITATION  Stucki, Saskia: Klimaschutz geht durch den Magen: Die Schweizer Massentierhaltungsinitiative und ihre klimapolitische Bedeutung, VerfBlog, 2022/9/13, https://verfassungsblog.de/klimaschutz-geht-durch-den-magen/, DOI: 10.17176/20220913-230313-0.

One Comment

  1. Marx Glättli Tue 20 Sep 2022 at 15:28 - Reply

    Dieser Artikel ist dicht gefüllt mit politischen Forderungen, jedoch mangelt er stark an juristischer Analyse, wie es eigentlich für einen juristischen Blog normal wäre.
    Wer sich etwa nach Studium des Initiativtexts fragt, ob die Initiative mit dem WTO-Recht sowie den Bilateralen Abkommen mit der EU kompatibel ist, wird hier keine Antwort finden.
    Stattdessen findet man elektorale Schlagwörter und politische Forderungen, wie zum Beispiel “Diese politische Toxizität gilt es nun schleunigst zu überwinden”.
    Noch weniger bekömlich sind die verlinkten Quellen. Für die Behauptung, Ernährung sei politisch, wird etwa auf die Grüne Fraktion von Bremen verlinkt. Ist die Meinung einer politischen Partei eine akzeptable Quelle in einer wissenschaftlichen Publikation?

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