Kulturkampf macht Schule
In Sachsen dürfen fürderhin auch Kooperationspartner*innen von Schulen keine geschlechtergerechten Sprachformen unter Verwendung von Sternchen etc. verwenden. Das hat das sächsische Kultusministerium in dieser Woche „klargestellt“, nachdem es bereits vor zwei Jahren die Verwendung sogenannter „verkürzender“ Spielarten des Genderns (also andere als die Verwendung von binären Wortpaaren wie „Schülerinnen und Schüler“ oder neutraler Begriffe wie „Jugendliche“) an den dortigen Schulen verboten hatte. Das CDU-geführte Ministerium setzt damit dazu an, den Kulturkampf gegen geschlechtliche Vielfalt und feministische Ideen aus dem schulischen Kontext heraus weiter in die Gesellschaft zu tragen – ein Projekt, das auch in dieser jüngsten Form erheblichen grundrechtlichen Bedenken begegnen muss.
Bereits die ursprüngliche, den innerschulischen Kontext betreffende Regelung kann bei Lichte betrachtet keinen Bestand haben. Schüler*innen können unter Umständen sogar ein Recht darauf geltend machen, dass geschlechtliche Vielfalt im schulischen Kontext explizit abgebildet wird und insbesondere auch ihre eigenen Ausdrucksformen diesbezüglich respektiert werden. Ein Verbot bestimmter Formen gendergerechter Sprache folgt demgegenüber keinem denkbaren rechtlich tragfähigen Impetus, Kinder- oder Elternrechte zu schützen.
Das schulische Umfeld hat eine besondere Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung
Schüler*innen begegnen – und das wird oft genug bereits unterschlagen – Formen des Genderns in der Schule auf zweierlei Ebenen: als Angesprochene und auch als Sprechende.
Ob durch (staatliche) Anreden, die die Genderidentität einer Person missachten, lediglich „Befindlichkeiten“ verletzt werden (so wohl BGH-Richter Allgayer, NJW 2022, 452; s. auch das BGH-Urteil zum Sparkassenformular) oder doch eher das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. hier und hier und hier), ist eine komplexe Frage, die hier nur umrissen werden kann. Jedenfalls aber lässt sich – auch auf Basis des „Bundesnotbremse II“-Beschlusses – eine besondere Bedeutung des schulischen Umfelds für die spezifisch kindliche Persönlichkeitsentwicklung statuieren. Selbst wenn also einerseits kein kontextunabhängiges Recht auf sprachliche Akzeptanz der Genderidentität bestehen sollte, stellt sich die Situation in der Schule schon aufgrund des besonderen Bildungs- und Schutzauftrags und ihres nunmehr verfassungsrechtlich explizierten Beitrags zur Persönlichkeitsentwicklung durchaus anders dar. Verstärkt wird die Position der Schüler*innen als Angesprochene natürlich noch durch die Gleichheitssätze.
Aber Schüler*innen sind auch als Sprechende von Sprachregelungen betroffen, etwa wenn bestimmte Formen des Genderns in Schularbeiten negativ bewertet werden oder ihnen etwa im Rahmen von Projekten wie Schulzeitungen, Wettbewerben und anderen Veranstaltungen verboten wird, in einer bestimmten Art und Weise zu sprechen. Es ist klar, dass im Rahmen von Bewertungssystemen für Rechtschreibung und Grammatik eindeutige Maßstäbe für richtig und falsch herangezogen werden müssen. Allerdings läuft diese Rechtfertigung dort ins Leere, wo eine bestimmte Schreibweise – wie beim Gendern – offensichtlich nicht aus Unwissenheit, sondern ganz bewusst gewählt wird, um einen bestimmten Ausdruck etwa eines nichtbinären Genderverständnisses zu ermöglichen. Soweit sich Schüler*innen in nicht unmittelbar benoteten, möglicherweise auch explizit an die Öffentlichkeit gerichteten Projekten äußern, verstärkt sich noch die Einwirkung ihrer Grundrechte (zur strittigen Frage, ob die Verwendung bestimmter Formen des Genderns für sich eine Meinungsäußerung darstellt, s. auch weiter unten).
Warum geschlechtergerechte Sprache das schulische Neutralitätsgebot nicht verletzen kann
Dass der Staat „von Verfassungs wegen nicht gehindert [ist], Regelungen über die richtige Schreibung der deutschen Sprache für den Unterricht in den Schulen zu treffen“, wissen wir seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtschreibreform (BVerfGE 98, 218-264). Allerdings bedeutet diese Entscheidung im Gegenzug nicht, dass jede Art der staatlichen Intervention ohne weitere Rechtfertigung möglich ist.
An dieser Stelle muss ich betonen, dass das sächsische Kultusministerium zur Rechtfertigung seiner Regelung keine explizit verfassungsrechtlichen Maßstäbe heranzieht, sondern – der Kultusminister*innenkonferenz folgend – auf die Ziele der Verständlichkeit von Sprache und die derzeit geltenden Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung verweist. Dem Bekenntnis zur „geschlechtersensiblen Erziehung“ – das mit diesem Ansatz jedenfalls bezüglich nichtbinärer Genderverständnisse ein Lippenbekenntnis bleibt – folgt also lediglich die achselzuckende Behauptung, das mit dem Gendern wäre aber halt irgendwie zu schwer und nicht so hübsch. Auch eine tiefergehende verfassungsrechtliche Rechtfertigung muss aber meines Erachtens im Ergebnis misslingen.
So war Anfang dieses Jahres (VG Berlin, Beschl. v. 24.03.2023 – VG 3 L 24/23) ein Berliner Vater mit dem Versuch gescheitert, seine beiden Kinder im Eilrechtsschutz vor den Schrecken des „Genderns“ oder gar – horribile dictu – der Critical Race Theory in der Schule zu schützen. Er berief sich, was die Rechte der Kinder betraf, u.a. auf den sogenannten Beutelsbacher Konsens, der ein Überwältigungs- und Indoktrinationsverbot, die Beachtung kontroverser Positionen in Wissenschaft und Politik im Unterricht und die Befähigung der Schüler*innen, politischen Situationen selbst zu analysieren, betont (vgl. auch näher Wrase APuZ 14/15/2020, 10). Zu Recht sah das Berliner VG diese richtigen Grundsätze dadurch, dass individuelle Lehrkräfte bestimmte Formen des Genderns wählten, nicht gefährdet, insbesondere wenn sie diese Praxis durch entsprechende Diskussionen usw. im schulischen Kontext begleiten.
Auch stellte das Verwaltungsgericht in überzeugender Weise klar, dass keine Verletzung des schulischen Neutralitätsgebots vorlag. Dieses folgt nach der verbreitetsten Ansicht aus dem elterlichen Erziehungsrecht in Verbindung mit der staatlichen Schulzuständigkeit (Art. 6 II iVm 7 I GG; s. auch die jeweiligen Schulgesetze der Länder – welche Rolle hier eigene Rechte der Schüler*innen spielen könnten, wird standardmäßig leider nicht erläutert). Das Gericht betont zunächst, dass es im Verwenden der fraglichen Formen des Genderns keine politische Meinungsäußerung sieht – eine durchaus streitbare Position in der aktuellen Diskussionslage, der jedoch im Ergebnis jedenfalls insoweit zuzustimmen ist, dass dies „sich nicht ohne weiteres zwingend abstrakt generell durch eine bestimmte Ausdrucksweise ausnahmslos feststellen, sondern nur bezogen auf den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der weiteren Begleitumstände“ bewerten lässt – zumal in Kontexten, in denen die Verwendung möglicherweise „lediglich dem Umstand geschuldet ist, dass in den betreffenden Klassen Kinder unterrichtet werden, die in einer genderneutralen Weise angesprochen werden möchten“.
Gewichtiger ist meines Erachtens der zweite Schritt in der Argumentation des VG: „Selbst wenn […] die Verwendung genderneutraler Sprache eine Zuschreibung einer bestimmten politischen Richtung ermöglichen sollte […], wären die oben genannten Grenzen hierdurch nicht überschritten. Dies folgt nicht nur daraus, dass […] genderneutrale Sprache zunehmend Eingang in die Öffentlichkeit findet, sondern sich andererseits auch genauso Widerstand gegen die Verwendung von genderneutraler Sprache bildet. Folglich kann mittlerweile auch durch die Nichtverwendung von genderneutraler Sprache ebenso eine politische Zuschreibung in Betracht kommen. Vor diesem Hintergrund dürfte es den Lehrkräften bei lebensnaher Betrachtung zunehmend kaum möglich sein, ihren Sprachgebrauch so auszugestalten, dass er keine derartige politische Zuschreibung mehr zulässt.“ Mit anderen Worten: Sprache ist nie neutral, und nur weil eine bestimmte Sprechweise eine längere Tradition hat, ist sie nicht unpolitisch – vielmehr verdeutlichen neu aufkommende Sprachformen die gesellschaftliche Gewordenheit von Sprache.
Vorbild USA: Die Erweiterung des Genderverbots auf Kooperationspartner*innen folgt dem rechten Playbook
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle also sagen, dass nicht nur nichts gegen, sondern sogar einiges für die konsequente Verwendung bestimmter Sprachformen spricht, die ein nichtbinäres Geschlechterverständnis explizit abbilden, auch und gerade im schulischen Kontext. Insbesondere gibt es kein Recht, gendersensibler Sprache nicht ausgesetzt zu werden (vgl. hierzu auch zivilrechtlich LG Ingolstadt, Urt. v. 29.07.2022, 21 U 5235/22; Besprechung von Valérie Suhr in DIVRUW 1/2023, 30-32). Viele Befürworter*innen gendersensibler Sprache würden zustimmen, dass die derzeit im Deutschen geläufigen Formen noch nicht zufriedenstellend sind – was kein Grund sein kann, sie zu verbieten.
Mit der „klarstellenden“ Erweiterung des schulischen „Genderverbots“ auf Kooperationspartner*innen von sächsischen Schulen wird die grundrechtliche Gemengelage je nach dem entsprechend erweitert: z.B. um die Kunst- und Meinungsfreiheit, die Freiheit von Forschung und Lehre, Persönlichkeitsrechte, die Berufsfreiheit und in jedem Fall mindestens die Allgemeine Handlungsfreiheit der jeweiligen Personen oder Organisationen (s. schon jetzt den Fall des Theaters Plauen-Zwickau, das sich gegen ein kommunales „Genderverbot“ auf Grundlage seiner Kunstfreiheit wehrt). An den obigen Überlegungen, wonach Verbote bestimmter gendersensibler Sprachformen im schulischen Kontext nicht haltbar sind, ändert das ohnehin nichts.
Die Diskussion, welche potenziellen Kooperationspartner*innen sich im Einzelnen auf welche Rechte berufen können, sollte aber vor allem nicht davon ablenken, wer von dem Verbot mit höchster Wahrscheinlichkeit am meisten betroffen sein wird und mutmaßlich ganz bewusst avisiert wurde: queere Jugend- und Unterstützungsorganisationen (vgl. z.B. die SCHLAU-Initiativen). Vereine und sonstige Strukturen, für die die Abbildung von Vielfalt auch durch die Verwendung gendersensibler Sprache ein Pfeiler ihres Selbstverständnisses und Teil ihrer Aufklärungs- und sonstigen -arbeit ist, werden Vertragsklauseln gegen „das Gendern“ schlicht nicht unterschreiben können – eine perfide Form indirekter Diskriminierung, die je nach Kontext auch Berufs-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit berühren kann.
Noch 1975 hat das Bundesverfassungsgericht Homosexualität neben Geschlechtskrankheiten und Missbrauch unter die „sozialethische[n] Probleme der menschlichen Sexualität sowie strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und über sexuelle Vergehen“ gefasst, über die die Schule im Rahmen des Sexualkundeunterrichts unterrichten darf und soll (NJW 1975, 1879). Doch schon in den frühen Entscheidungen zu diesem Thema findet sich die Grundidee wieder, dass die Schule ein Ort sein muss, in dem Kinder und Jugendliche in altersgerechter Weise über die Vielfalt sexueller und Genderidentität unterrichtet werden. Sieht man die „Genderverbote“ in diesem größeren Kontext und im Hinblick auf die Arbeit, die queere Organisationen in diesem Bereich in Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Institutionen leisten können, zeigt die sächsische „Klarstellung“ ihr wahres Gesicht: Das Playbook, nachdem derzeit in den USA Queerness – etwa in Gestalt der Kunstform des Drag – unter dem Vorwand des Schutzes von Kindern angegriffen wird, ist weder neu noch ein Alleinstellungsmerkmal US-amerikanischer rechte Bewegungen. Der von deutschen Konservativen mit ungebrochener Verve geführte, durchaus massentaugliche Stellvertretungskampf gegen das „Gendern“ lässt sich hier aufs Feinste und zugleich Subtilste mit der Zurückdrängung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt aus dem öffentlichen Raum verbinden.
Dass es mittlerweile als grundrechtlich problematisch angesehen wird, wenn Schüler dazu angehalten werden, die offiziellen Regeln der deutschen Rechtschreibung und Grammatik zu beachten, zeigt die zunehmende Absurdität der Diskussion. Es mutet bizarr an, wenn die Autorin ihre Auffassung mit dem Argument begründet, die Schreibweisen würden ja nicht aus Unwissenheit, sondern ganz bewusst gewählt. Mit anderen Worten: Nur wer fahrlässig gegen Regeln verstößt, darf sanktioniert werden – der Vorsatztäter hingegen nicht? Im Strafrecht ist das meines Wissens anders. Merkwürdig ist auch das Argument, es gehe den Schülern dabei um den Ausdruck eines „nichtbinären Genderverständnisses“. Es bleibt schleierhaft, warum ein solches Verständnis ausgerechnet in schulischen Arbeiten, bei denen regelmäßig konkrete Aufgaben/Fragen zu bearbeiten sind, Ausdruck finden soll. Wer statt auf eine korrekte Sprache zu achten, lieber ungefragt seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen durch sprachliche Codes artikuliert, darf sich über eine schlechte Bewertung nicht wundern. Politische Ansichten haben in schulischen (ebenso wie in wissenschaftlichen) Arbeiten nichts verloren.
Daneben ist noch anzumerken, dass die Bezeichnung „Kulturkampf“ in Bezug auf die Politik des sächsischen Kultusministerium hier wie eine Täter-Opfer-Umkehr anmutet. Die Autorin möge sich fragen, welche Gruppen/Parteien/Behörden/Einzelpersonen usw seit einigen Jahren – gegen den Willen der großen Mehrheit der Bürger – mit massivem Aufwand eine Umgestaltung der Sprache anstreben. Dass dies auch zu einer gewissen (insgesamt noch sehr zurückhaltenden) Gegenwehr führt, ist nicht verwunderlich, sondern sehr zu begrüßen. Denn hier geht es nicht nur um die Verständlichkeit und Ideologiefreiheit unserer deutschen Sprache, sondern auch um ihren Erhalt als wesentliches Kulturgut. Der vom Ministerium betriebene „Kulturkampf“ ist daher (wenn man mit der Autorin derartige Kriegsrhetorik verwenden möchte) ein Abwehrkampf, der auf die Bewahrung jener sprachlichen Zustände abzielt, die auch in der sprachlichen Gestaltung des Grundgesetzes ihren Niederschlag gefunden haben.
danke. der Text hat das Dilemma gut dargestellt bzw. wieso das Gericht so urteilen musste: Gendern oder Nicht-Gendern ist beides Politisch. und die Schule ist kein Ort, wo man von außen festlegen kann, dass niemand mit Strittigen Themen in Berühung kommt.